eJournals Internationales Verkehrswesen 67/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0074
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2015
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Integration von Nahverkehr und Kunst

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Andreas Kossak
Die „MAX Light Rail“ von Portland, Oregon, im Nordwesten der USA ist nicht nur in verkehrssystematischer Hinsicht und aufgrund der Handhabung als Rückgrat der Stadt- und Regionalentwicklung sowie der innovativen Finanzierung ein Musterbeispiel für das Potential des Systems Stadtbahn. Ungewöhnlich ist auch die enge Verbindung mit hochkarätiger öfentlicher Kunst, die in exemplarischer Ausprägung an den Wahrnehmungsmaßstäben der Stadtgestaltung ausgerichtet ist.
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Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 68 Integration von Nahverkehr-und Kunst Das Public Art Program der Stadtbahn Portland im-US-Staat-Oregon Nahverkehr, Stadtentwicklung, Regionalentwicklung, Kunst im öfentlichen Raum Die „MAX Light Rail“ von Portland, Oregon, im Nordwesten der USA ist nicht nur in verkehrssystematischer Hinsicht und aufgrund der Handhabung als Rückgrat der Stadt- und Regionalentwicklung sowie der innovativen Finanzierung ein Musterbeispiel für das Potential des Systems Stadtbahn. Ungewöhnlich ist auch die enge Verbindung mit hochkarätiger öfentlicher Kunst, die in exemplarischer Ausprägung an den Wahrnehmungsmaßstäben der Stadtgestaltung ausgerichtet ist. Der Autor: Andreas Kossak D ie „MAX Light Rail“ (Metropolitan Area Express) der Metropolregion Portland im US-Bundesstaat Oregon im Nordwesten der Vereinigten Staaten gilt weltweit als „Paradebeispiel“ für das System Stadtbahn. Sie ist das Rückgrat einer ausgeprägt nahverkehrsorientierten Stadt- und Regionalentwicklung der dynamisch wachsenden Metropolregion mit derzeit rd. 2,2 Mio. Einwohnern [1]. Die Planungen dafür begannen im Jahr 1979, nachdem per Bürgerentscheid das Projekt eines Interstate-Highways durch die Stadt zugunsten der Stärkung des ÖPNV verhindert und die Beschränkung auf ein Schnellbus-System verworfen worden war. Der erste Bauabschnitt wurde im Jahr 1986 in Betrieb genommen. Das Streckennetz wird seither schrittweise ausgebaut [2, 3]. Das ÖPNV-System der Region Portland ist heute unter Gesichtspunkten der Attraktivität und Kundenfreundlichkeit als führend in den USA eingestuft („Nr.1“) [4]. Ausschlaggebend dafür ist das Stadtbahnsystem. Eine wesentliche Komponente der Attraktivität ist die Umsetzung des „Public Art Program“ der Betreibergesellschaft des gesamten ÖPNV in der Region, der TriMet (Tri-County Metropolitan Transportation District of Oregon). Das Programm, beziehungsweise die dahinter stehende Politik, hat ausschlaggebend dazu beigetragen, dass sich das Stadtbahnsystem zu einem maß- MOBILITÄT Verkehrsraumgestaltung Pioneer Square im Zentrum der Portland Transit Mall Foto: Kossak Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 69 Verkehrsraumgestaltung MOBILITÄT geblichen gestaltprägenden sowie identitäts- und identiikationsstiftenden Faktor für Stadt und Region entwickelt hat [5]. Eine bedeutsame Voraussetzung dafür war nicht zuletzt auch die frühzeitige Entscheidung, beim Bau der Stadtbahn generell auf Tunnelstrecken zu verzichten. Einzige Ausnahme ist ein knapp 5 km langer Abschnitt westlich der Innenstadt von Portland, der ausschließlich topographisch bedingt ist. Aufgrund dessen ist die Stadtbahn für sich eine integrale primäre Komponente des Stadtbildes. Gleichzeitig haben aber auch die Fahrgäste während der Fahrt jederzeit ein unmittelbares Stadt- und Umfelderlebnis. Neben