eJournals Internationales Verkehrswesen 67/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0076
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2015
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Ohne Stau zum Ziel

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2015
Ute May
Markus Hug
Wie fahre ich heute zur Arbeit? Diese Fragestellung könnte für viele Menschen bald so normal sein wie der allmorgendliche Blick auf die Wettervorhersage. Eine universelle Mobilitäts-App auf dem Smartphone gibt die Antwort: Sie trift Vorhersagen für eine optimale, staufreie Fahrtstrecke und nennt zugleich alternative ÖPNV-Angebote oder zeigt Kombinationsmöglichkeiten auf. Die technischen Voraussetzungen, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, sind bereits heute gegeben.
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Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 76 MOBILITÄT Multimodalität Ohne Stau zum Ziel Intelligente Mobilitäts-Apps machen den Autoverkehr lüssiger und den ÖPNV attraktiver. Mobilitätsanalyse, Stauvermeidung, Routenoptimierung Wie fahre ich heute zur Arbeit? Diese Fragestellung könnte für viele Menschen bald so normal sein wie der allmorgendliche Blick auf die Wettervorhersage. Eine universelle Mobilitäts-App auf dem Smartphone gibt die Antwort: Sie trift Vorhersagen für eine optimale, staufreie Fahrtstrecke und nennt zugleich alternative ÖPNV-Angebote oder zeigt Kombinationsmöglichkeiten auf. Die technischen Voraussetzungen, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen, sind bereits heute gegeben. Die Autoren: Ute May, Markus Hug D ie Kapazität des Straßennetzes ist beschränkt - nicht nur in den Städten, auch auf vielen Autobahnen und Landstraßen geht zu bestimmten Tageszeiten nichts mehr. Zum wachsenden Verkehrsaukommen tragen außer dem Berufsverkehr auch ein höherer Freizeitverkehr und zunehmende Lieferverkehre infolge des Booms im Online-Handel bei. Das Ergebnis ist immer häuiger Stau und Stillstand, verbunden mit einer erheblichen Umweltbelastung durch CO 2 - und Schadstofemissionen. Aus wirtschaftlichen wie auch aus ökologischen Gründen erscheint daher eine Reduktion des Individualverkehrs geboten. Andererseits ist Autofahren, trotz länger werdender Staus, im Vergleich zum ÖPNV immer noch sehr bequem, sodass selbst in Städten und Regionen mit gut ausgebautem öfentlichem Verkehrsangebot nach wie vor nur eine Minderheit das eigene Auto in der Garage lässt. Ein Umdenken im größeren Stil wird erst einsetzen, wenn ÖPNV-Angebote einen vergleichbaren Komfort bieten wie die Fahrt mit dem eigenen Auto, nämlich wenn man umstandslos und eizient vom Startzum Zielpunkt gelangen kann. Entscheidend hierfür ist eine bessere Vernetzung und Zugänglichkeit der vorhandenen Mobilitätsangebote. Zwei aktuelle Projekte des Freiburger IT-Unternehmens highQ zeigen, wohin die Reise geht: Die Smartphone-App Zeitmeilen, die highQ für die neu gegründete Zeitmeilen AG in Berlin technisch umsetzt, zielt darauf ab, Autofahrten in Abhängigkeit vom aktuellen Verkehrsaukommen zeitlich zu entzerren und so Staus zu vermeiden und die Gesamtkapazität des Straßennetzes zu optimieren. Die Routing- und Ticketing- App mytraQ bietet dem ÖPNV-Nutzer die Möglichkeit, am Smartphone intermodale Fahrtstrecken aus Bahn, Bus, Car- oder Bikesharing zusammenzustellen und - ohne weitere Recherchen zu den Tarifen der beteiligten Anbieter - sofort ein gültiges Ticket für die gesamte Wegekette zu kaufen. Eine Kombination der Funktionalitäten von Zeitmeilen und mytraQ kommt der eingangs geschilderten universellen Mobilitäts-App sehr nahe und ist für das Unternehmen ein nächster Schritt. 