eJournals Internationales Verkehrswesen 68/2

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0044
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2016
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Seetransport von Öl als gefährlicher Ladung

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2016
Carsten Hilgenfeld
Chris Bünger
Mario Meyer
Bettina Kutschera
Die Liste bedeutender Ölunfälle beim Schiffstransport zeigt, dass die Beförderung von Öl und dessen Produkte ein hohes Risiko bedeutet. Deswegen soll die Eingruppierung dieser gefährlichen Ladung und die internationale Reglementierung des Handlings dieser Güter betrachtet werden. Die Entwicklung der Tankschiffflotte, die Aufteilung der aktuellen Schiffe in Betrieb nach Flaggenstaat und die Darstellung der Tankertrajektorien runden das aktuelle Gesamtbild ab.
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Internationales Verkehrswesen (68) 2 | 2016 72 TECHNOLOGIE Monitoring Seetransport von Öl als gefährlicher Ladung Tankschiffe, Schifffahrtswege, Transportrisiko, Schadensbegrenzung Die Liste bedeutender Ölunfälle beim Schiffstransport zeigt, dass die Beförderung von Öl und dessen Produkte ein hohes Risiko bedeutet. Deswegen soll die Eingruppierung dieser gefährlichen Ladung und die internationale Reglementierung des Handlings dieser Güter betrachtet werden. Die Entwicklung der Tankschiffflotte, die Aufteilung der aktuellen Schiffe in Betrieb nach Flaggenstaat und die Darstellung der Tankertrajektorien runden das aktuelle Gesamtbild ab. Autoren: Carsten Hilgenfeld, Chris Bünger, Mario Meyer, Bettina Kutschera I m Seetransport gelten Öl bzw. Ölprodukte als gefährliche Ladungsgüter, da gerade bei Unfällen die Auswirkungen meist verheerend sind. Als Sinnbild für das Transportrisiko gilt bis heute der Unfall der „Exxon Valdez“, die am 1989 vor Alaska auf Grund lief und leck schlug. Das Schiff hatte ein Nettoladefähigkeit von 213 855 DWT (Deadweight Tonnage), wovon bei dem Unfall 37 000 t Rohöl ausgetretenen sind. Die Folgen gelten als die wohl größte durch die Schifffahrt erzeugte Umweltkatastrophe, da dadurch über 2000 km Küstenlinie verschmutzt wurden. Ein weiterer schwerwiegender Unfall, der sich direkt in der Verschärfung von Vorschriften für Tankschiffe niederschlug, ist der Untergang der fast voll abgeladenen „MV Erika“ (37 283 DWT) im Jahr 1999. Infolge schlechten Wetters traten Risse in der Hülle auf, die zum Zerbrechen des Schiffes und zum Auslaufen von rund 17 000 t Öl vor der bretonischen Küste führte. Gefährliche Ladung In Anbetracht dieser beiden Unfälle, die bei weiten nicht adäquat die Liste der gravierenden Ölunfälle wiedergibt, stellt sich die Frage, wofür Rohöl genau verwendet wird. Die Aussage „Öl ist der Schmierstoff, der die Welt am Laufen hält“ bezieht sich direkt auf die Produktion von Schmierstoffen aus Rohöl. Natürlich werden daraus auch die Kraftstoffe und Heizöle raffiniert. Rohöl ist weiterhin ein wichtiger Grundstoff für die chemische Industrie, wird in Farben, Kunststoffen und Arzneien verwendet - so besteht eine Kopfschmerztablette zu 30 % aus Rohöl (Benzol) - und ist ebenso in vielen Kosmetikprodukten zu finden. Der Transport dieser Ladung beinhaltet aber immer ein Risiko, das gerade nach dem Unfall der „Exxon Valdez“ zu einer breiten öffentlichen Diskussion führte. Gefahren treten dabei für das Schiff, die Umwelt oder die Besatzung auf. Das Risiko ist definiert als Produkt aus Eintrittswahrscheinlichkeit mal Schadensausmaß. Durch Minimierung dieser beiden Größen kann das Transportrisiko verringert werden. Das Schadensausmaß kann durch Begrenzung der transportierten Ölladung reduziert werden, wodurch der Bau von sogenannten Supertankern kritisch zu sehen ist. Das größte jemals gebaute Schiff mit einer Länge von 414 m und 553 000 DWT war der 1976 gebaute Tanker „Pierre Guillaumat“. Wird die Schiffslänge der Ende 2015 in Betrieb befindlichen Tankschiffe analysiert (Bild 1), so zeigt sich, dass die sehr langen Tankschiffe in der Minderheit sind. Das arithmetische Mittel der Tankschiffe über 100 m beläuft sich auf 186,6 m. Insgesamt waren im Betrachtungszeitraum (15.