eJournals Internationales Verkehrswesen 68/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0052
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Rebound-Effekte durch finanzielle Anreize für Elektroautos

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Christian Rudolph
Die Marktdurchdringung von Elektroautos läuft noch immer schleppend. Das Elektromobilitätsgesetz von 2015 erbrachte kaum Effekt. Die Rufe nach finanziellen Anreizen wurden immer lauter, zumal in Ländern wie Norwegen und Dänemark, die hohe steuerliche Vergünstigungen beim Kauf eines Elektrofahrzeugs gewähren, hohe Verkaufszahlen beobachtet werden. Seit Sommer 2016 gibt es nun auch direkte Kaufprämien für Elektrautos und Hybride in Deutschland. Bei der Vergabe von Inzentives besteht jedoch die Gefahr unerwünschter Rebound-Effekte. Mithilfe eines Stated-Preference-Experiments wird gezeigt, dass Nutzer von Fahrrad, Bus und Bahn am ehesten zum Umstieg in E-Autos aufgrund finanzieller Anreize tendieren.
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POLITIK Eisenbahnreform Frankreich Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 18 Reform des französischen Eisenbahnwesens 2014 Am 22. Juli 2014 hat der Senat, die zweite Kammer des französischen Parlaments, dem Gesetz über die Eisenbahnreform zugestimmt und damit den Weg zu einer seit mehreren Jahren geplanten, erneuten Eisenbahnreform in Frankreich geebnet. Die Reform soll in der Reform von 1997 angelegte Deizite beseitigen und Lösungen für altbekannte Herausforderungen wie die Verschuldung und die Öfnung der Eisenbahnmärkte bringen. Der Autor: Ralf Schnieders H intergrund der erneuten Eisenbahnreform 1 sind die großen Herausforderungen, vor denen das französische Eisenbahnsystem steht: Die Verschuldung lag 2012 bei ca. 41,5 Mrd. EUR und droht um 1,5 - 2 Mrd. EUR jährlich weiter anzusteigen 2 . Mehrere Eisenbahnunfälle 3 haben in das öffentliche Bewusstsein gerückt, dass die Instandhaltung des französischen konventionellen Schienennetzes jahrelang vernachlässigt wurde. Zudem hat die SNCF (Société Nationale des Chemins de fer Français) seit der Marktöfnung im Schienengüterverkehr im Jahr 2006 in Rekordzeit Marktanteile verloren 4 . Im Schienenpersonenverkehr könnte im Falle einer Marktöfnung Ähnliches bevorstehen. Die jetzige Reform korrigiert die französische Eisenbahnreform von 1997: Die erste Säule der Reform von 1997 war die Trennung der Schieneninfrastruktur von der SNCF und ihre Übertragung auf die neu gegründete öfentliche Anstalt Réseau ferré de France (RFF). Bei der SNCF verblieben die Fahrzeuge sowie die Bahnhöfe und Depots. Diese Trennung war insofern halbherzig, als die SNCF weiterhin praktisch den Betrieb und die Instandhaltung der Infrastruktur im Auftrag von RFF, d. h. für die Rechnung von RFF und gegen entsprechendes Entgelt ausführt. Die zweite Stoßrichtung der Reform war die Übertragung eines Großteils der Altschulden der SNCF (Ende 1996 bei ca. 35,9 Mrd. EUR) 5 auf RFF (in Höhe von ca. 20,5 Mrd. EUR) im Gegenzug zur Übertragung des Infrastruktureigentums. Schließlich leitete die Reform von 1997 als drittes Element die Regionalisierung des Schienenpersonennahverkehrs ein. Mit der Gründung von RFF und der Übertragung eines großen Teils der Altschulden von der SNCF auf RFF konnte zum einen die vom europäischen Gemeinschaftsrecht geforderte Trennung der sogenannten wesentlichen Funktionen - Zugtrassenvergabe und Festsetzung der Wegeentgelte - von den Verkehrsunternehmen