Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0030
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Piraten in Südost-Asien
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Dirk Ruppik
Südostasien hat den Spitzenplatz der terror- und pirateriegefährdeten Plätze auf der Welt wiedererlangt. Zudem ist die Region zu einem Schlüsselgebiet für Rekrutierungen durch ISIS geworden – viele radikale islamische Gruppen bekennen sich zum so genannten Islamischen Staat. Die Gefahr von Anschlägen vor Ort in Südostasien wächst. Neuralgische Punkte wie die Straße von Malakka könnten zum Ziel werden. Dies würde einen Super-Gau für die Energieversorgung durch Öl und für die Weltwirtschaft darstellen.
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POLITIK Sicherheit Internationales Verkehrswesen (68) 2 | 2016 10 Piraten in Südost-Asien Die Terrorgefahr für die Straße von Malakka nimmt zu,-radikale islamische Gruppen bekennen sich zum „Islamischen Staat“ Kriminalität auf See, Islamischer Staat, Seeverkehr, Energieversorgung Südostasien hat den Spitzenplatz der terror- und pirateriegefährdeten Plätze auf der Welt wiedererlangt. Zudem ist die Region zu einem Schlüsselgebiet für Rekrutierungen durch ISIS geworden - viele radikale islamische Gruppen bekennen sich zum so genannten Islamischen Staat. Die Gefahr von Anschlägen vor Ort in Südostasien wächst. Neuralgische Punkte wie die Straße von Malakka könnten zum Ziel werden. Dies würde einen Super-Gau für die Energieversorgung durch Öl und für die Weltwirtschaft darstellen. Autor: Dirk Ruppik D ie Terrorgefahr für die südostasiatische Seeschifffahrt steigt. Laut International Maritime Bureau (IMB), einer spezialisierten Abteilung für Kriminalität auf See der Internationalen Handelskammer (International Chamber Of Commerce, ICC) mit Sitz in London, steht Südostasien auf dem Spitzenplatz der terror- und pirateriegefährdeten Regionen auf der Welt. Im dritten Quartalsbericht (bis 30. September) ereigneten sich 73 % (in Zahlen: 139) von insgesamt weltweit 190 Piraterievorfällen und bewaffneten Überfällen allein in Südostasien. Die meisten Überfälle zählte man in Indonesien (86). Danach folgen Vietnam (19), Malaysia (11), die Straße von Singapur (9), Philippinen (8), die Straße von Malakka (5) und Thailand (1). Außerhalb Südostasiens führen Nigeria (12) und Bangladesch (11). Bei 154 der 190 Überfälle kamen die Angreifer an Bord. Dies entspricht seit 2010 (128) der größten Anzahl (Bild 1). Bei den meisten Schiffen handelt es sich um Schüttgutschiffe (65) und Tanker für chemische Produkte (51) und Öl (15). 22 waren Containerschiffe unterschiedlicher Flaggen (Bild 2). Nach neuesten Medienberichten werden sich die marinen Kriegsflotten der Association of Southeast Asian Nations (ASEAN)-Mitgliedsstaaten zusammenschließen, um gemeinsam die Piraterie in der Malakkastraße zu bekämpfen (Bild 3). Die Wirksamkeit dieser Maßnahme muss allerdings noch bewiesen werden. In der Region Somalia und Golf von Aden haben sich aufgrund des Einsatzes der Marine und privaten bewaffneten Sicherheitspersonals kaum noch Überfälle ereignet. Trotzdem warnt das Piracy Reporting Centre des IMB, dass ein einziger erfolgreicher Überfall andere Piraten zu neuen Angriffen motivieren wird. Aufstrebende radikale Gruppen und ISIS/ daesch in Südostasien Der „Islamische Staat“ im Irak und in Syrien (ISIS), auch unter dem transkribierten arabischen Akronym Daesch bekannt, hat laut Bloomberg seine Rekrutierungen in Südostasien so ausgeweitet, dass bereits eine ganze militärische Einheit (Malay Archipelago Combat Unit) durch Terroristen aus Indonesien, Malaysia und Singapur gebildet wird. „Südostasien ist eine Schlüsselregion für Rekrutierungen durch ISIS. Es sind bereits 500 Indonesier und Dutzende Malaien zur ISIS übergetreten“, sagte der Premierminister von Singapur, Lee Hsien Loong, schon im Mai letzten Jahres. „Die Behörden Singapurs haben kürzlich zwei Studenten - 17 und 19 Jahre alt - inhaftiert. Der ältere plante, Mitglieder der Regierung zu töten, falls er den Nahen Osten nicht erreichen würde. Wir nehmen die Gefahr durch Terrorismus und insbesondere ISIS sehr ernst. Die Bedrohung ist nicht mehr nur im Nahen Osten vorhanden, sondern sie ist bereits hier angekommen.“ Laut Lee hat die malaysische Polizei einige Personen festgenomen, die in Syrien der Gruppe beitreten wollten, darunter sogar Mitglieder der Armee. Einige planten Anschläge in Malaysia. „Zudem haben verschiedene dschihadistische Vereinigungen dem Islamischen Staat ihre Treue ausgesprochen - darunter die indonesische Jemaah Islamiyah unter Abu Bakar Bashir.