eJournals Internationales Verkehrswesen 68/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0053
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Stakeholderbasierte Bewertung von Schieneninfrastruktur

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Benedikt  Scheier
Anja Bussmann
Florian Brinkmann
Von Schieneninfrastrukturmaßnahmen ist in der Regel eine Vielzahl von Stakeholdern betroffen. Zwischen diesen finden sich wesentliche Unterschiede darin, in welcher Form die Maßnahme sie betrifft, und ob es sich um positive oder negative Auswirkungen handelt. Am Institut für Verkehrssystemtechnik des DLR werden ein Bewertungstool und ein Verfahren entwickelt, mit dem sich diese Auswirkungen stakeholderbasiert und transparent darstellen lassen. Anhand der Anwendung auf ein Beispiel aus der Praxis, die Einrichtung eines S-Bahnhofs an einer bestehenden Strecke, wird die Herangehensweise vorgestellt.
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POLITIK Marktöfnung ÖPNV Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 22 Die wettbewerblichen Vergaben von kommunalen Bahnsystemen zeichnen sich alle durch enge vertragliche Vorgaben aus. Das ist teilweise den technischen Speziika dieser Systeme geschuldet: Die Ausschreibungen sind in der Regel konstruktiv gestaltet, die Linienwege sind nun einmal durch die Infrastruktur vorgegeben. Auch die Flotte ist gesetzt. Kaum Steuerung über Nachfrage und Risiken Eine überraschend geringe Rolle als Anreizinstrument spielt die Kundennachfrage. Insbesondere im Route-Contracting zeigt sich, dass der Fahrgastzuspruch nur sehr begrenzt als Steuerungsimpuls für die Verkehrsunternehmen eingesetzt werden kann. In großstädtischen Systemen hängt der Kundenzuspruch von Qualität und Funktionsfähigkeit des von mehreren Unternehmen erbrachten Gesamtsystems ab. Daher wird das Erlösrisiko in der Regel nicht von den Unternehmen getragen (Brutto-Verträge). Dieses Ausschreibungsdesign und die umfangreiche Risikoübernahme durch die Besteller wird den an Ausschreibungen teilnehmenden Verkehrsunternehmen die Kalkulation der Leistung erleichtert. Insbesondere wird ihnen die Abschätzung der Nachfrageentwicklung über den Vergabezeitraum erspart. Die Nachfragemacht des Fahrgastes wird allerdings kaum zur Steuerung genutzt. Langfristige Infrastrukturverantwortung bleibt bei Aufgabenträgern Überwiegend wurde in den Betreibermodellen nur der Betrieb im Wettbewerb vergeben. Verantwortung für Infrastruktur und Fahrzeuge bleibt fast immer bei den Aufgabenträgern. Teilweise wird die Reinigung oder die leichte Instandhaltung von Stationen und Strecken durch die Verkehrsunternehmen erbracht. Die schwere Instandsetzung, die Planung und Umsetzung von Erneuerungs- und Ersatzinvestitionen hingegen obliegt den Bestellerorganisationen. Vielfach bedauern die Experten in den Verkehrsunternehmen, dass Sie hier ihr Knowhow und aus der Betriebserfahrung resultierendes Optimierungspotenzial nicht einbringen können. Ähnlich verhält es sich mit den Fahrzeugen. Regelmäßig überschreitet die Lebenserwartung der U-, Stadt- oder Straßenbahnfahrzeuge die Vertragslaufzeiten der Verkehrsverträge. Diese hochspeziischen Fahrzeuge werden daher von den Aufgabenträgerorganisationen vorgehalten und den Verkehrsunternehmen für den Betrieb überlassen. Diese Übertragung von Verfügungsrechten geht einher mit einer umfangreichen Begutachtung des Fahrzeug- und Infrastrukturbestandes. Obwohl die Aufgabenträgerorganisationen den Betrieb an die Verkehrsunternehmen abgegeben haben, können Sie nicht auf Kompetenzen hierzu verzichten. Sie begutachten den Zustand