eJournals Internationales Verkehrswesen 67/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0077
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Eine für alles

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Markus Raupp
Philipp Hinger
Das vom Bund im Rahmen des Schaufensters Elektromobilität geförderte Forschungsprojekt Stuttgart Services ist ein gutes Beispiel für den Wandel der Rolle von Verkehrsunternehmen und Verbünden. Ziel des Projekts ist ein einfacher Zugang zu (Elektro-)Mobilität, Shopping und städtischen Angeboten. Im Projekt wurde für die Nutzerkommunikation ein neuer Markenauftritt entwickelt, der alle diese Elemente vereint: polygo – Mobilität und Services in der Region Stuttgart. Ab Herbst 2015 werden erste polygoCards an ÖPNV-Abonnenten ausgegeben, ein Mobilitätsportal wird folgen.
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Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 78 MOBILITÄT Elektronisches Ticket Eine für alles Bei der polygoCard werden eTicket, Car- und Bikesharing sowie städtische Angebote auf einer Chipkarte integriert und ergänzt durch eine optionale Bezahlfunktion Elektronisches Ticket, Stuttgart Services, Schaufenster Elektromobilität, Multimodalität Das vom Bund im Rahmen des Schaufensters Elektromobilität geförderte Forschungsprojekt Stuttgart Services ist ein gutes Beispiel für den Wandel der Rolle von Verkehrsunternehmen und Verbünden. Ziel-des Projekts ist ein einfacher Zugang zu (Elektro-)Mobilität, Shopping und städtischen Angeboten. Im Projekt wurde für die Nutzerkommunikation ein neuer Markenauftritt entwickelt, der alle diese Elemente vereint: polygo - Mobilität und Services in der Region Stuttgart. Ab Herbst 2015 werden erste polygoCards an ÖPNV-Abonnenten ausgegeben, ein Mobilitätsportal wird folgen. Die Autoren: Markus Raupp, Philipp Hinger S tuttgart gilt als Stauhauptstadt Nummer eins in Deutschland. Bedingt durch die Topographie und die hohe Zahl an einbrechenden und ausbrechenden Verkehren zu den Hauptverkehrszeiten werden an bestimmten neuralgischen Punkten regelmäßig die Grenzwerte für Stickstofdioxid überschritten. Es ist daher kein Zufall, dass man in Stuttgart über die sinnvolle Verknüpfung von Mobilitätsangeboten nachdenkt und gerade hier innovative und ehrgeizige Projekte zur Umsetzung bringen will. Als komplexes Verbundprojekt entwickelt Stuttgart Services einen einheitlichen Zugang zur multimodalen Elektromobilität sowie zu ergänzenden städtischen Angeboten und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Gestaltung der urbanen Mobilität in der Region Stuttgart. Die Verknüpfung des ÖPNV mit elektromobilen Angeboten ist eine Möglichkeit auf die hohe Belastung der Region durch den motorisierten Individualverkehr zu reagieren und so den Nachhaltigkeitsverbund (zu Fuß, Fahrrad, Sharingkonzepte, ÖPNV und elektromobiler Individualverkehr) zu stärken. Im April 2015 wurde als erstes für eine breite Öfentlichkeit sichtbares Ergebnis des Projekts der neue Markenauftritt eingeführt: polygo - Mobilität und Services in der Region Stuttgart. Seit diesem Zeitpunkt ist die Website www.mypolygo.de online erreichbar. Gleichzeitig wurden etwa 200 000 ÖPNV-Bestandsabonnenten über die Migration ihres Aboprodukts von Verbundpass mit Wertmarke auf die polygoCard informiert (Bild 1). Mit der polygoCard hält das elektronische Ticket (eTicket) Einzug im Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart (VVS). Die erste polygoCard wird ab Herbst 2015 an ÖPNV-Abonnenten ausgegeben. Die Technologie der polygoCard Die polygoCard (Bild 2) geht als einer der innovativen Bestandteile aus dem Forschungsprojekt Stuttgart Services hervor. Bereits im ersten Quartal 2014 ist es gelungen, gleich drei etablierte technologische Standards auf einer Chipkarte zu kombinieren: • Zertiizierungsfähig durch die VDV KA GmbH & Co. KG, (((eTicket Deutschland • Zertiizierungs- und freigabefähig durch MasterCard, Europay International, MasterCard und VISA (EMV) • Nutzbar bei ausgewählten elektromobilen Mobilitätsdienstleistern, Common Criteria for Information Technology Security Evaluation/ DIN ISO/ IEC 15408-1…3 Die Funktionalitäten sind auf einer industriell sehr fortschrittlichen und nach Bild 1: Rund 200 000 ÖPNV-Bestandskunden werden vom klassischen Wertmarken-Abo auf das elektronische Ticket migriert. Fotos: Stuttgart Services Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 79 Elektronisches Ticket MOBILITÄT strengen Anforderungen zertiizierbaren Smartcard mit MIFARE Funktionalität von NXP umgesetzt. Für diese innovative Chipkartentechnologie wurde die Landeshauptstadt Stuttgart gemeinsam mit dem Dienstleister und Projektpartner highQ Computerlösungen GmbH im April 2014 mit dem Best-Practice-Preis Telematik in Kommunen ausgezeichnet. Von Mai bis Juli 2014 wurde die technische Funktionsfähigkeit des Prototypen der Chipkarte durch etwa 70 ausgewählte Nutzer in der Region Stuttgart im Alltagsgebrauch getestet. Dieser Friendly-User-Feldtest konnte mit großem Erfolg abgeschlossen werden. Neben dem ÖPNV im gesamten VVS-Gebiet (Sichtprüfung) konnten die Friendly User mit ihrer persönlichen Karte die (elektromobilen) Angebote von Call a Bike, Flinkster und stadtmobil ebenso wie die EnBW-Ladestationen nutzen oder per Bezahlkarte bargeldlos einkaufen. Die Elektro-Smarts von car2go wurden ab Mitte August 2014 in einer Verlängerung des Friendly-User-Feldtests von einzelnen Nutzern getestet. Verkehrsverbünde als Mobilitäts integratoren und -aggregatoren Für ein wirtschaftliches Geschäftsmodell der Elektromobilität, ist jedoch die Erreichung einer kritischen Kundenmasse notwendig. Die Verknüpfung elektromobiler Angebote mit weiteren Angeboten des täglichen Lebens, insbesondere mit dem ÖPNV als Rückgrat der Mobilität, ist daher von großer Bedeutung. In diesem Kontext zeichnet sich ein Wandel in Bezug auf die Aufgaben von Verkehrsunternehmen und Verkehrsverbünden ab. Hat sich der öfentliche Nahverkehr früher darüber deiniert, dass er den Bürgern Verkehrsmodi im öffentlichen Besitz zugänglich macht, so ist diese Deinition heute erweitert um das Angebot von öfentlich verfügbaren Verkehrsmodi. Verbünde und Verkehrsunternehmen haben durch ihren breiten Kundenstamm ein gutes Verständnis der Mobilitätsbedürfnisse in ihrem räumlichen Tätigkeitsbereich. Auf Grund ihrer Strukturen sind sie in der Regel mit Politik und Verwaltung gut vernetzt und garantieren eine räumliche und zeitliche Verfügbarkeit sowie Bezahlbarkeit und Qualität für den öfentlichen Nahverkehr. Dieses Wissen übertragen sie nun auch auf zusätzliche Angebote des öffentlich verfügbaren Individualverkehrs, also zum Beispiel Car- und Bikesharingangebote. Dies bestätigt eine externe Benchmarking-Analyse, die gezeigt hat, dass multimodale Mobilitäts- und Bürgerkarten in Deutschland von den jeweiligen Verkehrsverbünden betrieben werden. So werden