Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0072
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Innovative ÖPNV-Angebote in Bursa
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Yigit Fidansoy
Bursa, die erste Hauptstadt des Osmanischen Reiches, ist heute mit über 2 Mio. Einwohnern viertgrößte Stadt der Türkei. Die Industriestadt hat aufgrund der drei dort angesiedelten Universitäten auch sehr junge und mobile Bewohner. Neben innerstädtischem Verkehr ist auch die Anbindung an Istanbul sehr wichtig, da das Verkehrsaufkommen aufgrund der kurzen Entfernung erheblich ist. Der Beitrag beschreibt die Angebote des Verkehrsunternehmens „Burulas“, das in seiner kurzen 17-jährigen Geschichte alle Verkehrsarten in seinem ÖPNV-Angebot erfolgreich integriert hat – von der Straße über Schiene zu Wasser und Luft.
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Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 63 Innovative ÖPNV-Angebote in-Bursa ÖPNV, Bursa, Intermodalität Bursa, die erste Hauptstadt des Osmanischen Reiches, ist heute mit über 2 Mio. Einwohnern viertgrößte Stadt der Türkei. Die Industriestadt hat aufgrund der drei dort angesiedelten Universitäten auch sehr junge und mobile Bewohner. Neben innerstädtischem Verkehr ist auch die Anbindung an Istanbul sehr wichtig, da das Verkehrsaufkommen aufgrund der kurzen Entfernung erheblich ist. Der Beitrag beschreibt die Angebote des Verkehrsunternehmens „Burulas“, das in seiner kurzen 17-jährigen Geschichte alle Verkehrsarten in seinem ÖPNV-Angebot erfolgreich integriert hat - von der Straße über Schiene zu Wasser und Luft. Der Autor: Yigit Fidansoy Ö fentlicher Personennahverkehr (ÖPNV) ist nach Deinition des Personenbeförderungsgesetzes in Deutschland [1] die allgemein zugängliche entgeltliche oder geschäftsmäßige Beförderung von Personen mit Straßenbahnen, Bussen und Kraftfahrzeugen im Linienverkehr, die überwiegend dazu bestimmt sind, die Verkehrsnachfrage im Stadt-, Vorort- oder Regionalverkehr zu befriedigen. Das Gesetz geht von einer gesamten Reiseweite von 50 km oder einer gesamten Reisezeit von einer Stunde aus. In der türkischen Industriestadt Bursa, südlich von Istanbul nahe am Marmara- Meer gelegen, gelten etwas andere Kriterien. Die geographischen Rahmenbedingungen (siehe Bild 1) zwingen zur Entstehung so unkonventioneller Verkehrsangebote wie Schnellfähre, Wasserlugzeug und Hubschrauber. Die Entfernung zwischen Bursa und Istanbul beträgt 90 km, jedoch ermöglicht die hohe Geschwindigkeit der innovativen Verkehrsmittel Reisezeiten von unter einer Stunde. Diese Verkehrsmittel können auch in den ÖPNV eingeordnet werden. Die Geschichte von Burulas Das Unternehmen Burulas wurde im Jahr 1998 unter der Stadtverwaltung Bursa zur Planung und Begleitung des Baus der U- Bahn (Bursaray) gegründet. Ein Meilenstein für den ÖPNV in Bursa war die Fertigstellung und Inbetriebnahme der U-Bahn im Jahr 2001. Seitdem ist Burulas auch zuständig für Betrieb und Instandhaltung der U- Bahninfrastruktur sowie die Fahrzeuge. Im Jahr 2006 übernahm Burulas den Busbetrieb, um die Integration der beiden Systeme eizient durchzuführen. Der Verantwortungsbereich und damit die Integration der verschiedenen Verkehrsmittel nahmen mit der Zeit zu. Seit 2009 betreibt Burulas das Fernbusterminal in Bursa, das aufgrund des hohen Modalsplits (36,6 %) [2] einen wichtigen Knoten darstellt. Die