eJournals Internationales Verkehrswesen 67/3

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0061
91
2015
673

Mobilitätssicherung in alternden Gesellschaften

91
2015
Matthias Gather
Jörg Berding
Sandra Franz
Markus Rebstock
Der demographische Wandel stellt die Verkehrspolitik vor die Herausforderung, Mobilität und gesellschaftliche Teilhabe einer zunehmenden Zahl älterer Verkehrsteilnehmer zu sichern. Die EU-Mitgliedsstaaten realisieren diesbezüglich auf der nationalen Ebene eine Vielzahl von Maßnahmen und strategischen Ansätzen. Das Forschungsprojekt „TRACY – TRAnsport needs for an ageing soCietY“ im Auftrag der EU-Kommission gibt Aufschluss darüber, inwieweit die Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen im Rahmen dieser aktuellen Verkehrspolitiken berücksichtigt werden und wo noch Defizite festzustellen sind.
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Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 22 Mobilitätssicherung in alternden Gesellschaften Nationale Handlungsansätze in Europa Alternde Gesellschaft, Mobilitätsbedürfnisse, Verkehrspolitik, Verkehrssicherheit Der demographische Wandel stellt die Verkehrspolitik vor die Herausforderung, Mobilität und gesellschaftliche Teilhabe einer zunehmenden Zahl älterer Verkehrsteilnehmer zu sichern. Die EU-Mitgliedsstaaten realisieren diesbezüglich auf der nationalen Ebene eine Vielzahl von Maßnahmen und strategischen Ansätzen. Das Forschungsprojekt „TRACY - TRAnsport needs for an ageing soCietY“ im Auftrag der EU-Kommission gibt Aufschluss darüber, inwieweit die Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen im Rahmen dieser aktuellen Verkehrspolitiken berücksichtigt werden und wo noch Defizite festzustellen sind. Die Autoren: Matthias Gather, Jörn Berding, Sandra Franz, Markus Rebstock S eit geraumer Zeit steht der demographische Wandel in vielen europäischen Ländern im Mittelpunkt öffentlicher Diskussionen. Auch im Bereich der internationalen Verkehrsforschung sind in den vergangenen Jahren zahlreiche Studien zu den Herausforderungen des demograischen Wandels für das Verkehrssystem erstellt worden, die sich mit Fragen der Verkehrssicherheit, der Beibehaltung autonomer Mobilität, barrierefreien Verkehrssystemen sowie der Dimensionierung und Finanzierbarkeit von Infrastrukturen befassen [vgl. 1, 2, 3, 4]. Eine Übersicht wesentlicher, aus dem gesellschaftlichen Alterungsprozess resultierender Herausforderungen für die Verkehrspolitik bietet Bild 1. Eine dieser Herausforderungen ist, wie die gesellschaftliche Teilhabe älterer Menschen gesichert werden kann. Diese Frage steht in Zusammenhang mit altersbedingt verstärkt auftretenden Aspekten wie Verarmung, Vereinsamung, Exposition gegenüber kriminellen Handlungen oder einer zunehmenden Furchtsamkeit, am teils unübersichtlichen Verkehrsgeschehen teilzunehmen. „Klassisch“ im Sinne der Wahrnehmung alternder Gesellschaften sind gesundheitliche Aspekte, die spezielle Reaktionsweisen der Politik erfordern [vgl. 5, 6]. Schließlich hat die Alterung der Gesellschaft auch Auswirkungen auf das Mobilitätsverhalten [vgl. 7, 8, 9]: Wegezwecke, -häuigkeit und Geschwindigkeit, Zeitbudget sowie die Verkehrsmittelwahl ändern sich mit dem Wandel der sozialen Situation. Im Rahmen des Forschungsvorhabens „TRACY“ hat unter Leitung des Instituts