Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0071
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ÖPNV im Tschad
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Nadmian Ndadoum
Afrikanische Städte südlich der Sahara sind besonders stark von einer rasanten und unkontrollierten Verstädterung betrofen. Diese rapide Urbanisierung führt zu einer generellen Erhöhung des Mobilitätsbedarfes in den Städten und zur starken Ausdehnung der Stadtgebiete in die Fläche – mit Erreichbarkeitsproblemen besonders in den Randlagen. Am Beispiel der Hauptstadt N’Djamena soll erforscht werden, wie sich unter Einbeziehung der Akteure die Qualität des städtischen Verkehrs verbessern lässt.
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Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 58 MOBILITÄT Wissenschaft ÖPNV im Tschad Die Rolle des informellen öfentlichen Verkehrs in den Städten des subsaharischen Afrika für eine nachhaltige Raumentwicklung am Beispiel N’Djamena N’Djamena, Tschad, städtischer Verkehr, Moto-Taxis, Kleinbusse, Akteurssystem Afrikanische Städte südlich der Sahara sind besonders stark von einer rasanten und unkontrollierten Verstädterung betrofen. Diese rapide Urbanisierung führt zu einer generellen Erhöhung des Mobilitätsbedarfes in den Städten und zur starken Ausdehnung der Stadtgebiete in die Fläche - mit Erreichbarkeitsproblemen besonders in den Randlagen. Am Beispiel der Hauptstadt N’Djamena soll erforscht werden, wie sich unter Einbeziehung der Akteure die Qualität des städtischen Verkehrs verbessern lässt. Der Autor: Nadmian Ndadoum B ewegungen in der Stadt sind alltägliche Notwendigkeit für viele Stadtbewohner. Dabei gelten für einzelne afrikanische Städte südlich der Sahara viele Besonderheiten. Im Rahmen einer Dissertation wird der Öfentliche Verkehr in N’Djamena, der Hauptstadt der zentralafrikanischen Republik Tschad, analysiert. Im Mittelpunkt stehen die Akteure auf der Angebotsseite. Es geht zunächst darum, die relevanten Akteure zu identiizieren und die Beziehungen, die sie zueinander haben zu verstehen. Untersucht werden dabei auch die Konlikte, die sich aus den Beziehungen zwischen den Akteuren ergeben. Ausgangssituation Seit Jahren waren die Städte in Afrika, besonders südlich der Sahara, von einer rasanten und unkontrollierten Verstädterung betrofen. Diese wurde durch das schnelle Bevölkerungswachstum in den letzten Jahren beschleunigt (6 bis 8 % pro Jahr). Gab es im Jahr 1960 in dieser Region noch keine einzige Millionenstadt, entstand im vergangenen Jahrzehnt eine ganze Reihe von Städten mit mehreren Millionen Einwohnern - zum Beispiel Lagos, Abidjan, Dakar, Nairobi oder Douala (PDM 2007: 10). Diese rapide Urbanisierung führt zur Konzentration der Bevölkerung in den Hauptstädten und damit zu einer generellen Erhöhung des Mobilitätsbedarfes in den Städten. Weitere Konsequenz dieser rapiden Urbanisierung ist die schnelle und starke Ausdehnung des Stadtgebietes in die Fläche, die die Erreichbarkeitsprobleme besonders für die Bevölkerung in den peripheren Stadtgebieten verschärft hat. In N’Djamena (Tschad) beispielweise beträgt die Entfernung zwischen Wohngebieten und Versorgungsmöglichkeiten bis zu 20 km (Ndadoum 2003: 7). Die räumliche Ausdehnung der Stadt vergrößert auch die Distanzen zwischen Wohngebieten und Gewerbegebieten und erfordert noch mehr Mobilität der Haushalte, weil sie wesentliche