eJournals Internationales Verkehrswesen 67/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0063
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Zur zukünftigen Verkehrsentwicklung an den deutschen Flughäfen

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Henry Pak
Dieter Wilken
Nicht erst seit Inbetriebnahme des Flughafens Kassel-Calden wird in der Öfentlichkeit angesichts der aktuell schwachen Verkehrsentwicklung über die Zukunftsaussichten der Regionallughäfen diskutiert. Für die jetzt schon hochbelasteten Großlughäfen hingegen werden aufgrund der dort noch steigenden Verkehrsnachfrage Kapazitätsprobleme erwartet. Was sind die Ursachen dieser unterschiedlichen Entwicklungen und was kann für die weitere Zukunft erwartet werden?
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Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 30 Politik Wissenschaft Zur zukünftigen Verkehrsentwicklung an den deutschen Flughäfen Ursachen und Folgen divergierender Wachstumsperspektiven Luftverkehr, Flughäfen, Verkehrsnachfrage, Verkehrskonzentration, Verkehrsauslastung Nicht erst seit Inbetriebnahme des Flughafens Kassel-Calden wird in der Öfentlichkeit angesichts der aktuell schwachen Verkehrsentwicklung über die Zukunftsaussichten der Regionallughäfen diskutiert. Für die jetzt schon hochbelasteten Großlughäfen hingegen werden aufgrund der dort noch steigenden Verkehrsnachfrage Kapazitätsprobleme erwartet. Was sind die Ursachen dieser unterschiedlichen Entwicklungen und was kann für die weitere Zukunft erwartet werden? Die Autoren: Henry Pak, Dieter Wilken M it Ausnahme kurzfristiger Einbrüche im Zusammenhang mit den Terroranschlägen 2001 und der Finanz- und Wirtschaftskrise ab 2007 hat der Passagierverkehr an den Hauptverkehrslughäfen 1 Deutschlands seit der Wiedervereinigung bis heute kontinuierlich zugenommen (Bild 1a). Gegenüber 1991 ist das Fluggastaufkommen bis 2014 auf etwa das 2,5-Fache gestiegen. Das um die Umsteigerverkehre bereinigte Originäraukommen hat sich dabei mehr als verdoppelt und macht derzeit drei Viertel des Passagieraukommens an deutschen Flughäfen aus. Verkehrsentwicklung an den deutschen-Flughäfen Genauere Analysen zeigen, dass der Originärverkehr sich an den einzelnen Flughäfen unterschiedlich entwickelt hat. Dabei können zwei typische Entwicklungsverläufe identiiziert werden. Abgesehen von den schon erwähnten Einbrüchen sind die Originäraukommen an den Flughäfen Frankfurt, München, Düsseldorf, Berlin 2 und Hamburg - im Folgenden als Primärlughäfen bezeichnet - bis heute unterdurchschnittlich, aber kontinuierlich gewachsen (grüne Linie Bild 1a und Bild 1b). Es handelt sich dabei um die aukommensstärksten Flughäfen Deutschlands, die im Jahr 2014 ein Aukommen von 55,8 Mio. Originäreinsteigern und damit mehr als zwei Drittel des Originärverkehrs bewältigten. An allen anderen Flughäfen - zurzeit insgesamt 22 Flughäfen und hier als Sekundärlughäfen betitelt - stellt sich die Entwicklung jedoch anders dar (violette Linie Bild 1a und Bild 1b): Hier folgten auf ausgeprägte Wachstumsphasen zuletzt mehr oder weniger starke Rückgänge des Originärverkehrs auf 23 Mio. Originäreinsteiger im Jahr 2014. Das vor allem im Jahr 2003 einsetzende eigenständige Wachstum an den Sekundärlughäfen übertraf