- 28.12.2015) 5127 Tankschiffe mit einer Länge von mehr als 100 m in Betrieb. Deren Länge (bzw. Breite und Tiefgang) orientiert sich an den Grenzen der wichtigsten Kanäle bzw. an Einsatzgebieten wie Aframax, Baltimax, Panamax (bis 305m) oder Suezmax. Weitere Maßnahmen zur Schadensausmaßbegrenzung sind technische Ausrüstungen zur Vermeidung der Ölausbreitung, wie Ölsperren und das Bereithalten von Nothäfen, die ebenfalls mit spezieller Ausrüstung Öl eindämmen können. Die Eintrittswahrscheinlichkeit solcher Vorfälle hängt maßgeblich von der Ausbildung der Besatzung und den Instandhaltungsmaßnahmen durch den Schiffseigner ab. Beim Unglück der „MV Erika“ wurde beispielsweise ermittelt, dass der italienische Eigentümer von mangelhaft ausgeführten Reparaturarbeiten wusste. Auch führt die Ausrüstung der Schiffe mit elektronischen Seekarten, sogenanntem ECDIS (Elektronic Chart Display and Information Systems), und mit AIS (Automatic Identification System) maßgeblich zu einem sichereren Betrieb der Schiffe [1]. In diesen Systemen werden sowohl das eigene Schiff wie auch andere Schiffe mit exakter Position zu einem umfassenden Lagebild zusammengeführt. Durch die Einführung von Doppelhüllenbauweisen für Tankschiffe wird ebenfalls die Unfallwahrscheinlichkeit reduziert. Direkt nach dem „Exxon Valdez“-Unfall forderten die USA 1990 im Oil Pollution Act, dass neue Tankschiffe, die in US-Gewässern betrieben werden, über eine Doppelhülle verfügen müssen. In Anlehnung an diese Regelung wurde 1992 durch die IMO (International Maritime Organisation) in der International Convention for the Prevention of Pollution from Ships (Marine Pollution - MARPOL) festgelegt, dass weltweit alle Tankschiffe größer als 5000 DWT, die nach Juli 1996 abgeliefert werden, mit einer Doppelhülle ausgestattet sein müssen. Die IMO gibt als Sonderorganisation der Vereinten Nationen international gültige Vorschriften für ihre 171 Mitgliedsstaaten heraus. Der „MV Erika“-Unfall verschärfte 2001 diese Vorschriften, sodass ab 2015 ausschließlich Doppelhüllen-Tanker betrieben werden dürfen. Dies führt dazu, dass die weltweite Tankerflotte mit einem durchschnittlichen Baujahr von 2007 verhältnismäßig jung ist (alle Schiffslängen, aus 5658 Tankern für Öl und Ölprodukte mit bekanntem Baujahr). Bild 2 zeigt das Alter der Ende 2015 in Betrieb befindlichen Tankschiffe. Handling der gefährlichen Ölladung Die Sicherheit des Schiffes, der Umwelt und der Besatzung ist durch die IMO in der SO- LAS (International Convention for the Safety of Life at Sea) festgeschrieben, deren Umsetzung für den Transport gefährlicher La- Internationales Verkehrswesen (68) 2 | 2016 73 Monitoring TECHNOLOGIE dung im IMDG Code (International Maritime Code for Dangerous Goods) spezifiziert ist. Der IMDG Code beschreibt in 9 Klassen die Gefahrgutkennzeichnung für gefährliche Ladung, wobei Rohöl bzw. Ölprodukte unter die Klasse 3 „entzündbare flüssige Stoffe“ fallen. In Deutschland ist der IMDG Code in der „Gefahrgutverordnung See“ (GGVSee) eingebettet. Diese nationale Vorschrift ist von allen Seeschiffen unter deutscher Flagge und von allen Seeschiffen unabhängig ihrer Flagge, soweit sie sich in deutschem Hoheitsbereich aufhalten, umzusetzen. In der GGVSee werden die Zulassungsvoraussetzungen für Seeschiffe für den Transport gefährlicher Ladung formuliert, Ausrüstungs- und Ausbildungsanforderungen