Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0087
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Black Box F&E
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Peter Fey
Das weltweite Geschäft der Automotive-Branche hat sich in den letzten Jahren trotz des schwachen chinesischen Marktes deutlich positiv entwickelt. Doch auf Grund voller Auftragsbücher und der jüngsten technologischen Herausforderungen stoßen die Forschungs- und Entwicklungs-Abteilungen (F&E) der OEMs und Zulieferer an ihre Grenzen. Das wiederum ist bedenklich, denn efektives und eizientes F&E-Management bedeutet mehr als die termingerechte Bereitstellung neuer Produkte mit der gewünschten Funktionalität.
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POLITIK Automotive-Megatrends Internationales Verkehrswesen (67) 4 | 2015 12 Black Box F&E Neue Herausforderungen an eine unternehmerische Schlüsselfunktion Managementstrategien, Automotive-Branche, Schlüsselfunktionen, Zukunftssicherung Das weltweite Geschäft der Automotive-Branche hat sich in den letzten Jahren trotz des schwachen chinesischen Marktes deutlich positiv entwickelt. Doch auf Grund voller Auftragsbücher und der jüngsten technologischen Herausforderungen stoßen die Forschungs- und Entwicklungs-Abteilungen (F&E) der-OEMs und Zulieferer an ihre Grenzen. Das wiederum ist bedenklich, denn efektives und eizientes F&E-Management bedeutet mehr als die termingerechte Bereitstellung neuer Produkte mit der gewünschten Funktionalität. Der Autor: Peter Fey F orschung und Entwicklung (F&E) ist die Grundlage für die nachhaltige Zukunftssicherung der Unternehmen insbesondere in der innovationsstarken deutschen Automotive- Industrie. Dem F&E-Management kommt somit eine Schlüsselfunktion im unternehmerischen Geschehen zu. Kürzere Innovationszyklen bei steigender Modellanzahl mit neuen, oft branchenfremden technischen Features, F&E-ferne Aufgaben im Tagesgeschäft und akuter Fachkräftemangel trefen auf steigende Komplexität durch Elektronik und Software sowie eine Vielzahl zu integrierender Systeme. Hinzu kommt: Aktuelle Megatrends verändern Aufstellung und Wertschöpfungsstruktur der Automotive-Industrie und die ITK-Industrie wird zum potentiellen Wettbewerber mit ihren speziischen Elektronik-, Software- und Big Data-Kompetenzen. Auf der jüngst zu Ende gegangenen IAA wurde diesen Trends unter dem Stichwort „New Mobility World“ eine eigene Plattform bereitgestellt. Themen wie die Digitalisierung, das autonome Fahren und vernetzte Autos waren in aller Munde. Seitdem Apple und Google feste Commitments zum Auto bzw. zur Mobilität abgegeben haben, werden die Schwergewichte der ITK-Industrie zu potenziellen Wettbewerbern der Automotive-Hersteller gestempelt. Wahr ist, dass in den nächsten Jahren eine ganze Reihe von technischen Innovationen u. a. aus dem Umfeld der ITK- Industrie zu nachhaltigen Veränderungen rund um das Thema Autofahren führen werden. Sicherlich werden diese Entwicklungen den Einluss Branchenfremder auf die OEMs und auf die Automotive-Supplier deutlich steigern. Inwieweit es sich hier um disruptive Entwicklung handelt, kann noch nicht abschließend beantwortet werden. Allerdings kann mit Sicherheit behauptet werden, dass es verschiedene Megatrends gibt, die in Zukunft zum Teil völlig neue Anforderungen an die OEMs/ Supplier und ihre F&E-Abteilungen stellen werden und bei denen die Unternehmen aus der ITK- Industrie über Kernkompetenzen verfügen, die denen der Automotive-Branche deutlich überlegen sind. Wenn es also in Zukunft darum geht, die Schlüsselfunktion F&E in der Automotiv- Branche so auszurichten, dass sie den alten und neuen Megatrends gleichermaßen gerecht wird, müssen die Unternehmen nicht mehr nur Lösungen für die Frage nach der optimalen Eizienz inden. Vielmehr wird es immer wichtiger, Lösungen für die Frage nach der angemessenen Efektivität in einer durch zunehmende technische Komplexität geprägten Produkt- und Nutzerumwelt zu inden. Worauf sollen sich in Zukunft die eigenen Aktivitäten konzentrieren, wo wird Know-how fremdbezogen, wer beherrscht die so wichtige Schnittstelle zum Kunden und wo werden die Grenzen zwischen den Anbietern aus der Automotive- und ITK- Welt gezogen? Dr. Wieselhuber & Partner hat acht zentrale Megatrends identiiziert, mit denen die Automotive-Branche konfrontiert ist und die einen entscheidenden Einluss auf den zukünftigen