die Entwicklung an den Primärlughäfen zunächst deutlich und erreichte ihren bisherigen Höhepunkt im Jahr 2008 (Bild 1b). Bei vielen Sekundärlughäfen standen die ausgeprägten Wachstumsphasen in Verbindung mit einer Ausweitung von Low-Cost-Angeboten (Wilken und Berster 2013). Ab etwa dem Jahr 2007 jedoch begannen die Originäraukommen an den Sekundärlughäfen nach und nach mehr oder weniger stark zu sinken, während der Originärverkehr an den Primärlughäfen weiterhin zunahm. In den letzten Jahren fand also eine Umverteilung des Originärverkehrs von den Sekundärlughäfen hin zu den fünf großen Primärlughäfen statt. Im gleichen Zeitraum seit 1991 nahm auch das Flugbewegungsaukommen an den deutschen Flughäfen zu (Bild 1c), allerdings nicht in dem Maße wie das Passagieraukommen. Im Jahr 2008 erreichte es den bisherigen Höchstwert von 2,1 Mio. Flugbewegungen. Bis dahin war das Flugbewegungsaukommen an den Sekundärlughäfen deutlich stärker als an den Primärlughäfen gestiegen. Lediglich in der Krisenzeit von 2001 bis 2003 wurde das Flugangebot an den Sekundärlughäfen spürbar reduziert, während es an den großen Flughäfen in etwa konstant blieb. Seit 2008 ist das Flugbewegungsaukommen insgesamt rückläuig, wobei es an den Sekundärlughäfen deutlich stärker als an den großen Flughäfen sinkt. Im Jahr 2014 lag das Aukommen mit 1,9 Mio. PEER REViEW - BEGUtACHtEt Eingereicht: 01.07.2015 Endfassung: 06.08.2015 Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 31 Wissenschaft Politik Flugbewegungen schließlich um 67 % über dem des Jahres 1991. Parallel dazu gab es auch Veränderungen bei der Größe des eingesetzten Fluggeräts (Bild 1d). Bis zum Jahr 2008 lag das durchschnittliche Sitzplatzangebot pro Flug an den Primärlughäfen nahezu unverändert bei etwa 130 Sitzen pro Flug. An den Sekundärlughäfen hingegen stieg es von 1991 bis 1997 zunächst gleichmäßig von 80 auf 92 Sitze pro Flug an und blieb dann bis 2002 konstant. Ab dem Jahr 2003 wurde dann an den Sekundärlughäfen vermehrt größeres Fluggerät eingesetzt, und das durchschnittliche Sitzplatzangebot pro Flug stieg relativ schnell auf bis zu 121 Sitze pro Flug im Jahr 2010 an und blieb dann nahezu konstant. An den Primärlughäfen setzte der Trend zu noch größerem Fluggerät jedoch erst nach 2008 ein. Hintergrund dieser Entwicklung ist die Präferenz der Fluggesellschaften für größeres Fluggerät, womit die Transportleistung mit geringeren Stückkosten, gemessen als Kosten pro angebotenen Sitzkilometer, erbracht werden kann (Berster et al. 2015). Durch den Einsatz größerer Flugzeuge ist in den letzten Jahren auch die Schwelle für stabile Verkehrsverbindungen angehoben worden. Darauf deuten Analysen der Entwicklung von Verbindungen insbesondere mit vergleichsweise geringem Passagieraukommen und niedriger Flugfrequenz hin. Je nachdem, ob es sich um eine mehr von Privatreisenden oder von Geschäftsreisenden genutzte Verbindung handelt, scheint derzeit ein Verkehrsvolumen von 40 000 bis 50 000 Passagieren pro Jahr und Richtung erforderlich zu sein, damit sich eine stabile Verkehrsverbindung mit einer bzw. zwei täglichen Frequenzen einstellen kann. Bei vielen Verbindungen mit niedrigen Frequenzen, die sich vor allem an den kleineren Flughäfen inden, reicht das Passagiervolumen dafür jedoch nicht