vollzogen werden 6 , zum anderen die geforderte Entschuldung des Verkehrsunternehmens 7 SNCF, ohne die Schulden in den allgemeinen Staatshaushalt zu überführen. Inhalte der Reform Eckpunkte der Reform hatte der französische Verkehrsminister Frédéric de Cuvillier erstmals im Oktober 2012 präsentiert 8 . Integration von SNCF und RFF in eine Holding-Struktur Die komplizierte Aufgabenteilung von SNCF und RFF hat sich immer mehr als kostspielig und nicht praxisgerecht erwiesen. Kritisiert wurden die Mehrkosten, eine generell schlechte Abstimmung zwischen SNCF und RFF und insbesondere die wenig berechenbare Planung und Durchführung der Gleisbauarbeiten durch RFF und SNCF 9 . Die Reform sieht nun eine Holdingstruktur ähnlich derjenigen der Deutschen Bahn AG vor (Bild 1): Der öfentlichen Holding-Anstalt „SNCF“ unterstehen künftig der Netzbetreiber „SNCF Réseau“ („SNCF Netz“) und die Eisenbahnverkehrsunternehmen „SNCF Mobilités“. SNCF Réseau vereinigt die bisherige RFF (mitsamt dem Eigentum an der Schieneninfrastruktur) sowie die bisherigen SNCF-Direktionen Direction des circulations ferroviaires (Netzbetrieb) und SNCF Infra (Netzinstandhaltung). Leitungsorgane der SNCF sind der Aufsichtsrat und das Direktorium: Das Direktorium der SNCF besteht künftig aus zwei Personen, die nur einvernehmlich entscheiden können: Der Präsident der SNCF ist gleichzeitig Präsident von SNCF Mobilités, der Vize-Präsident der SNCF ist gleichzeitig Präsident von SNCF Réseau. Die Bestellung und Abberufung des letzteren unterliegt dem Genehmigungsvorbehalt der Regulierungsbehörde. Bei Uneinigkeit der beiden Direktoriumsmitglieder entscheidet der vom Staat ernannte Vorsitzende des Aufsichtsrats der Gruppe SNCF, in dem der Staat über die Mehrheit verfügt. Die Rege- Französischer Staat SNCF Holding-Anstalt SNCF Réseau Eisenbahninfrastrukturunternehmen SNCF Mobilités Eisenbahnverkehrsunternehmen, Transporteur Bild 1 Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 19 Eisenbahnreform Frankreich POLITIK lung enthält zusätzliche Vorkehrungen zur personellen Unabhängigkeit des Leitungspersonals von SNCF Réseau von den Eisenbahnverkehrsunternehmen. Ein Dekret normiert weitere Sicherungen durch örtliche Trennung sowie eine Trennung der IT- Systeme. SNCF Réseau übt die sog. wesentlichen Funktionen aus und betreibt die Infrastruktur, hält sie instand und baut sie aus. Es schließt mit dem Staat eine zehnjährige Leistungsvereinbarung ab. Darin werden Leistungsziele und -kennzahlen festgelegt, ebenso wie die Ziele hinsichtlich der Infrastrukturentgelte und ihrer geplanten Entwicklung, ferner die Finanzierung der Instandhaltung der Infrastruktur und ihrer Erneuerung. Auch die Gruppe SNCF und SNCF Moblilities schließen zehnjährige Ziel-Vereinbarungen mit dem Staat. Begrenzung der Neuverschuldung des Eisenbahnsystems Die Leistungsvereinbarung mit SNCF Réseau soll auch eine weitere Beschleunigung des Anstiegs der Neuverschuldung aufgrund von Infrastrukturinvestitionen verhindern. SNCF Réseau darf künftig Infrastrukturgroßprojekte mit Eigenmitteln nur noch bis zu bestimmten Grenzwerten inanzieren. Oberhalb der Grenze müssen der Staat bzw. die Regionen die Finanzierung tragen. Ferner wird künftig die Gruppe SNCF einen Teil der Dividende, die sie bislang komplett an den französischen Staat abführen musste, einbehalten bzw. SNCF Réseau zur Verfügung stellen können. Zusätzlich erhoft man sich Eizienzsteigerungen infolge der neuen Holding-Struktur des französischen