1 Zeit sparen, Staus umfahren: Verkehrsoptimierung mit Zeitmeilen Vor allem für Berufspendler ist Zeit ein knappes und kostbares Gut, das man nicht im Verkehrsstau verschwenden sollte - dies ist die Grundidee der Applikation Zeitmeilen (Bild 1). Die Nutzer sollen zu einem lexibleren Mobilitätsverhalten angeregt werden, das ihnen persönlich Zeit spart und das zugleich die Auslastung des Straßennetzes optimiert. Über die neuartige App erhält der Nutzer Voraussagen für eine individuelle, staufreie Fahrt auf der Basis seiner persönlichen Präferenzen. Die individuellen Routenempfehlungen werden auf der Basis Bild 1 (links) und Bild 2: Aus historischen und aktuellen Verkehrsdaten sowie dem „Schwarmverhalten“ der Zeitmeilen-Nutzer werden Routenempfehlungen generiert. Bilder: highQ/ Shutterstock Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 77 Multimodalität Mobilität aktueller öfentlicher Verkehrsdaten sowie der Bewegungsdaten der anderen Zeitmeilen-Teilnehmer im selben Verkehrsgebiet generiert. Dabei werden auch geplante Baumaßnahmen und Umleitungen berücksichtigt, sodass sehr präzise Vorhersagen nicht nur für den aktuellen Zeitpunkt, sondern auch für Folgetage getrofen werden können. Die App ist vor allem für Berufspendler gedacht, die regelmäßig gleiche Wegstrecken zurückzulegen haben. Mit der Vorhersagefunktion lassen sich jedoch auch neue Wegstrecken zeitlich optimieren. Auch Unternehmen können von der Zeitersparnis ihrer Mitarbeiter in Form eines eizienteren Einsatzes ihrer Fahrzeuglotten proitieren. Hinzu kommt der ökologische Effekt: Schadstofe wie CO 2 und Stickoxide werden durch vermiedene Staus reduziert. Wer sich an die Routenempfehlungen von Zeitmeilen hält, kommt nicht nur schneller ans Ziel, sondern erhält zusätzlich - sozusagen als Belohnung für die Flexibilität im Mobilitätsverhalten - Bonuspunkte, die in ideelle, virtuelle oder geldwerte Prämien eingetauscht werden können. Dieses integrierte Incentive-Programm ermöglicht vielfältige Geschäftsmodelle zur Unterstützung der Akzeptanz seitens der Nutzer. Denn je mehr Autofahrer Zeitmeilen nutzen, umso präzisere Vorhersagen kann das System machen. Zugleich kann ein solches Programm zur Stärkung der regionalen Wirtschaft beitragen. Anonyme Datenerhebung ohne benutzerproile Ein wesentlicher Unterschied zu anderen Mobilitäts-Applikationen: Zeitmeilen vermeidet die Erhebung personenbezogenener Daten. Es werden keine Benutzerproile erstellt - der Fokus liegt nicht auf dem Verhalten einzelner Benutzer, es werden lediglich momentane Bewegungsmuster des gesamten „Benutzerschwarms“ registriert. Diese Bewegungsdaten werden ergänzt um aktuelle und historische Verkehrsdaten, sodass valide Vorhersagen auch über längere Zeiträume möglich sind. Alle Prozesse laufen anonymisiert und verschlüsselt über deutsche Server und Netze (Bild 2). Auch für Verkehrs- und Transportbehörden kann Zeitmeilen ein lexibles Instrument zur Inwertsetzung eigener Daten, zur Verkehrsbeeinlussung und -optimierung sowie zur Einhaltung der gesetzlichen Schadstof-Grenzwerte sein. So ermöglicht das vom System gelieferte Nutzer-Feedback, verkehrssteuernde Maßnahmen lexibel und dynamisch umzusetzen. Derzeit wird ein regionaler Test mit Nutzern ausgewählter Firmen durchgeführt. Bei der Ermittlung und Aubereitung der Routenempfehlungen kooperiert highQ mit renommierten Anbietern von Geoinformationssystemen. Hürden zum ÖPNV abbauen: Routing und ticketing mit mytraQ Ziel der kostenlosen, für iOS- und Android- Systeme