mehr aus. Die im Einzugsgebiet dieser Flughäfen vorhandene Nachfrage ist nicht groß genug, damit ein tägliches Flugangebot mit relativ großen Flugzeugen ausreichend und somit proitabel für die Fluggesellschaft genutzt werden kann. Der Vorteil durch preisgünstige Flugangebote vor allem von Low-Cost-Airlines, den diese Flughäfen in vielen Fällen in der Vergangenheit hatten und der für zusätzliche Nachfrage aus anderen Regionen sorgte, ist nicht mehr gegeben, da mittlerweile an benachbarten größeren Flughäfen oft ebenfalls preisgünstige Flüge oferiert werden. Eine Folge davon ist, dass das Angebot an Flugverbindungen mit einem Mindestmaß an Regelmäßigkeit an den Sekundärlughäfen in den letzten Jahren rückläuig ist, während es an den großen Flughäfen weiter zunimmt (Bild 1e). So hat sich von 1991 bis 2008 die Zahl der Verbindungen von den deutschen Hauptverkehrslughäfen zu innerdeutschen und europäischen Flughäfen und mit mindestens 200 Flügen (d. h. mindestens ein Flug pro Werktag) pro Jahr von 461 auf 788 und somit um 71 % erhöht. Ein Großteil dieses Anstiegs der Verbindungsdichte ist auf die Angebotsausweitungen an den Sekundärlughäfen in den Jahren von 2002 bis 2008 zurückzuführen. Dabei ist zu beachten, dass sich die Zahl der Sekundärlughäfen in dieser Zeit von 10 auf 20 verdoppelt hat. Nach 2008 geht die Zahl der regelmäßigen Verbindungen an den Sekundärlughäfen um etwa 23 % zurück, während an den großen Flughäfen das Angebot weiter ausgeweitet wird. Unterschiedliche Wachstumsperspektiven für-die Flughäfen Die Entwicklungsperspektiven der einzelnen Flughäfen wurden vereinfacht in einem „Business-as-Usual“-Fall 0 20 40 60 80 100 120 1990 2000 2010 Fluggäste (in Mio.) Eins ins b) Originäreinsteiger c) Flüge d) Flugzeuggröße e) Strecken mit mehr als 200 Flügen jährlich (innerdeutscher und europäischer Verkehr) a) Einsteiger und Originäreinsteiger Einsteiger insgesamt Gesamt an Primärflughäfen an Sekundärflughäfen 0 100 200 300 400 1990 2000 2010 Index (1991 = 100) 0 25 50 75 100 125 150 175 1990 2000 2010 Sitzplätze pro Flug 0 100 200 300 400 500 600 700 800 900 1990 2000 2010 Strecken 0 100 200 300 400 1990 2000 2010 Index (1991 = 100) Bild 1: Entwicklungen im Linien- und Charterverkehr an den deutschen Verkehrsflughäfen (Quelle: Eigene Berechnungen. Datenbasis: Statistisches Bundesamt; Fraport, Flughäfen München, Düsseldorf und Berlin; DLR) Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 32 POLITIK Wissenschaft auf der Basis von beim DLR entwickelten Modellansätzen (Pak et al. 2005; Hepting et al. 2011) und der Fluggastbefragung 2008 der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrslughäfen (ADV) untersucht (Berster et al. 2010). Dazu wurden Schätzungen der Fluggastaukommen in vier Hauptsegmenten vorgenommen: (a) die von Geschäftsreisen dominierten innerdeutschen Flugreisen, (b)grenzüberschreitende Geschäftsreisen, (c) grenzüberschreitende Urlaubsreisen, die durch eine Reisedauer von fünf und mehr Tagen charakterisiert sind, und (d)grenzüberschreitende private Kurzreisen mit weniger als fünf Tagen Reisedauer. Die Segmente der grenzüberschreitenden Verkehre (b bis d) werden weiterhin in Quell- und Zielverkehr unterteilt. Deutschlandweit ergeben die Schätzungen für 2030 eine Luftverkehrsnachfrage von etwa 