eJournals Internationales Verkehrswesen 67/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0092
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Sichere (Handels-)Ströme?

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Heinz Schulte
Ein Kommentar von Heinz Schulte, Chefredakteur der griephan Fachinformationen zum Geschäftsfeld äußere & innere Sicherheit
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POLITIK Standpunkt Internationales Verkehrswesen (67) 4 | 2015 20 Sichere (Handels-)Ströme? Ein Wahrnehmungsdeizit in Deutschland B ei dem Thema fühlt man sich an den Kalauer erinnert: „Energiewende hin oder her, bei uns kommt der Strom aus der Dose! “ Die Tatsache, dass gerade Deutschland als außerordentlich erfolgreiche Exportnation und Hüter des Euro - die führende globale Reservewährung neben dem Dollar - Verantwortung für die Sicherheit der Transportinfrastruktur und der logistischen Ketten trägt, ist in Berlin und im Lande nur unzureichend entwickelt. Ob man es will oder nicht, die gewohnte Sicherheitsarchitektur wird global neu vermessen und ist heute nur noch ganzheitlich zu denken. Die bewährten Grenzen zwischen äußerer und innerer Sicherheit - Streitkräfte dort und Polizei hier - kommen zunehmend unter Druck. An bestimmten Stellen sind sie bereits irrelevant. Der Versuch, die Globalisierung internationaler Wertschöpfungsketten durch nationale Autarkie zu ersetzen, ist zum Scheitern verurteilt: „Just in time“ ist ein logistischer Grundsatz, der keine robusten Pufer zulässt. Hinzu kommt der neue Aspekt der Cyber-Sicherheit: Warum sollte man eine Brücke physisch zerstören, wenn man den gesamten Verkehrsluss mit einem Mausklick verhindern kann? Man denke an technisch anfällige Verkehrsleitsysteme (Schleusen, Schifsverkehrsführung in engen Seegebieten, Flugsicherung) oder „Flaschenhälse“ wie See- und Flughäfen. Entwickelte Industrieländer sind anfällig für Störung der Transportinfrastruktur und der logistischen Ströme. Dies wiederum wirkt sich unmittelbar auf Volkswirtschaften und Währungen aus. Wir erinnern daran, dass Berlin für die gemeinsame Euro-Währung an vorderster Stelle Verantwortung trägt. Das Fazit? Es gibt keine idyllischen Inseln der Glückseligkeit! Nach jüngsten Recherchen der norwegischen Consultingirma Menon ist Singapur der bedeutendste maritime Standort der Welt. Basis für die Untersuchungen waren vier Kriterien: Schiffahrt, Finanzierung und Gesetze, Technologie sowie Hafen- und Logistikgegebenheiten. Befragt wurden 200 Industrieexperten in 33 Ländern. Für Singapur zu Buche schlugen insgesamt die branchenfreundliche Politik sowie die strategische Lage an der Haupthandelsroute zwischen Europa und Asien. Auf Platz zwei in dem Ranking der Untersuchung folgt Hamburg. Und was leitet Berlin von dieser internationalen Positionierung ab? Waren es früher die Kolonialmächte (vor allem Spanien, Portugal, Holland und England), die internationale Seewege zwischen der neuen und der alten Welt beherrschten und über ihre „Companien“ den internationalen Handel fest in den Händen hielten, sind es heute international gültige Standards und Handelsabkommen, die den freien Fluss der Handelsströme gewährleisten sollen. An dieser Stelle muss Berlin Anspruch auf Gestaltung anmelden, und genau an dieser Stelle ist auch der Aufstieg Chinas einzuordnen: Es ist das strategische Interesses Beijings, seine Währung als dritte globale Reservewährung - neben Dollar und Euro - zu platzieren. Dazu muss die chinesische Währung an den internationalen Märkten frei konvertierbar und im globalen Handel nutzbar sein. Entweder wird das Reich der Mitte in das westliche System (IWF und transpaziische Handelsabkommen) aufgenommen oder es entwickelt ein eigenes (Gegen-)System. All dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherung der globalen Ströme. Fasst man zusammen, so sind drei grundsätzliche Thesen erlaubt: • Die Sicherung weltweiter Ströme (Flows) an Gütern (Stichwort: Container Screening), Rohstofen (Liefersicherheit), Menschen (illegale Migration/ Terrorismus), Informationen (Datensicherheit) und Finanzen (Geldwäsche) deiniert das Zeitalter der Globalisierung. • Die Sicherung der globalen Ströme verursacht Kosten - Schutz der kritischen Infrastruktur (See- und Flughäfen) sowie Versicherungsprämien. Diese Kosten entstehen zusätzlich zu klassischen Verteidigungsausgaben. • Wer die Standards setzt, schaft Märkte! Für diesen Prozess stehen im Wesentlichen Begrife wie Good governance, Rule of law und Antikorruption. Verbindliche Standards sollen in transatlantischen und transpaziischen Handels- und Investitionsabkommen verankert werden. Im Augenblick setzen zwei politische Kraftzentren diese Standards: Washington und Brüssel. Weitere kommen in (Südost-)Asien hinzu: Beijing und Singapur fürs Erste. Kehren wir nach Deutschland zurück: Berlin verstößt gegen nationale Interessen, wenn es den politischen Diskurs über sichere Handelsströme und die Deinitionsmacht internationaler Handels- und Investitionsabkommen nicht befördert. Bei TTIP geht es nicht in erster Linie um Chlorhühnchen! Jedoch hat man „Unter den Linden“ nicht den Eindruck, dass diese Einordnung bereits im politischen Raum angekommen ist. ■ www.griephan.de Ein Kommentar von Heinz Schulte, Chefredakteur der griephan Fachinformationen zum Geschäftsfeld äußere & innere Sicherheit