eJournals Internationales Verkehrswesen 67/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0079
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2015
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Wissen, wann ein Parkplatz fei wird

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Tim Tiedemann
Thomas Vögele
Parkraum in den Innenstädten ist knapp. Ihn optimal zu nutzen und unnötigen Parksuchverkehr zu vermeiden, ist sowohl im Interesse der Städte und Kommunen als auch der Autofahrer. Das vom BMUB geförderte Verbundprojekt „City2.e 2.0“ entwickelt Methoden, mit deren Hilfe die wahrscheinliche Verfügbarkeit freier Straßenrandparkplätze vorhergesagt werden kann. Über Daten spezieller Parkraumsensoren lernt das Vorhersagesystem typische Belegungsmuster. Damit kann es prognostizieren, wann und wo die Chancen auf einen freien Parkstand gut sind. Der Autofahrer erfährt davon etwa per App oder Webseite.
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Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 84 TECHNOLOGIE Parkraumprognose Wissen, wann ein Parkplatz frei wird Intelligente Parkbelegungsvorhersage für das Parkraummanagement der Zukunft Parkraummanagement, Parkbelegungsvorhersage, Maschinelles Lernen, Künstliche Intelligenz Parkraum in den Innenstädten ist knapp. Ihn optimal zu nutzen und unnötigen Parksuchverkehr zu vermeiden, ist sowohl im Interesse der Städte und Kommunen als auch der Autofahrer. Das vom BMUB geförderte Verbundprojekt „City2.e 2.0“ entwickelt Methoden, mit deren Hilfe die wahrscheinliche Verfügbarkeit freier Straßenrandparkplätze vorhergesagt werden kann. Über Daten spezieller Parkraumsensoren lernt das Vorhersagesystem typische Belegungsmuster. Damit kann es prognostizieren, wann und wo die Chancen auf einen freien Parkstand gut sind. Der Autofahrer erfährt davon etwa per App oder Webseite. Die Autoren: Tim Tiedemann, Thomas Vögele I n den meisten größeren Städten in Deutschland und international herrscht ein eklatanter Mangel an Parkraum. Insbesondere in den eng bebauten Innenstädten gibt es häuig mehr Parkplatzsuchende als Parkstände. Dies ist nicht nur unangenehm für Anwohner und Besucher; der resultierende Parksuchverkehr kann lokal deutlich zum innerstädtischen Verkehrsaukommen beitragen [1-3]. Gleichzeitig stellt die Bewirtschaftung der Parkplätze im öfentlichen Raum eine wichtige Möglichkeit zur Kostendeckung für Städte und Kommunen dar. Auch ist aus Sicht der Städte und Kommunen die Verkehrssicherheit während Parkplatzsuche und Stau ein kritischer Punkt. Ein verbessertes Parkraummanagement, bei dem das vorhandene Potential an Parkplätzen optimal ausgenutzt wird, ist also sowohl im Interesse der Autofahrer als auch der kommunalen Verwaltungen. Hierbei ist zu bedenken, dass aufgrund von Fluktuation oft auch in vermeintlich komplett zugeparkten Stadtvierteln zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten durchaus noch freie Parkstände verfügbar sind. Die Herausforderung besteht darin, den parkplatzsuchenden Autofahrer gezielt zu den noch freien Parkständen zu leiten. Im Projekt „City2.e 2.0“ entwickelt ein Konsortium aus Industrie (Siemens, VMZ Berlin), Verwaltung (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin) und Forschung (DFKI 1 , IKEM 2 ) ein innovatives Konzept, mit dessen Hilfe die potentielle Verfügbarkeit von Parkplätzen vorhergesagt und an parkplatzsuchende Autofahrer weitergegeben werden kann (siehe [4]). Dafür wird die Belegung von Parkplätzen im öfentlichen Raum und auf gewerblich genutzten Grundstücken mit eigens zu diesem Zweck entwickelten Sensoren überwacht (siehe hierzu auch [5]). Das so ermittelte Gesamtbild der Parkplatzbelegung in Abhängigkeit von Tageszeit, Wochentag und Straßenzug wird in einer Datenbank der VMZ Berlin gespeichert. Das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) übernimmt in dem Projekt die Entwicklung und Implementierung eines Prognose-Moduls, das Vorhersagen über die künftige Parkraumbelegung