der Anlagen in der Regel ständig und kontrollieren die beauftragten Unternehmen auf diese Weise. Im Rahmen von Vertragsaufnahmen und gegen Ende der Vertragslaufzeit setzt jeweils ein intensives Monitoring der Infrastruktur ein. Es wird begleitet von - aus Sicht einiger Experten als schwierig bezeichneten - Verhandlungen über deren Erhaltungszustand. Hier geht es um die zentralen Produktionsmittel der Verkehrsunternehmen. Von deren zuverlässiger Verfügbarkeit hängt ab, ob die Kalkulation mit aufgeht. Neben den verfügungsrechtlichen Grenzen - die Aufgabenträger und Fahrzeugeigentümer erlauben keine Veränderungen - verhindern die langfristigen Investitionszyklen unternehmensseitige Investitionen oder Innovationen. Selbst wenn die Fahrzeuge verändert werden dürften, lohnen sich regelmäßig keine Umbauten für die Verkehrsunternehmen. Denn derartige Investitionen rentieren sich erst in Zeiträumen, welche die Dauer der jeweiligen Verkehrsverträge deutlich übersteigen. Hier können die international agierenden Verkehrskonzerne ihr unter Umständen vorhandenes Know-how und ihre Erfahrung nicht einbringen. Es zeigt sich: Werden Verfügungsrechte an Infrastruktur und Fahrzeugen auf verschiedene Akteure aufgeteilt, erschwert dies Innovationen bei den zentralen Betriebsmitteln. Politische Steuerung sichergestellt Im Rahmen der Privatisierungspolitik der letzten Jahrzehnte entzündeten sich Debatten um die Legitimation der öfentlichen Daseinsvorsorge. Nicht zuletzt resultiert der Widerstand gegen die Privatisierungspolitik aus der Befürchtung, dass Dienstleistungen und Güter der Daseinsvorsorge zum Spielball internationaler Konzerninteressen werden und die kommunale Politik ihre sozialpolitische Funktionen nicht mehr im Sinne der Bürger steuern kann. Im Falle der untersuchten Betreibermodelle scheint sich diese Befürchtung im Wettbewerb um kommunale Bahnsysteme nicht zu bestätigen. Die vertraglichen Konstellationen setzen den Unternehmen, wie geschildert, sehr enge Vorgaben, und das Anlagevermögen bleibt in der Regel in öfentlicher Hand. Die Verkehrsunternehmen können weder das Angebot auf lukrative Strecken zusammenstreichen noch die Ticketpreise verändern. Wesentliche Eigenschaften des Verkehrsangebotes werden durch die Bestellerorganisationen festgelegt. Deren Organe werden kommunalpolitisch kontrolliert und demokratisch legitimiert. Wettbewerb bei kommunalen Bahnen möglich, aber aufwändig Die große Zahl funktionierender Modelle zeigt: Eine Trennung zwischen Gewährleistungsverantwortung und Leistungserbringung lässt sich wie im Schienenpersonennahverkehr auch im Bereich kommunaler Bahnsysteme umsetzen. Insofern gibt es keine Begründung dafür, diesen Bereich der kommunalen Daseinsvorsorge von einer Marktöfnung und einem Wettbewerb der Anbieter auszunehmen. Angesichts der oftmals genannten Ziele für den Wettbewerb (Kostenreduktion, mehr Kundenorientierung und Innovationen) kann möglicherweise sogar eine gewisse Wettbewerbsrendite erzielt werden. Nicht erreicht werden dagegen mit einer Marktöfnung ein Mehr an Kundenorientierung und auch nicht Innovationen für eine zukunftsfähige Weiterentwicklung der komplexen technischen Verkehrssysteme in den Großstädten. Vielmehr erscheint in umgekehrter Hinsicht die Gefahr groß, dass wegen aufgegebener Verbundvorteile einer Inhouse-Vergabe mit dem Auftrag an den externen Wettbewerber eine innovative Weiterentwicklung der Systeme erschwert wird. Denn viele Ressourcen und Knowhow werden transaktionskostenintensiv bei der Abstimmung und wechselseitigen Kontrolle der Akteure gebunden. Die deutschen Großstädte können als