Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2015-0097
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2015
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Strategie-Check Logisik
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2015
Paul Wittenbrink
Zwischen Herbst 2014 und Frühjahr 2015 wurden 196 Transport- und Logistikunternehmen nach ihrer Strategie und Ansätzen zur Ergebnisverbesserung befragt. Mit einem vom Autor entwickelten internetbasierten Tool nahmen die Unternehmen eine Selbsteinschätzung vor. Dabei zeigte sich, dass viele Unternehmen gut aufgestellt sind, bei einem wesentlichen Teil jedoch erheblicher Handlungsbedarf besteht.
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Internationales Verkehrswesen (67) 4 | 2015 35 Strategie-Check Logistik Strategische Positionierung und Ergebnisverbesserung bei-Transport- und Logistikunternehmen Wertschöpfungstiefe, Akquisitionsplanung, Unternehmenserfolg Zwischen Herbst 2014 und Frühjahr 2015 wurden 196 Transport- und Logistikunternehmen nach ihrer Strategie und Ansätzen zur Ergebnisverbesserung befragt. Mit einem vom Autor entwickelten internetbasierten Tool nahmen die Unternehmen eine Selbsteinschätzung vor. Dabei zeigte sich, dass viele Unternehmen gut aufgestellt sind, bei einem wesentlichen Teil jedoch erheblicher Handlungsbedarf besteht. Der Autor: Paul Wittenbrink A ngesichts von in den letzten Jahren stagnierenden bzw. z. T. auch sinkenden Preisen für Transportunternehmen, einer volatilen Marktsituation und eines intensiven Wettbewerbs, ist es für Transport- und Logistikunternehmen umso wichtiger, über eine ausgefeilte Strategie 1 zu verfügen und sämtliche Potenziale zur Ergebnisverbesserung auszuschöpfen. Um zu analysieren, wie gut und professionell Transport- und Logistikunternehmen heute aufgestellt sind, hat der Autor dieses Beitrags mit der hwh Gesellschaft für Transport- und Unternehmensberatung mbH 2 ein internetbasiertes Tool „Strategie-Check Transport und Logistik“ entwickelt, bei der die Unternehmen eine Selbsteinschätzung vornehmen können. 3 Die Entwicklung des Tools wurde inanziell von der ExxonMobil unterstützt. Zudem erfolgte eine fachliche Begleitung durch den Verband für Verkehrswirtschaft und Logistik NRW (VVWL). 4 Das Tool haben insgesamt 196 Unternehmen genutzt, deren Antworten im Folgenden in aggregierter Form dargestellt werden. 5 Struktur der Umfrage Bei der Umfrage machen die Unternehmen mit einem Jahresumsatz • bis zu 500 000 EUR: 16,4 %, • zwischen 500 000 EUR und 2 Mio. EUR: 16,8 %, • zwischen 2 und 5 Mio. EUR: 30,7 % und • ab 5 Mio. EUR: 35,1 % aus. Somit haben sich insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen an der Befragung beteiligt. Sehr kleine Unternehmen bilden hier die Ausnahme, obwohl nach der Statistik des BGL die Unternehmen mit einem Umsatz von bis zu 0,5 Mio. EUR fast drei Viertel der Unternehmen ausmachen. 6 Insgesamt wurden Fragen zu verschiedenen Themenbereichen gestellt. Dabei hatten die Unternehmen die Möglichkeit, bestimmte Aussagen mit „Die Aussage trift für unser Unternehmen eher zu“ oder „Die Aussage trift für unser Unternehmen eher nicht zu“ zu bewerten. Im Folgenden wird eine Auswahl der Ergebnisse vorgestellt. Die Resultate erheben keinen Anspruch darauf, als repräsentativ im strengen statistischen Sinne zu gelten. Es sind aber interessante Trends ableitbar. Unterschieden werden jeweils die Gesamtergebnisse sowie die Ergebnisse für kleine (bis 5 Mio. EUR Jahresumsatz) und große (ab 5 Mio. EUR Umsatz) Transport- und Logistikunternehmen. Themenfeld Kunden/ Preise Bei nur knapp der Hälfte der Befragten hat der größte Kunde einen Umsatzanteil von weniger als 30 %, was