genannt, Kennzeichnungspflichten und Beförderungsregularien spezifiziert und Verpackungssowie Versandvorschriften dargelegt. Die Gefahrgutklasse eines Schiffes leitet sich hierbei stets aus der transportierten Ladung ab und nicht aus den immer vorhandenen Kraft- und Betriebsstoffen, da sonst jedes Schiff einer Gefahrgutklasse zuzuordnen wäre. Ein Schiff kann auch Transportgüter mehrerer Gefahrgutklassen an Bord haben, wobei dann die Stau- und Trennvorschriften des IMDG Codes zu beachten sind. Für den Transport an Bord wird nach der Verpackungsart in offenen oder geschlossenen Containern und als Stauort an Deck oder unter Deck, sowie wetterfester und offener Laderaum unterschieden. In Abhängigkeit der Gefahrgutklasse gibt der IMDG Code an, ob und wie eine Trennung zu erfolgen hat (z. B. Anzahl der dazwischen liegenden Schotts). Für die hier betrachteten Tankschiffe treten kaum mehrere Gefahrgutklassen pro Schiff auf, da diese meist nur einen Ladungstyp transportieren. Transport über den Seeweg Der Langstreckentransport der Gefahrgüter Rohöl und Ölprodukte wird etwa zu 60 % per Schiff und zu 40 % über Pipelines durchgeführt. Für Kurzstreckentransporte im Inlands- und Kontinentalverkehr werden auch Bahn und LKW genutzt, die aber hier nicht weiter betrachtet werden. In 2014 wurden pro Tag durchschnittlich 88,6 Mio. t Rohöl gefördert. Die jährlich über den Seeweg transportierten 2,9 Mrd. t Rohöl und Ölprodukte stellen über 25 % des Weltwarentransports und somit die größte Einzelgruppe dar. In Bild 3 ist die weltweite Gesamttransportmenge aller Waren im Vergleich zum Öltransport gezeigt. Darin sind als Ölprodukte nach UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) LNG, LPG, Rohbenzin, Gasöl, Leichtöl, Schweröl und Kerosin zusammengefasst [2]. Die zu transportierende Ölmenge steht in direkter Äquivalenz zur Entwicklung der Ladefähigkeit der Welttankerflotte. In 2014 stand insgesamt eine Transportkapazität von 482 Mio. DWT in Tankschiffen zur Verfügung. Der Verlauf der Tanker-DWT in Bild 4 folgt der steigenden Öltransportmenge in Bild 3. Aufgrund des Anstiegs der Transportmenge in 2005 zeigt der Auftragseingang für Tankerneubauten in Bild 4 hier ebenfalls einen Peak [2]. Diese Tankerflotte wird international unter einer sehr durchmischten Verteilung von 105 Flaggenstaaten betrieben. Unter den 6297 Tankschiffen, die Ende 2015 in Betrieb waren und deren Flagge bekannt war (alle Längen), fahren die größten Gruppen der Schiffe unter der Flagge der Marshall Islands (684), Panama (622), Liberia (567) und Singapur (519). Transportrouten von Rohöl und Ölprodukten Die Transportrouten werden bestimmt von den Ölexporteuren und Importeuren. Im Jahr 2014 sind die größten Ölproduzenten in absteigender Reihenfolge [3]: Saudi Arabien, Russland, USA, China und Kanada. Dem stehen die größten Verbraucher ge- Bild 1: Längen der Ende 2015 in Betrieb befindlichen Tanker über 100 m Bild 2: Baujahre der Ende 2015 in Betrieb befindlichen Tanker ab 1975 Bild 3: Weltweite See-Transportmenge aller Waren sowie von Öl und-Ölprodukten Bild 4: Welttankerflotte und Auftragseingänge für Tankerneubauten in-DWT Internationales Verkehrswesen (68) 2 | 2016 74 TECHNOLOGIE Monitoring genüber: USA, China, Japan, Indien und Russland. Werden die Netto-Im- und Exporte betrachtet, so sind die Netto-Ölexporteure Saudi-Arabien, Russland, Vereinigte Arabische Emirate und Norwegen und die Netto-Ölimporteure China, Japan, Deutschland und Indien. Die Länder mit den größten Ölreserven in 2014 sind in absteigender Reihenfolge: Saudi-Arabien, Kanada, Venezuela, Iran und Irak [4]. Diese Reserven werden zukünftig als Transportquellen die Seerouten beeinflussen. Insbesondere die anstehende Öffnung des Iranischen Öl- und Gasmarktes durch die Aufhebung der seit 2006 