Markterfolg der Branchen- Player und die Anforderungen an Efektivität und Eizienz der Schlüsselfunktion F&E haben werden. Dabei wird zwischen Trends unterschieden, die schon seit Jahren Be- Bild 1: Herausforderungen und Risiken Internationales Verkehrswesen (67) 4 | 2015 13 Automotive-Megatrends POLITIK stand haben und auch in Zukunft eine entscheidende Rolle spielen werden und solchen Trends, die in jüngster Zeit verstärkt ins Bewusstsein der Branche gerückt sind. Electronification & Software Saturation Elektronik und Software sind bereits heute, aber in Zukunft noch viel stärker die mit Abstand größten Innovationstreiber im Auto. Das Schlagwort der Digitalisierung macht auch vor dem Auto nicht halt. Die zunehmende Komplexität der verschiedensten miteinander zu vernetzenden Systeme und die anderen Arbeitsweisen in einem mechatronischen bzw. Software-getriebenen Umfeld verlangen nach radikalen Anpassungen in der F&E der Automotive-Unternehmen. Hiervon sind nicht nur neue Systemansätzen und standardisierte, leistungsfähige Tools betrofen. Vielmehr werden sich die Arbeitsweisen auch in den klassischen Entwicklungsabteilungen, z. B. hin zu agilen Methoden verändern müssen. Connected Cars Das Auto wird Teil des „Internet of Things“. Die Konvergenz der Datenwelten von Produkt, User und Infrastruktur stellt völlig neue Anforderungen an die F&E-Abteilungen der Branche. Hier herrscht bei vielen Playern ein deutlicher Nachholbedarf, dem durch die massenweise Rekrutierung von Elektronik- und Software-Spezialisten begegnet wird. An anderer Stelle wird mit Kooperationen mit bislang Branchenfremden reagiert werden, die in anderen Kategorien (z. B. Update- und Upgrade-Funktionen) und kürzeren Innovationszyklen zu denken gewohnt sind. Eher seltener kommt es zu Akquisitionen - jüngstes Beispiel hierzu der Bild 2: Zurückgerufene Fahrzeuge 2014, Anstieg der Variantenvielfalt Quelle: www.auto-institut.de, TAB, Zukunft der Automobilindustrie Bild 3: Trends im Automobilumfeld 1. - 3. März 2016 Messe Karlsruhe Partner + + + E-Ticketing + + + Integriertes Fahrgeldmanagement + + + Echtzeit-Fahrgastinformation + + + Software + + + Verkehrsmanagement +++ Sicherheitssysteme +++ Infotainmentsysteme +++ Kombinierter Verkehr +++ und weitere +++ POLITIK Automotive-Megatrends Internationales Verkehrswesen (67) 4 | 2015 14 Einstieg von Audi, BMW und Mercedes bei Here. Verändertes Nutzerverhalten Die „Generation Y“ verbindet andere Anforderungen mit dem Wunsch nach Mobilität. Ähnlich wie bei der zunehmenden Vernetzung handelt es sich in diesem Fall um softwaregetriebene Entwicklungen, die jedoch weniger auf den Kernnutzen des Autos an sich gerichtet sind. Content-basierten Services zielen auf die Erfüllung völlig neuer Nutzenerwartungen ab: Welche Produkte/ Leistungen/ Services spielen rund um das Auto, aber für das Auto und die Mobilität zukünftig eine Rolle? Welche Erkenntnisse lassen sich aus den vielen Terabyte Datenmaterial generieren und in tragfähiges Geschäftsmodelle umsetzen? Auf diese Anforderungen sind die klassischen F&E-Abteilungen der Automotive-Branche in der Regel nicht ausreichend präpariert, der richtige Umgang mit dem Phänomen Big Data ist ihnen noch zu fremd. Normative und Sicherheitstrends Die Fragestellungen betrefen vor allem Advanced Driver Assistance Systems (ADAS), autonomes Fahren und Connected Cars: Die Überlegungen der Entwickler müssen neuerdings weit über die Funktionalität des Produktes hinausgehen, um mit der Bandbreite der Konsequenzen ihrer Arbeit richtig umgehen zu können. Hierzu zwei Beispiele: 1. Die gestiegenen Angrife auf private und kommerzielle Systeme zeigen auf, welche Gefahren beim Autofahren drohen können. Konzepte zum Software- (SW-)Monitoring, zur SW-Veriikation, zur Real-Time-Schadensminderung und zum automatischen Roll-Back zu einem vertrauenswürdigen Status sind bei fahrenden Systemen von eminenter Wichtigkeit. 