eJournals Internationales Verkehrswesen 68/1

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0023
21
2016
681

Multimodal Divide

21
2016
Sören Groth
Dem Hype um Multimodalität unterliegt ein stark liberalistisches Gesellschaftsverständnis, wonach sich Jede und Jeder multimodal verhalten könne. Allerdings lässt sich mit Blick auf Studien zu Mobility Poverty (Mobilitätsarmut) vermuten, dass sich die Gesellschaft hinsichtlich der (potentiellen) Ausübung eines multimodalen Verhaltens entlang von sozioökonomischen Faktoren wie Einkommen, formaler Bildung etc. spaltet. Dieser Beitrag fokussiert die Verteilung materieller Verkehrsmitteloptionen und stellt die Multimodalitätsdebatte damit in einen sozioökonomischen Rahmen.
iv6810066
Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 66 MOBILITÄT Wissenschaft Multimodal Divide Zum sozialen Ungleichgewicht materieller Verkehrsmitteloptionen Materielle Multioptionalität, Verkehrsmitteloptionen, Mobility Poverty, Urban Poor Dem Hype um Multimodalität unterliegt ein stark liberalistisches Gesellschaftsverständnis, wonach sich Jede und Jeder multimodal verhalten könne. Allerdings lässt sich mit Blick auf Studien zu Mobility Poverty (Mobilitätsarmut) vermuten, dass sich die Gesellschaft hinsichtlich der (potentiellen) Ausübung eines multimodalen Verhaltens entlang von sozioökonomischen Faktoren wie Einkommen, formaler Bildung etc. spaltet. Dieser Beitrag fokussiert die Verteilung materieller Verkehrsmitteloptionen und stellt die Multimodalitätsdebatte damit in einen sozioökonomischen Rahmen. Autor: Sören Groth M it den Erkenntnissen über lokale und globale Auswirkungen durch Treibhausgasemissionen, Feinstaube oder Lärm sowie dem Bewusstsein für die Endlichkeit fossiler Rohstoffe, wird die Dominanz des fossilen Verbrennungsmotors seit Jahrzehnten von Politik und Forschung problematisiert. Mit großem Enthusiasmus wird vor diesem Hintergrund seit wenigen Jahren ein Konzert von Trends festgestellt, das auf einen Übergang von der automobilen zur multimodalen Gesellschaft hindeutet: Die Dynamik bei neuen Mobilitätsdienstleistungen [1], der Cycle-Boom in großen Städten [2], die messbar wachsende Verkehrsmittelflexibilität [3] oder eine Ent-Emotionalisierung des Privatautos junger Städter/ innen [4] werden mitunter als wichtigste Indizien für die multimodale Transformation gesehen. In der Folge rücken Visionen von einem nachhaltigen multimodalen Verkehrssystem in den Vordergrund des Diskurses, wonach Bürger/ innen im Sinne eines „Nutzen-statt-Besitzen-Prinzips“ souverän und situationsspezifisch per Smartphone das geeignetste Verkehrsmittel auswählen. Das Auto avanciert in diesem vernetzten Verkehrssystem als Leihauto zu einer sporadischen Option innerhalb vielfältiger Möglichkeiten alternativer Mobilitätsangebote. Multimodalität wird also als das neue Zauberwort zur nachhaltigen Lösung verkehrsbedingter Probleme propagiert. Dabei scheint dem dualistisch anmutenden Diskurs („schlechtes“ Auto vs. „gute“ Multimodalität) ein stark liberalistisches Gesellschaftsverständnis zugrunde zu liegen, wonach multimodales Handeln einer freien Entscheidung unterliegen würde. Die soziale Frage bleibt darin weitestgehend unbeantwortet. Ein zentraler Grund mag mitunter sein, dass multimodales Mobilitätsverhalten mit Blick auf spezifische Lebenslagen meist auf Basis von „Mittelstandsdatensätzen“ (z. B. MiD oder MOP) untersucht wird. Sozioökonomische Restriktionen zur Realisierung eines multimodalen Verhaltens bei marginalisierten Gruppen, einer sog. Urban Poor (Einkommensarmut, prekäres Beschäftigungsverhältnis, formal niedrige Bildung etc.), gehen darin in der Regel unter, weil sich hinter der Ausübung monomodaler Verhaltensweisen einer breiten wohlhabenden Mittelschicht vielfältige andere Gründe