Anbindung des Fernbusterminals im ÖPNV-System in Bursa wird zurzeit mit Bussen durchgeführt. Eine große Kundenofensive begann im Jahr 2013. Burulas bietet seitdem schnelle Verbindungen zwischen den zwei ehemaligen Hauptstädten über Wasser und Luft an. Schnellfähren verbinden Mudanya (Bursa) mit Kabatas (Istanbul) und ein Wasserlugzeug Gemlik (Bursa) mit Halic (Istanbul). Bild 2 zeigt einen Überblick über die Geschichte des Verkehrs in Bursa. Ausgangssituation Ausgangssituation für die Gründung von Burulas war die Integration des ÖPNV in einer Hand. In der Türkei sind neben staatlichen Bussen private Busse und sogenannte Helitaxi auf dem Weg nach Istanbul Foto: Burulas A.S. Nahverkehr MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 64 MOBILITÄT Nahverkehr Dolmus (Sammeltaxi) üblich. Diese werden von vielen verschiedenen Betreibern angeboten und weichen oft von ihren festgelegten Strecken ab. Ein gemeinsames Qualitätsverständnis für staatliche und nichtstaatliche Busse existiert nicht. Daraus folgend bleiben die Erwartungen der Fahrgäste unerfüllt und die Nachfrage sinkt. Burulas übernimmt heute nicht nur die Kontrolle und Steuerung der privaten Anbieter, sondern bietet für diese auch Schulungen an. Ziel ist die Erarbeitung und Kontrolle der Qualitätsstandards für den ÖPNV. Der Seeverkehr zwischen Bursa und Istanbul war seit kurzem das Monopol von Istanbul Deniz Otobüsleri (IDO). In der Marktform Monopol besteht kein Wettbewerb und damit existiert die übliche Preisbildung durch Angebot und Nachfrage nicht. Die Folgen sind überhöhte Preise für die Fahrgäste und Kundenunzufriedenheit. Bis zur Gründung von Bursa Deniz Otobüsleri (BUDO) im Jahr 2013 hatten die Fahrgäste keine Alternativen zu IDO. Verkehrskonzepte U-Bahn (Bursaray) Bursaray kann als das Herz des Verkehrs in Bursa bezeichnet werden. Es verbindet die wichtigsten Orte in Bursa schnell, getaktet und bequem. Bursaray bildet ein leistungsstarkes System, das die hohe Verkehrsnachfrage in einer Großstadt abwickeln kann (Bild 3). Das am 23.04.2002 in Betrieb genommene U-Bahn-Netz zwischen „Kücük Sanayi“, „Organize Sanayi“ und „Sehreküstü“ ist zweispurig und hat heute nach dem Ausbau im Jahr 2008 und 2014 eine Länge von 39- km erreicht. Weitere Ausbaumaßnahmen u.a. zum Fernbusterminal und zum von der türkischen Bahn (TCDD) vorgesehenen Fernverkehrsbahnhof sind in Planung. Heute werden insgesamt 38 Haltestellen entlang der Strecke in einem axialen Netz bedient. Diese Form ermöglicht eine schnelle und gute Verbindung zwischen dem westlichen und dem östlichen Teil der Stadt. Die städtebauliche Trennung der Wohngebiete durch die Achse ist ein Problem, das auch verkehrliche Folgen hat. Diese Folgen werden in intermodalen Haltepunkten wie „Acemler“ durch stark getakteten Zu- und Abbringerverkehr gelöst. Aufgrund dieser neuen Anforderungen wurde der komplette Fahrplan für Busse überarbeitet und an das U-Bahn-System angepasst. Folglich ielen z.B. viele Buslinien, die parallel zum Bursaray verkehren, aus. In Tabelle 1 sind die wichtigsten Daten zusammengefasst. Die U-Bahnen verkehren täglich zwischen 6 und 24 Uhr. Ein Teil der Strecke (Stammstrecke) wird von beiden Linien bedient. Dort ist der Takt doppelt so stark wie auf den Ästen westlich der Verzweigung in Acemler. Auf Bursaray werden verschiedene Fahrzeuge eingesetzt. 