auf eine hohe Abhängigkeit von wenigen Großkunden schließen lässt (Bild 1). Die Abhängigkeit bezieht sich jedoch nicht nur auf die Kunden. Fast ein Drittel der Unternehmen ist nur in einer Branche tätig. Darüber hinaus arbeiten zwar knapp 60 Prozent (59,8 %) der Befragten sehr eng mit ihren Kunden zusammen (hohe Wertschöpfungstiefe), so dass das eigene Unternehmen nicht so leicht auswechselbar ist. Bei knapp 40 Prozent ist das aber nicht der Fall. Die Kombination aus wenigen Kunden, einer Branche und geringer Wertschöpfungstiefe kann sich hier schnell zu einem Klumpenrisiko entwickeln. Positiv ist, dass 79,6 % nach eigenen Angaben die Zufriedenheit ihrer Kunden sehr gut Foto: Paul-Georg Meister/ pixelio.de Strategie LOGISTIK Internationales Verkehrswesen (67) 4 | 2015 36 Logistik Strategie kennen. Auch wissen zwei Drittel der Unternehmen (68,8 %) sehr genau, in welchen Bereichen das eigene Unternehmen besser bzw. schlechter als die jeweiligen Wettbewerber ist. Fast ein Drittel hat jedoch keine klare Vorstellung darüber. Fast 70 Prozent (69,1 %) der Unternehmen geben an, dass ihre Preise auf einer eindeutigen leistungs- und kostenorientierten Kalkulation beruhen, was sehr positiv zu werten ist. Demgegenüber legt anscheinend fast ein Drittel (30,9 %) der Unternehmen Preise fest, ohne vorab richtig kalkuliert zu haben. Erstaunlich ist auch, dass nach der Umfrage ca. 40 Prozent der Unternehmen keine Dieselpreis-Gleitklausel mit ihren Kunden vereinbart haben und somit der Unternehmenserfolg wesentlich von den Kraftstofpreisen beeinlusst wird. Zu bedenken gibt auch, dass es der überwiegende Teil (70,3 %) der Unternehmen nicht schaft, nachweisbare Kostensteigerungen nahezu vollständig im Preis umzusetzen, was natürlich auch ein Spiegelbild des intensiven Wettbewerbs und der angespannten Marktsituation ist. themenfeld Vertrieb/ oferten/ kalkulation Insgesamt scheint der Vertrieb mehrheitlich eher zufällig und wenig systematisch zu agieren. Nur 28,3 % der Unternehmen verfügen (als eine Voraussetzung für eine systematische Preisbildung) über eine Angebotsdatenbank, wobei hier größere Unternehmen deutlich besser aufgestellt sind (Bild 2). Auch verfügen nur sehr wenige Unternehmen (17,8 %) über einen klaren Akquisitionsplan in Bezug auf aktuelle und potenzielle Kunden und haben klare Vertriebsziele deiniert. Im Hinblick auf den Vertrieb ist es auch wichtig, dass die heutigen und potenziellen Kunden das gesamte Leistungsangebot kennen, was aber nur für 68,2 % der Befragten zutrift. Interessant ist dabei, dass dieser Wert bei kleineren Unternehmen mit 70,4 % etwas höher ist als bei den größeren Unternehmen (63,3 %), was auf eine größere Kundennähe (oder auch ein weniger komplexes Leistungsangebot) der kleinen Unternehmen hinweist. Knapp zwei Drittel (66,9 %) der Unternehmen verfügen über ein monatliches Reporting mitsamt Frühindikatoren, wobei hier größere Unternehmen mit 81,6 % wesentlich besser aufgestellt zu sein scheinen als kleinere Transport- und Logistikunternehmen (59,8 %). Große Deizite gibt es im Bereich Kostenrechnung/ Controlling. Nur eine Minderheit von 44,1 % kennt die genauen Deckungsbeiträge bei den Kunden und Produkten, was in gewissem Widerspruch zu den 69,1 % der Befragten steht, die angeben, dass ihre Preise auf einer eindeutigen Kalkulation beruhen (siehe oben). Die Unkenntnis über die Deckungsbeiträge scheint jedoch insbesondere ein Deizit bei den kleineren Unternehmen zu sein, sind hier doch größere Unternehmen wesentlich besser aufgestellt (61,7 % zu 35,7 %). Die Unkenntnis über die Deckungsbeiträge passt auch dazu, dass nur knapp jedes zweite Unternehmen für ihre wichtigen Leistungsangebote eine