bestehenden Sanktionen wird den Ölexport über Tankschiffe in dieser Region zunehmen lassen, da der Iran mit ca. 137 Mrd. Barrel die viertgrößten Ölreserven besitzt. Für den Zeitraum vom 15.12.2015 bis 28.12.2015 sind in Bild 5 die aktuellen Schiffstrajektorien dargestellt. Darin sind die Routen zwischen den Ex- und Importländern zu sehen. Fazit Das Wachstum der Schwellenländer wie zum Beispiel Brasilien, die Volksrepublik China, Indien, Thailand oder die Türkei wird den Bedarf nach mehr Öl stärker anwachsen lassen, als die Öleinsparungen der entwickelten Länder. So ist davon auszugehen, dass langfristig der Ölverbrauch wie auch der Preis weiter bzw. wieder ansteigen wird. Allerdings ist dies durch das bestehende Überangebot aufgrund neu erschlossener Ölquellen und der Abkühlung der Weltkonjunktur zurzeit nicht spürbar. Die Langstreckentransporte werden auch zukünftig über die Tankschiffflotte realisiert werden. Diesem Transportweg liegt jedoch ein relativ hohes Risiko zugrunde. Aufgrund des teilweise erheblichen öffentlichen, politischen aber auch ökonomischen Interesses soll diese reduziert werden. Vor allem getrieben durch Unglücke werden hier kontinuierlich internationale und nationale Vorschriften angepasst, um das Schadensausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit zu minimieren. ■ QuELLEN [1] Tanker jetty safety, Management of the ship/ shore interface, London 2007, Witherbys, ISBN 9-781856-093279 [2] Data Center der United Nations Conference on Trade and Development, Switzerland: Maritime transport (1970-2014). http: / / unctadstat.unctad.org/ EN/ [3] BP: 64th edition of the BP Statistical Review of World Energy (Juni 2015). bp.com/ statisticalreview [4] Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: Energiestudie 2015 - Reserven, Ressourcen und Verfügbarkeit von Energierohstoffen (19), Hannover, 08.12.2015. Mario Meyer Screen Designer (Frontend Design/ Entwicklung), Jakota Cruise Systems GmbH/ FleetMon, Rostock meyer@fleetmon.com Bettina Kutschera, Dipl.-Ing. (FH), M.Sc. Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Bereich Seefahrt der Hochschule Wismar bettina.kutschera@hs-wismar.de Chris Bünger, Dipl.-Phys. Analytiker (Back-End), Jakota Cruise Systems GmbH/ FleetMon, Rostock buenger@fleetmon.com Carsten Hilgenfeld, Dipl.-Ing. (FH), M.Sc. Leiter Forschung und Entwicklung, Jakota Cruise Systems GmbH/ FleetMon, Rostock hilgenfeld@fleetmon.com datenquellen und unternehmen Die Auswertungen der Bilder 1, 2 und 5 basieren auf den von den Schiffen alle 2-10 Sekunden ausgesendeten AIS Signalen. Ein Schiff wurde dabei als Tankschiff in Betrieb deklariert, wenn es im Zeitraum vom 15.12.2015 bis 28.12.2015 ein AIS Signal „In Fahrt“ sendete, sich nach ITU (International Telecommunication Union) als Tankschiff zu erkennen gab und durch die FleetMon Datenbanken als Tanker für Roh-Öl und Ölprodukte verifiziert wurde. Weiterhin wurde eine minimale Länge von 100 m festgelegt, da es sich sonst aus Erfahrung nicht um Tankschiffe auf internationaler Fahrt handelt, sondern eher um Versorgungsschiffe wie Bargen oder Kurzstrecken-Feeder bzw. Traditionsschiffe. Das Unternehmen Jakota Cruise Systems/ FleetMon speichert und verarbeitet als einer der Weltmarktführer diese AIS-Daten. Dazu werden tausende eigene und kooperative Landstationen betrieben, die täglich über 250 Mio. terrestrische AIS Datensätze liefern. Dieses umfassende Lagebild wird durch etliche AIS-Satelliten und Wetterdaten wie Wind, Wellen und Strömung komplementiert. Die Daten werden seit 2007 in einer permanent erweiterten und modernisierten Serverstruktur abgelegt und stehen für eigene Produkte, aber auch für Forschungspartner, zur Verfügung. Bild 5: Öltanker-Trajektorien für den Zeitraum vom 15.12.2015 bis 28.12.2015