48 Siemens-B80-Züge sind seit der Eröfnung der Strecke im Einsatz. Die Beschafung weiterer Fahrzeuge wurde mit der Zeit aufgrund der Streckenerweiterungen notwendig, und so wurden zusätzlich 30 Bombardier-B2010-Züge angeschaft. Nach der Nachrüstung der Siemens-Fahrzeuge mit Klimaanlagen sind alle Züge voll klimatisiert und erfüllen somit die Anforderungen der Fahrgäste v.a. in den heißen türkischen Sommermonaten. Burulas ist nicht nur für den Betrieb der Bursaray-Strecke, sondern auch für die Instandhaltung der Infrastruktur und Bereitstellung der Fahrzeuge zuständig. Eine Be- Bursaray in Zahlen Länge der Strecke 39 km Anzahl der Haltestellen 38 Anzahl der Haltestellen im Untergrund 7 Anzahl der Linien 2 Spurweite 1435 mm Stromversorgung 1500 V DC Bahnsteiglänge 120 m Maximale Geschwindigkeit 70 km/ h Zugfolgezeiten 5-10 min Durchschnittlicher Haltestellenabstand 2 km Zugsicherungsystem PZB-222 Anzahl der Fahrzeuge 48 B80, 30 B2010 Tabelle 1: Eckdaten zur U-Bahn Bursaray Oktober 2001 März 2006 November 2009 November 2011 Januar 2013 April 2013 November 2013 Bild 1: Die türkische Industriestadt Bursa liegt südlich von Istanbul in der Nähe des Marmara- Meers. Quelle: Google Maps Bild 2: Geschichte des Verkehrs in Bursa Eigene Darstellung Bild 3: Untergrund- Haltestelle der Bursaray Foto: Burulas A.S. Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 65 Nahverkehr MOBILITÄT triebszentrale für die Disposition der Fahrzeuge sowie die Wartungshalle beinden sich in der Zentrale von Burulas. Schnellfähre (BUDO) BUDO ist die Marke von Burulas für Schnellfähren. Seinen Betrieb begann BUDO am 23.01.2013 mit gerade mal drei Schifen. Inzwischen hat man es geschaft, mit insgesamt 102 Fahrten pro Woche in über zwei Jahren über 2 Mio. Fahrgäste zwischen beiden Großstädten zu befördern. Heute verfügt BUDO über fünf Schife mit einer jeweiligen Kapazität von 340 Passagieren, die täglich verkehren. Die Schife verfügen über eine Höchstgeschwindigkeit von 30 Knoten und sind 40 m lang. In den Sommermonaten wird das Angebot erweitert und auch Urlaubsziele im Marmarameer wie die Avsa Insel bedient. Das Verkehrssystem in Bursa trägt somit auch einen Beitrag zum Tourismus bei. Zwei Faktoren waren maßgebend für den Erfolg von BUDO: die Loyalität der Einwohner von Bursa und die Preispolitik. Konkurrent IDO hat kurz vor der Gründung von BUDO ein dynamisches Preissystem wie im Flugverkehr eingeführt, das von den Kunden nicht gut angenommen wurde. Die festen und günstigen Preise von BUDO spielen bei der Entscheidung der Kunden eine wichtige Rolle. Wasserflugzeug BUDO war nur ein Anfang der neuen Verkehrsangebote. Die hohe Verkehrsnachfrage hat bereits in den ersten Wochen gezeigt, dass ein Bedarf für schnelle Verbindungen besteht, u.a. von Geschäftsleuten, die mit der Industrie in Bursa zusammenarbeiten. Ein Flugverkehr von oder zum Flughafen in Istanbul ist aufgrund des Kapazitätsmangels nicht realisierbar und auf dem Atatürk Flughafen in Istanbul gibt es keine zusätzlichen Slots mehr. Die Lösung war also ein Wasserlugzeug (Bild 4). Die Flugzeuge haben eine Kapazität von acht Passagieren und liegen täglich zwischen Gemlik und Halic. Die Reisezeit beträgt nur 20 Minuten. Für die Weiterfahrt an den Zielorten gibt es zwei Alternativen, die beide von Burulas angeboten werden: Shuttlebus oder Mietwagen. Um dieses Angebot zugänglich für alle Passagiere zu machen, wird der Preis von der Stadt Bursa