erhältlichen Smartphone-App mytraQ ist es, die ÖPNV-Nutzung so komfortabel zu gestalten wie die Fahrt mit dem eigenen Auto. Auf diese Weise sollen die Einstiegsbarrieren vor allem für Gelegenheitsnutzer gesenkt werden. So wie es der Autofahrer gewöhnt ist, durchgängig vom Startzum Zielpunkt zu gelangen, liefert ihm mytraQ eine multimodale Wegekette „aus einem Guss“: Verschiedene Verkehrsmittel werden unter Berücksichtigung der aktuellen Verkehrssituation zu einer Gesamtstrecke kombiniert, wobei auch Verspätungen aufgrund von Baustellen o.ä. berücksichtigt werden. Die vorgeschlagene Route wird dem Nutzer in übersichtlicher Form graisch dargestellt; gleichzeitig wird ihm der Gesamtpreis angezeigt und der Ticketkauf ermöglicht (Bild 3). Beim Routing berücksichtigt die App neben den klassischen ÖPNV-Unternehmen auch Verkehrsanbieter wie Car- und Bikesharing. Der Nutzer kann hierbei seine persönlichen Fahrtpräferenzen nach den Kriterien Umweltbilanz, Kosten und Geschwindigkeit angeben. Voraussetzung dafür, dass mytraQ dem Fahrgast ein attraktives Angebot machen kann, ist die Integration möglichst aller relevanten Mobilitätsanbieter in der betrefenden Stadt oder Region; diese erhalten einen diskriminierungsfreien Zugang zum System, denn mytraQ ist - im Unterschied zu mancher anderen Routing-App - anbieterneutral. Nicht nur für den Fahrgast, auch für die Verkehrsanbieter bietet mytraQ eine Reihe von Vorteilen: So unterstützt die App den Ticketverkauf und vereinfacht die Ticketabrechnung über ein kompatibles Hintergrundsystem; zudem bieten die E-Tickets ein sehr hohes Niveau an Fälschungssicherheit, denn alle Transaktionen entsprechen dem bundesweiten Standard des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV- Kernapplikation). Für Verkehrsunternehmen bietet highQ eine Proi-Variante der App für NFC-fähige Smartphones an, die damit als Ticket-Kontrollgeräte genutzt werden können und teure Spezialhardware ersetzen. Fazit: Eiziente Vernetzung senkt Eintrittsbarrieren zum ÖPNV Eingeleischte Autofahrer auf der einen Seite und überzeugte ÖPNV-Nutzer auf der anderen - der Trend zur Multimodalität wird diese Trennung immer mehr verwischen. Im Interesse einer lebenswerten Umwelt soll und muss eine Verlagerung vom Individualverkehr hin zum Umweltverbund - ÖPNV, Fahrrad, Fußgänger - erfolgen. Die Voraussetzung dafür, dass immer mehr Autofahrer gewillt sind umzusteigen, kann nur durch eine efektive Vernetzung und einfache Nutzbarkeit alternativer Mobilitätsangebote geschehen. So kann Zeitmeilen in einer künftigen Ausbaustufe Funktionen von mytraQ integrieren: Der Nutzer einer solchen universellen Mobilitäts-App erhält dann nicht nur Empfehlungen, einen überfüllten Autobahnabschnitt zu meiden, sondern zugleich einen alternativen Routenvorschlag mit Umstiegsmöglichkeit auf Bus oder Bahn. Gibt es einen unvorhergesehenen Stau, kann er auf einen Park & Ride- Platz umgeleitet werden und seine Fahrt mit dem ÖPNV fortsetzen. So oder so kommt er schnell und staufrei zum Ziel - und wenn jeder Weg für ihn gleich komfortabel ist, kann er sich jeden Morgen auf einen neuen Routenvorschlag freuen. ■ 1 Zeitmeilen und mytraQ werden während der IT Trans auf dem Stand von highQ vorgestellt. Bild3: mytraQ schlägt anbieterneutral optimale intermodale Wegeketten vor und ermöglicht den direkten Ticketkauf. Bild: highQ/ Shutterstock Ute May, Dr. Softwareentwicklerin Zeitmeilen, highQ Computerlösungen GmbH, Freiburg u.may@highq.de Markus Hug Projektleiter Softwareentwicklung Zeitmeilen, highQ Computerlösungen GmbH, Freiburg m.hug@highq.de