2. Welcher Ethik folgen die Algorithmen beim autonomen Fahren, wenn zwischen zwei Übeln gewählt werden muss (Frontalzusammenstoß mit einem anderen PKW oder einem Fußgänger? ). Für die Entwicklungsabteilungen bedeutet dies, dass Entwicklungsmethoden, QS-Konzepte und -Tools gestiegenen, ganzheitlichen Anforderungen ausgesetzt sind und professionell beherrscht werden müssen. Verlagerung der Wertschöpfungstiefe Durch die weiter zunehmende Verlagerung der Entwicklungsleistungen auf die Supplier lassen sich erfahrene Entwickler nicht rasch genug aubauen und Methoden und Prozesse der Zulieferer sind vielfach noch nicht den gehobenen Ansprüchen der Kunden/ OEMs angepasst. Dieser Trend ist nicht neu, doch im Zuge der Verlagerung z.B. ganzer Baugruppen werden von den Supplieren einerseits immer mehr Systemkompetenz und andererseits die weitere Abrundung ihres Knowhow-Spektrums verlangt. Die Veränderung der inhaltlichen Ausrichtung der F&E-Kompetenzen wird dabei umso größer, je weiter sich das betrefende Unternehmen am Ende der industriellen Wertschöpfungskette beindet. Globalisierung & Regionalisierung Für Entwicklungsabteilungen wird es in Zukunft immer wichtiger werden, in internationalen Netzwerken und in mehr oder weniger dezentralen Strukturen zu arbeiten: Hierfür sind entsprechende Rahmenbedingungen und Prozesse aufzusetzen, denn die Formen der Zusammenarbeit werden sich ändern müssen (Collaborative/ Concurrent Engineering), Competence Application Center, aber auch Lead Concepts werden sich herausprägen, die Sicherstellung der Compliance und der Schutz von IPRs gewinnt in diesen Konstellationen eine neue Bedeutung. Die Komplexität mit der das F&E-Management konfrontiert ist, betrift also nicht nur die Vernetzung von unterschiedlichen Systemen im Produkt, sondern ebenso die zielorientierte Vernetzung der eigenen F&E-Zentren über regionale Grenzen hinweg. Ökologie & Nachhaltigkeit Ökologie und Nachhaltigkeit verlangen durch die weitere Reduzierung der Grenzwerte von den Entwicklungsabteilungen immer wieder aufs neue kreative Lösungen für bekannte Problemstellungen: Die Arbeit der Entwickler rückt immer stärker in die Grenzbereiche des technisch Machbaren vor. Hierbei auf das Pareto-Optimum abzuzielen wird nicht einfacher, zumal sich die Unternehmen nicht über gesetzliche Vorgaben hinweg setzen können. Gefordert werden die F&E-Abteilungen daher in vielfacher Hinsicht: Der Trend zum Downsizing bedeutet eine Abkehr vom Mindset des klassischen Powertrain-Entwicklers. Leichtbau bedeutet eine Ausweitung der Materialkompetenz, z.B. für (Bio-)Composites, Kohlefaserwerkstofe. Darüber hinaus verlangen viele der neuen Materialien neue Fertigungsverfahren, worauf bereits in der Entwicklung sowie später in der Industrialisierung und im Werkzeugbau zu achten ist. Variantenvielfalt und kürzere Lebenszyklen Der Umgang mit der gestiegenen Variantenvielfalt ist nicht nur ein kapazitatives Problem, sondern auch eines der eizienten Nutzung der F&E-Ressourcen, professioneller F&E Prozesse sowie leistungsfähiger Qualitätssicherungskonzepte. Auch bei diesem „Klassiker“ unter den Trends besteht häuig genug noch Anpassungsbedarf: Weiter steigende Forderung nach einer kontrollierten Wiederverwendung hinsichtlich mechanischer, elektrischer und elektronischer Baugruppen sowie von Software. Die Anforderungen an ein vorausschauendes Product Line Engineering sowie das System-Engineering bzw. die Produktarchitektur steigen. Konzepte zur Qualitätssicherung bereits im Entwicklungsprozess erlangen einen höheren Stellenwert. Simulations-Tools bzw. Virtual Testing sind als Ansätze zur Steigerung der Entwicklungskompetenz und -eizienz lächendeckend wichtig. Ein leistungsfähiges F&E-Management ist heute wichtiger denn je. Der zunehmende Wettbewerb in Verbindung mit dem sich immer weiter beschleunigenden technischen Fortschritt setzt die Unternehmen unter einen permanent steigenden Entwicklungsdruck. Die Geschwindigkeit, mit der sich Märkte verändern, verlangt nach schnellen und eizienten Prozessen für die Umsetzung von Produktideen zu vermarktbaren Produkten. Gleichzeitig dürfen weder die Qualität des Entwicklungsprozesses, noch die Qualität des zu entwickelnden Produktes unter dem hohen Druck leiden. Darüber hinaus ist die gestiegene Zahl an Entwicklungsprojekten möglichst kosteneizient zu bewältigen. Die Vielfalt an Anforderungen, die sich aus dem genannten Trends ergeben, stellt die F&E-Abteilungen der Automotive-Branche heute mehr denn je vor immense Herausforderungen. Um die Potenziale eines leistungsfähigen F&E-Managements freizusetzen, sollten bei seiner Gestaltung systematisch alle operativ wie strategisch relevanten Parameter in ihrer ganzen Bandbreite einer auf die Megatrends ausgerichteten Optimierung unterworfen werden. ■ Peter Fey, Dr. Branchenexperte, Dr. Wieselhuber & Partner (W&P), München fey@wieselhuber.de