Verkehr und Raum der Fachhochschule Erfurt eine internationale Forschergruppe evaluiert, inwieweit die Mitgliedsstaaten der EU und weitere Staaten auf den Alterungsprozess der Gesellschaft reagieren. Im Vordergrund standen dabei folgende Ziele: • Schafung eines systematischen Überblicks zu verkehrspolitischen Maßnahmen, Programmen und Strategien, die die Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen in den 33 untersuchten Ländern (EU27, Schweiz, Norwegen, USA, Australien, Neuseeland, Japan) adressieren. POLITIK Demografischer Wandel Foto: pixabay.com Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 23 Demograischer Wandel POLITIK • Analyse, wie geeignet dieser ‘state of the art’ zur Erfüllung der Mobilitätsbedürfnisse einer alternden Gesellschaft ist. • Identiikation von Lücken in Forschung und Politik als Beitrag zu einer Strategie für die konsequente Berücksichtigung dieser Mobilitätsbedürfnisse. Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen Der Begrif ältere Menschen ist keinesfalls klar umrissen. Während in der Werbung häuig die „Generation 50+“ oder „junge Alte“ adressiert werden, indet in allgemeinen Statistiken eher das Renteneintrittsalter Anwendung. Daneben gibt es Typologien einzelner Gruppen innerhalb „der“ älteren Bevölkerung wie z. B. „Hochbetagte“. Neben dem reinen Alter spielen weitere Faktoren eine Rolle, um diese Bevölkerungsgruppe zu charakterisieren. So gibt es ältere Menschen, die it und aktiv sowie sozial gut integriert sind und ihr Leben nach wie vor selbständig bestreiten. Hingegen gibt es auch Personen, deren gesellschaftliche Teilhabe und Aktivität aufgrund physischer und psychischer Einschränkungen so limitiert sind, dass eine umfänglichere Hilfe durch Dritte nötig wird. Im Rahmen des TRACY-Projekts wurden zur Konkretisierung der Mobilitätsbedürfnisse älterer Menschen unter Berücksichtigung verschiedener internationaler Studien und Untersuchungen [vgl. z.B. 10, 11] essentielle Qualitätsmerkmale eines altersfreundlichen Verkehrssystems („Systemqualitäten“) abgeleitet (s. Tabelle 1). Die Erfüllung der Systemqualitäten charakterisiert Merkmale eines Verkehrssystems im Sinne eines Designs für Alle, die universell für jede Bevölkerungsgruppe gelten und letztlich zu deren gesellschaftlicher Teilhabe beitragen. Analyse der Verkehrspolitiken Auf der jeweiligen nationalen Ebene der untersuchten Länder wurden insgesamt 174 Politiken identiiziert, die sich im Bereich Landverkehrsträger mit verkehrspolitischen Antworten auf die alternde Gesellschaft beschäftigen. Analog zum englischen Begrif policy wurde dabei als Politik die inhaltliche Dimension der jeweiligen Maßnahme deiniert. Zwar wurden ausschließlich nationale Politiken betrachtet, häuig enthalten diese aber auch Empfehlungen für Akteure auf der regionalen und lokalen Ebene. Ungefähr die Hälfte der identiizierten Politiken befasst sich mit dem ÖV und dem MIV, während verkehrsträgerübergreifende Ansätze, Fuß- und Radverkehr oder ergänzende (virtuelle) Angebote deutlich weniger im Fokus stehen. Themen integrierter Politikansätze, die mehr als einen Verkehrsträger adressieren, sind häuig • Veränderungen bezogen auf die Fahrtüchtigkeit Älterer, deren Erhaltung sowie die Rolle Älterer bei Verkehrsunfällen • das Potenzial einer größeren Nachfrage im ÖV • die Verbesserung