Eisenbahnwesens und allgemein im Eisenbahnunternehmen. Weiterhin hat der Staat in Aussicht gestellt, künftig mehr Geld für die Instandhaltung und für Investitionen in den Ausbau der Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Schließlich wird eine regionale Unternehmensteuer eingeführt, die den regionalen Aufgabenträgern für den SPNV zugutekommen und einen Betrag von ca. 450 Mio. EUR p. a. einbringen soll. Rechtsverordnung zur Arbeitszeit und Branchentarifvertrag Die Rechte der französischen Eisenbahner regeln derzeit zwei parallele Rechtsregime: das traditionelle Regime der Eisenbahner der SNCF, das demjenigen eines Beamten vergleichbar ist und sehr günstige Regelungen zu Arbeits- und Ruhezeiten, Kündigungsschutz sowie Sozialleistungen enthält auf der einen Seite und ein Branchentarifvertrag für nach dem Arbeitsgesetzbuch Beschäftigte auf der anderen Seite. Dies ermöglicht es den Wettbewerbern der SNCF, wesentlich lexibler und produktiver am Markt zu agieren als die SNCF 10 . Das Reformgesetz sieht nun den Erlass einer Rechtsverordnung zu Fragen der Arbeitszeit vor, die sowohl auf die Eisenbahner der SNCF Anwendung indet als auch auf die privaten Wettbewerber. Sodann beauftragt das Gesetz die Sozialpartner, in einer Branchenvereinbarung die sozialen Arbeitsbedingungen für den gesamten Eisenbahnsektor festzulegen. Inwieweit sich diese Regelwerke in der Zukunft nachteilig auf den intramodalen bzw. den intermodalen Wettbewerb auswirken werden, wird maßgeblich von den konkreten Regelungen abhängen, die hier gefunden werden. In der Vergangenheit hat es sich jedenfalls als äußerst schwierig erwiesen, Besitzstände der Beschäftigten der SNCF zu beschneiden. Stärkung der Kompetenzen der Eisenbahn- Regulierungsbehörde Dem Genehmigungsvorbehalt der Eisenbahnregulierungsbehörde unterliegen künftig die Infrastrukturnutzungsentgelte hinsichtlich der Einhaltung der gesetzlichen Entgeltbildungsgrundsätze und der Entgelthöhen ebenso wie die Nutzungsentgelte für die Personenbahnhöfe und Serviceeinrichtungen. Die Regulierungsbehörde wird angehört vor dem Abschluss des zehnjährigen Rahmenvertrages zwischen dem Staat und der Gruppe SNCF über die zu erreichenden Entwicklungsziele, vor dem Abschluss der zehnjährigen Leistungsvereinbarung des Staates mit SNCF Réseau, vor der jährlichen Berichterstattung über die Umsetzung dieses Vertrages durch SNCF Réseau und vor der Aufstellung des Jahresbudgets von SNCF Réseau. Ferner muss die Regulierungsbehörde eine begründete Stellungnahme über die Finanzierung von Infrastrukturgroßprojekten und die notwendigen Finanzierungszuschüsse an SNCF Réseau abgeben. Ausblick Der französische Staat schaft mit der Reform die Instrumente, um seinen strategischen Einluss auf die SNCF zu stärken, vor allem durch den Abschluss der zehnjährigen Leistungs- und Entwicklungsvereinbarungen mit den drei öfentlichen Anstalten, aber auch durch seine Rolle im Aufsichtsrat der SNCF. Zahlreiche Elemente der Reform müssen indes erst noch durch Dekrete konkretisiert werden. Die EU überarbeitet derzeit mit dem Vierten EU-Eisenbahnpaket die Trennungsanforderungen für Eisenbahnen und will dabei insbesondere die Anforderungen an Holding-Modelle verschärfen 11 . Die französische Regierung hat sich mit der Reform für ein eben solches Modell entschieden, dabei allerdings zahlreiche Vorkehrungen zur Sicherung der Unabhängigkeit von SNCF Réseau und der Transparenz der Finanzströme vorgesehen. Der (noch amtierende) Verkehrskommissar Siim Kallas hat indes bereits wissen lassen, die französische Reform „gehe in die richtige Richtung“ 12 . Keine dauerhafte Lösung dürfte die Reform für die Verschuldungsfrage bringen: Die Maßnahmen sollen gewährleisten, dass die Verschuldung bis 2025 „lediglich“ auf 60- Mrd. EUR ansteigen soll statt auf 80- Mrd.