Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0026
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Digitalisierung für mehr Sicherheit
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Edwin Beerentemfel
Der gezielte Einsatz spezieller Video-Analysefunktionen wird stark anwachsen – das ist einer der aktuellen Sicherheitstrends im Öffentlichen Personenverkehr. Der Beitrag zeigt im Überblick, was hinter den Entwicklungen steht und welche Herausforderungen sie mit sich bringen.
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Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 78 TECHNOLOGIE Video-Analyse Digitalisierung für mehr Sicherheit Spezialisierte Kamerasysteme im Öffentlichen Personenverkehr Digitalisierung, Überwachungssystem, Standardisierung, Netzwerk-Kamera Der gezielte Einsatz spezieller Video-Analysefunktionen wird stark anwachsen - das ist einer der aktuellen Sicherheitstrends im Öffentlichen Personenverkehr. Der Beitrag zeigt im Überblick, was hinter den Entwicklungen steht und welche Herausforderungen sie mit sich bringen. Autor: Edwin Beerentemfel K amerasysteme spielen eine wichtige Rolle im Sicherheitskonzept und werden zunehmend eingesetzt. Sie überwachen meist Orte mit hohem Passagieraufkommen, etwa die öffentlich zugänglichen Bereiche in Bahnhöfen und auf den Bahnsteigen. Weitere Zonen, in denen eine Videoüberwachung sinnvoll ist, sind Ticket- und Infoschalter, Rolltreppen und Aufzüge. In nicht-öffentlichen Bereichen (Personaleingänge, Tunneleingänge, etc.) werden ebenfalls Kameras eingesetzt, allerdings deutlich weniger. Momentan sind nur 10 bis 20 % der deutschen U-Bahnhöfe mit Netzwerk-Kameras ausgestattet. Die Migration von analogen zu digitalen Kameras ist hier noch in vollem Gange. 2016 werden die Netzwerke stark vergrößert, Bahnhöfe haben hier besonders hohen Aufholbedarf. Laut der aktuellen UITP Studie 1 wollen fast drei Viertel der europäischen Verkehrsbetriebe in den kommenden Monaten in ihr Überwachungssystem investieren - davon wiederum 85 % in Netzwerk-Kameras. Das zeigt eine klare Präferenz für IP-Kamerasysteme - dennoch haben analoge Kameras noch einen großen Anteil im öffentlichen Verkehr. 2016 lassen sich vier große Trends im öffentlichen Nah- und Fernverkehr identifizieren, die aus der zunehmenden Digitalisierung folgen. Diese ist nun auch im Personenverkehr angekommen und wird sich in großen Schritten in allen Bereichen ausdehnen. Dazu gehören zum einen die Kameras selbst: Analoge werden durch IP-Kameras ersetzt. Außerdem halten sie Einzug in die IT-Abteilungen, wo sie nun in die Infrastruktur integriert werden, um auch deren Sicherheit vor Angriffen zu gewährleisten. Polizei und andere Behörden werden vermehrt gemeinsam auf das Videomaterial zugreifen und die Nutzung von Video-Analysefunktionen wird stark wachsen. Die Trends im Detail, welche Hintergründe hinter den Entwicklungen stehen und welche Herausforderungen sie mit sich bringen, werden im Folgenden erläutert. Trend 1: Umfassender Einsatz von Kameras Der Einsatz von IP-Kameras wird sich deutlich erhöhen, da für auswertbare Bilder HDTV-Qualität erforderlich ist. Nur so können die Bilder auch genutzt und im Detail analysiert werden. Die meisten Betreiber verfolgen beim Austausch einen Schritt-für- Schritt-Ansatz. Dabei müssen nicht sofort alle analogen Kameras ersetzt, sondern die analogen Systeme durch Nutzung von Encodern für Netzwerke umgerüstet werden. Öffentliche Verkehrsbetriebe setzen Kameras in drei Bereichen ein: • Zum einen finden sie in der mobilen Überwachung Verwendung, d.h. an Bord der Züge. Die Kameras nehmen das Geschehen nur auf, übertragen es allerdings nicht in Echtzeit an die Sicherheitszentrale. Wer