verbergen, etwa die bis heute anhaltende „Liebe zum Automobil“ [5]. Unter Berücksichtigung der Forschung zu einer Transport Poverty (Mobilitätsarmut), die den mangelnden Zugang zu spezifischen Verkehrsmitteln bei dieser Urban Poor problematisiert [6, 7], lässt sich jedoch vermuten, dass sich die Gesellschaft hinsichtlich der (potentiellen) Ausübung eines multimodalen Verhaltens auch entlang von sozioökonomischen Faktoren wie Einkommen, formaler Bildung etc. (in mehr oder weniger große Teile) spaltet. Hier könnte die fortschreitende Entwicklung multimodaler Verkehrssysteme auf „Nutzen-statt-Besitzen-Basis“ eine wichtige soziale Rolle einnehmen, um Multioptionalität für Alle zu gewährleisten. Allerdings läuft auch hier der Enthusiasmus gegenüber der Substitution des ursprünglichen Verkehrsmittelbesitzes durch ein Smartphone (unersetzbar zur app- und onlinebasierten Ortung verfügbarer Leihfahrzeuge, Ausleih- und Rückgabestationen oder Abfahrzeiten sowie den konkreten Ausleihvorgängen) Gefahr, eine neue soziale Ungleichverteilung zu übersehen. Die Spaltung der Gesellschaft in „Onliner/ innen“ und „Offliner/ innen“ bzw. „Besitzer/ innen“ und „Nicht-Besitzer/ innen“ entlang sozioökonomischer Faktoren wird in der Literatur auch als Digital Divide problematisiert [8]. Dieser Digital Divide ließe sich gleichermaßen als Multimodal Divide interpretieren, wenn durch die neuen multimodalen Verkehrssysteme keine neuen Verkehrsmitteloptionen entstünden, weil das Smartphone als Zugangsmedium fehlt. Die Auseinandersetzung mit Verkehrsmitteloptionen im Multimodalitätsdiskurs ist recht jung. Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden zunächst das Konzept der Multioptionalität als individuelle Voraussetzung für multimodales Verhalten erläutert. Im Anschluss daran wird die These des Multimodal Divides am Fallbeispiel der Stadt Offenbach a. M. untersucht. Dafür werden Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 67 Wissenschaft MOBILITÄT • materielle Verkehrsmitteloptionen in einen Zusammenhang mit sozioökonomischen Faktoren gestellt, • dem korrespondierenden Mobilitätsverhalten gegenübergestellt und • um die Verteilung des Smartphone-Besitzes ergänzt. Konzept: Multioptionalität als individuelle Voraussetzung für multimodales Verhalten Multimodalität ist ein bereits etablierter Begriff, um neben der Beschreibung von Verkehrssystemen oder verkehrspolitischen Strategien das Mobilitätsverhalten von Personen zu charakterisieren [9]. Im Fachdiskurs wird unter Multimodalität die Nutzung von mehr als einem Verkehrsmittel für unterschiedliche Wege innerhalb eines spezifischen Zeitraumes (häufig die 7-Tage-Woche als kulturelle Zeiteinheit für zyklische Wiederholungen von Aktivitäten) verstanden. Diesbezüglich kann begrifflich auch nach der Anzahl genutzter Verkehrsmittel differenziert werden, z. B. Bimodalität als Variation von ausschließlich zwei Verkehrsmitteln, Trimodalität als Variation von drei Verkehrsmitteln, usw. Intermodalität beschreibt die Verkettung von Verkehrsmitteln auf einem Weg und wird als Teilkategorie der Multimodalität verstanden. Als Antonym existiert Monomodalität, worunter die exklusive Nutzung ausschließlich eines Verkehrsmittels für alle Wege verstanden wird, wobei insbesondere die monomodale Nutzung des Autos für alle Wege problematisiert wird. Holzschnittartig lassen sich im Querschnitt der Ergebnisse monomodale Autofahrer/ innen und multimodale Verkehrsteilnehmer/ innen wie folgt voneinander abgrenzen: • Monomodale Autofahrer/ innen sind in der Tendenz berufstätige Männer mittleren Alters [10, 11], die eine hohe PKW-Verfügbarkeit aufweisen [11, 12] und sich mit ihren Familien im Eigenheim [13] am Stadtrand oder im ländlichen Raum verorten lassen [11, 13, 14]. • Multimodale Verkehrsteilnehmer/ innen sind