104 Mio. Flugreisen 3 , was für die deutschen Flughäfen 120 Mio. und damit 60 % mehr Originäreinsteiger als im Jahr 2008 bedeutet (Bild 2a). In den einzelnen Segmenten verläuft die Entwicklung jedoch unterschiedlich. Das größte Segment, die grenzüberschreitenden Urlaubsreisen, wird am wenigsten wachsen und zu einer Zunahme der Originäreinsteiger von lediglich 20 % führen. Das liegt im Wesentlichen an der Erwartung, dass das Urlaubsreiseverhalten der Deutschen insgesamt sich in Zukunft nur noch wenig ändern wird (vgl. Lohmann et al. 2014). Auf der anderen Seite wächst das kleinste Segment, die privaten Kurzreisen, am stärksten, so dass fast 130 % mehr Originäreinsteiger in diesem Segment erwartet werden. Hier gewinnen vor allem die Incoming-Verkehre, also Reisen von Ausländern nach Deutschland, an Bedeutung (vgl. Verkehrsprognose für die Bundesverkehrswegeplanung, BVU et al. 2014, Frick et al. 2014). Die Entwicklungen der innerdeutschen Flugreisen und der grenzüberschreitenden Geschäftsreisen korrelieren beide stark mit der Wirtschaftsentwicklung und verlaufen daher ähnlich. Obwohl die Entwicklung der beiden Nachfragesegmente aufgrund von Sonderefekten (Wirtschaftskrise ab 2008, Einführung der Luftverkehrssteuer in 2011 und außergewöhnlich viele streikbedingte Flugausfälle in 2013 und 2014) zuletzt stagnierte oder sogar rückläuig war, wird langfristig aufgrund des erwarteten Wirtschaftswachstums davon ausgegangen, dass sich die Originäreinsteigeraukommen nahezu verdoppeln werden. Aus Fluggastbefragungen ist bekannt, dass die Luftverkehrsnachfrage regional nicht nur hinsichtlich des Aukommens, sondern auch in ihrer Zusammensetzung stark variiert. Die Gründe dafür liegen in den verschiedenartigen sozio-demograischen und sozio-ökonomischen Strukturen sowie in der ungleichen Attraktivität der Regionen als Reiseziel. Werden nun die für Deutschland ermittelten segmentspeziischen Wachstumsfaktoren auf die einzelnen Regionen übertragen, ergibt sich aufgrund der regional unterschiedlichen Nachfragestrukturen auch ein entsprechend unterschiedliches Wachstum der Luftverkehrsnachfrage (Bild 2b). Dabei fällt das Nachfragewachstum in den jetzt schon aukommensstarken, zumeist städtischen Regionen deutlich stärker als in den aukommensschwachen, eher ländlichen Regionen aus. So steigt die Luftverkehrsnachfrage in Ballungszentren wie Berlin und dem Rhein-Main-Gebiet um etwa 70 % und in der Region München sogar um 81 %. Dagegen zeigen die Schätzergebnisse eine relativ geringe Zunahme der Luftverkehrsnachfrage von etwa 20 % in den ländlichen Regionen in der Mitte Deutschlands. Bild 3a verdeutlicht im Detail, wie die regional verschiedenen Nachfragestrukturen zu einem unterschiedlichen Wachstum der Luftverkehrsnachfrage führen. Die Region Rhein-Main beispielsweise steht für einen Regionstyp, der sich im Umfeld der großen Verkehrslughäfen zeigt und durch eine große Luftverkehrsnachfrage bei gleichzeitig hohem Anteil an grenzüberschreitenden Geschäftsreisen und innerdeutschen Flugreisen charakterisiert ist. Das sind aber laut unserer Schätzung gerade Nachfragesegmente mit überdurchschnittlichem Wachstum. Die Region Südwestsachsen ist dagegen ein Beispiel für den eher ländlichen Regionstyp, wie er oft im Umfeld von Regionallughäfen zu