Zugriff auf die Videos benötigt, muss sich selbst im Zug befinden oder darauf warten, dass der Zug in einem Bahnhof hält. Dieser Bereich ist bereits sehr gut in die Überwachungsnetzwerke integriert und stellt daher keinen Fokus in 2016 dar. • Zum anderen werden Depots und Bahnübergänge mit Kameras gesichert. In Europa werden hauptsächlich Depots überwacht, wo die Züge gewartet und gereinigt werden. Dabei spielt die Perimeter-Überwachung (zum Beispiel Überwachung von Zäunen) eine große Rolle, um festzustellen, ob Graffiti- Sprayer auf das Gelände gelangen. In Schwellenländern, wie in Asien, werden vor allem Bahnübergänge gesichert. • Die Überwachung im dritten Bereich, den Bahnhöfen, wird in 2016 deutlich zunehmen. Der Trend geht hin zu großen Netzwerken mit einer hohen Anzahl an Kameras, die Bahnhöfe großflächig abdecken. Große deutsche Städte haben bis zu 200 Bahnhöfe, die zusammen ein Kamera-Netzwerk bilden. Ein solches umfasst in der Regel zwischen ein paar tausend bis zu 10 000 Kameras. Allein ein- großer Hauptbahnhof hat mehr als 200- Kameras, eine U-Bahn-Station ungefähr 50. Trend 2: SNMP - Nutzung standardisierter gemeinsamer Plattformen IT-Abteilungen werden in 2016 immer häufiger die Verwendung von Standard-Plattformen fordern, um auch Netzwerk-Kameras in ihre IT-Infrastruktur zu integrieren. Nur so können sie wirkungsvoll für die Sicherheit des Netzwerks sorgen. Analoge Kameras lagen bisher nicht in der Verantwortung der IT-Abteilungen. Netzwerk-Kameras, die großflächig eingesetzt werden, müssen aber auf der einen Seite professionell gemanagt werden und auf der anderen Seite die internen Sicherheitsvorgaben erfüllen. Hier setzt das Simple Network Management Protocol (kurz SNMP) an, das sich zu einem Standard entwickelt hat, den die meisten Managementprogramme unterstützen. Es ermöglicht grundsätzlich die Internationales Verkehrswesen (68) 1 | 2016 79 Video-Analyse TECHNOLOGIE Überwachung und Steuerung verschiedener Netzwerkelemente (z. B. Router, Drucker, Kameras, usw.) von einer zentralen Station aus. Zu den Aufgaben des Netzwerkmanagements zählen die Überwachung von Netzwerkkomponenten, deren Fernsteuerung und Fernkonfiguration sowie Fehlererkennung und Fehlerbenachrichtigung. Somit vereinfacht SNMP auch das Management verschiedener Kameras in großen Netzwerken, das zum Beispiel das Backup oder Wiederherstellungen umfasst sowie die Neu-Einrichtung, wenn Kameras ausgetauscht werden müssen. Zudem können mit SNMP auch andere Anwendungen, wie etwa die Echtzeit-Überwachung, umgesetzt werden. Das eröffnet gleichzeitig neue Möglichkeiten insbesondere für Umgebungen mit hoher Sicherheitsstufe: Kameras erhalten nur Zugriff auf das Netzwerk, wenn sie sich selbst vorher authentifizieren. So wird auch das oft angebrachte Argument widerlegt, Netzwerk-Kameras seien nicht sicher: In der Videoüberwachung wird die IT-Sicherheit immer häufiger direkt in die Kameras eingebettet - mit allen gängigen IT-Sicherheitsfunktionen, wie zum Beispiel Verschlüsselung. Auf diesem Weg werden die Kameras ebenso gesichert wie andere IT-Komponenten. Trend 3: Echtzeitzugriff auf vernetzte Kameras Sicherheitsrelevante Vorfälle ereignen sich meist nicht nur an einem Ort, sondern an mehreren - zum Beispiel dann, wenn ein Täter aus einem Laden über die Fußgängerzone in die U-Bahn flüchtet. Immer öfter haben daher verschiedene Einsatzkräfte wie Polizei, Feuerwehr und örtliche Behörden in Echtzeit Zugriff auf alle Videobilder und können sich auf diese Weise sofort einen Überblick der Situation verschaffen. Die einzelnen Kameras liefern Bilder der verschiedenen Orte des Geschehens und unterschiedliche Blickwinkel, die Vernetzung der Kameras bietet wiederum ein Gesamtbild. Auf dieser Basis können Sicherheitsdienste und Behörden (wie Ende 2015 in Brüssel) Situationen schnell umfassend bewerten. Strategisch kritische Entscheidungen über das weitere Vorgehen können nur anhand einer Gesamtübersicht der aktuellen Lage gefällt werden. Trend 4: Internet of Things - Analysetools Hochleistungs-Prozessoren, große Fortschritte in der Bildqualität und intelligente Software-Algorithmen haben den Weg für Video-Analysefunktionen geebnet. 