der Bedingungen des Fuß- und Radverkehrs für Ältere • der Abbau physischer und informationeller Barrieren für ältere Menschen sowie • die Information und Sensibilisierung von Entscheidungsträgern, Planern und älteren Menschen zu Mobilität und Verkehrsverhalten im Alter. Im Bereich des ÖV beziehen sich zahlreiche Politiken auf Fahrpreisbefreiungen oder -ermäßigungen, wobei eine große Bandbreite von Kriterien in unterschiedlicher Ausprägung angewandt wird, um diese beanspruchen zu können: Während das Einkommen nur im Ausnahmefall herangezogen wird, zählen hierzu das Alter (z. B. ab 60/ 65/ 67/ 70 oder 80 Jahren, teils gender- Systemqualität Erläuterung Barrierefrei Die Einrichtungen des Verkehrssystems sollten auch von Menschen mit Behinderung ohne besondere Schwierigkeit oder Hilfe von Dritten nutzbar sein. Sie sollten unter Berücksichtigung der im Alter (tendenziell) häuiger auftretenden physischen, sensorischen und kognitiven Beeinträchtigungen gestaltet sein. Bezahlbar Die inanziellen Möglichkeiten älterer Menschen sollten die Nutzung des Verkehrssystems erlauben. Eizient Es sollte möglich sein, das gewünschte Reiseziel innerhalb einer annehmbaren und angemessenen Reisezeit zu erreichen. Freundlich Das Verkehrssystem sollte ”ofen” gegenüber älteren Menschen sein. Soweit möglich sollte Personal auf verschiedene Weise (Telefon, persönlich) ansprechbar und mit den besonderen Ansprüchen älterer Nutzer vertraut sein. Komfortabel Das Verkehrssystem sollte so gestaltet oder angepasst werden, dass ältere Menschen es ohne Einschränkungen, Unannehmlichkeiten, Stress oder Angst nutzen können. Sicher (Safety) Die Nutzung des Verkehrssystems sollte ältere Menschen mit ihren besonderen Bedürfnissen nicht gefährden. Sie sollten sich während der Nutzung nicht unsicher fühlen. Sicher (Security) Das Verkehrssystem sollte zuverlässig sein und älteren Menschen das Vertrauen vermitteln, sich bei der Nutzung keinem unnötigen Risiko aussetzen. Transparent Ältere Menschen sollten Kenntnis über die verfügbaren Verkehrs- und Mobilitätsangebote haben und verstehen, wie diese zu nutzen sind. Verfügbar Das Mobilitäts- und Verkehrssystem sollte in einer Weise verfügbar sein, die älteren Menschen die Nutzung ermöglicht. Verständlich Informationen über das Verkehrssystem und Mobilitätsdienste sollten auf verschiedenen Wegen so kommuniziert werden, dass sie für ältere Menschen einfach zu verstehen und nachzuvollziehen sind. Zuverlässig Das Verkehrssystem sollte so funktionieren wie beschrieben und beworben, und auch Beeinträchtigungen durch schwer einschätzbare Ereignisse (z.B. unvorhergesehene Wettereinlüsse) tolerieren. Ergänzende Merkmale Das Verkehrssystem sollte durch andere Politikbereiche und Maßnahmen lankiert werden, die die Autonomie älterer Menschen zusätzlich zur persönlichen Mobilität unterstützen (z.B. mobile/ virtuelle Dienstleistungsangebote; stadtplanerische Aspekte etc.). Tabelle 1: Qualitätsmerkmale eines altersfreundlichen Verkehrssystems Quelle: [12] Bild 1: Verkehrspolitische Herausforderungen der alternden Gesellschaft Quelle: Eigene Darstellung POLITIK Demografischer Wandel Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 24 diferenziert), der Beschäftigungsstatus (Ruhestand) oder die Beanspruchung staatlicher Versorgungsleistungen. Weitere Maßnahmen sind