Grundbedürfnisse wie medizinische Versorgung, Bildung und Ausbildung nur im Stadtzentrum wahrnehmen können. Mangels Verkehrsnetz bleibt der Zugang zu diesen Angeboten jedoch oft völlig versperrt (Organisation des Etats Unis, Commission économique pour l’Afrique 2009). Mobilität ist ein wichtiger Faktor für das gute Funktionieren der Städte und deren gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung; sie trägt zur räumlichen Integration und zur Lebensqualität der Menschen bei (Mon- Bild 1: Lage des Untersuchungsgebiets Quelle: FAO 4 2005, verändert Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 59 Wissenschaft MOBILITÄT heim 2010: 18). Trotzdem wurde in Afrika die Frage nach Mobilität und Verkehr bislang nur zweitrangig berücksichtigt. Immer mehr große Städte sind mit Schwierigkeiten im Transportwesen konfrontiert, die ihre allgemeine Entwicklung beeinträchtigen (Nulzec 2006: 25). Es besteht Bedarf, die umliegenden Ortschaften und ihre Einwohner in die Stadt einzubeziehen sowie die Ballungsräume mit Öfentlichen Verkehrsmitteln auszustatten, um soziale und geographische Verknüpfungen zu schafen (ISTED 1 1998: 2). Öfentlicher Nahverkehr (ÖNV) wird in vielen Städten durch private Kleinbusunternehmen angeboten, allerdings als „anarchischer“ Dienst: Es gibt keine festen Haltestellen, keinen Anfahrtsplan, keine Fahrpläne, die Tarife sind nicht festgelegt, die Fahrer sind oft schlecht ausgebildet. Als alternative Fortbewegungsart gibt es in N’Djamena seit dem Jahre 1990 die „Moto-Taxis“ (Trans- Africa 2009: 16). Trotz dieser Alternative treten die genannten Probleme immer wieder auf. Es stellt sich damit die Frage: Wie kann man unter Einbeziehung der Akteure die Qualität des städtischen Verkehrs in N’Djamena verbessern? Methodische Herangehensweise Untersuchungsraum Die Untersuchung indet in der Hauptstadt des Tschad, N’Djamena, statt (siehe Bild 1). Mit mehr als einer Million Einwohnern (1 001 000 nach INSEED 2012: 10) und einer Wachstumsrate von derzeit rund 5 % pro Jahr ist N’Djamena gleichzeitig die größte Stadt im Tschad (RGPH 2 2009: 18). Bereits im Jahr 2004 wohnten 40 % der Bevölkerung des Landes in der Hauptstadt mit einer Fläche von 20 000 Hektar (200 km 2 ) (PDM 3 2004: 13). Die Stadt und ihr Umland sind betrofen von einer schnellen und unkontrollierten Verstädterung (Bild 2) ohne begleitende Maßnahmen im Bereich der Infrastruktur (RGPH 1993 ergänzt 2002). Dies zeigt, dass die Mobilitätsprobleme, die dort gelöst werden müssen, besonders für die Stadtbewohner in den peripheren Gebieten von großer Bedeutung sind. Recht hoch ist die mittlere Wegezahl pro Einwohner: Im Durchschnitt fallen 3,9 Wege pro Tag und Person an (Groupe Huit 2000). In N’Djamena sind arme Einwohner dadurch am meisten benachteiligt. Sie leben in Vierteln weit entfernt vom Stadtzentrum, müssen dort aber arbeiten oder einkaufen. Der Anschluss durch die erwähnten Kleinbusse hat angesichts der hohen Mobilitätsnachfrage keinen Vorrang. Das zeigt der hohe Anteil der Motorräder am Modal Split mit 46 % (Egis-Louis Berger 2011: 36). Vorgehensweise Neben der Literaturbeschafung und Auswertung von Statistiken wird die Analyse auf der Durchführung von teilstandardisierten Interviews basieren, bei der Verhaltensweisen und akteursspeziische Perspektiven der Befragten ermittelt werden sollen. Als Akteure werden hierbei sowohl Individuen als auch Institutionen