“ Der Islamische Staat will in Südostasien eine Provinz gründen. Gemäß Lee sind dies grandiose Luftschlösser. Doch warnte er: „Es ist durchaus möglich, dass der Terrorstaat in einigen kontrollierten Regionen von Südostasien Fuß fasst und von dort aus Anschläge in den Gastländern plant.“ Laut Lee wird der Kampf gegen den islamischen Extremismus mehrere Jahrzehnte dauern. „Ich bezweifle, dass sich diese Geißel innerhalb der nächsten 50 Jahre komplett aufgelöst hat.“ Terroranschläge in Südostasien sind nicht neu - erinnert sei an die Bali-Attentate in 2002, bei denen mehr als 200 Menschen starben. Schon kurz nach dem 11. September wollte die Terrorgruppe Jemaah Islamiyah Diplomatenbüros in Singapur in die Luft sprengen. „Es ist allerdings Bild 1: Bewaffnete Überfälle auf See im Jahr 2015 Quelle: icc-ccs.org Internationales Verkehrswesen (68) 2 | 2016 11 Sicherheit POLITIK neu, dass die Terrorgruppen nun die schwarze Flagge des IS tragen - was ein gewaltiges Problem darstellt.“ Lee fügte an: „IS wird sich weiter ausweiten und weltweit Terror ausüben, falls die Anti-IS-Koalition nicht intensiver mit den südostasiatischen und anderen Ländern zusammenarbeitet.“ Und die Ausbreitung von ISIS im südostasiatischen Raum und die zunehmende Loyalität regionaler Terrorgruppen zum IS wirft die Frage auf, ob künftig nicht größere Terrorziele ins Visier genommen werden könnten. Die bedeutende Straße von Malakka würde eines dieser neuralgischen Ziele darstellen. Erhöhte Bedrohung der Straße von Malakka und des Welthandels Die Straße von Malakka zwischen Malaysia, Indonesien und Singapur bleibt ein besonders sensitiver Punkt in der Region (Bild 4). Der engste Durchgang ist mit 1,7 Meilen (2,7-km) Breite der sogenannte Phillips Kanal vor Singapur. Der bedeutende Schifffahrtsweg hat eine immense weltweite wirtschaftliche Bedeutung. Ein Drittel des globalen Handelsvolumens und die Hälfte des weltweit benötigten Öls passieren den Kanal jedes Jahr. Einen terroristischen Anschlag könnte man als Supergau für die Weltwirtschaft bezeichnen. Laut der amerikanischen Energy Information Administration (EIA) ist die Straße von Malakka der kürzeste Seeweg zwischen den Ölerzeugern im Persischen Golf und den asiatischen Märkten insbesondere in China, Japan, Südkorea und dem Pazifischen Raum. Sie ist ebenso der zweitgrößte Engpass für Öl in der Welt nach der Straße von Hormus und der bedeutendste im asiatischen Raum. Täglich werden rund 15 Mio. Barrel (2,4 Mrd. Liter) Öl und Ölerzeugnisse durch diesen Engpass transportiert. Der Anteil des Rohöls beträgt rund 90 %. Würde die Straße von Malakka z. B. durch einen Terroranschlag blockiert, wäre fast die Hälfte der globalen Tankerflotte nötig, um das Öl durch den Indonesischen Archipel wie z. B. die Straße von Lombok (zwischen den Inseln Bali und Lombok) oder die Sundastraße zwischen Java und Sumatra umzulenken. Die Umleitung würde gemäß EIA große Mengen von Schiffskapazität binden, die Transportkosten und somit die Ölpreise erhöhen. Um die Malakkastraße zu umgehen, investiert China z. B. stark in den Bau des Hafen Dawei in Myanmar und in eine Pipeline für Erdgas und -öl vom Hafen bis nach Yunnan in Südchina. Die Ölpipeline soll noch 2016 eröffnet werden. ■ WEITERE INfORMATIONEN Michael Stehr: Piraterie und Terror auf See. Nicht-Staatliche Gewalt auf den Weltmeeren 1990 bis 2004. Köster, Berlin 2004. Münchner Rück: Piraterie - Bedrohung auf See. Eine Risikoanalyse. Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, München 2006. Michael Schuman: How to Defeat Pirates: Success in the Strait. Time Magazine; http: / / content.time.com/ time/ world/ article/ 0,8599,1893032,00.html; abgerufen am 15.03.2016 Bundespolizei: Pirateriebericht 3. Quartal 2015; http: / / www.bundespolizei.de/ Web/ DE/ 01Sicher-auf-Reisen/ 03Mit-Schiff-Boot/ 02Piraterie-Praevention/ Informationen-der -Sicherheitsbehoerden/ pirateriebericht_file.html; abgerufen am 15.03.2016 Aktuelle Vorfälle: https: / / icc-ccs.org/ piracy-reporting-centre/ live -piracy-map dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Bild 3: Anti-Piraterie-Übung in der Straße von Malakka Foto: aseri.cou Bild 4: Lage der Straße von Malakka im Hauptschifffahrtsnetz Quelle: Maximilian Dörrbecker/ CIA World Factbook Bild 2: Flaggen, deren Schiffe zwischen Januar und September 2015 mehr als neun Mal von Piraterie betroffen waren Quelle: icc-ccs.org