die Förderung einer barrierefreien Gestaltung, die Verbesserung der Servicequalität speziell für ältere Menschen oder die Einführung spezieller Fahrdienste. Im Bereich des MIV stehen neben Aspekten der Verkehrsraumgestaltung unter Berücksichtigung der Belange älterer Verkehrsteilnehmer insbesondere Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit im Mittelpunkt. Beim Fuß- und Radverkehr liegt der Fokus ebenfalls häuig auf der Verkehrssicherheit älterer Menschen und deren verstärkte Berücksichtigung in Verkehrssicherheitsprogrammen aufgrund des erhöhten Risikos für schwerwiegende Verletzungen. Zudem wird auf altersbedingte Veränderungen der körperlichen, sensorischen und kognitiven Fähigkeiten und Folgen für die Verkehrsteilnahme eingegangen. Auch spielt die Barrierefreiheit v.a. für den Fußverkehr und die intermodale Verknüpfung eine große Rolle. Weitere Maßnahmen sind Öfentlichkeitsarbeit, Auklärungskampagnen sowie theoretisch-praktische Trainings. Im Bereich virtuelle Mobilität wurden Maßnahmen erfasst, die älteren Menschen durch technische Lösungen, Kommunikations- oder Informationsangebote dienen und teilweise auch die Notwendigkeit von Verkehr reduzieren (z.B. Computerkurse für Senioren, Internet-Dienstleistungen von Verwaltungen). Bezüglich der der Berücksichtigung der o.g. Qualitätsmerkmale eines altersfreundlichen Verkehrssystems hat die Analyse gezeigt, dass aktuell v.a. die vergleichsweise „greibaren“ Themen Verkehrssicherheit, Barrierefreiheit sowie Bezahlbarkeit von Verkehrsangeboten im Zentrum der Politiken stehen: Die nationalen Ansätze variieren häuig im Detail, doch können diese Politikfelder als weitgehend „verstanden“ angesehen werden. „Weiche“, weniger greibare Systemqualitäten wie Komfort, Freundlichkeit und Verlässlichkeit stehen aktuell nur selten oder gar nicht im Fokus. Gerade diese Kriterien stellen aber einen erheblichen Anreiz für die Verkehrsteilhabe älterer Menschen dar. Kritisch zu erwähnen bleibt, dass für die analysierten Politiken keine Evaluationsergebnisse vorliegen. Entsprechend konnte hier über die Berücksichtigung der Systemqualitäten hinaus keine qualiizierte Abschätzung vorgenommen werden, welche Efekte die Maßnahmen tatsächlich besitzen. Entsprechend ist gegenwärtig auch die Efektivität des Ressourceneinsatzes schwer zu belegen. Nationale Politikansätze im Bereich der Verkehrssicherheit In der Mehrzahl der Mitgliedsstaaten konnten Politiken zur Verkehrssicherheit speziell älterer Menschen identiiziert werden (s. Tabelle 2). In diesen Ländern zielen Verkehrssicherheitsprogramme darauf ab, die sichere Teilhabe älterer Menschen am Straßenverkehr zu fördern. Für einzelne Verkehrsträger werden vielfach die erwähnten Schulungsprogramme angeboten, häuig zur freiwilligen Teilnahme. Verkehrsträger Art / Fokus der Politiken Themen / Ausprägungen / Variationen MIV bzw. verkehrsträgerübergreifend Gestaltung der Straßeninfrastruktur • Schafung einheitlicher, verständlicher, „fehlervergebender“ Straßengestaltung zur Vermeidung schwieriger Verkehrssituationen • Leitfäden zu Mobilitätsbedürfnissen älterer Menschen oder zu Prinzipien und Elementen altengerechter Nutzbarkeit MIV Bewußtseinsschaf fung für Aspekte der Verkehrssicherheit • Broschüren, Flyer, Filme etc. für die Zielgruppe ältere Fahrer mit Erläuterungen zu Aspekten