verstanden, die im ÖNV aufgrund ihrer Position bestimmte Funktionen übernehmen (vgl. Jänicke et al. 2000: 65). Diese analytische Methode dient nicht zur statistischen Erfassung wie bei einer quantitativen Umfrage. Vielmehr wird ein qualitativer Ansatz genutzt, um aus den Aussagen der Akteure ihre Einstellungen, Erfahrungen und Handlungen herausarbeiten zu können. Bisher wurden 70 Personen befragt, meist Fahrer von Moto-Taxis und Kleinbussen. Diese Interviews werden ergänzt durch mündliche Mitteilungen von Behörden, Verbänden und Gewerk- Bild 2: Räumliche Entwicklung in N’Djamena Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 60 MOBILITÄT Wissenschaft schaften von Moto-Taxis und Kleinbussen sowie von Vertretern verschiedener Interessensgruppen. Erste Ergebnisse Die Auswertungen der bisherigen Interviews ermöglichen in einem ersten Schritt, die Akteure des städtischen Verkehrs in N’Djamena zu identiizieren, ihre Funktion bzw. Rolle für den öfentlichen Verkehr zu verstehen und erste Hypothesen zu den Hierarchien und Abhängigkeiten zwischen den Akteure abzuleiten. Relevante Akteure Als besonders bedeutend für die Organisation des ÖNV in N’Djamena wurden folgende Akteure identiiziert: die Öfentliche Hand, die Besitzer (Betreiber) von Moto-Taxis und Kleinbussen, die Verbände und die Gewerkschaften, die Fahrer von Moto-Taxis und Kleinbussen, die so genannten Lehrlinge. Dabei lässt sich mit Bezug auf die Rollen und Funktionen unterscheiden zwischen den institutionellen Akteuren, die sich mit den Vorschriften und der Organisation beschäftigen, und den Verkehrsdiensteanbietern, die das Angebot bereit stellen. Die vorliegende Arbeit zielt auf die Analyse der Angebotsseite ab. Institutionelle Akteure Zu den institutionellen Akteuren gehören das Transportministerium, die Verbände und die Gewerkschaften, die für die Organisation des ÖNV mit Moto-Taxis und Kleinbussen in N’Djamena zuständig sind. Das Transportministerium organisiert und regelt in Übereinstimmung und in Absprache mit anderen Ministerien und Instanzen den ÖNV mit Moto-Taxis und Kleinbussen, indem es die Vorschriften für die Verkehrsregeln erlässt. Außerdem führt dieses Ministerium die regelmäßige Kontrolle des technischen Zustands von Fahrzeugen (Motorräder und Kleinbusse) durch. In Übereinstimmung mit dem Ministerium für Infrastruktur baut und unterhält es die Verkehrsanlagen. Für die erbrachten Leistungen erhebt dieses Ministerium Abgaben und Gebühren. Eine endgültige Verkehrsregelung gibt es allerdings noch nicht. Zu den wenigen vorhandenen und vorläuigen Vorschriften gehört die Verordnung N°26/ MTPT/ DG/ DTS/ 2002 mit Bedingungen und Normen für den Betrieb von Moto-Taxis sowie das Gesetz N°- 645/ MIT/ DC/ 2013, das alle Kandidaten für einen Führerschein dazu verplichtet, eine Fahrschule zu besuchen. Auch wenn es Vorschriften gibt, so ist deren Umsetzung nicht zwangsläuig gesichert (Noitora, stellvertretender Leiter des Transports Ministeriums, mündliche Mitteilung am 14.03.2013). Verbände und Gewerkschaften (Genossenschaften) für den Bereich von Moto-Taxis und Kleinbussen haben ebenfalls Anteil an der Organisation des ÖNV. Sie tauschen sich mit der Öfentlichen Hand über die Aktivitäten ihrer Mitglieder aus. Darüber hinaus vertreten sie die Interessen der Betreiber gegenüber der Öfentlichen Hand, in dem sie den Fahrern von Moto-Taxis und Kleinbussen bei den Kontrollen helfen können. Die