in der Tendenz junge Erwachsene [15] die sich in Studium und Ausbildung befinden [15], folglich ein eher niedriges Einkommen aufweisen [10, 15] und von den nahräumlichen Erreichbarkeitsstrukturen an ihren dichten und nutzungsdurchmischten Wohnstandorten [16] in der Großstadt [14] mit einem guten ÖPNV-Netz profitieren [17]. Multioptionalität bezeichnet nun individuelle Handlungsbedingungen für multimodales Verhalten. Der Multioptionalitätsbegriff ist folglich stärker vom Subjekt her gedacht und beschreibt aus Perspektive einer Verkehrsmittel nutzenden Person verschiedene Optionen, wie Bedürfnisse rund um Mobilität erfüllt werden können [18]. Handlungstheoretisch lässt sich mit dem Soziologen Reinhard Kreckel [19, 20] auf eine Mehrdimensionalität beim Optionsbegriff für individuelles Mobilitätshandeln verweisen: erstens eine materielle Dimension, die das individuelle Portfolio an verfügbaren Verkehrsmitteln umfasst, zweitens eine mentale (symbolische) Dimension, wonach sich Mobilitätshandeln etwa an individuellen Normen, Einstellungen und Wertehaltungen gegenüber Verkehrsmitteln orientiert. Beide Dimensionen können mit Blick auf die Vielfalt von Studien zu Verkehrsmittelverfügbarkeiten einerseits [21] und Einstellungen bzw. Wertehaltungen gegenüber Verkehrsmitteln andererseits [22] als hochgradig verhaltensrelevant angenommen werden. Wenn sich jetzt also Alle multimodal verhalten sollen, dann setzt dies Multioptionalität beim Menschen voraus, wobei also zwischen materieller Multioptionalität, d. h. dem materiellen Zugriff auf mehr als ein Verkehrsmittel, und mentaler Multioptionalität, d. h. der mentalen Offenheit gegenüber der Nutzung von mehr als einem Verkehrsmittel, differenziert werden kann (Bild 1). In Analogie zum Verhalten stehen materielle und mentale Multioptionalität einer materiellen Monooptionalität, d. h. der Zugang zu nur einer Verkehrsmitteloption, sowie mentaler Monooptionalität, d. h. der mentalen Offenheit gegenüber der Nutzung nur eines Verkehrsmittels, gegenüber. Die eingangs formulierte These eines Multimodal Divides- soll im Nachfolgenden unter Berücksichtigung ausschließlich materieller Optionen untersucht werden. Die Datengrundlage stammt aus einer repräsentativen Haushaltsbefragung in der Stadt Offenbach a. M. (rd. 115 000 Einwohner), die in Kooperation mit der sozialwissenschaftlichen und ökologischen Begleitforschung Elektromobilität der Modellregion Elektromobilität Rhein-Main im Jahr 2013 durchgeführt wurde und bei der insgesamt 620 Personen im führerscheinfähigen Alter via Random-Route-Ansatz befragt werden konnten [23]. Die Auswertungen zeigen nachfolgend drei verdichtende Hinweise auf eine Spaltung der Gesellschaft hinsichtlich der (potentiellen) Ausübung von multimodalen Verhalten entlang von sozioökonomischen Faktoren. Es gibt ein soziales Ungleichgewicht materieller Verkehrsmitteloptionen Die Datenauswertungen zeigen: Nicht jeder hat die gleichen materiellen Voraussetzungen, sich multimodal verhalten zu können (Bild 2). Unter Berücksichtigung der (materiellen) Verkehrsmitteloptionen Auto, ÖPNV und Fahrrad lässt sich zwar eine starke Tendenz hin zur Multioptionalität feststellen, also der potentiellen Nutzung von mehr als einem Verkehrsmittel (rd. 71 %). Allerdings ist ein nicht unbeachtlicher Anteil der Befragten monooptional oder gar nonoptional, kann also theoretisch auf nur ein (bzw. kein) Verkehrsmittel uneingeschränkt zurückgreifen (29 %). Auch ist der Zugriff auf alle drei Verkehrsmittel (Trioptionalität) nur einer kleinen Gruppe vorbehalten (rd. 11 %). Unter Berücksichtigung der sozioökonomischen Faktoren verdichtet sich die These eines Multimodal Divides. Bild 1: Materielle und mentale Multioptionalität als Voraussetzung für multimodales Verhalten Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 