zum Beispiel für HannoverMOBIL, eTicket RheinMain, die ABO-Trumpkarte des Magdeburger Regionalverkehrsverbundes marego, e-Mobil Saar und - im Rahmen des EU-Förderprojekts CIVITAS - DYN@MO des Aachener Verkehrsverbundes bestehende Strukturen genutzt, um das erweiterte Mobilitätsangebot zu vermarkten. Wie im Fall von polygo kann diese Angebotspalette auf weitere sinnvolle Leistungen des städtischen Lebens ausgedehnt werden. Einer der wichtigsten Auslöser für die vermehrte Auseinandersetzung mit alternativen Verkehrskonzepten ist die steigende Nachfrage nach multi- und intermodalen Angeboten. Als Reaktion auf diese Rahmenbedingungen ist ein weltweiter Trend zur Bildung von Mobilitätsökosystemen erkennbar, die einen Weg darstellen, den Mobilitätsherausforderungen mit adäquaten Lösungen zu begegnen. Ein nächster sinnvoller Schritt ist es, diese Ökosysteme zu einem Gesamtsystem zu verbinden und übergreifend nutzbar zu machen. Auch die Politik hat erkannt, dass Inter- und Multimodalität unumgängliche Eckpunkte für eine nachhaltige Mobilität sind. So befürworten und unterstützen sowohl die Bundesregierung als auch die Europäische Union integrierte Mobilitätsinitiativen. Ziel von polygo ist es, zu einem führenden Mobilitätsintegrator und -aggregator in der Region Stuttgart zu werden, der durch integrierte Mobilitätsangebote und urbane Angebote die Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger kontinuierlich steigert. Insbesondere der gesellschaftliche Trend in Richtung Nachhaltigkeit und multimodale Mobilität, der auf den Wertewandel der Generation Y und deren Orientierung hin zu mehr Convenience zurückzuführen ist, begünstigt dieses ehrgeizige Ziel. Hinzu kommen zunehmende Individualisierungstendenzen in der Bevölkerung, die nach maßgeschneiderten Lösungen auch für die Mobilität verlangen. Die stark wachsende mobile Internetnutzung, getrieben vor allem durch eine steigende Penetrationsrate von Smartphones in der Bevölkerung, ermöglicht hierfür lexible Modelle. Hier setzt das polygo Portal an, das sich als Auskunfts- und Buchungsportal derzeit noch in der Entwicklung beindet. In einem Prototypen wurde die multi- und intermodale Auskunft und Buchung sowie die Vernetzung mit zusätzlichen städtischen Angeboten bereits erfolgreich erprobt. 1 Aufgrund der hohen Standardkonformität der Chipkartentechnologie sowie der standardisierten Schnittstellen der inter- und multimodalen Reservierungs- und Buchungsplattform besitzt die Lösung großes Potential, auf andere Städte innerhalb Deutschlands und darüber hinaus übertragen zu werden. Bereits jetzt inden neben dem Austausch mit anderen Projekten aus den vier Schaufenstern Elektromobilität in Deutschland zwischen Verkehrsunternehmen und -verbünden bundesweit regelmäßige Trefen zum Thema integrierte Mobilität statt. ■ 1 Hintergründe zum Portal wurden bereits ausführlich in Internationales Verkehrswesen (66), Ausgabe 1/ 2014, unter dem Titel „Stuttgart Services - Intelligent vernetzte, nachhaltige und einfache Elektromobilität um urbane Angebote für die Region Stuttgart ergänzen“ berichtet. Markus Raupp, Dr. Leiter Marketing & Vertrieb, Stuttgarter Straßenbahnen AG, Stuttgart markus.raupp@mail.ssb-ag.de Philipp Hinger Leiter Vertriebsmanagement, Leiter PMO Stuttgart Services, Stuttgarter Straßenbahnen AG, Stuttgart philipp.hinger@mail.ssb-ag.de Bild 2: Die polygoCard kann mit Bezahlfunktion ausgestattet sein. Foto: Stuttgart Services