Verbände organisieren Fahrerschulungen; die Fahrer sollen dort lernen, dass die geltenden Vorschriften einzuhalten sind und wie sie sich vor Ort gegenüber ihrer Kunden verhalten müssen. Die Einnahmen der Genossenschaften setzen sich aus den Beiträgen ihrer Mitglieder sowie aus der Zahlung der Tagesgebühren beim Betreiben eines Moto-Taxis zusammen. Allerdings beachten die Fahrer die Zuständigkeiten der Genossenschaften nur selten. Verkehrsdienstleistungsanbieter Zu dieser Gruppe gehören die Besitzer und Betreiber von Kleinbussen und Moto-Taxis, außerdem die Fahrer der Moto-Taxis und Kleinbusse sowie die Lehrlinge. Die Kleinbus- und Moto-Taxi-Besitzer schließen Verträge mit anderen Personen ab, um die Verkehrsmittel zu bewirtschaften. Sie zahlen den Fahrern einen Lohn und erhalten die Umsätze aus dem Betrieb der Moto- Taxis. Sie spielen eine wichtige Rolle nicht nur bei der Bereitstellung des Angebots im ÖNV, sondern auch als Arbeitgeber, da sie viele junge Männer anstellen. Zu den Aufgaben der Besitzer gehört die Erneuerung des Fuhrparks. Da die meisten Kleinbusse und Motorräder gebrauchte Fahrzeuge sind, fallen sie öfter aus und ihre Reparatur ist oft schwierig. Der Mangel an Ersatzteilen im lokalen Markt erschwert die Wartung. Kleinbus- und Moto-Taxi-Fahrer spielen eine Schlüsselrolle im Öfentlichen Nahverkehr in N’Djamena. Ihre Rolle ist es, die Nachfrage vor Ort zu befriedigen. Während die peripheren Stadtgebiete für die Kleinbusfahrer schwer zugänglich sind, können die Moto-Taxi-Fahrer mit ihren Motorrädern durchaus auch in solche Gebiete fahren. Das Angebot der Moto-Taxis ist nicht zuletzt aus diesem Kontext heraus entstanden. Es bringt nach Aussage der Moto-Taxi-Fahrer auch immer wieder Schwierigkeiten mit den Kunden mit sich, wenn beispielsweise weite Umwege gefahren werden müssen, um den Zielort zu erreichen, der Kunde aber nicht bereit ist, dafür einen höheren Preis zu entrichten. Lehrlinge werden von den Fahrern der Kleinbusse angestellt und können jeweils nur bei ihm arbeiten. Für den Moto-Taxi-Dienst braucht man keinen Lehrling einzustellen. Die Rolle des Lehrlings ist die Suche nach Kunden, dafür bekommt er einen Tagelohn. Der Lehrling spielt eine wichtige Rolle im System, wenngleich diese oft nicht ausreichend gewürdigt wird. Der Lehrling ist noch aus anderem Grund wichtig im Öfentlichen Verkehr von N’Djamena. Neben seiner Hauptaufgabe, der Kundenakquise, obliegt ihm die alltägliche Wartung des Fahrzeugs. So führt er insbesondere gemeinsam mit dem Fahrer oder in eigener Verantwortung die laufend anfallenden Reparaturen durch. Dennoch gibt es keinen formalen Vertrag zwischen dem Fahrer und dem Lehrling. Seine Entlohnung ist abhängig von den jeweiligen Tageseinnahmen, die wiederum darauf beruhen, wie viele Kunden der Lehrling gewinnen konnte. Sehr häuig kommt es vor, dass die Lehrlinge - in der Regel junge Männer ohne Schulbildung im Alter von 16- 18 Jahren - durch ofensives und respektloses Verhalten Kunden verärgern. Obwohl man erwarten könnte, dass es gerade auch in dieser Hinsicht zu einer Abstimmung zwischen den Betreibern der Kleinbusse und den Lehrlingen kommen sollte, indet die Abstimmung in Wirklichkeit nicht statt und führt zu einer Einbuße an Qualität. Akteurssysteme Die Akteure im Öfentlichen Verkehr in N’Djamena haben ein Netzwerk an Beziehungen aufgebaut, das es ihnen ermöglicht, miteinander in Kontakt zu