2016 werden diese Zusatzfunktionen häufiger genutzt und neuartige Video-Analyse angewendet. Videoüberwachung wird häufiger funktionsübergreifend eingesetzt, da sie neben sicherheitsrelevanten auch wichtige Daten für den operationellen Betrieb liefert. Der Trend wird nun dahin gehen, dass Kameras nicht nur als reine Überwachungskameras operieren, sondern auch als Sensoren eingesetzt werden. Das können zum Beispiel Rauch- und Feuermelder sein. Oder sie können zur Überwachung der Kapazitätsauslastung zum Beispiel angeben, wie viele Leute sich auf einem Bahnsteig befinden. Übersteigt der Wert eine gewisse Grenze werden die Mitarbeiter alarmiert. Sie können dann geeignete Maßnahmen ergreifen, Notausgänge öffnen oder auf andere Weise helfen, Panik und Unfälle zu vermeiden. Mit Hilfe von Mikrofonen identifizieren die Kamerassysteme aggressives Verhalten. Dabei unterscheiden sie zwischen verschiedenen Ausrufen wie lautem Grüßen und wütendem Schreien. Die Kameras können auch als Frühwarn- Rauchmelder 2 in Tunnelröhren fungieren. Herkömmliche Rauchmelder sind normalerweise an der Decke befestigt und benötigen viel Zeit bis sie Alarm geben, da der Rauch erst bis zur Decke aufsteigen muss. Kameras können Rauch viel früher identifizieren. Je schneller er entdeckt wird, desto weniger Schaden kann entstehen. Analysetools helfen Schaden und Ausfallzeiten der Züge abzuwenden, was Zeit und Geld spart. Sie tragen zur Steigerung des Umsatzes bei, indem sie erkennen, wenn Personen Ticketschranken überspringen. In den Niederlanden werden die Türen von Tramwaggons überwacht und Gesichtscharakteristiken mit einer Datenbank bekannter Schwarzfahrer abgeglichen. Bei einer Übereinstimmung wird der Fahrer benachrichtigt. Über 50 % der öffentlichen Verkehrsbetriebe in Europa wollen in Zukunft solche Funktionen in ihr Überwachungssystem integrieren. Fazit Insgesamt zeigt sich eine klare Tendenz hin zu Netzwerk-Kameras bei zukünftigen Investitionen. Auch die Echtzeitauswertung der Analyse ist im öffentlichen Verkehrsbereich im Kommen. Sie hilft den Sicherheitskräften, kritische Vorfälle schneller zu erkennen, da sie konkrete Hinweise erhalten, statt hunderte von Kamera-Live-Feeds beobachten zu müssen. Trotz des Trends zur Echtzeit-Überwachung mithilfe von Netzwerk-Lösungen bleibt aufgenommenes Material sehr hilfreich und wird auch in Zukunft genutzt. Die Cloud - die in vielen Bereichen der Trend schlechthin für 2016 ist - hat dagegen noch keine große Bedeutung für das öffentliche Verkehrswesen, da sie nicht viele Vorteile für die Branche mit sich bringt. Videomaterial muss nicht lange gespeichert werden, sondern schnell verfügbar sein. Auf lange Sicht werden aber einige Prozesse in die Cloud wandern. Dazu gehört die Datenverarbeitung der Analysefunktionen, denn diese benötigt eine hohe Rechenleistung. ■ 1 Durchgeführt von der Organisation UITP, dem Internationalen Verband für öffentliches Verkehrswesen, zusammen mit Axis Communications 2 Video unter https: / / www.youtube.com/ watch? v=CazpoD9XyBk Edwin Beerentemfel Manager Business Development, Middle Europe, Axis Communications, Rotterdam/ München info-de@axis.com Vernetzte Analysetools erkennen notorische Schwarzfahrer direkt beim Einsteigen. Quelle: Axis Communications