68 MOBILITÄT Wissenschaft So existiert ein signifikanter Zusammenhang mit Monooptionalität und stereotypischen Merkmalen der sog. Urban Poor: formal niedriger Bildungsstand und Einkommensarmut gemäß der Definition der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder [24], häufig junge Erwachsene oder Senioren. Umgekehrt stehen die Einkommens- und Bildungseliten im jungen und mittleren Erwachsenenalter (mit weniger Ausnahmen) häufiger in einem positiven Zusammenhang mit materieller Multioptionalität. Unter den privilegierten „einkommensarmen Ausnahmen“ materiell Multioptionaler (etwa Bioptionalität ÖPNV und Fahrrad) finden sich vor allem Studierende, die etwa über einen preisgünstigen Solidarbeitrag vom exklusiven Studierendenprogramm des Semestertickets profitieren; ein Angebot, zu dem die Marginalisierten keinen Zugang haben. Materieller Monooptionalität folgt monomodales Verhalten Die Einschränkung von (materiellen) Verkehrsmitteloptionen korrespondiert weitestgehend mit der Nutzung von ausschließlich einem Verkehrsmittel. Umgekehrt münden aber mehrere Verkehrsmitteloptionen nicht zwangsläufig auch in multimodales Verhalten. Bild 3 zeigt: Je mehr Verkehrsmittel uneingeschränkt zur Verfügung stehen, desto weniger werden tatsächlich genutzt. So tendieren Personen mit einer materiellen Monooptionalität noch stark zu monomodalen Verhaltensweisen (71 %) und können nur selten auch auf weitere Verkehrsmittel zurückgreifen (denkbar als Mitfahrer/ in oder über Leihe). Personen, die auf zwei Verkehrsmitteloptionen zurückgreifen können (Materielle Bioptionalität), nutzen bereits schon seltener auch beide Verkehrsmittel. Sie verhalten sich sogar zu rd. 34 % monomodal. Und nur rund 38 %, die drei Verkehrsmitteloptionen haben, nutzen tatsächlich auch alle drei Verkehrsmittel. Das bedeutet: Wenn sich ein Großteil der Einkommens- und Bildungselite mit einem üppigen Portfolio an Verkehrsmitteloptionen monomodal verhält, kommt eine Urban Poor, die sich auch monomodal verhält, bei der reinen Verhaltensabbildung innerhalb der monomodalen Gruppierungen weniger stark zur Geltung. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Berücksichtigung der Verteilung von (materiellen) Verkehrsmitteloptionen als hilfreicher Indikator dar, um monomodales Verhalten aus sozioökonomischen Zwängen heraus problematisieren zu können. Multimodal divide Nun besteht Hoffnung, den Mangel an (materiellen) Verkehrsmitteloptionen bei den marginalisierten Gruppen zu beseitigen, indem der Zwang zum teuren Besitz einzelner Verkehrsmittel durch den Aufbau eines multimodalen Verkehrssystems und durch die Verbreitung von Sharing-Konzepten substituiert wird. Entsprechend ist zu erwarten, dass das Smartphone als Zugangsmedium eine zentrale Stellung einnehmen wird und eine Multioptionalität für Alle gewährleistet. Die Gegenüberstellung von Verkehrsmitteloptionen mit einem Smartphone-Besitz macht jedoch zwei Problemfelder deutlich (Bild 4): Zunächst spiegelt sich im Datensatz ein anfangs angesprochener Digital Divide: eine Spaltung der Gesellschaft in Besitz und Nicht-Besitz der relevanten Informations- und Kommunikationstechnologie [8]. Zweitens besitzen vor allem jene Personen mit einer materiellen Monooptionalität deutlich häufiger kein Smartphone (66 %) als jene Personen mit einer materiellen Multioptionalität. Hier korreliert der Digital Divide mit einem Multimodal Divide. Zwar ließe sich argumentieren, dass die Demokratisierung des Smartphones einem evolutionären Prozess unterläge. Bis dato stellen sich jedoch Zugang und Nutzung des Smartphones ökonomisch voraussetzungsreich dar. So- ist die Finanzierung von Smartphone-Verträgen und-den notwendigen Features zur Nutzung innovativer Mobilitätsangebote (z. B. mobiles Internet mit ausreichendem