treten, zu Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 61 Wissenschaft MOBILITÄT verhandeln und Entscheidungen zur Lösung von Problemen im Rahmen ihres Angebotes zu trefen. Diese Beziehungen beruhen auf einer Reihe von Grundsätzen und bilden insgesamt ein System aus. Wertet man die Befragungen vor Ort aus, stellt man fest, dass die Beziehungen zwischen den Fahrzeugbesitzern und den Chaufeuren, den Chaufeuren und den Tagelöhnern, der öfentlichen Hand und den Verbänden sowie zwischen den Verbänden und den Betreiber/ Fahrzeugbesitzern eine besondere Bedeutung haben (siehe Bild 3). Fahrzeugbesitzer - Fahrer: Die Beziehung zwischen Fahrzeugbesitzer und Fahrer basiert darauf, dass der Besitzer eine Person auswählt, die ihm „zusagt“, was zunächst nichts über die Kompetenzen dieser Person aussagt. Der Vertrag wird mündlich abgeschlossen, allerdings kann der Fahrer jederzeit entlassen werden. Kleinere Reparaturen am Fahrzeug gehen auf seine Kosten bzw. sind von ihm selbst durchzuführen. Der Besitzer trägt nur bei größeren Reparaturen zu den entstehenden Kosten bei. Der Chaufeur trägt einen Teil der Kosten für den Kraftstof; Kosten, die aufgrund von Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung entstehen, muss er vollständig selbst tragen. In vielen Fällen beindet sich der Fahrer in einer prekären Situation. Der Vertrag garantiert kein ausreichendes Einkommen für ihn oder seine Familie. Der Fahrer ist daher bemüht, sein Einkommen zu verbessern, ohne deswegen die Qualität seiner Arbeit zu beachten. In der Konsequenz wird der Fahrer nicht die Qualität des Verkehrsangebotes verbessern. Fahrer - Lehrling: Tatsächlich handelt es sich hierbei nicht um ein Ausbildungsverhältnis. Vielmehr wählt der Fahrer ebenfalls eine Person aus, die ihm zusagt. Der Lehrling erhält eine anteilige Entlohnung in Abhängigkeit von den Tageseinnahmen. Dieser Lohn liegt auf einem sehr niedrigen Niveau. Wie im zuvor erwähnten Fall begrenzt das Verhältnis zwischen den Beteiligten die Möglichkeiten, die Servicequalität zu verbessern. Beide Seiten sind vor allem um ihre eigenen Interessen bemüht und dabei wenig motiviert, das Verkehrsangebot zu verbessern. Die Lehrlinge stehen jedoch im direkten Kontakt zum Kunden. Damit beeinlusst auch das Verhältnis zwischen dem Lehrling und dem Fahrer direkt die Servicequalität gegenüber den Kunden. Öfentliche Hand - Verbände: Einerseits ist es die Rolle der Öfentlichen Hand, Regelungen für die Verbände aufzustellen, gleichzeitig ist es ihre Aufgabe, die notwendigen Infrastrukturen bereitzustellen. Im Gegenzug werden dafür Steuern und Gebühren erhoben. Die Verbindung zwischen Öfentlicher Hand und den Verbänden ist jedoch ausgesprochen lose. Es kommt nur selten zur Kommunikation zwischen diesen beiden Akteuren. Die Genossenschaften und die Gewerkschaften vertreten die Interessen der Moto-Taxi-Fahrer und der Kleinbus-Fahrer. Die Verständigung mit der Öfentlichen Hand hinsichtlich von Regelungen für den ÖNV erlaubt die Etablierung von Regeln, die von allen akzeptiert werden. Sofern keine vorausgehende Verständigung erfolgt, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass die Regeln nicht eingehalten werden Verbände - Betreiber/ Fahrzeugbesitzer: Zwischen den Verbänden und den Betreibern oder Fahrzeugbesitzern besteht zwar eine enge, jedoch wenig nutzenstiftende Verbindung. Aufgabe der Verbände ist die Betreuung, Ausbildung