Aufgabenträger und Gesellschafter weiterhin die In-House-Vergabe wählen. Angesichts der Bedeutung ihrer Verkehrsunternehmen für die Stadtentwicklung, sozialpolitische Fragen und für die Funktionsfähig- In Lyon umfasst das Network-Contracting neben den Bahnsystemen auch Bus- und O-Buslinien. Foto: Krummheuer keit der Städte werden sich die Unternehmen und ihre Produktionsmittel weiterentwickeln müssen. Für die Inhouse-Vergabe an kommunalen Unternehmen sprechen daher insgesamt: • Es ergeben sich Synergien aus der Gesamtverantwortung für das integrierte Gesamtsystem. • Die Investitionsgüter können von langfristig eingebundenen Verkehrsunternehmen besser entwickelt werden. • Anreizinstrumente über den Kundenzuspruch funktionieren bei einer umfassenden Leistungserstellung durch das Verkehrsunternehmen, wenn es - mittelbar - das Erlösrisiko trägt. Der lange auch von den kommunalen Verkehrsunternehmen erwartete Wettbewerb hat bereits im Vorhinein Wirkungen entfaltet und zu Kostensenkungen, mehr Kundenorientierung und verbesserten Organisationsformen geführt 7 . Mit der „In-House-Vergabe“ sind die kommunalen Unternehmen allerdings von diesem Restrukturierungsdruck befreit. Gleichwohl sollten die kommunalen Verkehrsunternehmen aber ihre Optimierungs-Prozesse weiter fortführen. Im Spannungsfeld zwischen politischer Einlussnahme, Fahrgastorientierung, ökonomischer Eizienz und ökologischer Verantwortung stehen sie vor anspruchsvollen Aufgabenstellungen. Wenn die kommunalen Verkehrsunternehmen diesen gesellschaftlichen Verplichtungen gerecht werden, lassen sich In- House-Vergaben als Ausnahme-Regelungen weiterhin rechtfertigen. Die Marktöfnung ist in jedem Fall aber eine Option, die von der Politik gezogen werden kann. Hieran werden sich die kommunalen Verkehrsunternehmen messen lassen müssen. ■ 1 König, Herbert; Sieg, Ulrich 2009: Systemeinheit oder Trennung? Organisation von Tram und U-Bahn: Argumentationspapier des Verwaltungsrates TRAM des VDV-zur Organisation von Betrieb und Infrastruktur bei Bahnen nach BOStrab. In: Der Nahverkehr - Öfentlicher Personennahverkehr in Stadt und Region, Jg. 27, H.-1/ 2: -7-10 Und: VDV [Verband Deutscher Verkehrsunternehmen] 2001: Funktion des Betriebsleiters nach BOStrab bei Umstrukturierungen der Verkehrsunternehmen. VDV Mitteilungen,-Nr. 7013. o.O. 2 Krummheuer, Florian 2014: Marktöfnung bei kommunalen Bahnen. Metros, Stadt- und Straßenbahnen im Wettbewerb. Wiesbaden Springer VS. Betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr.-Ing. Christian Holz-Rau, Dortmund und Prof. Dr. Jörg Bogumil, Bochum 3 Mayntz, Renate 2009: Über Governance: Institutionen und Prozesse politischer Regelung. Frankfurt, New York: Campus Verlag Seite 129: „To create a market unbundling and deconcentration must come together“. - Oder aus ökonomischer Perspektive: Knieps, Günter; Weiß, Hans-Jörg (Hg.) 2009: Fallstudien zur Netzökonomie. Wiesbaden: Gabler oder: Hedderich, Alexander 1996: Vertikale Desintegration in Schienenverkehr: Theoretische Basisüberlegungen und Diskussion der Bahnstrukturreform in Deutschland. Hamburg: Deutscher Verkehrsverlag 4 Vgl. dazu im Wesentlichen: Williamson, Oliver E. 1990a: Die ökonomischen Institutionen des Kapitalismus: Unternehmen, Märkte, Kooperationen. Tübingen: Mohr 5 Die von Williamson (a.a.O.) eingeführten und stark ausdiferenzierten Kriterien ‚Häuigkeit’ und ‚Speziität’ werden hier nicht näher erläutert. Sie dienten als Grundlage für die empirische Untersuchung. 