inden ist. Hier ist die Luftverkehrsnachfrage gering und wird von den Urlaubsreisen, einem Nachfragesegment mit nur mäßigen Wachstumsaussichten, dominiert. Die regionalen Besonderheiten in der Nachfragestruktur und das daraus folgende unterschiedliche Nachfragewachstum spiegeln sich in der Verkehrsstruktur und dem Verkehrswachstum an den Flughäfen wider (Bild 3b). Dabei haben die Flughäfen in den Ballungsräumen aufgrund der Nachfragestruktur in ihren Einzugsgebieten einen Wachstumsvorteil gegenüber den Flughäfen in den anderen Regionen. Am Flughafen München beispielsweise entfallen zwei Drittel der originären Luftverkehrsnachfrage auf die überdurchschnittlich wachsenden internationalen Geschäfts- und Kurzreisen sowie 0 20 40 60 80 100 120 140 2000 2010 2020 2030 Originäreinsteiger (in Mio.) a) Luftverkehrsnachfrage in Deutschland Gesamtaufkommen Innerdeutscher Verkehr Int. Geschäftsreiseverkehr Int. Urlaubsreiseverkehr Int. private Kurzreisen b) Veränderung der Luftverkehrsnachfrage in den Regionen von 2008 bis 2030 0 % 50 % 100 % Bild 2: Zukünftige Entwicklung des Luftverkehrs in Deutschland (Quelle: Eigene Berechnungen) Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 33 Wissenschaft POLITIK den innerdeutschen Verkehr. Am Flughafen Paderborn hingegen wird die originäre Luftverkehrsnachfrage von dem nur schwach wachsenden Urlaubsreisesegment mit einem Anteil von über 80 % dominiert. Modellrechnungen mit Status-Quo-Annahmen hinsichtlich des Flugangebots und der Flughafenwahl zeigen, dass die Originäreinsteigeraukommen an den aukommensstärksten, in Ballungsräumen gelegenen Flughäfen München, Berlin und Frankfurt überdurchschnittlich in der Größenordnung von 70 % bis 80 % zunehmen können. Für die Flughäfen Hamburg, Düsseldorf, Köln/ Bonn und Stuttgart wird ein durchschnittliches Wachstum des Originäreinsteigeraukommens von etwa 60% ermittelt. An den anderen, in eher ländlichen Regionen gelegenen Flughäfen wird das Originäreinsteigeraukommen in der Regel nur unterdurchschnittlich zunehmen. Die Wachstumschancen sind also unterschiedlich verteilt. Ungleichmäßige Auslastung der Flughäfen Was bedeuten diese unterschiedlichen Nachfrageentwicklungen für die Luftverkehrskapazitäten an den einzelnen Flughäfen und in Deutschland insgesamt? Dazu wurde die Kapazitätsauslastung untersucht, die generell durch das Verhältnis von Verkehrsaukommen zur Leistungsfähigkeit der Infrastruktur beschrieben wird. Als maßgebliches Verkehrsaukommen wurde hier das Verkehrsvolumen in der 5 %-Spitzenstunde gewählt, das mittels Rangfolgefunktionen der stündlichen Flugbewegungsvolumina abgeschätzt wurde (Wilken et al. 2011). Datenbasis waren OAG-Daten (OAG 2012), die weltweit Flugplandaten in der benötigten zeitlichen Aulösung zusammenstellen. Zur Beschreibung der Leistungsfähigkeit der Flughäfen wurden für die koordinierten und lugplanvermittelten Flughäfen die Koordinationseckwerte der Flughafen-Koordination Deutschland herangezogen. Für die anderen Flughäfen, die alle bis auf Leipzig/ Halle nur über eine Start- und Landebahn verfügen, wurde als Kapazität vereinfachend ein Wert von 30 Flugbewegungen pro Stunde angenommen. Für den nahezu voll ausgelasteten Flughafen Düsseldorf ist anzumerken, dass der unterstellte Koordinationseckwert nicht die