des Straßen verkehrsrechts, Fahrtüchtigkeit, Medikamenteneinluss, Fahrerlaubnisverlängerung Beratung zur Beibehaltung individueller Mobilität durch Umstieg auf Umweltverbund Information weiterer Bevölkerungsgruppen zur besonderen Gefährdung älterer Verkehrsteilnehmer MIV Verplichtende Erneuerung der Fahrerlaubnis • Länderspeziische Festlegung von Altersgrenzen für erstmalige Erneuerung (von Mitte 40 bis Ende 60) und Erneuerungsintervallen (zwischen < alle 2 bis alle 5 Jahre, teils kürzere Intervalle mit zunehmendem Alter) • Meist Verplichtung zu regelmäßigen Vorsorgeuntersuchungen (je nach Land und Umfang Überprüfung von generellem Gesundheitszustand, Seh- und Hörfähigkeit, Erkrankungen des Herz-Kreislauf-/ Nervensys tems, psychologischen Aufälligkeiten, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch) • Tests zur Kenntnis von Verkehrsregeln und Straßenschildern MIV Fahrsicherheitstrai nings speziell für ältere Fahrer • Flankierende Maßnahme bei Erneuerung der Fahrerlaubnis • Optional auch in Ländern ohne Plicht zur Fahrerlaubniserneuerung • Praktisches Fahrtraining, Simulation komplexer Verkehrssituationen, Sensibilisierung für altersbedingte Veränderungen und Einluss auf Fahrtüchtigkeit, Aufrischung geltender Verkehrsregeln ÖV Förderung barriere freier Gestaltung von ÖV-Einrichtungen • Richtlinien, Empfehlungen und technische Standards zur Erhöhung einer sicheren Nutzbarkeit • Barrierefreiheit als Vergabekriterium, Verplichtung von Anbietern zur Herstellung von Barrierefreiheit und Fristsetzung ÖV Schulungsprogram me für Menschen mit wenig ÖV-Praxis • Zusammenarbeit staatlicher Stellen z. B. mit Verbänden, Anbietern • Übungen zum Ticketkauf, sicherer Ein-/ Ausstieg, Sitzplatzsuche etc. Fußverkehr Barrierefreiheit öfentlicher Räume und intermodaler Verknüpfungen • Anleitungen und Instrumente für Planungsprozesse (z. B. Erfordernisse angemessener Beleuchtung, Gestal tung von Querungsstellen, Kreuzungen, Fußwegen, Plaster und Oberlächen oder Fußwegenetzen zur einfachen Orientierung und Vermeidung von Konlikten mit anderen Verkehrsteilnehmern) Förderung von Nutzerpartizipation Fußverkehr/ Radverkehr Schwerpunkt auf Ältere in Verkehrssi cherheits-Program men • Betonung eines erhöhten Risikos für schwere Unfallverletzungen • Information von Planern und Entscheidungsträgern zur zunehmenden quantitativen Bedeutung Älterer, zum Verkehrsverhalten, altersbedingten körperlichen, sensorischen, kognitiven Veränderungen und Folgen für Mobilität und Verkehrsteilnahme • Thematisierung möglicher Gründe für Fußverkehrs-/ Radverkehrsunfälle mit Beteiligung Älterer Fußverkehr/ Radverkehr Aufklärung, theoretisch-prakti sche Trainings • Zielstellung jeweils Sensibilisierung/ Befähigung Älterer zu einem sicheren Verhalten als Fußgänger und Radfahrer Schulungen mit Fahrübungen und Informationen zu rechtlichen Aspekten, Risiken und empfohlenen Verhaltensweisen, häuig Thematisierung der Wechselwirkung von gesundheitlicher Vorsorge und Fortbewe gung aus eigener Kraft („active ageing“) Tabelle 2: Mobilitätssicherung in alternden Gesellschaften - Politiken im Bereich Verkehrssicherheit Quelle: Eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 25 Demograischer Wandel POLITIK Dem gegenüber stehen Maßnahmen mit Schwerpunkt auf dem MIV, die auf eine verplichtende Erneuerung der