- EUR bei einem Szenario ohne die Reform 13 . Aus diesem Grund hatten die Abgeordneten der konservativen Opposition der UMP der Reform die Zustimmung versagt. Die hohe Verschuldung wird weiterhin die intermodale Wettbewerbsfähigkeit des französischen Schienenverkehrs beeinträchtigen. ■  1 Loi n° 2014-872 du 4 août 2014 portant réforme ferroviaire, veröfentlicht im Journal oiciel vom 5. August 2014.  2 Assemblée nationale Dok.nr. 1468, Projet de loi portant réforme ferroviaire, étude d’impact, 15 octobre 2013, Seite 27 f.  3 Entgleisung im Bahnhof von Brétigny-sur-Orge im Jahre 2013 mit 7 Toten und zahlreichen Verletzten, im Juli 2014 der Aufahrunfall von Denguin mit 40 Verletzten.  4 Der Marktanteil der SNCF betrug im Jahr 2013 noch 67% (Quelle: Autorité de régulation des activités ferroviaires: Rapport d’activité 2013, S. 26).  5 Conseil supérieur du service public ferroviaire: Rapport d’évaluation de la réforme du secteur du transport ferroviaire vom 28.11.2001, S. 15.  6 Vgl. Art. 7 RL 2012/ 34/ EU.  7 Vgl. Art. 9 RL 2012/ 34/ EU.  8 S. auch die vorbereitenden Berichte: Jean Louis Bianco: Réussir la réforme du système ferroviaire, April 2013 sowie Jacques Auxiette: Un nouveau destin pour le service public ferroviaire français: Les propositions des Régions, April 2013.  9 Vgl. den Bericht des französischen Rechnungshofes: Le réseau ferroviaire - une réforme inachevée, une stratégie incertaine, Paris 2008 sowie zuletzt als Beispiel für mangelnde Koordination die Großbestellung von Regionalzügen durch SNCF, die für viele Bahnsteige zu breit sind, vgl. Canard enchainé vom 21.5.2014 und FAZ vom 22.5.2014. 10 Auch die SNCF-Schienengüterverkehrstochter VFLI beschäftigt ihre Angestellten allerdings nach dem Branchentarifvertrag und behauptet sich erfolgreich am Markt. 11 Vgl. den Vorschlag der Europäischen Kommission zur Änderung der RL 2012/ 34/ EU, Dokumentennr. KOM(2013) 29 inal. 12 Siim Kallas in: Les Echos vom 17.7.2014. 13 Lemonde.fr vom 23.7.2014: La réforme ferroviaire passe l‘étape de l‘Assemblée, http: / / www.lemonde.fr/ economie/ article/ 2014/ 07/ 22/ la-reforme-ferroviaire-deinitivementadoptee-par-l-assemblee_4460836_3234.html Ralf Schnieders, Dr. iur. Fachbereichsleiter Europäische Eisenbahnangelegenheiten, Verband Deutscher Verkehrsunternehmen e. V., Berlin schnieders@vdv.de Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 20 Wettbewerb bei Metros, Stadt- und Straßenbahnen - Option für deutsche Großstädte? Die Marktöfnungsabsichten der EU-Verkehrspolitik sind im deutschen kommunalen Verkehrsmarkt nicht angekommen. Anders als im Schienenpersonennahverkehr oder bei regionalen Busangeboten ist der ÖPNV der meisten deutschen Großstädte bislang ein wettbewerbsfreier Raum geblieben. Die Direktvergabe an kommunale Unternehmen ist die Regel. Dass Wettbewerb bei kommunalen Bahnen möglich ist, zeigen zahlreiche Beispiele aus dem Ausland. Dabei werden auch Vor- und Nachteile der Inhouse-Lösung und integrierter Verkehrsunternehmen deutlich. Eine Marktöfnung bei kommunalen Bahnsystemen in Großstädten würde die kommunale Nahverkehrsplanung grundlegend verändern. Der Autor: Florian Krummheuer W ettbewerb um den kommunalen