technische Bahnkapazität wiedergibt, sondern einen darunter liegenden administrativ festgelegten Wert von 47 Flugbewegungen. Der Koordinationseckwert des Flughafens Frankfurt entspricht ebenfalls nicht der Bahnkapazität, sondern ist durch Terminal- und Vorfeldpositionen beschränkt, kann jedoch mit dem Bau von Terminal 3 um über 20 Flugbewegungen erhöht werden. Bild 4 zeigt den Zusammenhang von Kapazitätsauslastung in der 5 %-Spitzenstunde und der Jahresverkehrsaukommen von 21 deutschen Verkehrs- und Regionallughäfen für das Jahr 2012. Generell nimmt die Kapazitätsauslastung mit dem Verkehrsaukommen zu, wenngleich mit einer Variation zwischen den einzelnen Flughäfen. Die drei größten Flughäfen Frankfurt, München und Düsseldorf sind in den Spitzenstunden nahezu ausgelastet, aber auch die in der Rangfolge der Verkehrsaukommen folgenden Flughäfen Berlin-Tegel, Hamburg und Stuttgart weisen noch Auslastungswerte von über 60 % auf. Die anderen Flughäfen sind in den Spitzenstunden zu weniger als 50 %, in den meisten Fällen sogar unter 30 % ausgelastet. Die kleineren Verkehrslughäfen verfügen zumindest theoretisch über große Kapazitätsreserven. Dagegen kann an den großen Flughäfen Verkehrswachstum ohne Änderungen an der Infrastruktur nur in verkehrsschwächeren Zeiten realisiert werden, im Falle von Düsseldorf und Frankfurt auch noch durch Erhöhung des Koordinationseckwertes. Zusammen mit der skizzierten zukünftigen Verkehrsentwicklung der Flughäfen ist zu erwarten, dass das Ungleichgewicht in den Kapazitätsauslastungen der 0,0 0,5 1,0 2008 2030 Originäreinsteiger (in Mio.) Flughafen Paderborn 0 5 10 15 20 2008 2030 Originäreinsteiger (in Mio.) Flughafen München 0,0 0,1 0,2 2008 2030 Flugreisende (in Mio.) ROR 61: Südwestsachsen a) regionale Struktur der Luftverkehrsnachfrage 0 4 8 12 2008 2030 Flugreisende (in Mio) ROR 51: Rhein-Main Int. private Kurzreisen Int. Urlaubsreiseverkehr Int. Geschäftsreiseverkehr Innerdeutscher Verkehr b) Struktur der Luftverkehrsnachfrage an Flughäfen +71 % +27 % +72 % +28 % Bild 3: Struktur der Luftverkehrsnachfrage ausgewählter Regionen und Flughäfen (Quelle: Eigene Berechnungen. Datenbasis: ADV-Fluggastbefragung 2008, siehe Berster et al. 2010) 0% 20% 40% 60% 80% 100% 0 200 400 600 Auslastung Flugbewegungsaufkommen (in Tsd.) Frankfurt München Düsseldorf Berlin-Tegel Hamburg Stuttgart Köln/ Bonn Bild 4: 5 %-Spitzenstundenauslastung und Verkehrsaufkommender deutschen Verkehrslughäfen 2012 (Quelle: Eigene Berechnungen. Datenbasis: OAG 2012) Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 34 POLITIK Wissenschaft großen und der kleinen Flughäfen eher zuals abnehmen wird. Der Druck, die Kapazitäten der Primärlughäfen zu erhöhen, wird zunehmen. Die kleineren Flughäfen hingegen werden sich weiterhin um neue Verkehrsangebote bemühen und gegen Betriebsverluste ankämpfen müssen. Erschwerend kommt für sie die EU- Beihilferegulierung (Europäische Kommission 2014) hinzu, wonach staatliche Subventionen für den Flugbetrieb auf den kleinen Flughäfen nur noch bis spätestens 2024 erlaubt sind. Nach dem Konkurs des Flughafens Zweibrücken ist nicht ganz auszuschließen, dass weitere kleinere Flughäfen den Betrieb einstellen müssen, wenn Kostendeckung wegen mangelnder Verkehrsnachfrage nicht mehr gewährleistet