Fahrerlaubnis ab einem bestimmten Alter zielen. Diese Altersgrenze variiert je nach Land von Mitte 40 für die erstmalige Erneuerung bis Ende 60, ebenso die Erneuerungsintervalle, welche zwischen 2 und 5 Jahren liegen. Meist beinhalten diese Maßnahmen, ältere Menschen regelmäßig verplichtenden Vorsorgeuntersuchungen zu unterziehen (z. B. Seh- und Hörtest, genereller Gesundheitszustand, psychologische Aufälligkeiten, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch). Mitunter werden auch Kenntnisse von Verkehrsregeln und Straßenschildern überprüft. Daneben werden Fahrsicherheitstrainings speziell für ältere Fahrer angeboten. Auklärungskampagnen verwenden Kommunikationswege wie Broschüren, Flyer, Filme etc. und erläutern Aspekte wie Straßenverkehrsrecht, notwendige Bedingungen für die Fahrtüchtigkeit und den Einluss von Medikamenten, die Verlängerung der Fahrerlaubnis, das Beibehalten individueller Mobilität durch den Umstieg auf ÖV, Fuß-/ Radverkehr oder individuelle Verkehrsmittel. Zudem existieren zahlreiche Programme, um ältere Menschen als gefährdete Verkehrsteilnehmer zu schützen. Zur Vermeidung schwieriger Verkehrssituationen gibt es Maßnahmen zur Gestaltung der Straßeninfrastruktur, z. B. Leitfäden zur altengerechten Straßenraumgestaltung. Ziel ist die Entwicklung eines einheitlichen, verständlichen und standardisierten Straßenentwurfs („fehlervergebende“ Straßen). Empfehlungen zur Harmonisierung nationaler Verkehrspolitiken für die alternde Gesellschaft Als Ergebnis der Recherchen wurden insgesamt folgende Empfehlungen abgeleitet: 1. Um ein einheitliches Bild von den Verkehrs- und Mobilitätsbedürfnissen älterer Menschen in Europa zu erhalten, empiehlt es sich, Verkehrs- und Mobilitätsuntersuchungen zu harmonisieren. 2. Neben der systematischen Erfassung von Straßenverkehrsunfällen sollten verkehrsträgerübergreifend Daten zu Unfällen älterer Menschen bereitgestellt werden. 3. Die Mobilitätssicherung älterer Menschen ist häuig auf die Sicherung der Verkehrsteilhabe beschränkt. Gerade im ländlichen Raum spielen jedoch auch Nähe und Ausstattung mit Gütern und Dienstleistungen eine wichtige Rolle. 4. Ältere Menschen nutzen zunehmend das eigene Auto. Hierzu fehlen kritische Untersuchungen von Fahrsicherheitstrainings und eine adäquate Vorbereitung des Umstiegs auf andere Verkehrsmittel. 5. Die meisten Politiken im Verkehrsbereich für ältere Menschen werden konkret auf kommunaler Ebene realisiert. Für einen Wissensaustausch fehlt ein Überblick zu guten Lösungen auf lokaler Ebene und daraus zu ziehenden Lehren für die EU-Politik. 6. Der MIV steht bislang im Zentrum nationaler Verkehrspolitiken. Verkehrsmittelübergreifende Ansätze unter besonderer Berücksichtigung von Fuß- und Radverkehr sollten stärker gefördert werden. 7. Die systematische Evaluation von Politiken und eine Analyse der Zielerreichung in bestimmten Bereichen sollte verbindlich vorgeschrieben werden. 8. Zahlreiche Mitgliedsstaaten befassen sich mit altengerechter Verkehrsinfrastrukturplanung. Entsprechende europäische Leitlinien zur Harmonisierung nationaler Regelungen sollten entwickelt werden. 