generiert. Intelligente Algorithmen lernen aus den gesammelten Sensordaten Gesetzmäßigkeiten, mit denen sie die Wahrscheinlichkeit, in einer bestimmten Straße zu einem bestimmten Zeitpunkt einen freien Parkstand zu inden, vorhersagen können. Dabei werden auch besondere Vorkommnisse, wie Großevents oder Baumaßnahmen berücksichtigt. Das System ist zudem lernfähig, d.h. in der Lage, seine Vorhersagen selbstständig kontinuierlich anzupassen, wenn sich Rahmenbedingungen ändern (z. B. eine veränderte Verkehrsführung). Im Rahmen von „City2.e 2.0“ wird ein Straßenzug in Berlin-Friedenau als Pilotgebiet mit den Sensoren ausgerüstet. In dieser Testregion soll die Erfassung und Vorhersage der Parkraumbelegung praktisch erprobt werden. Im Folgenden werden die Ansätze und Methoden des am DFKI Robotics Innovation Center entwickelten Parkplatzbelegungsprognosemoduls beschrieben. Prognose der Parkraumbelegung Die Aufgabe des in „City2.e 2.0“ entwickelten Prognose-Moduls ist es, die Belegung einer Gruppe von Parkständen für einen beliebi- Bild 1: Parkraumsensoren detektieren aus der Vogelperspektive die Belegung von Straßenrandparkflächen. Diese Sensordaten bilden die Grundlage für eine Parkbelegungsvorhersage. Quelle: Siemens AG Internationales Verkehrswesen (67) 3 | 2015 85 Parkraumprognose TECHNOLOGIE gen Zeitpunkt in der Zukunft vorherzusagen. So soll ein Pendler schon vor dem morgendlichen Weg zur Arbeit nachsehen können, ob er auch nach langen Überstunden noch einen freien Parkplatz in seiner Wohngegend finden wird oder ob er heute besser den Bus zur Arbeit nehmen sollte. Und wer zum Einkaufen in einen fremden Stadtteil fährt, kann noch vor Fahrantritt prüfen, ob und wo er zum Zeitpunkt seiner Ankunft voraussichtlich einen freien Parkplatz findet. Auch Parkstände mit Ladesäulen werden bei der Vorhersage berücksichtigt, so dass sich Fahrer von Elektroautos die nervenaufreibende Suche nach einer Lademöglichkeit bei niedrigem Batteriestand ersparen. Die Basis für die Belegungsvorhersagen bilden Echtzeitbelegungsdaten, die von den an Laternenmasten und Hausfronten installierten Parkraumsensoren geliefert werden. Diese Sensoren wurden bereits in International Transportation 1/ 2015 vorgestellt [5]. Im Rahmen von Voruntersuchungen führten Mitarbeiter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt der Stadt Berlin Belegungsmessungen der Parkstände in dem Pilotgebiet durch. Dabei stellte sich heraus, dass die Parkstandbelegung stark schwanken kann, je nach Tageszeiten, Wochentagen und auch von einer Woche zur nächsten (siehe auch Bild 2, links). Das vom DFKI Robotics Innovation Center in Bremen entwickelte Prognoseverfahren beinhaltet daher einen mehrstufigen Prozess, bei dem zunächst Parkbelegungsdaten über einen langen Zeitraum gesammelt werden. In diesen Langzeitdaten (die idealerweise mehrere Jahre abdecken) wird mit Methoden des Maschinellen Lernens (ML) nach verschiedenen Klassen unterschiedlichen Parkverhaltens gesucht. So kann zum Beispiel in einem Wohngebiet an Sonntagen ein grundsätzlich anderer Parkbelegungsverlauf über den Tag auftreten als an Arbeitstagen. Neben dem Wochenrhythmus sind noch weitere, zum Teil nicht vorhersagbare Einflüsse auf das Parkverhalten denkbar: Feiertage, Schulferien, sportliche oder kulturelle Groß-Events, Witterungsbedingungen, Baustellen, Verkehrsunfälle etc. Das Verfahren zur Erkennung und Einordnung der Verhaltensklassen (ein sogenanntes „Clustering“- Verfahren) benötigt daher explizit kein Vorwissen, sondern nimmt die Klasseneinteilung nur auf Basis der gesammelten Daten vor. Dadurch wird auch sichergestellt, dass eine korrekte Klassifizierung des Parkverhaltens auch dann möglich ist, wenn heute noch unbekannte Faktoren Einfluss auf zukünftige Parkraumkonzepte ausüben. Möchte ein Nutzer (etwa über eine Smartphone-App oder eine Webseite) eine Prognose für eine künftige Parkbelegung erhalten, werden die vom System gelernten Klassen unterschiedlichen Parkverhaltens mit den aktuellen Belegungsdaten der