Metro-, Stadt- und Straßenbahnverkehr scheint derzeit nicht auf der politischen Agenda zu stehen. Weder Bund- und Landesgesetzgeber noch die kommunalen Aufgabenträger scheinen diese Option forcieren zu wollen. Damit ist die in der Verordnung 1370/ 2007 lediglich als Ausnahme vorgesehene In-House-Vergabe in Deutschland zur Regel geworden. Die deutschen Kommunen und ihre Unternehmen betonen bei städtischen ÖPNV- Systemen mit Schieneninfrastruktur die technischen und betriebswirtschaftlichen Vorzüge integrierter Verkehrsunternehmen und verweisen auf die in der BOStrab begründete Systemeinheit von Fahrweg und Betrieb 1 . Jedoch zeigen Lösungen im Ausland, dass externe, nicht vom Aufgabenträger beherrschte Verkehrsunternehmen in der Lage sind, solche Bahnen zu betreiben. Im Folgenden werden die Erfahrungen mit Ausschreibungswettbewerb in großstädtischen Systemen betrachtet. Grundlage ist eine an der TU Dortmund abgeschlossene Dissertation 2 des Autoren. Bei einer externen Vergabe wird das Verkehrsunternehmen nicht - wie bei der Inhouse-Vergabe - „beherrscht wie eine eigene Dienststelle“, sondern am Markt ausgewählt. Dafür müssen organisatorische Voraussetzungen geschafen werden. Gegenüber der internen Vergabe verändern sich die Akteursstrukturen, Wertschöpfungsstufen werden aufgeteilt. Dieses sogenannte Unbundling gilt bei technischen Infrastrukturen als Voraussetzung für eine Marktöfnung 3 . Dabei entsteht Aufwand. In den Wirtschaftswissenschaften, insbesondere in der Neuen Institutionenökonomik, wird hierbei von Transaktionskosten gesprochen 4 . Prinzipiell unterscheiden sich die Modelle „Inhouse“ und „externer Betreiber“ durch den Abstimmungsaufwand. In der Logik der Transaktionskostentheorie liegen diese Kosten bei komplexen, speziisch abgestimmten Systemen höher als bei weniger komplexen Systemen. 5 Die Transaktionskosten werden häuig als Argumente gegen die Einführung von Wettbewerb im ÖPNV angeführt 6 . Oft sind POLITIK Marktöfnung ÖPNV Foto: Florian Krummheuer Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 21 Marktöfnung ÖPNV POLITIK die entsprechenden ökonomischen Untersuchungen abstrakt. Aus einer stärker planungswissenschaftlichen Sicht interessiert, welche Folgewirkungen Transaktionen und Interaktionen in der Nahverkehrsplanung haben. Statt einer monetarisierten Bewertung der Modelle interessiert, welche Interaktionen hohen Abstimmungsaufwand verursachen. Empirische Grundlage Es wurden in Europa rund 40 Beispiele mit externen Betreibern bei kommunalen Bahnen identiiziert. In einer webbasierten Expertenbefragung von Aufgabenträgern und Verkehrsunternehmen wurde rund die Hälfte aller Systeme erfasst. Vertieft wurde dies durch Fallstudien in Lyon, der Tyneand Wear-Region und Stockholm. Die folgenden qualitativen Befunde basieren auf einem recht einheitlichen Bild müssen angesichts der Vielzahl von dokumentierten Organisationsformens aber abstrakte Tendenzaussagen bleiben. Route- und Network-Contracting Die Unterscheidung zwischen der Vergabe von Verkehrsleistungen in Linienbündeln (Route-Contracting) und kompletten integrierten und ggf. multimodalen Netzen (Network-Contracting) lässt sich mit unterschiedlicher Gewichtung in der Praxis nachvollziehen (vgl. Tabelle 1). Beim Route-Contracting sind die Aufgabenträger stärker für die planerische Integration verantwortlich. Sie erlangen eine hohe Routine bei der zeitlich gestafelten Ausschreibung ihrer Teilsysteme. Denn wer jedes Jahr ausschreibt, weiß worauf zu