6 vgl. Szabo, Oliver 1999: „Nachhaltigkeit“ als Leitbild für den öfentlichen Personennahverkehr: Systemtheoretische und institutionenökonomische Beiregionaler ÖPNV-Netzwerke. Dissertationen,- Bd. 87. Berlin: dissertation.de. Seite 97; Hedderich (a.ao.: 70); Resch 2008: 22 und Resch, Hubert; Neth, Dieter 2008: Direktvergabe oder Ausschreibungen in ÖPNV- Systemen: Aktualisierung der vergleichenden Studie zu Transaktionskosten aus 2004 um die Jahre 2005 und 2006 - Kurzfassung. Ein Projekt der Hans-Böckler-Stiftung. Bremen, Mössingen 7 Hirschhausen, Christian von; Cullmann, Astrid 2008: Next Stop Restructuring? : A Nonparametric Eiciency Analysis of German Public Transport Companies. Discussion Papers, Nr. 831. Berlin Florian Krummheuer, Dr. ehem. Mitarbeiter des Fachgebiets für Verkehrswesen und Verkehrsplanung der TU Dortmund. florian.krummheuer@ tu-dortmund.de Die ganze Welt setzt auf die Schiene. Setzen Sie auf uns. DB International Für Menschen. Für Märkte. Für morgen. www.db-international.de Abu Dhabi Metro, © atelier4d Architekten Berlin Engineering. System Consulting. Business Consulting. Wir entwickeln weltweit intelligente Verkehrssysteme für dynamische Wirtschaftsregionen. 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Der Autor: Kai Gondlach D er Anteil des Öfentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) am gesamten Personenverkehrsaukommen ist seit den 1980ern konstant auf niedrigem Niveau bei etwa 10 %. Im selben Zeitraum hat der Anteil des motorisierten Individualverkehrs (MIV) von 50 auf 59 % zugelegt. Nicht umsonst ist Deutschland als Autofahrernation bekannt; der „Autoverkehr [ist] immer noch rechtlich, iskalisch und personell wesentlich besser auf der kommunalen und regionalen Ebene verankert als der ÖV.“ [1] Individualverkehr verspricht - der Name lässt es bereits vermuten - den Nutzern ein hohes Maß an Individualität, Spontaneität, Komfort, Freiheit und Status. Schließlich entscheiden sie selbst, wann sie wohin fahren und wer auf dem Nachbarsitz Platz nimmt - wenn überhaupt. Jedoch sind die durch den MIV verursachten externen Kosten, zum Beispiel durch Staus, Verkehrsunfälle und Umweltverschmutzung, ungleich höher als beim ÖPNV [2]. Aus dieser Ausganglage ergibt sich das Urteil, dass der MIV zumindest in Gebieten mit einer funktionierenden ÖPNV-Infrastruktur objektiv gesehen viele Nachteile mit sich bringt. Der ÖPNV schneidet in den Kategorien Freiheit, Unabhängigkeit und Flexibilität [3] relativ schlecht ab. Dafür haben Busse und Bahnen eine deutlich bessere Bilanz in puncto „Lärm- und Schadstofemissionen, der Unfallhäuigkeit und der Flächenbeanspruchung“ [4]. Leider ist der ÖPNV in seiner aktuellen Verfassung ofensichtlich keine ernst zu nehmende Konkurrenz für den MIV. Eine traditionell starke Autolobby und die mangelhafte Attraktivität des ÖPNV sind nur zwei Ursachen von vielen. Objektiv gesehen spricht alles für eine Verkehrsverlagerung im Modal Split vom MIV zum Umweltverbund (ÖPNV, Fahrrad, Fußgänger). Dennoch bleibt die Verkehrsmittelnutzung seit vielen Jahren mehr oder weniger konstant. Lösung „Kostenloser ÖPNV“? Der Nulltarif im ÖPNV ist immer wieder Gesprächsthema, beispielsweise in Form einer „Nutzerinanzierung durch [ein] Deutschlandticket (wie BahnCard 100 mit City plus) für Alle“ [5]. Gefordert wird von unterschiedlichen Fraktionen mit unterschiedlichen Motiven, keine Fahrgelder mehr für die Nutzung des ÖPNV zu erheben. In der Regel wird damit mindestens eines der folgenden Ziele verfolgt: • „Veränderung des Modal Split (Zusammensetzung der Anteile der verschiedenen Verkehrsmittel an der Verkehrsmittelnutzung im Personenverkehr) zugunsten des ÖV • Senkung der Treibhausgas- und Lärmemissionen im Verkehrssektor • Optimierung der