werden kann. Ist ein Wiedererstarken des Verkehrswachstums an den kleinen Flughäfen zu erwarten? Eine Umkehrung der Entwicklungen der letzten Jahre aufgrund von Marktkräften, so dass sich das Ungleichgewicht in der Kapazitätsauslastung abschwächt, ist derzeit eher nicht zu erwarten. Dass nachfrageschwächere Strecken an den Sekundärlughäfen wieder mit kleineren Flugzeugen bedient werden, könnte bei anhaltend niedrigeren Kerosinpreisen der Fall sein. Allerdings kann auf lange Sicht nicht davon ausgegangen werden. Auch der Netzausbau der Low-Cost-Carrier scheint im Wesentlichen abgeschlossen, und neue Low-Cost- Dienste, die den klassischen Linienverkehr auf europäischen Strecken ersetzen, werden wegen der größeren Nachfrage - insbesondere auch im Geschäftsreisesegment mit seiner höheren Zahlungsbereitschaft - mehr und mehr von größeren Flughäfen zu Lasten der kleineren Flughäfen angeboten. Dieser Umstrukturierungsprozess dürfte sich in Zukunft eher verstärken, so dass auch hierdurch keine Rückorientierung des Verkehrs zu den kleinen Flughäfen zu erwarten ist. Ordnungspolitische Eingrife mit dem Ziel, die Verkehrsverteilung auf die Flughäfen im Sinne einer gleichmäßigeren Auslastung zu beeinlussen, müssen kritisch gesehen werden. Die Förderung von regionalen Flughäfen zum Erhalt der regionalen Zugänglichkeit und Attraktivität oder übergeordnete Regulierungen, die auf eine Entlastung von den stark belasteten großen Verkehrslughäfen durch Verkehrsverlagerung zu den gering belasteten kleineren Flughäfen in den Regionen abzielen, sind oftmals nicht kompatibel mit geltendem Recht und können tiefgreifende Einschnitte in die unternehmerische Freiheit der Flughäfen und Fluggesellschaften darstellen sowie marktwirtschaftliche Prinzipien in Frage stellen. Wahrscheinlich ist demnach, dass die Konzentrationsentwicklung im Luftverkehrsbereich weiter gehen wird, so dass der Investitionsdruck bei den großen Flughäfen und der Überlebenskampf bei den kleinen Flughäfen weiter zunehmen werden. Eine Schließung von unrentablen Regionallughäfen könnte aus betriebswirtschaftlicher Sicht Dichtevorteile (economies of density) generieren und daher von Teilen der Luftverkehrswirtschaft als sinnvoll angesehen werden. Dekonzentration mittels Verkehrsverlagerung mag verkehrspolitisch erstrebenswert sein, dürfte jedoch auf ordnungspolitischem Wege nur schwer durchsetzbar sein. Hingegen könnte eine marktwirtschaftliche Anreizregulierung durch Bepreisung von Flügen bei hohen Verkehrsbelastungen ein adäquates Mittel zur höheren und gleichmäßigeren Auslastung von Flughafeninfrastruktur sein. ■ 1 Hauptverkehrslughäfen sind laut aktueller Deinition des Statistischen Bundesamtes Flughäfen mit mehr als 150 000 Fluggasteinheiten pro Jahr. 2 Aggregat aus den Flughäfen Tegel, Tempelhof (bis 2008) und Schönefeld. 3 Der entsprechende Prognosewert aus der aktuellen Bundesverkehrswegeplanung beträgt im Kernszenario 209 Mio. Fahrten bzw. 104,5 Mio. Reisen. Unsere vereinfachte Schätzung stimmt damit gut mit dem Prognosewert der Bundesverkehrswegeplanung überein. Unterschiede treten allerdings bei Betrachtung der einzelnen Segmente auf. QUELLEN UND LITERATUR Berster, P., Maier, W., Pabst, H., Wilken, D. (2010). 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