und Organisation der Betreiber/ Fahrzeugbesitzer. Darüber hinaus vertreten sie deren Interessen gegenüber den öfentlicher Hand. Dabei werden die Verbände von den Mitgliedsbeiträgen der Betreiber/ Fahrzeugbetreiber getragen. Die Genossenschaften und Gewerkschaften nehmen eine Vermittlerrolle zwischen der Öfentlichen Hand und den Betreibern ein, und zwar sowohl für den Bereich der Regulierung als auch die Organisation des Verkehrs. Für die Qualität des Angebots ist diese Vermittlerrolle von zentraler Bedeutung, da sie institutionelle, organisatorische und angebotsseitige Akteure zusammenbringt. Die Verbesserung der Angebotsqualität erfordert zudem ein Minimum an Organisation der Akteure, die unmittelbar im Öfentlichen Nahverkehr beschäftigt sind. Obwohl diese gemeinsame Interessen verfolgen, ist in der Realität jeder mit sich selbst beschäftigt und entwickelt sich entsprechend den eigenen Bedürfnissen. Was vor Ort passiert, resultiert aus dem Mangel gemeinsamer Absprachen zwischen den Moto-Taxi Betreibern und den Betreibern der Kleinbusse. Die Qualität des Angebots ist von der Absprache zur Verbesserung des Tarifs, des Komforts, der Sicherheit und der Zuverlässigkeit abhängig. Komplementarität statt Konkurrenz Die Entstehung der Moto-Taxis in den 1990er Jahren wird oft als alternative Mobilitätsdienstleistung angesichts des Mangels beim Angebot durch Kleinbusse gesehen (Bild 4). Im Kontext der rapiden Verstädterung können die Kleinbusse die Mobilitätsnachfrage in den peripheren Stadtgebieten nicht oder zumindest nicht ausreichend befriedigen. Tatsächlich bilden Moto-Taxis und Kleinbusse zusammen heute ein intermodales Angebot. Anstatt in Konkurrenz mit einander zu stehen, ergänzen sich Moto-Taxis und Kleinbusse. Diese Komplementarität zwischen den beiden Transportarten wird an vielen Lasthaltepunkten in peripheren Stadtgebieten in N’Djamena deutlich. Abgabe und Steuer/ Austausch von Informationen Einnahmen Vertrag Tagelohn Kundensuche Verkehrsregelung Finanzielle Beiträge Kontrolle von Verkehrsregeln Einhaltung von Verkehrsregeln Tagelöhner Fahrer Ö entliche Hand Fahrzeugbesitzer Verbände, Gewerkschaften Bild 3: Akteure und ihre Funktionen und Beziehungen im Öfentlichen Verkehr in N’Djamena Quelle: eigene Erhebung Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 62 MOBILITÄT Wissenschaft Die Kleinbusse bringen ihre Kunden bis zu einer Straßenkreuzung, wo sie auf ein Moto-Taxi umsteigen können, um ihr endgültiges Ziel zu erreichen (Bild 5). Die Kleinbusse fahren also auf den Hauptstraßen, die Moto- Taxis bringen ihre Kunden auf den Nebenstraßen zu ihrem Ziel. Umgekehrt fahren die Kunden von zu Hause per Moto-Taxi bis zu einer nahen Kleinbus-Haltestelle, um von dort weiter zu fahren. Die komplementäre Rolle zwischen Kleinbus und Moto-Taxi aus N’Djamena entspricht dem, was auch schon für andere afrikanische Städte nachgewiesen werden konnte. Guézéré (2012a und 2012b) beispielsweise zeigt am Beispiel von Lomé (Togo), wie die Moto-Taxi- Dienste die Kleinbusse bei der Befriedigung der Mobilitätsnachfrage in der wachsenden und sich ausdehnenden Stadt ergänzt und begleitet haben. Auch wenn diese Komplementarität dazu beiträgt, dass die räumliche Abdeckung mit Mobilitätsdienstleistungen besser wird, fehlt es nach wie vor an Regelungen oder Absprachen, um Verbesserungen hinsichtlich des Tarifes, des Komforts, der Sicherheit oder der Information