Verkehrs- und Stadtplanung • Verbesserung der Verkehrssicherheit“ [6] • Sozialpolitische und iskalische Motive Verschiedene Städte haben weltweit Modelle entwickelt oder unterschiedliche Konzepte ausprobiert. Tabelle 1 stellt ausgewählte Beispiele vergleichend gegenüber. Grundsätzlich hat sich bei der Einführung verschiedener Konzepte des Nulltarifs gezeigt, dass die Nutzerzahlen im ÖPNV in der Folge stark gestiegen sind. Das verkehrspoliti- Dauer Geltungsbereich Finanzierung Hasselt 1997-2013 Stadt Hasselt (ca. 70 000 Einwohner, EW) Umwidmung Haushaltsmittel, fahrscheinfrei für Fahrgäste Tallinn 2013- Stadt Tallinn (ca. 420 000 EW) Umwidmung Haushaltsmittel, kostenlos nur für Bürger/ innen Templin 1997-2003 2013- Stadt (ca. 14 000 EW) + Touristen; Touristen + optional Bürger/ innen Kurgebühr; Kurgebühr + optionale ÖPNV-Gebühr Lübben 1998-2002 Stadt (ca. 14 000 EW) Umwidmung Haushaltsmittel, fahrscheinfrei für Fahrgäste „Bürgerticket“ (Modell) - Heidelberg (ca. 150 000 EW) ÖPNV-Abgabe 180-240 EUR pro Jahr (p. a.) - Rheinland-Pfalz (ca. 4 Mio. EW) ÖPNV-Abgabe 192 EUR p. a. - Potsdam (ca. 160 000 EW) ÖPNV-Abgabe 100 EUR p. a. - Tübingen (ca. 90 000 EW) ÖPNV-Abgabe 100-150 EUR p. a. - Darmstadt (ca. 148 000 EW) Kostenlos für Fahrgäste - Marburg (ca. 70 000 EW) ÖPNV-Abgabe 50-100 EUR p. a. - Hamburg (ca. 1,7 Mio. EW) ÖPNV-Abgabe 170 EUR p. a. - Berlin (ca. 3,4 Mio. EW) ÖPNV-Abgabe 120-130 EUR p. a. + PKW-Abgabe Tabelle 1: Eigene Darstellung. [6] S. 55f. Internationales Verkehrswesen (66) 3 | 2014 25 ÖPNV-Nulltarif POLITIK sche Ziel einer Verkehrsverlagerung zugunsten des ÖPNV wurde also erreicht. In den vier betrachteten Modellstädten wurden ergänzend zur „Scheinfreiheit“ lankierende Maßnahmen ergrifen, um den erwarteten Ansturm von Fahrgästen bewältigen zu können; es wurden unter anderem Takte verdichtet, neue Fahrzeuge angeschaft, neue Strecken eingeführt und Straßen für den ÖPNV umgewidmet. Doch auch ein zentraler negativer Efekt darf nicht unberücksichtigt bleiben: so fand nicht nur eine Verlagerung vom MIV statt, sondern auch ehemalige Fußgänger/ innen und Radfahrer/ innen fuhren nun mit Bus und Bahn. Zusätzlich kann davon ausgegangen werden, dass viel „unnötiger“ Verkehr induziert würde, sobald die Fahrt „kostenfrei“ wäre. Auch befürchten Kritiker, dass Verkehrsunternehmen ohne Fahrentgelte weniger Anreiz hätten, Qualität zu liefern. Das zeigt, dass der reine Wegfall der Fahrscheine nicht ausreicht, um die gewünschte Verkehrsverlagerung zu erreichen (siehe [7], [8], [9]). Vielmehr verlangt ein ausgewogenes Konzept nach einem umfangreichen Maßnahmen-Mix aus Push-and-pull-Instrumenten, um einerseits die Attraktivität des ÖPNV zu erhöhen, auf der anderen Seite den MIV zu schwächen (z. B. durch Anpassungen im Parkraummanagement, Steuererhöhungen usw.) und gleichsam andere Umweltverbund-Teilnehmer/ innen am Umsteigen zu hindern. Denn, wie es vielleicht der Verkehrsclub Deutschland ausdrücken würde: Der beste Verkehr ist der, der gar nicht motorisiert stattindet. Dazu gesellt sich ein grundlegendes Problem des ÖPNV: Jede Region ist anders, sowohl bezogen auf die Verkehrsmittelnutzung als auch auf die Voraussetzungen für den Betrieb. Großstädte eignen sich grundsätzlich gut für den Nulltarif, da die ÖPNV- Akzeptanz hoch, die Straßen überfüllt, die Luftemissionen an der Grenze sind und eine gut ausgebaute Infrastruktur vorliegt. In manchen ländlichen Regionen lohnt sich demgegenüber schon heute kein Busbetrieb mehr. Hier sind vielmehr innovative Alternativkonzepte gefragt, die die Mobilität der Bevölkerung sicherstellen - als Beispiele sei hier