Vor- und zeitnahe Nach-Kalkulation durchführt. Auch geben mehr als 40 Prozent (44,8 %) der Unternehmen an, potenzielle Ausfallrisiken und Wagnisse nicht ausreichend bei der Kalkulation zu berücksichtigen, was sich als sehr riskant erweisen kann. Zentral für den Unternehmenserfolg ist auch die Liquiditätsplanung, da bei mangelnder Liquidität die Gefahr einer Insolvenz besteht. Obwohl die Sicherung der Liquidität für die Unternehmen überlebenswichtig ist, verfügen nur 55,3 % der Unternehmen über eine wochenbezogene Liquiditätsplanung, um möglichen Liquiditätsengpässen frühzeitig gegensteuern zu können. Aber auch hier scheinen große Unternehmen etwas besser aufgestellt zu sein. Während 62,8 % der großen Unternehmen eine entsprechende Planung vornehmen, liegt dieser Anteil bei den kleinen Unternehmen nur bei 52,0 %. themenfeld strategie/ Unternehmensplanung Ein hoher Selbsteintritt, also das Fahren mit eigenen Fahrzeugen, kann ein Wettbewerbsvorteil sein. Dem steht jedoch ein hohes Auslastungsrisiko für den eigenen Fuhrpark gegenüber, insbesondere dann, wenn der Eigenanteil sehr hoch ist. In Zeiten großer Marktvolatilität sollte es daher das Ziel Bild 1: Ergebnisse zum Themenfeld Kunden/ Preise Bild 2: Ergebnisse zum Themenfeld Vertrieb/ Oferten/ Kalkulation Internationales Verkehrswesen (67) 4 | 2015 37 Strategie LOGISTIK sein, Marktschwankungen über Subunternehmer abzufedern. Dieser Strategie folgen auch 53,1 % der befragten Unternehmen (Bild 3), wobei dieser Wert bei kleineren Unternehmen etwas geringer ist (50,0 %). Weit mehr als 40 Prozent der Unternehmen erbringen jedoch mehr als 80 Prozent der Leistungen im Selbsteintritt, so dass sie Auftragsrückgänge kaum durch reduzierten Subunternehmereinsatz kompensieren können und die Gefahr teurer Überkapazitäten besteht. Die Umfrage zeigt auch, dass die meisten Unternehmer ihr Unternehmen eher operativ führen und kaum einer systematischen Strategieplanung folgen. Zwar geben 77 % der Unternehmen an, ihre wettbewerbsrelevanten Stärken und Fähigkeiten zu kennen und diese gezielt im Wettbewerb einzusetzen. Aber nur etwas mehr als ein Drittel der Unternehmen (34,1 %) hat die Chancen und Risiken in den jeweils relevanten Märkten genau identiiziert und darauf aubauend Maßnahmen zur Ausnutzung der Chancen und zur Begegnung der Risiken entwickelt. Darüber hinaus hat nur knapp ein Drittel der Unternehmen (33,1 %) eine klare Vorstellung darüber, wie sich die relevanten Märkte entwickeln. Man kennt also die Kunden, nicht aber die Märkte. Auch verfügt nur etwas mehr als ein Drittel (37,2 %) der Unternehmen über einen klaren Unternehmensplan, in dem die Umsatz- und Ergebnisziele für das nächste Jahr festgelegt sind und auf dessen Basis ein regelmäßiger Soll- Ist-Vergleich möglich ist. In das Bild passt auch, dass nur ein kleiner Teil der Unternehmen (16,9 %) über eine klare Strategieplanung und ein Maßnahmenprogramm zur Erreichung der strategischen Ziele für die nächsten drei Jahre verfügt. Zur langfristigen Strategieplanung gehört auch eine Nachfolgeplanung. Insofern wurden die Unternehmen auch danach gefragt, ob für den Fall, dass in ihrem Unternehmen in den nächsten fünf Jahren aus Altersgründen eine Unternehmensnachfolge ansteht, diese klar geregelt ist. Dies wird nur von 41,7 % bejaht. Bei ca. zwei Drittel der kleinen Unternehmen und immerhin noch bei mehr als 40 Prozent der großen Unternehmen (> 5 Mio. EUR Umsatz) besteht hier Handlungsbedarf. Insgesamt verfügt die Mehrheit der befragten Transport- und Logistikunternehmen kaum über eine klare Strategieplanung, bei der aubauend auf den Chancen und Risiken des Marktes und den eigenen Stärken und Schwächen den strategischen Zielen mit