der Kostenfrage war ein weiterer Hauptgrund für die Entscheidung in diesem Zusammenhang die Gewährleistung eines barrierefreien Zugangs zur Stadtbahn, gerade auch an den am stärksten frequentierten Haltestellen im Innenstadtbereich. Das MAX Public Art Program Das MAX Public Art Program basiert auf der von der TriMet im Jahr 1997 eingeführten „percent for art policy“. Danach werden 1,5 % der Realisierungskosten jedes Bauabschnitts für die Integration von Kunst und ÖPNV bereitgestellt [5]. Ähnliches wird seither auch von knapp 20 anderen Nahverkehrsunternehmen in den USA praktiziert; das geschieht mit ausdrücklicher Ermunterung der Bundes-Nahverkehrsverwaltung (Federal Transit Administration), die in der Regel beträchtliche Anteile der Infrastrukturkosten übernimmt. Das Programm der TriMet gilt als das ambitionierteste USweit. Die Aktivitäten im Rahmen des Programms konzentrieren sich in erster Linie auf die Stationen der MAX-Stadtbahn und deren Umfeld. Dabei geht es nicht etwa lediglich um qualiiziertes industrielles Standard-Design von funktionalen Stationselementen, wie das in Deutschland nach wie vor vielfach praktiziert wird, sondern um deren künstlerische Gestaltung sowie die Ergänzung um hochkarätige Kunstinstallationen. Zielsetzung ist ausdrücklich eine individuelle Identität jeder einzelnen Station durch konkrete Bezugnahme auf die Geschichte, die Speziika, die Kultur und/ oder die Landschaft des jeweiligen Ortes und ggf. auch des Streckenabschnitts. Das geschieht mit einer außerordentlichen Vielfalt von Stilmitteln. Dazu gehören Skulpturen, Artefakte, Bilder, Zitate, Erläuterungen, Lichtrelexe, wechselnde Illuminationen, Geräusche, Nutzung der Elemente (Wind, Wasser), Möglichkeiten der Interaktion (Bewegungen oder Veränderungen verursachen und beeinlussen), Einbeziehung von Landschaft oder historischen Baulichkeiten und mehr. Spezielle großformatige Kunstobjekte werden vielfach dergestalt ausgelegt, dass sie weithin sichtbar sind und damit gleichzeitig als Wahrzeichen des Ortes und Orientierungspunkte aus größerer Entfernung wirken. Mit diesem Ansatz wird exemplarisch praktisch allen klassischen Kriterien und Wahrnehmungsmaßstäben der Stadtgestaltung Rechnung getragen [6]: • Orientierung • Stimulans • Abwechslung • Äußere Erscheinung • Soziale Brauchbarkeit • Identität • Identiikation • Geschichtsbezug Bei der Ausgestaltung werden in aller Regel zahlreiche hochrangige Künstler sowie Stadt- und Landschaftsgestalter eingebunden. Die Planungen, Entwürfe und Ausführungen werden von Komitees begleitet, in denen Bürger aus dem Umfeld des jeweiligen Streckenabschnitts vertreten sind. Ausgewählte Gestaltungsbeispiele Folgende Beispiele belegen die außergewöhnliche Verbindung von Nahverkehrssystem und Kunst in Stadt und Region Portland; die Beschreibung ist an die Formulierungen in der Dokumentation der TriMet angelehnt [3, 5]. MAX Blue Line - Eastside Als dieser erste Abschnitts des Stadtbahnsystems 1986 eröfnet wurde, gab es das Public Art Program noch nicht. Im Zuge größerer Baumaßnahmen an der Strecke wurden einzelne Stationen nachträglich künstlerisch umgestaltet. So symbolisiert an der Rockwood/ E 188th Ave Station eine großformatige Installation - inanziert wurde sie in erster Linie durch das Verkehrsministerium des Staates Oregon und die örtliche Entwicklungs-Kommission - als lebendiges, buntes Tor den Eingang zur multikulturellen Gemeinde Rockwood (Bild 1): Lange schmale Stahlstrahlen sind weithin sichtbares Wahrzeichen und ein Signal des Bürgerstolzes dieser Gemeinde. Die Gestaltung war inspiriert von der Stimmung und von den kräftigen Farben, die auf den historischen Festen der vornehmlich hispanischstämmigen