Parkraumsensoren verglichen. Die am besten passende Klasse wird dann für die Vorhersage des zu erwartenden Parkverhaltens herangezogen. Die Verfahren erlauben dabei die Ausgabe einer Güteeinschätzung: Die Qualität der generierten Prognosen hängt wesentlich von der Menge der gesammelten Daten und deren Verteilung, insbesondere in der am besten passenden Klasse ab. Mit fortschreitender Laufzeit der Datensammlung ist eine Steigerung der Vorhersagequalität zu erwarten. Dem Nutzer wird dies über die Güteeinschätzung einer Vorhersage mitgeteilt. Ein detaillierterer Überblick über das Verfahren wurde auf dem „Workshop for AI in Transportation“ der Konferenz AAAI 2015 in Austin vorgestellt und kann in [6] nachgelesen werden. Zusammenfassung und Ausblick Mit der hier vorgestellten Parkbelegungsvorhersage ergeben sich neue Möglichkeiten für das Parkraummanagement der Zukunft. Zum einen erhält der Autofahrer die Möglichkeit, gezielt Parkplätze und Ladesäulen anzusteuern, die mit großer Wahrscheinlichkeit noch frei sind. Dadurch wird der Parksuchverkehr deutlich reduziert. Dies ist insbesondere in Zukunft bei einem zunehmenden Anteil von Elektroautos wichtig. Zum anderen können aber auch Parkraumbetreiber und Kommunen in zukünftigen Parkraumkonzepten sehr viel genauer den Bedarf und die Auslastung der Parkflächen abschätzen und entsprechend darauf reagieren bzw. optimieren. Derzeit wird ein Pilotgebiet im Berliner Stadtteil Friedenau mit den Parkraumsensoren ausgestattet. Bis zum Ende des Jahres 2015 erfolgt dann die Sammlung realer Parkbelegungsdaten und die Evaluation und Anpassung des Vorhersagesystems. Weitere Informationen zur Parkbelegungsvorhersage, aber auch zur Parkraumsensorik und der Arbeit aller Projektpartner sind im Rahmen des 17. EPA-Kongresses bzw. der Ausstellung Parken verfügbar. ■ G efö rdert durch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages (Förderkennzeichen 16EM2051-5). 1 Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH 2 Institut für Klimaschutz, Energie und Mobilität - Recht, Ökonomie und Politik e.V. Q U E L L E N [1] Shoup, D. C. 2006: Cruising for parking. In: Transport Policy 13(6): 479-486 [2] VDA 2009: Annual report 2009. http: / / www.vda.de/ en/ downloads/ 636/ [3] Delatte, A.; Kettner, S.; Schenk, E.; and Schuppan, J. 2014: Multimodale Mobilität ohne eigenes Auto im urbanen Raum. https: / / www. ivp.tu-berlin.de/ fileadmin/ fg93/ Forschung/ Projekte/ City_2.e/ IVP_ Projektbericht_City2e_Lange_Fassung.pdf [4] City2.e 2.0 Webseite. http: / / www.erneuerbar-mobil.de/ de/ projekte/ vorhaben-im-bereich-der-elektromobilitaet-von-2013/ kopplung-der-elektromobilitaet-an-erneuerbare-energien-undderen-netzintegration/ city2e [5] Hetz, J.: Zwick, M.: Sensors upside down - managing parking with a twist. In: International Transportation 1/ 2015, 44-47, Mai 2015; http: / / www.internationalesverkehrswesen.de/ english/ specialedition-12015.html [6] Tiedemann, T., Vögele, T., Krell, M. M., Metzen, J. H., & Kirchner, F. (2015, January): Concept of a Data Thread Based Parking Space Occupancy Prediction in a Berlin Pilot Region. In: Workshops at the Twenty-Ninth AAAI Conference on Artificial Intelligence Tim Tiedemann, Dr. Senior Researcher, DFKI GmbH, Robotics Innovation Center, Bremen tim.tiedemann@dfki.de Thomas Vögele, Dr. Senior Researcher, DFKI GmbH, Robotics Innovation Center, Bremen thomas.voegele@dfki.de 65 70 75 80 85 90 95 08: 00 09: 00 10: 00 11: 00 Occupancy [%] Time [h] 04.09.2014 11.09.2014 18.09.2014 02.10.2014 09.10.2014 t p t q Tageszeit Parkbelegung Aktuelle Belegungsdaten Klasse 1 Klasse 2 Bild 2 links: Die Belegung einer Gruppe von Parkständen kann sich von einer Woche zur nächsten deutlich ändern. Rechts: Für die Vorhersage der Parkplatzbelegung für einen Zeitpunkt t p in der Zukunft werden verschiedene Klassen von Parkverhalten identifiziert und die gelernten Parkverhalten mit der aktuellen Parksituation zum Zeitpunkt der Anfrage t q verglichen. Quelle: DFKI GmbH, Tim Tiedemann