eJournals Internationales Verkehrswesen 68/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0003
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2016
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Modal Split-Verbesserungen für den Schienenverkehr?

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Gerd Aberle
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Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 11 Modal Split-Verbesserungen für den Schienenverkehr? B is Mitte März 2016 können bei der EU-Kommission Förderanträge für das Projekt „Shift to Rail“ eingereicht werden; 170 Mio. EUR stehen zur Verfügung. Man reibt sich die Augen: War das Thema nicht bereits vor mehr als 20-Jahren immer wieder Gegenstand vieler Projekte mit staatlicher Finanzmittelbereitstellung zur Unterlegung der gebetsmühlenartig vorgetragenen Forderungen nach einer nachhaltigen Marktanteilssteigerung des Schienenverkehrs? Der Blick auf die Modal-Split-Realität ist ernüchternd, trotz aller Forderungen und Hoffnungen der nationalen und EU-Verkehrspolitik. Dies gilt vor allem für den Güterverkehr. Seit zehn Jahren stagniert der Marktanteil der Schiene im binnenländischen Verkehr bei rd. 17 % trotz Bahnreform und zahlreicher EU-Aktivitäten. Gestiegen ist lediglich der intramodale Anteil der Wettbewerber der DB AG. Der Straßengüterverkehr belegt fest einen Marktanteil von 71 %, gestärkt auch durch den rasanten Anstieg der oft als Subunternehmer tätigen ausländischen Anbieter, die 2014 mit 27,3 % der gesamten Güterverkehrsleistung das verdeutlichen, was auf den Autobahnen täglich zu beobachten ist. Diese für den Schienenverkehr völlig unbefriedigende Entwicklung wird vor allem auf die unterschiedlichen Preisstrukturen und die hieraus wirkenden Wettbewerbsvorteile des Straßengüterverkehrs zurückgeführt. Natürlich besitzen die Preisunterschiede eine wichtige Entscheidungsbedeutung für die verladende Wirtschaft. Insofern ist es mehr als ärgerlich, wenn die Politik die bereits hohen Produktionskosten des Schienenverkehrs, verglichen mit denen des Straßenverkehrs, durch spezielle Belastungen wie Stromsteuer, Abgaben zur Förderung der erneuerbaren Energien und des Pflichterwerbs von Emissionsrechten weiter steigert. Belastungen also, die der umweltfreundlichere und überwiegend elektrische Energie aus erneuerbaren Energiequellen nutzende Verkehrsträger tragen muss, nicht aber der fossile Brennstoffe einsetzende LKW. Dieser profitiert zusätzlich von den niedrigen Treibstoffpreisen und der EU-rechtlich erzwungenen Absenkung der Straßenmaut. Von hoher Entscheidungsrelevanz für den Modal Split im Güterverkehr sind und waren immer die logistischen Systemeigenschaften der Verkehrsträger, die - und das wird gern unterschlagen - systembedingt sehr unterschiedlich sind. Die in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegenen logistischen Anforderungen von Industrie und Handel an die Transportwirtschaft stellen den Schienenverkehr vor wesentlich größere Herausforderungen und Schwierigkeiten als den Straßengüterverkehr. Der Kombinierte Verkehr kann diese Probleme nur abmildern. Wie es im neuen „World Transport Report“ zu der mehr als optimistischen Prognose kommt, im Zeitraum bis 2040 wachse die Schiene so deutlich stärker als der Straßengüterverkehr, dass sie ihren Marktanteil um fünf Prozentpunkte steigern und die Straße acht Punkte verlieren würde, bleibt hinsichtlich der gesetzten Annahmen spekulativ. Aber politisch klingt das gut. Auch im Personenverkehr stagniert der Marktanteil der Schiene seit Jahren, trotz der erfreulichen qualitativen und aufkommensstarken Entwicklung im SPNV durch die Regionalisierung. Die extremen Zuwächse im Fernbusverkehr, der täglich durchschnittlich 1360 Kurse anbietet und einen extremen Preiswettbewerb praktiziert, stammen nach aktuellen Schätzungen zu bis zu 30 % aus Abwanderungen vom Schienenfernverkehr. Sie gefährden die bisherigen Marktanteile der Schiene zusätzlich zu den aus Nachfragersicht nicht hinnehmbaren Qualitätsmängeln. Die neuerdings aufgetretenen sicherheitsrelevanten Risikobereiche in städtischen Bahnhofsbereichen fördern ebenfalls nicht die Bahnnutzung. Dass der Fernbus wie der Straßengüterverkehr von kostentreibenden Abgaben und zusätzlich von jeder Straßenmaut befreit ist, komplettiert das Bild der Umsetzungsschwierigkeiten jeder „Shift to Rail“-Initiative. Auch die geplante Förderung der Elektro-PKW durch Subventionen und städtische Vorrangrechte sowie die politische Begeisterung für voll digitalisierte PKW dürften die Attraktivität des Individualverkehrs zukünftig weiter sichern. Neue Studien zur Marktanteilserhöhung der Schiene werden alte Erkenntnisse neu aufbereiten und ergänzen. Ohne politische Rahmenveränderungen werden sie außer gut gemeinten Ratschlägen wenig an realen Effekten bringen. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche „Die logistischen Systemeigenschaften der-Verkehrsträger sind - und das wird-gern-unterschlagen - systembedingt sehr-unterschiedlich.“