Bevölkerung in der Nachbarschaft vorherrschen. Die lichtdurchlässigen Spitzen der Strahlen leuchten in der Dunkelheit auf, wenn ein Zug in die Station einfährt oder sie verlässt. MAX Blue Line - Westside Der westliche Abschnitt der „Blauen Linie“ war der zweite Bauabschnitt des Stadtbahnsystems und der erste, bei dem das Public Art Program angewendet wurde. Mit knapp 30 km ist er der längste bis heute eröfnete Abschnitt. Die Betriebsaufnahme erfolgte im Jahr 1998. Mit nahezu einer Milliarde Dollar Baukosten war das Projekt das bis zu diesem Zeitpunkt aufwendigste öfentliche Bauvorhaben in der Geschichte des Staates Oregon. Die hohen Kosten sind vor allem auf die Tunnelstrecke in geologisch schwierigen Bedingungen zurückzuführen. An der Gestaltung der 20 Stationen waren mehr als 20 Künstler mit über 100 permanenten Kunstobjekten beteiligt. An der 80 m unter der Oberläche liegenden Station Washington Park etwa (Bild 2) hat sich das Künstler-Team mit der Geologie Bild 1: Die Strahlenskulptur an der Rockwood / E 188th Ave Station Foto: Author7/ Wikipedia Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 70 MOBILITÄT Verkehrsraumgestaltung und der Tunnelbohrung dieser tiefsten Nahverkehrsstation in Nordamerika beschäftigt: Am Eingang zum Bahnsteig vermittelt ein in Basalt eingelassener Kreis die Dimension des Tunnelquerschnitts. Eine Zeittafel zu den während des Tunnelbaus gezogenen Bohrproben veranschaulicht und erklärt 16 Mio. Jahre Erdgeschichte, runde Hocker aus Steinplatten symbolisieren diese Bohrproben. Schaukästen an den Ein- und Ausgängen visualisieren Stationen der Entwicklung von Mensch und Natur in den geologisch dokumentierten Perioden. Einige Bilder auf den Fahrstuhltüren wirken animiert, wenn sich die Türen öfnen. Airport MAX Red Line Der Streckenabschnitt vom Umsteigeknoten Gateway Transit Center im Osten der Stadt zum Portland International Airport wurde im Jahr 2001 in Betrieb genommen. Die Skulptur „Federn“ am Gateway Transit Center (Bild 3) ist von der Interstate 205, dem dazu parallelen Fahrradweg und dem Stadtbahngleis schon aus großer Entfernung zu sehen. Die Skulpturengruppe besteht aus drei rund 5 m langen farbigen Aluminium-Elementen, die sich an der Spitze gut 6 m hoher Stützen mit dem Wind drehen. Sie sind Positionszeichen für das Nahverkehrszentrum und kennzeichnen den Beginn der Bahnstrecke zum Flughafen- mit einer farbenfrohen Illusion des Fliegens. Interstate MAX Yellow Line Die Strecke verläuft vom Stadtzentrum bis zum „Expo Center“ am Columbia River im Norden Portlands; sie wurde im Jahr 2004 in Betrieb genommen. Während an der Rosa Park Station indianische Künstler mit traditionellen Symbolen die enge Abhängigkeit des Menschen von der Natur versinnbildlichen, steht an der Interstate Rose Quarter Station eine Metapher für Verlagerung und Wandel im Fokus (Bild 4): Beleuchtete Metall-Bäume beziehen ihre Elektrizität von Solarzellen, ein virtuelles Lagerfeuer aus Lichtefekten lackert bei Dunkelheit, umgeben von Hockern aus rostfreiem Stahl in Form von Baumstümpfen. Die farbigen Verglasungen der Fahrgastunterstände simulieren das wechselnde Licht in Wäldern und Baumringe aus Beton symbolisieren den Wald, der an dieser Stelle einmal stand. MAX Green Line - Renovierung der Portland Transit Mall Der „grüne“ Streckenabschnitt wurde im Jahr 2009 eröfnet. Bestandteil der Arbeiten war die Renovierung und Revitalisierung der Portland Transit Mall, die im Jahr 1978 als erste ihrer Art in den USA eröfnet worden war und bis heute US-weit als exemplarisch und als Prototyp für die Innenstadterneuerung einer Metropole mit dem ÖPNV als Katalysator gilt. Die Mall erstreckt sich vom Hauptbahnhof (Union Station) im Nor- Bild 3: Zwei der Feder-Skulpturen am Gateway Transit Center Foto: brx0/ flickr Bild 4: Solar beleuchtete Metall-Bäume an der Station Interstate Rose Quarter Foto: TriMet Bild 2: Zeittafel und Hocker in der unterirdischen Washington Park Station. Foto: TriMet Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 71 Verkehrsraumgestaltung MOBILITÄT den über rund 29 Häuserblocks bis zur Portland State University im Süden und ist das verkehrliche Rückgrat der Innenstadt. Mit einem Häuser-Block Zwischenraum ist sie in zwei Richtungsfahrbahnen für die MAX- Stadtbahn, zum Teil die sekundäre Stadtbahn „Portland Streetcar“, Busse und eingeschränkt den motorisierten Individualverkehr gegliedert. Auf jeder Achse sind beidseitig großzügige Fuß- und Radwege angelegt (Bild 5). Im Zentrum trefen sich alle Stadtbahnlinien im Bereich eines einzigen Häuserblocks um das Gerichtsgebäude „Pioneer Courthouse“. Der „Pioneer Square“ vor dem Gerichtsgebäude war ursprünglich durch ein achtstöckiges Park-Hochhaus belegt. Nach dessen Abriss im Zusammenhang mit der Umorientierung der Verkehrspolitik auf den ÖPNV und einer attraktiven Gestaltung der frei gewordenen Fläche entstand dort das „Wohnzimmer“ der Stadt (Bild S. 68). Die Gestaltung der Portland Transit Mall hat einen neuen Standard für städtisches Design gesetzt. Sie wurde mit den höchsten Architekturpreisen ausgezeichnet; unter anderem war sie der erste städtische Raum in den USA, dem vom American Institute of Architects der Nationale Ehrenpreis verliehen wurde. Öfentliche Kunst war eine Schlüssel-Komponente bei der Revitalisierung der Mall. In diesem Zusammenhang wurden rd. 750 000 USD eingesetzt. Die bereits vorhandenen Kunstwerke wurden restauriert und zu einem Großteil an Standorte verlagert, an denen sie besser als vorher wahrgenommen werden können. Für ihre „Caims“ im Bereich der Union Station (Bild 6) hat sich die Künstlerin Christine Bourdette von den menschengeschafenen Steinzeichen inspirieren lassen, die traditionell in der Region als Orientierungshilfen für Navigation und Wegeführung sowie als Merkzeichen für historisch bedeutsame Ort und Ereignisse verwendet wurden. Fünf Schieferplatten-Stapel markieren den Weg zwischen dem Hauptbahnhof und den nächstgelegenen Stadtbahn- Stationen. Am Nord-Ende der SE Fuller Rd Station steht eine rund acht Meter hohe kinetische Skulptur, deren rot-gelbe Schwingen sich mit einer Kurbel in Bewegung setzen lassen (Bild 7). Fazit Die MAX Light Rail von Portland ist nicht nur in verkehrssystematischer Hinsicht und als Rückgrat der Stadt- und Regionalentwicklung ein Musterbeispiel für das Potential des Systems Stadtbahn. Dasselbe trift auch und im Besonderen für die enge Verbindung mit hochkarätiger öfentlicher Kunst zu, die in hervorragender Ausprägung an den Wahrnehmungsmaßstäben der Stadtgestaltung ausgerichtet ist. Dadurch ist die Bahn zu einem primär Stadtbild und Image prägenden Element von Stadt und Region geworden; gleichzeitig wird damit die Attraktivität und Akzeptanz des ÖPNV beträchtlich gefördert. ■ LITERATUR [1] Kossak, Andreas: Stadtbahn Portland, Oregon; in ETR 9/ 2015 [2] www.trimet.org/ [3] http: / / trimet.org/ bettertransit/ index.htm [4] TRIMET: TRIMET AT-A-GLANCE; Profilbroschüre, Portland 2015 [5] http: / / trimet.org/ publicart/ index.htm [6] Kossak, Andreas: Bewertung von Straßenplanungen nach Gesichtspunkten der Stadtgestaltung; Dissertation 1983 Andreas Kossak, Dr.-Ing. Kossak Forschung & Beratung, Hamburg drkossak@aol.com Bild 5: Portland Transit Mall Foto: Kossak Bild 6: Die „Caims“ an der Union Station Foto: TriMet Bild 7: Kinetische Schwingen-Skulptur an der SE Fuller Rd Station Foto: TriMet