9. Europäische Leitlinien zu den bisher wenig beachteten Qualitäten eines altengerechten Verkehrssystems (Transparenz, Verständlichkeit, Komfort, Freundlichkeit und Eizienz, Zuverlässigkeit) sollten entwickelt werden. Fazit Die Alterung der Bevölkerung ist - ausgehend von Mitteleuropa - ein gesamteuropäisches Phänomen. Sowohl zwischen als auch innerhalb der einzelnen Länder existiert eine große Heterogenität innerhalb der Bevölkerungsgruppe „ältere Menschen“ hinsichtlich individueller Anforderungen und Fähigkeiten. Ein Schwerpunkt der Verkehrspolitiken liegt in den EU-Staaten derzeit im Straßenverkehr bei der Verkehrssicherheit und im ÖV bei der Bezahlbarkeit und Barrierefreiheit. Rad- und Fußverkehr stehen noch wenig im Fokus. Ein deutlicher Steigerungsbedarf ist zudem bei der systematischen Erfolgs- und Wirkungskontrolle nationaler Politiken festzustellen. In der Gesamtbetrachtung ergibt sich zwar ein heterogenes Bild, doch lohnen sich der Erfahrungsaustausch und das gegenseitige Lernen voneinander. ■ LITERATUR [1] Banister, D. & Bowling, A. (2004): Quality of life for the elderly: the transport dimension. Transport Policy, 11 (2), S. 105-115. [2] Levin, L., Ulleberg, P. & Siren, A. (2012): Measures to enhance mobility among older people in Scandinavia, VTI, Norway. [3] TRACY - Transport needs for an ageing society (2012): Work package 2: Determining the state of the art. WP2 Report (www.tracy-project.eu). [4] Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe (SHARE) (2013) (www.share-project.org). [5] Kasper, B., (2005): Mobilität im Lebenszyklus. Motive und Bedeutung der Mobilität älterer Menschen. Topp, Hartmut H. [Hrsg.]: Workshop ‚‘Demografischer Wandel, Mobilität und Verkehr‘‘.- [Schriftenreihe der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft, Reihe B, Seminare] Volume 279, S. 51-76, Berlin [6] Satariano et al. (2012): Mobility and Aging: New Directions for Public Health Action. American Journal of Public Health, 102 (8), S. 1508- 1515. [7] Alsnih, R. & Hensher, D. A. (2003): The mobility and accessibility expectations of seniors in an aging population. Transportation Research Part A: Policy and Practice, 37 (10), S. 903-916. [8] Burnett, P. & Lucas, S. (2010): Talking, walking, riding and driving: The mobilities of older adults. Journal of Transport Geography, 18 (5), S. 596-602. [9] Su, F. & Bell, M. G. H. (2009): Transport for older people: Characteristics and solutions. Research in Transportation Economics, 25 (1), S. 46-55. [10] Vgl. z.B. Hildebrand, E. (2003): Dimensions in elderly travel behaviour. A simplified activity-based model using lifestyle clusters.‘ Transportation 30 (3). S. 285-306. [11] GOAL - Growing Older, staying mobile: Transport needs for an ageing society (2013): Deliverable D 2.1 Profiles of Older People. (www.goal-project.eu/ images/ reports/ d2-1_goal_final_20120725. pdf). [12] TRACY - Transport needs for an ageing society (2013): Action Plan. (http: / / www.tracy-project.eu). Jörn Berding, Dipl.-Geogr. Projektmitarbeiter, Institut Verkehr und Raum, Fachhochschule Erfurt, Erfurt joern.berding@fh-erfurt.de Markus Rebstock, Dr., Dipl.-Geogr. Projektmitarbeiter, Institut Verkehr und Raum, Fachhochschule Erfurt, Erfurt rebstock@fh-erfurt.de Matthias Gather, Prof. Dr. Professur Verkehrspolitik und Raumplanung, Fachhochschule Erfurt, Erfurt matthias.gather@fh-erfurt.de Sandra Franz, Dipl.-Wirt.Ing. (FH) Projektmitarbeiterin, Institut Verkehr und Raum, Fachhochschule Erfurt, Erfurt sandra.franz@fh-erfurt.de