einem Maßnahmenprogramm gefolgt wird. Vielmehr scheint nach wie vor das Umsatzdenken vorzuherrschen, bei dem „mitgenommen wird“, was der Markt bietet, und bei dem hofentlich am Jahresende (zufällig) ein positives Ergebnis resultiert. Dies ist um so erschreckender, da nach der Umfrage nur bei knapp 60 Prozent der Unternehmen (60,9 %) das Eigenkapital bzw. die Reserven ausreichen, um auch ein Krisenjahr zu überstehen. Fast 40 Prozent sind hier also mangels Reserven in erheblichem Maße krisengefährdet. Zusammenfassung und Fazit Zwischen Herbst 2014 und Frühjahr 2015 wurden ca. 196 Transport- und Logistikunternehmen nach ihrer Strategie und Ansätzen zur Ergebnisverbesserung befragt. Im Ergebnis zeigt sich, dass viele Unternehmen gut aufgestellt sind, bei einem wesentlichen Teil jedoch erheblicher Handlungsbedarf besteht. So sind viele Kunden von wenigen Großkunden abhängig, nur in einer Branche tätig und leicht auswechselbar. Nach wie vor fehlt es in vielen Unternehmen an einer aussagekräftigen Kostenrechnung, von einer systematischen Nachkalkulation ganz zu schweigen. Fast 40-Prozent verzichten auf eine Dieselpreis- Gleitklausel und machen somit den Unternehmenserfolg maßgeblich vom Dieselpreis abhängig. Darüber hinaus verfügt die Mehrheit der befragten Transport- und Logistikunternehmen kaum über eine klare Strategieplanung, bei der aubauend auf den Chancen und Risiken des Marktes und den eigenen Stärken und Schwächen den strategischen Zielen mit einem Maßnahmenprogramm gefolgt wird. Dies ist umso erstaunlicher, verfügen doch nur knapp 60 Prozent der Unternehmen über ausreichend Reserven, um ein Krisenjahr zu überstehen. ■ 1 Zur strategischen Positionierung von Transport- und Logistikunternehmen vgl. Wittenbrink, Paul (2014), Transportmanagement - Kostenoptimierung, Green Logistics und Herausforderungen an der Schnittstelle Rampe, 2., vollständig neu bearbeitete und erweiterte Aulage, Wiesbaden 2014, S. 47f. 2 www.hwh-transport.de (Karlsruhe) und www.hwh-beratung.com (Luzern) 3 Zur Langfassung der Studie: Wittenbrink, Paul (2016).: Strategische Positionierung und Ansätze zur Ergebnisverbesserung bei klein- und mittelständischen Transport- und Logistikunternehmen, Gabler Essential, Veröfentlichung in Vorbereitung. 4 www.vvwl.de. An dieser Stelle sei insbesondere Herrn Leusmann und Herrn Heinz von der VVWL-Unternehmensberatung für die fachliche Unterstützung gedankt. 5 Die Umfrage lief in zwei Wellen. Die erste Welle erfolgte im Herbst 2014 gemeinsam mit dem Verband für Verkehrswirtschaft und Logistik NRW (VVWL), der seine Mitglieder zur Teilnahme an der internetbasierten Umfrage aufgerufen hat. Eine zweite Welle erfolgte im Frühjahr 2015, bei der die Fachzeitschrift Verkehrsrundschau auf die Umfrage hingewiesen hat. Zudem hat der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. seinen Mitgliedern die Teilnahme an der Umfrage empfohlen. Interessanterweise unterscheiden sich die Ergebnisse der beiden Umfragewellen kaum, sodass die Ergebnisse im Folgenden zusammengefasst werden. 6 Die Daten beziehen sich auf den Gesamtumsatz der Unternehmen mit wirtschaftlichen Schwerpunkt im Wirtschaftszweig „49.4 Güterbeförderung im Straßenverkehr“ , vgl. Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V. (2014), Verkehrswirtschaftliche Zahlen (WVZ) 2013/ 2014, Frankfurt, S. 14 Paul Wittenbrink, Prof. Dr. Professor für Transport- und Logistik an der Dualen Hochschule Baden- Württemberg, Lörrach; Gesellschafter der hwh Gesellschaft für Transport- und Unternehmensberatung mbH, Karlsruhe, und der hwh Beratungsgesellschaft, Luzern (CH) wittenbrink@hwh-transport.de Bild 3: Ergebnisse zum Themenfeld Strategie/ Unternehmensplanung