zwischen den beiden Transportarten zu schafen. Fazit und weitere Arbeitsschritte Die Organisation des Öfentlichen Nahverkehrs mit Moto-Taxis und Kleinbussen begann in N’Djamena in den 1990er Jahren durch die Gründung von Verbänden und Gewerkschaften der Moto-Taxis und Kleinbusse. Die vorliegende Arbeit liefert einen Beitrag, um die verschiedenen Akteure des Öfentlichen Nahverkehrs zu identiizieren und ihre Beziehungen zu verstehen. Die Akteure sehen besondere Schwierigkeiten bei ihrer Tätigkeit in mangelnden Absprachen bei der Aufstellung und Umsetzung von Vorschriften oder bei den täglichen Konlikten mit Kunden vor Ort. Die Vorschriften werden nicht vollständig angewandt, sondern nur dort, wo es Interessen einzelner Akteure gibt. Weitere Schwierigkeiten haben mit der Situation der Akteure in den Verbänden oder Gewerkschaften zu tun. Mit den oftmals schlecht abgeschlossenen Verträgen können Lehrlinge oder Fahrer ihre soziale Situation nicht verbessern. Ihr Gehalt reicht nicht aus, um Schulbildung und Unterhalt der Familienmitglieder sicherzustellen. Alle diese Probleme senken die Motivation, eine qualitativ hochwertige Dienstleistung anzubieten. Die nachhaltige Verbesserung des informellen Öffentlichen Nahverkehrs in N’Djamena hängt somit von der Verbesserung der ökonomischen Lage derjenigen Akteure ab, die sich unmittelbar um das Angebot kümmern sowie von den Vorschriften, die von allen akzeptiert werden müssen. Jenseits der reinen Beschreibung der Akteure bieten die bisherigen Ergebnisse der Arbeit erste Ansätze, um die Funktionsweise des Akteurssystems besser zu verstehen. Allerdings sind weitere Arbeiten erforderlich. Dies betrift insbesondere die Analyse der Netzwerke, in die die Akteure eingebunden sind. Es ist zu erwarten, dass die bessere Kenntnis der Netzwerke einen wichtigen Beitrag liefern wird, um Entscheidungen und Handlungen der Akteure - auch bei Konlikten - zu verstehen. Aus diesen Kenntnissen lassen sich schließlich Handlungsempfehlungen zur Verbesserung der Angebotsqualität des Öfentlichen Nahverkehrs in N’Djamena ableiten. ■ 1 Institut des Sciences et des Techniques de l’Equipement et de l’Environnement pour le Développement 2 Recensement Général pour la Population et l’Habitat 3 Partenariat pour le dèveloppement municipal 4 Fonds Mondial pour l‘Agriculture LITERATUR Egis-Loui Berger (2011): Appui à la mise en œuvre de la strategie sectorielle des transports du Tchad, rapport diagnostic, N’Djamena (Tschad) Groupe Huit BCEOM (2000): Développement urbain: composante transport, rapport d’études, N’Djaména Guézéré, A. (2012a): Taxis-motos et insécurité routière dans les villes d’Afrique de l’Ouest. Une analyse à partir du cas de Lomé au Togo. Annales de l’Université de Ouagadougou, Presse Universitaire de Ouagadougou, Ougadougou (Burkina Faso) Guézéré, A (2012b) : Territoires des taxis motos à Lomé : de la pratique quotidienne a la recomposition des espaces urbains et des liens sociaux, Paris (France), Géographie, Economie, Société 14, S. 53 - 72 ISTED (1999): Eléments de stratégie du développement des transports urbains dans les pays en voie de développement, Bilan et propositions, bulletin de la coopération française pour le développement urbain, l’habitat et l’aménagement spatial. Paris Jänicke, M., Kunig, P, Stitzel, M. (2000): Lern-und Arbeitsbuch Umweltpolitik. 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