achten ist. Sie müssen zudem stärker koordinieren, damit ein integriertes Gesamtsystem entsteht. Das geht zwangsläuig zu Lasten der Gestaltungsfreiheit bei den Verkehrsunternehmen und verschiebt die planerischen Ressourcen zu den Bestellerorganisationen. Kompetenzaufbau bei Aufgabenträgern Insgesamt zeigt sich, dass für externe Vergaben bei den Bestellern mehr Kompetenzen vorgehalten werden. Aufgabenträger, die ein komplexes großstädtisches Verkehrssystem mit Bahnsystemen vergeben, haben folgende Eigenschaften: • Eigene Organisation: In fast allen Fällen werden die weitreichenden Aufgabenträgerfunktionen nicht von den Gebietskörperschaften selber, sondern von eigenständigen Rechtspersonen wahrgenommen (Regieorganisationen), deren originäre und alleinige Aufgabe die Sicherstellung des ÖPNV ist. • Erhebliche personelle Ressourcen: Die Organisationen beschäftigen sowohl Fachleute für die Netz- und Angebotsplanung und Vergabespezialisten. Hinzu kommen auf der Bestellerseite Techniker, die sich mit der Bahninfrastruktur und den Fahrzeugen befassen. • Tools und Daten: Verkehrsplanung als Abfolge aus Analyse und Konzeptentwicklung benötigt Datengrundlagen. Das Daten- und Auswertungs-Know-how liegen bei den Aufgabenträgern. • Auftrag und Legitimation: Die Aufgabenträgerorganisationen werden politisch kontrolliert. In den Fallstudien haben die Aufgabenträgerorganisationen zwar eine privatwirtschaftliche Rechtsform, sie werden aber eng durch politische Kräfte gesteuert. Verkehrsunternehmen vor Ort: Schlanke Töchter großer Konzerne Auf der Seite der Verkehrsunternehmen zeigt sich ein gegensätzliches Bild. Es dominieren als Betreiber große Konzerne einschließlich der Wettbewerbstöchter der Staatsbahnen. Für konzeptionelle Fragen stehen den Verkehrsunternehmen vor Ort wenig Personal und kaum einschlägige Tools zu Verfügung. Vereinzelt werden Ressourcen der Konzerne genutzt. Zu den Eigenheiten kommunaler Bahnsysteme gehört die hohe Humankapitalspeziität. Die Verkehrsunternehmen werden regelmäßig verplichtet, Fahr- und Werkstattpersonal vom vorherigen Betreiber zu übernehmen. Ein Betreiberwechsel führt dann nur zum Austausch des ohnehin kleinen lokalen Overheads der Verkehrsunternehmen. Stadt/ Region bzw. System Land Route/ Network- Contracting Netzlänge nur Bahn (km) Anzahl Tram/ Metro Fahrzeuge Kopenhagen (Metro) Dänemark Route 21 34 Görlitz Deutschland Network 15 15 Bordeaux Frankreich Network 41 74 Lille Frankreich Network 68 k.A. Lyon Frankreich Network 79 145 Mulhouse Frankreich Network 19 22 Nizza Frankreich Network 9 28 Rouen Frankreich Network 15 28 Saint Etienne Frankreich Network 12 35 Dublin (Luas Tram) Irland Route 40 66 Uttrecht Niederlande Network 23 39 (Sneltram) Bergen (Bybanen) Norwegen Route 10 15 Porto (Metro) Portugal Route 70 120 Norrköping Tram Schweden Route 19 k.A. Stockholm Tunnelbanan Schweden Route 106 471 Stockholm Tvärbanan/ Nockebybanan Schweden Route 17 31 Barcelona (Trambaix und Trambesòs) Spanien Route 29 41 Madrid (Parla-Straßenbahn) Spanien Route 36 44 Zaragoza Spanien Route k.A. 12 Birmingham (Midland Metro) Vereinigtes Königreich Route k.A. 16 London (Croydon Tramlink) Vereinigtes Königreich Route 28 24 London (Docklands) Vereinigtes Königreich Route 33 149 Manchester (Metrolink) Vereinigtes Königreich Route 36 47 Newcastle (Tyne and Wear) Vereinigtes Königreich Route 72 90 Nottingham Vereinigtes Königreich Route 15 15 Sheield Vereinigtes Königreich Route 29 25 Tabelle 1: Untersuchte Fallbeispiele