subventioniert und kostet umgerechnet ungefähr 40 EUR pro Richtung. Die Flugzeuge sind so ausgestattet, dass sie auch auf einer Landebahn landen können. Es wurden bereits Pläne erstellt, den alten militärischen Flugplatz in Bursa zu reaktivieren und für die stadtnahe Landungen zu benutzen. Helitaxi Ein ganz unkonventionelles öfentliches Verkehrsmittel ist das sogenannte Helitaxi (s. großes Bild Seite 63). Von Bursa aus werden drei zentrale Orte einschließlich des Atatürk Flughafens in Istanbul mit einem Hubschrauber zweimal täglich gelogen. Insofern funktioniert das Helitaxi in Istanbul als innerstädtisches Verkehrsmittel und verbindet den auf dem europäischen Teil gelegenen Flughafen mit dem asiatischen Teil in kürzester Zeit (12 Minuten). Das Helitaxi ist der erste fahrplanmäßige Hubschrauber in die Türkei. Der Preis für das Helitaxi ist höher als für die anderen Verkehrsmittel und beträgt umgerechnet etwa 100 EUR pro Richtung. Burulas verfügt zurzeit über 13 Hubschrauber mit jeweils 6 Sitzplätzen. Neben Flügen nach dem öfentlichen Fahrplan ist es möglich, Hubschrauber für andere Verbindungen oder Zwecke wie z.B. Luftaufnahmen zu mieten. In Tabelle 2 ist ein Vergleich der Verkehrsmittel nach Beförderungszeit und Preis dargestellt. Die Beförderungszeit ist die reine Fahrzeit im gegebenen Verkehrsmittel ohne Vor- oder Nachlauf. Intermodalität Es ist nicht verwunderlich, dass Intermodalität in Bursa eine große Rolle spielt. In dieser Stadt werden von Straße bis Schiene und von Wasser bis Luft alle Verkehrsarten angeboten. Es ist deswegen sehr wichtig, dass die verschiedenen Verkehrsarten auch zusammen gut funktionieren. Eine Maßnahme dafür ist das einheitliche Ticketingsystem „Bukart“. Die Bukart ist eine kontaktlose elektronische, auladbare Fahrkarte, die im kompletten ÖPNV in Bursa sowie in kulturellen Einrichtungen wie Museen gültig ist. Die Bukart ermöglicht einen schnellen Verkauf der Fahrkarten und einen reibungslosen Übergang zwischen den Verkehrsmitteln. Die Vergünstigungen durch die Benutzung der Bukart für weitere Fahrten nach der ersten Fahrt fordern die intermodale Reisekette. Die Bukart kann an allen Standorten von Burulas - auch außerhalb Bursas - aufgeladen werden. Ein großes Verkehrsnetzwerk ist somit mit einer einzigen Karte verbunden. Weitere Maßnahmen für die Sicherstellung der Intermodalität, wie z.B. eine neue Straßenbahnanbindung nach Mudanya für den Übergang zur Schnellfähre, sind derzeit in der Planungsphase. Zusammenfassung Mit der Entwicklung der Technologie und der Lebensart des modernen Menschen ändern sich auch die Anforderungen der Fahrgäste an Verkehrssysteme. Flexibilität, Schnelligkeit, Kundenorientierung sind die Herausforderungen für die Zukunft des Verkehrs. Burulas zeigt erfolgreiche innovative Ansätze im ÖPNV und erweitert seine Geschäftsfelder in alle Richtungen. ■ QUELLEN [1] Personenbeförderungsgesetz (PBefG) § 8, 1961 [2] eurostat, Modal split of inland passenger transport, 2012 Yigit Fidansoy Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachgebiet Bahnsysteme und Bahntechnik, TU Darmstadt fidansoy@verkehr.tu-darmstadt.de Verkehrsmittel Beförderungszeit [min] Preis [EUR] Schnellfähre 90 8 Wasserflugzeug 20 40 Helitaxi 25 100 Tabelle 2: Vergleich der Verkehrsmittel nach Beförderungszeit und Preis Bild 4: Die Wasserflugzeuge werden kurz vor Abflug bereitgestellt. Foto: Raphael Uebelhart
