eJournals Internationales Verkehrswesen 67/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0091
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Strategie automatisiertes und vernetztes Fahren

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Martin Burkert
Seit Monaten scheint sich beim Thema Verkehr alles um Automatisierung und Vernetzung zu drehen. Welchen Herausforderungen muss sich die Politik in Deutschland stellen? Ein Kommentar vom Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag, Martin Burkert, MdB
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Internationales Verkehrswesen (67) 4 | 2015 19 Standpunkt POLITIK Strategie automatisiertes und-vernetztes Fahren D er zunehmende Straßenverkehr stellt uns vor große Herausforderungen in Bezug auf Umwelt- und Klimaschutz, Flächenverbrauch, Stauvermeidung, Verkehrssicherheit und begrenzte Ressourcen für die Verkehrsinfrastruktur. Wir brauchen intelligente Lösungen für die Fahrzeuge und die Verkehrsinfrastruktur sowie für eine eiziente Verknüpfung der Verkehrsträger und -infrastrukturen. Ebenso wichtig ist es für das Exportland Deutschland, in dem die Automobilindustrie mit vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern eine besondere Bedeutung hat, auch in Zukunft Produkte anbieten zu können, welche den Anforderungen und Wünschen der Kunden ebenso entsprechen wie den von der Gesellschaft deinierten Rahmenbedingungen. Um diese Ziele zu erreichen, müssen wir die digitale Revolution für Automobil und für Verkehrsinfrastruktur nutzen, um die Qualität unseres Verkehrssystems zu verbessern und den Innovations- und Wirtschaftsstandort Deutschland sozialverträglich zu stärken. Automatisiertes und vernetztes Fahren spielt hier eine wichtige Rolle. Es ergeben sich daraus vielfältige Möglichkeiten, die Nutzung des Automobils sicherer, eizienter und komfortabler zu gestalten. Die Bereitstellung von Verkehrsinformationen in Echtzeit durch Vernetzung von Fahrzeugen kann die Verkehrssicherheit erhöhen, den Verkehrsluss verbessern und den Fahrweg optimieren. Daher begrüße ich die Strategie der Bundesregierung zum automatisierten und vernetzten Fahren, welche gemeinsam mit dem „Runden Tisch Automatisiertes Fahren“ entwickelt wurde. Die dort in den Handlungsfeldern Infrastruktur, Recht, Innovation, IT-Sicherheit und Datenschutz vorgesehen Maßnahmen gilt es nun zu bearbeiten. Dabei müssen wir uns bewusst sein, dass die deutsche Industrie Technologien und Produkte für das automatisierte und vernetzte Fahren auch im Angebot haben muss, wenn sich die Nachfrage auf anderen Märkten schneller als auf dem deutschen Markt entwickeln sollte. Daher sind vor allem eine intensive wissenschaftlich-technologische Auseinandersetzung mit der Thematik, die inanzielle Förderung von Forschungsvorhaben, sowie der staatliche Rahmen für die Erprobung der Technologien vordringlich. Die kürzlich unterzeichnete „Innovationscharta für das Digitale Testfeld Autobahn“ ist ein erster wichtiger Schritt, um hier neue Technologien unter realistischen Bedingungen erproben zu können. Der Deutsche Bundestag kann bei der Förderung des automatisierten und vernetzten Fahrens vor allem einen Beitrag leisten, indem er die rechtlichen Rahmenbedingungen überprüft und gegebenenfalls anpasst sowie Mittel für die Forschung bereitstellt. Bund, Ländern und Kommunen fällt die Aufgabe zu, die Schafung der notwendigen Infrastruktur an unseren Straßen anzustoßen, zu ermöglichen und zu fördern bzw. sie dort, wo es um staatliche Aufgaben geht, zu schafen. Zu begrüßen ist, dass auch die Verkehrsminister der G7-Staaten und die EU-Kommissarin für Verkehr in einer Erklärung die Entwicklungen im Bereich des vernetzten und automatisierten unterstützen. Gerade die Schafung international harmonisierter Regeln ist wichtig, um solche innovativen Technologien grenzüberschreitend einsetzen zu können. Eine Voraussetzung für das automatisierte und vernetzte Fahren ist ein zuverlässiges und lächendeckendes Mobilfunknetz mit hoher Bandbreite. Ein wichtiger Schritt ist hier die Aulage bei der Versteigerung der 700-MHz-Frequenzen, bis 2018 eine Anbindung der Autobahnen mit einer Überragungsrate von mindestens 50-MBit/ s je Antennensektor zu gewährleisten. Automatisiertes und vernetztes Fahren wirft aber auch Fragen auf, die beantwortet werden müssen, bevor Fakten geschafen werden. Die Politik muss hier „auf Ballhöhe“ bleiben, um schnell reagieren und ihre Entscheidungen auf einer fundierten Grundlage trefen zu können. Sinnvolle Entwicklungen sollte sie fördern. Vermeiden müssen wir aber, dass die technische Entwicklung sich ihren eigenen Rahmen schaft und die Politik das Ergebnis nur noch zur Kenntnis nehmen kann, ohne eine Abwägung aller beteiligten Interessen vornehmen zu können. Fragen, die wir rechtzeitig beantworten müssen, betrefen beispielsweise Verantwortung und Haftung für das Versagen der Technik beim automatisierten Fahren, Schutz vor Cyberangrifen, Datenschutz und Netzneutralität. Automatisiertes Fahren kann die Verkehrssicherheit verbessern, es können sich aber auch Risiken ergeben, wenn die Technik versagt oder sich der Fahrer zu sehr auf sie verlässt. Auch die Gefahr der Ablenkung im Straßenverkehr durch Internet und Kommunikationsmöglichkeiten ist zu beachten. Werden die Funktionen des automatisierten Fahrens dies voll ausgleichen? Und wie steht es mit Befürchtungen, das automatisierte Fahren könnte den Individualverkehr so attraktiv machen, dass Staus zunehmen und umweltfreundliche öfentliche Verkehre ins Hintertrefen geraten? Welche Chancen bietet die Vernetzung demgegenüber für eine optimale Verknüpfung aller Verkehrsträger und für die gemeinsame Nutzung von Fahrzeugen? Welche Besonderheiten weist der Straßengüterverkehr beim automatisierten und vernetzten Fahren gegenüber dem Personenverkehr auf? Straßenverkehr und Automobilwirtschaft stehen beim automatisierten und vernetzten Fahren am Beginn einer wichtigen technischen Evolution. Neue Technologien werden entwickelt und vor allem werden bereits bekannte Technologien verknüpft sowie in ein Gesamtsystem integriert. Diese Entwicklung bietet viele Chancen, beinhaltet aber auch Risiken. Sie wird sich vor dem Hintergrund von Trends in der Gesellschaft vollziehen, deren Verlauf schwer abzuschätzen ist. Wir dürfen sehr gespannt sein, wie unsere automobile Welt in 20 Jahren aussehen wird. ■ Martin Burkert, MdB Vorsitzender des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur des Deutschen Bundestages verkehrsausschuss@bundestag.de Seit Monaten scheint sich beim Thema Verkehr alles um Automatisierung und Vernetzung zu drehen. Welchen Herausforderungen muss sich die Politik in Deutschland stellen? Ein Kommentar vom Vorsitzenden des Verkehrsausschusses im Deutschen Bundestag, Martin Burkert, MdB. Foto: Deutscher Bundestag/ Hermann J. Mueller