Datenvolumen, Speicherplatz für die Smartphone-Applikationen etc.) mit hohen Kosten verbunden [25]. Bild 2: Häufigkeitsverteilung materieller Verkehrsmitteloptionen und überdurchschnittlich ermittelte sozioökonomische Merkmale Bild 3: Relation materieller Verkehrsmitteloptionen und Mobilitätsverhalten Bild 4: Relation materielle Verkehrsmitteloptionen und Smartphone-Besitz Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 69 Wissenschaft MOBILITÄT Schluss: Wo bleibt die soziale Nachhaltigkeit? Multimodalität hat sich in den vergangenen Jahren zum Dogma eines nachhaltigen und dem Auto alternativen Verkehrssystems entwickelt. Nicht ganz unproblematisch ist jedoch, dass Multimodalität über eine rein ökologische Perspektive das Etikett „nachhaltig“ erhält: Multimodales Verhalten gilt als „nachhaltig“, weil das ökologisch problematisierte Auto in multimodalen Verhaltensweisen i. d. R. seltener genutzt wird als bei der exklusiven Autonutzung. Positiv wird daher auch die Marktdiversifizierung durch neue Start-Ups in einer Sharing Economy gewertet, die den potentiellen Weg für ein ökonomisch nachhaltiges multimodales Verkehrssystem ebnen, in dem das Auto (als Leihauto) nur noch als sporadische Option fungieren soll. Eine soziale Nachhaltigkeit, wie sie etwa in dem Drei- Säulen-Modell der Nachhaltigkeit (Ökologie, Ökonomie, Soziales) propagiert wird, scheint dem Multimodalitätskonzept jedoch mit Blick auf die dem Beitrag zugrundeliegenden Forschungsergebnisse nicht inhärent. Im Gegenteil: Vielmehr existiert ein soziales Ungleichgewicht bei materiellen Verkehrsmitteloptionen, das die Gesellschaft hinsichtlich der (potentiellen) Ausübung eines multimodalen Verhaltens aus sozioökonomischen Gründen spaltet. Dieser hier als Multimodal Divide problematisierte Sachverhalt identifiziert vor allem eine marginalisierte Urban Poor (einkommensarm, formal niedrige Bildung, etc.) als Objekte der Ausgrenzung multimodaler Verhaltensweisen: Diese verfügt seltener über mehr als eine Verkehrsmitteloption. Sie verfügt auch seltener über ein Smartphone, ohne das jedoch der uneingeschränkte Zugang zu innovativen Mobilitätsdienstleistungen (wie dem Free-floating-Carsharing oder Fahrradverleihsystemen) und damit multimodalen Verkehrssystemen mit Verkehrsmitteln „on demand“ bis dato kaum denkbar ist. Im Resultat verbleibt das Bild stabiler Ungleichgewichte: Das bestehende soziale Ungleichgewicht wird im Gewand der verkehrssystemischen Veränderung reproduziert. ■ liTERATuR [1] Sommer, C. und E. Mucha (2014): Integrierte multimodale Mobilitätsdienstleistungen. In: Proff, H. (Hrsg.): Radikale Innovationen in der Mobilität. Wiesbaden (Springer Fachmedien Wiesbaden): 499-514 [2] Lanzendorf, M. und A. Busch-Geertsema (2014): The cycling boom in large German cities—Empirical evidence for successful cycling campaigns. In: Transport Policy 36: 26-33 [3] Kuhnimhof, T., R. Buehler, M. Wirtz und D. Kalinowska (2012): Travel trends among young adults in Germany: increasing multimodality and declining car use for men. In: Journal of Transport Geography 24: 443-450 [4] Bratzel, S. (2014): Die junge Generation und das Automobil - Neue Kundenanforderungen an das Auto der Zukunft? In: Ebel, B. und M. B. Hofer (Hrsg.): Automotive Management. Berlin, Heidelberg (Springer Berlin Heidelberg): 93-108 [5] Sachs, W., 1984: Die Liebe zum Automobil. Ein Rückblick in die Geschichte unserer Wünsche. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt [6] Daubitz, S. (2014): Mobilitätsarmut: Die Bedeutung der sozialen Frage im Forschungs- und Politikfeld Verkehr. In: Canzler, W., A. Knie und O. Schwedes (Hrsg.): Handbuch Verkehrspolitik. Wiesbaden (Springer Fachmedien Wiesbaden): 1-13 [7] Currie, G. und A. Delbosc (2011): Transport disadvantage: a review. In: Currie, G. (Hrsg.): New perspectives and methods in transport and social exclusion research. Bingley [England] (Emerald Group Pub.): 15-25 [8] Zillien, N. & M. Haufs-Brusberg (2014): Wissenskluft und Digital Divide. Baden-Baden: Nomos [9] Beckmann, K., B. Chlond, T. Kuhnimhof, S. von der Ruhren und D. Zumkeller (2006): Multimodale Verkehrsmittelnutzer im Alltagsverkehr. Zukunftsperspektive für den ÖV? In: Internationales Verkehrswesen (58) 4/ 2006 [10] Nobis, C. (2007): Multimodality: Facets and Causes of Sustainable Mobility Behavior. In: Transportation Research Record 2010 (1): 35-44 [11] Vij, A., A. Carrel und J. Walker (2011): Capturing Modality Styles Using Behavioral Mixture Models and Longitudinal Data. Leeds [12] Buehler, R. und A. Hamre (2014): The multimodal majority? Driving, walking, cycling, and public transportation use among American adults. In: Transportation: 1-21 [13] Heinen, E. und K. Chatterjee (2015): The same mode again? An exploration of mode choice variability in Great Britain using the National Travel Survey. Transportation Research Part A: Policy and Practice 78: 266-282 [14] Diana, M. (2011): Measuring the satisfaction of multimodal travelers for local transit services in different urban contexts. Transportation Research Part A: Policy and Practice 46 (1): 1-11 [15] Kuhnimhof, T., R. Buehler und J. Dargay (2011): A New Generation. Transportation Research Record: Journal of the Transportation Research Board 2230: 58-67 [16] Kuhnimhof, T., B. Chlond und P.-C. Huang (2010): Multimodal Travel Choices of Bicyclists. Multiday Data Analysis of Bicycle Use in Germany. Transportation Research Record: Journal of the Transportation Research Board 2190: 19-27 [17] Kuhnimhof, T., B. Chlond und von der Ruhren, Stefan (2006): Users of Transport Modes and Multimodal Travel Behavior Steps Toward Understanding Travelers‘ Options and Choices. In: Transportation Research Record 1985 (1): 40-48 [18] Deffner, J., T. Hefter und K. Götz (2014): Multioptionalität auf dem Vormarsch? Veränderte Mobilitätswünsche und technische Innovationen als neue Potenziale für einen multimodalen Öffentlichen Verkehr. In: Schwedes, O. (Hrsg.): Öffentliche Mobilität. Perspektiven für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung. Wiesbaden (Springer Fachmedien Wiesbaden): 201-227 [19] Kreckel, R. (2004): Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit. Theorie und Gesellschaft Bd. 25. Frankfurt am Main (Campus) [20] Kreckel, R. (1976): Soziologisches Denken. Eine kritische Einführung. Uni-Taschenbücher 574. Opladen (Leske + Budrich) [21] Scott, D. M. & K.W. Axhausen (2006): Household Mobility Tool Ownership: Modeling Interactions between Cars and Season Tickets. In: Transportation 33: 311-328 [22] Hinkeldein, D., R. Schoenduwe, A. Graff und C. Hoffmann (2015): Who Would Use Integrated Sustainable Mobility Services - And Why? In: Attard, M. und Y. Shiftan (Hrsg.): Sustainable Urban Transport. Transport and Sustainability (Emerald Group Publishing Limited): 177-203 [23] Schäfer, P.K. et al. (2016): Elektromobilität als Motor für Verhaltensänderung und neue Mobilität. Abschlussbericht des Gesamtvorhabens „Sozialwissenschaftliche und ökologische Begleitforschung in der Modellregion Elektromobilität Rhein-Main“. Arbeitspapiere zur Mobilitätsforschung Nr. 8. Frankfurt. a.M. [24] Statistische Ämter des Bundes und der Länder (2015): Armut und soziale Ausgrenzung. http: / / www.amtliche-sozialberichterstattung.de/ A1armutsgefaehrdungsquoten.html (10.10.2015) [25] Groth, S., (2016): Nach dem Auto Multimodalität? Problematisierung eines neuen Paradigmas. In: Transforming Cities (1) 1/ 2016 Sören Groth, M.Sc. Arbeitsgruppe Mobilitätsforschung, Institut für Humangeographie, Goethe-Universität Frankfurt a. Main soeren.groth@geo.uni-frankfurt.de