eJournals Internationales Verkehrswesen 67/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0064
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Auch nur so ein Kallas?

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Werner Balsen
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Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 35 E r sei sehr erfreut, bemerkt der Beauftragte von BMW, die EU-Kommissarin für Verkehr bei ihrer Fahrt am Steuer eines Elektroautos aus seinem Hause begleiten zu dürfen. Die Freude ist kurz, denn dem Mann aus der Brüsseler Filiale des bayrischen Autobauers wird schnell sichtlich unbehaglich. Violeta Bulc nimmt ihn hart ran, während sie das „Null-Emissionsfahrzeug“ durch den dichten Brüsseler Verkehr steuert. Ob das Problem mit der Beschleunigung gelöst sei? Was das Auto denn koste. Bei dem Preis blieben Elektrofahrzeuge auf ewig in der Nische. Die Kommissarin, seit einem dreiviertel Jahr für die EU-Verkehrspolitik zuständig, zeigt auf der Fahrt zum Brüsseler Atomium die Eigenschaften, derentwegen sie auch anfänglichen Skeptikern Respekt abnötigt: Sie ist exzellent vorbereitet, gibt sich ofen aber kritisch und redet nicht lange um die heiklen Punkte herum. Kurz: Sie versteckt alle Attitüden eines Politikers. Bulc hatte als „Notlösung“ einen schweren Start auf dem verminten Brüsseler Parkett. Ein Heißsporn im Europäischen Parlament, der CDU-Abgeordnete Herbert Reul, schlug am Anfang vor, sie „einweisen“ zu lassen, als er vom Interesse der 50-jährigen Slowenin für Schamanismus hörte. Unter den vielen Wohlmeinenden, die sich über den frischen Wind freuten, den Bulc mitbrachte, fragt sich der eine oder andere aber auch, wie lange es dauern wird, bis der Brüsseler Politbetrieb das Unkonventionelle der Kommissarin glatt gebügelt hat. In der Tat tauchten schon bald in ihren Reden die üblichen und keineswegs unkonventionellen Floskeln auf, die viele Ansprachen von EU-Politikern zur Qual machen: „Wichtige Herausforderung“, „guter Tag für Europa“, „umfassender Ansatz“, „ambitionierte Agenda“ und, und, und. Es fällt schwer, nach einem Dreivierteljahr schon deinitiv zu urteilen, ob Bulc eine interessante Persönlichkeit in Brüssel bleiben oder eine „stinknormale Kommissarin“ werden wird. Zumal sie noch kein konkretes Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht hat: Das für dieses Jahr angekündigte Luftfahrt-Paket und das für Ende 2016 ins Gespräch gebrachte „Road Package“ sind allenfalls in Umrissen bekannt. Dennoch lassen sich einige Indizien für das eine oder andere inden. Ohne Zweifel hat die Kommissarin einen eigenen Kopf: Sie hält sich - zum Entsetzen ihrer Berater - längst nicht immer an den aufgeschriebenen Redetext und beweist auch sonst gerne ihre Spontanität. So hat sie in ihren Reden ein schon fast vergessenes Thema wieder aus der Versenkung geholt: die Internalisierung der externen Kosten des Verkehrs. Beim Road Package scheint sie - im Gegensatz zu ihrem Vorgänger Siim Kallas - die stark umstrittenen sozialen Aspekte des Straßengüterverkehrs stärker in den Vordergrund zu rücken. Andererseits schien sie zu Beginn ihrer Brüsseler Zeit klarer und bestimmter in ihren Aussagen. Und: Richtig engagiert tritt die studierte Informationstechnikerin und Telekom-Unternehmerin vor allem bei technologischen Fragen auf. Drohnen, Intelligente Transportsysteme und die Digitalisierung des Verkehrs - das sind ihre Themen, die in fast jeder ihrer Reden auftauchen. Da fällt das Fehlen eher bodenständiger Verkehrsprobleme in ihren Vorträgen - etwa 4.- Eisenbahnpaket oder das im Herbst wieder auf die Agenda rückende Hafenpaket - desto deutlicher auf. Und wenn Bulc diese Themen streift, dann sagt sie das, was in Brüssel dazu schon immer zum Ausdruck gebracht wurde. Bislang lassen sich der Kommissarin nur zwei klare Fehler nachweisen. Erstens: Sie hat bei der Wahl ihrer Kabinettchein, der Slowenin Marjeta Jager, nicht die glücklichste Hand gehabt. Allerdings: Das Brüsseler Spitzenpersonal stellt gerne Landsleute an die Spitze der engsten Mitarbeiter. Und: Bei ihrer verspäteten Ankunft in Brüssel hatte Bulc auf dem Personalmarkt für Topjobs nicht mehr die größte Auswahl. Zweitens: Bulc hat zugelassen, dass ihr Generaldirektor die Personalentscheidungen beim Projekt Shift2Rail vergeigte und so der vollständige Start eines Vorhabens, das der technikbegeisterten Kommissarin eine Herzensangelegenheit sein müsste, auf die lange Bank geschoben werden muss. In beiden Fällen hat Bulc mittlerweile reagiert. Ihre Kabinettchein und ihr Generaldirektor sind nicht mehr auf ihren Posten. Fazit: Nach neun Monaten im Amt ist der Lack der slowenischen Kommissarin für Verkehr an einigen Stellen angekratzt. Er ist noch längst nicht ab. Aber Bulc musste sich auch noch nicht richtig bewähren. So hat sie noch die Chance, ein unkonventioneller Star in der EU-Kommission zu werden, oder sie wird - wie es einer ausdrückt, der ihren Vorgänger gar nicht leiden konnte - „eben auch nur so ein Kallas“. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Auch nur so ein Kallas?