nur kurz auf den Rubus, Bürgerbus und Kombibus (alle in Brandenburg) hingewiesen. Aktuell arbeiten unter anderem Potsdam (Stadtverwaltung), Berlin (Die Grünen), Erfurt, Leipzig und Bremen an Umsetzungsstrategien für den Nulltarif [10]. Finanzierung Die zentrale Schwierigkeit des Nulltarifs besteht in der Finanzierung. Immerhin müssen die Kosten kompensiert werden, die durch den Betrieb, die Erhaltung und den Ausbau der Infrastruktur entstehen. Aktuell geschieht dies durch ein hochgradig komplexes Gelecht aus Nutzerentgelten, Landes-, Bundes- und EU-Zuschüssen. Da aber die aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen kaum Spielraum lassen, haben die o. g. Modellstädte durchweg auf eine Umwidmung von Haushaltsmitteln bzw. erhobenen Kurgebühren zurückgegrifen. Diese Einnahmen sind allerdings nur schwer anpassbar, weshalb die Kosten in fast allen betrachteten Städten irgendwann nicht mehr getragen werden konnten. Stattdessen wurden einige Konzepte erarbeitet, die eine Mobilitätsabgabe in Form einer allgemein verplichtenden Gebühr - analog zur Rundfunkgebühr - vorschlagen. Eine derartige ÖPNV-Abgabe, die von allen Bürger/ innen gezahlt werden müsste, könnte zweckgebundene Mittel in den Haushalt spielen und sowohl Betrieb als auch Investitionen decken. Die Höhe der ÖPNV-Gebühr liegt nach unterschiedlichen Berechnungen bei 8-20 EUR im Monat pro Bürger/ in (siehe Tabelle 1). Dies erscheint als vertretbare Summe. Bei jeder Berechnung darf allerdings nicht vergessen werden, die voraussichtlichen Kosten für (Erst-)Investitionen und lankierende Maßnahmen mitzudenken, damit das Angebot auch tatsächlich für alle Teilnehmer/ innen des Umweltverbundes attraktiv gestaltet wird. Auch die Befragungen von zentralen ÖP- NV-Stakeholdern im Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg haben ergeben, dass die ÖPNV-Gebühr ein durchaus plausibles Modell darstellt. Die befürwortenden Argumente zielen vor allem auf den sozialen und ökologischen Vorteil einer Mehrnutzung des ÖPNV sowie die Vorteile aus Sicht der Verkehrsplanung. Gegenargumente stellen die Finanzierung von Investitionen in den Mittelpunkt, was darauf hindeutet, dass ein funktionierender Nulltarif sich vor allem dieser Thematik widmen und die Höhe der Gebühr entsprechend bemessen müsste (siehe [6], S. 62 f). Auf die Verkehrsunternehmen hätte eine Systemumstellung ambivalente Auswirkungen: Vertrieb, Tariierung und Fahrgeldmanagement wären dann nicht mehr nötig. Die Arbeitsplätze in diesen Bereichen würden wegfallen. Da allein der Vertrieb ca. 8-15% des Etats von Verkehrsunternehmen ausmacht, würde dies jedoch auch eine immense Kosteneinsparung bedeuten. Gleichzeitig werden viele neue Jobs geschafen durch einen erhöhten Bedarf an Fahrzeugführern und Beschäftigten für den Ausbau und Erhalt der Infrastruktur. Fazit und Ausblick Ein Nulltarif ohne intelligente Gegeninanzierung ist eine Utopie. Es ist auch fraglich, ob er die Lösung des Problems im Verkehrsmittelmix ist oder ob dafür andere verkehrspolitische Maßnahmen besser geeignet sind. Wer nur einen Hammer als Werkzeug hat, sieht in jedem Problem einen Nagel. Deshalb sollte genau überprüft werden, Zugkräftige Produkte ... 2014 e-ketten ® der E2 micro Familie für kleinste Bauräume, z. B. in Tür-Systemen igus ® auf der InnoTrans, Halle 12, Stand 101 ... 23.-26.09.2014 Spindel-Technologie dryspin ® mit Steilgewinden für schnelle Positionierung, z. B. in Tür-Systemen Leitungen wie chainflex ® CFSPECIAL.414 für Bewegung in Schienenfahrzeugen, z. B. in Tür-Systemen .de/ InnoTrans Tel. 02203 9649-800 Fax -222 Mo.-Fr. 7 bis 20 h Sa. 8 bis 12 h