eJournals Internationales Verkehrswesen 67/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0056
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2015
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Verkehrsraum - Lebensraum

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2015
Barbara Lenz
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Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 3 Barbara Lenz EDITORIAL Verkehrsraum - Lebensraum V or nunmehr fast zehn Jahren fand in Frankfurt, in der Kunsthalle Schirn, eine Ausstellung unter dem Titel „Die Eroberung der Straße“ statt. Anspruch dieser Ausstellung war es, dem Zusammenhang zwischen der Stadt, der Straße und der Entwicklung der modernen Gesellschaft des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts nachzugehen. Gezeigt wurden Gemälde, Skizzen, Pläne, Karten und Fotograien, die die bauliche und gesellschaftliche Veränderung der Metropolen Paris und Berlin thematisierten. Zur Quintessenz der Ausstellung gehörte die Beobachtung, dass sich in jenen stürmischen Jahren die Straße in Entsprechung zur Gesellschaft verändert hatte. Die Straße war zum Schauplatz modernen Lebens geworden; die Stadtstruktur wurde zentral auf Bewegung und Verkehr ausgerichtet. Die massenhafte Motorisierung hat dieser kulturellen und gesellschaftlichen Funktion der Straße viel von ihrem Charme und ihrer Attraktivität genommen. Im Jahr 1989 beklagt der Soziologe Hans Paul Bahrdt, dass die kommunikationsfreundliche Atmosphäre der städtischen Straßen durch den Autoverkehr immer mehr verschwinde. Denn „bei aller Flüchtigkeit der öfentlichen Kontakte [bedarf es doch] einer gewissen Gelassenheit des Gehens und der Möglichkeit des Verweilens“. So wird auch seit den 1970er Jahren versucht, durch Ausweisung von Fußgängerzonen, verkehrsberuhigten Zonen oder sog. Spielstraßen wenigstens kleinräumig dem öfentlichen Raum „Straße“ wieder seine alte unmittelbare gesellschaftliche Funktion zukommen zu lassen. Allerdings wissen wir heute, dass es nicht nur der ließende, sondern auch der ruhende Verkehr ist, der die- Qualität der Straße als Lebensraum massiv beeinträchtigt. In jüngerer Zeit sind zusehends alte und neue Mobilitätsoptionen dabei, sich ihren Platz im Gesamtsystem zu suchen, auch wenn dies momentan überwiegend die großen Städte betrift. Dort sind sowohl das Fahrrad als auch Sharing-Systeme in die Nutzungskonkurrenz - vor allem mit dem privaten PKW - um den Straßenraum eingetreten, was zur Veränderung des Straßenraums sichtbar beiträgt. Während dabei die Erwartungen an die Fahrradnutzung hauptsächlich auf den Wechsel vom Auto zum Zweirad abzielen - mit den positiven Folgen „weniger Lärm“ und „weniger Abgase“ -, gilt die mit den Sharing-Systemen verbundene Hofnung vor allem der Reduzierung der Zahl an privaten PKW in den Haushalten und damit der Reduzierung des Stelllächenbedarfs. Die Stadt- und Verkehrsplanung sieht sich einer wachsenden Diferenzierung und Vielfalt der Ansprüche gegenüber. Für die großen Städte gilt: Mit der wachsenden Attraktivität des Lebens in der Stadt bei gleichzeitig hohen Mobilitätsansprüchen entstehen neue Anforderungen an Zugänglichkeit zu Mobilitätsoptionen und den dafür notwendigen Infrastrukturen, aber auch Erwartungen an Lebensbedingungen, die von hoher Umweltqualität geprägt sind. Was in den großen Städten angesichts der Bevölkerungszahl und -dichte meist gut gelingt, nämlich die Bereitstellung eines leistungsfähigen und attraktiven Öfentlichen Verkehrs, stellt eine besondere Herausforderung in den mittleren und kleinen Städten dar, die nur durch eine gelungene Schnittstelle zwischen privatem und öfentlichem Verkehr zu bewältigen ist. Die große Bandbreite an möglichen Lösungsbeiträgen, aber auch die Problematik aus einer internationalen Perspektive ist Gegenstand dieses Heftes. Allen Leserinnen und Lesern wünsche ich, dass die Lektüre eine inspirierende Wirkung hat und hilft, neue eigene Ideen weiterzuentwickeln. Ihre Barbara Lenz Prof. Dr., Direktorin Institut für Verkehrsforschung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR), Berlin