eJournals Internationales Verkehrswesen 68/4

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0077
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2016
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Kostenwahrnehmung bei PKW-Reisen

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2016
Andreas Krämer
Die dynamischen Veränderungen im Mobilitätsmarkt, z. B. verstärkte Schwankungen der Kraftstoffpreise, neue Anbieter wie Fernlinienbusse und ein verschärfter Preiswettbewerb können sich auch auf die wahr- genommenen Kosten einer Autoreise auswirken. Auf Basis der durchgeführten empirischen Untersuchung belaufen sich diese in Deutschland im Mittel auf ca. 20 Cent pro km, wobei eine sehr große Streuung festzustellen ist. Deutlich höhere Kostenschätzungen werden von den Schweizer Autofahrern abgegeben. Dies ist weniger durch die höheren Kosten in der Schweiz bedingt, als vielmehr durch eine stärkere Einbeziehung von fixen und quasi-fixen Kosten im Vergleich zu Deutschland und Österreich
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POLITIK Mobilitätskosten Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 16 Kostenwahrnehmung bei-PKW-Reisen Empirische Analyse zur Schätzung der PKW-Kosten und der-wahrgenommenen Kostenkomponenten bei Autofahrern im DACH-Gebiet Entscheidungsmodelle, Fernreisen, PKW-Nutzung, Bahncard, Nutzungskosten Die dynamischen Veränderungen im Mobilitätsmarkt, z. B. verstärkte Schwankungen der Kraftstoffpreise, neue Anbieter wie Fernlinienbusse und ein verschärfter Preiswettbewerb können sich auch auf die wahrgenommenen Kosten einer Autoreise auswirken. Auf Basis der durchgeführten empirischen Untersuchung belaufen sich diese in Deutschland im Mittel auf ca. 20 Cent pro km, wobei eine sehr große Streuung festzustellen ist. Deutlich höhere Kostenschätzungen werden von den Schweizer Autofahrern abgegeben. Dies ist weniger durch die höheren Kosten in der Schweiz bedingt, als vielmehr durch eine stärkere Einbeziehung von fixen und quasi-fixen Kosten im Vergleich zu Deutschland und Österreich. Autor: Andreas Krämer D ie dominante Wettbewerbsstellung des PKW bei Fernreisen (mehr als 50 km einfache Strecke) wurde in den vergangenen Jahren aufgrund unterschiedlicher Veränderungen stark tangiert. Dazu zählen Schwankungen der Kraftstoffpreise, das veränderte Angebotsportfolio und eine veränderte Preiswahrnehmung: • Der starke Verfall der Weltmarktpreise für Rohöl seit Mitte 2015 hat dazu geführt, dass auch die Kraftstoffpreise in Deutschland signifikant (aber weniger stark) gesunken sind. Dies führte zum Beispiel dazu, dass im Januar 2016 der Preis für Diesel das Niveau von 0,90 EUR pro Liter erreichte. Mitte 2015 lagen die Preise noch ca. 0,30 EUR pro Liter höher. 1 Dies betrifft sowohl den intermodalen als auch den intramodalen Wettbewerb [1]. • Das Wettbewerbsgefüge der Verkehrsträger hat sich in den letzten Jahren deutlich verändert [2]. In diesem Kontext sind nicht nur der „Siegeszug“ der Low-Cost-Carrier im Airline-Bereich oder der Konsolidierungsprozess bei Ridesharing zu sehen, sondern auch neue Mobilitätsanbieter wie Fernlinienbusse, die sich in wenigen Jahren etablieren konnten. 2 • Insbesondere durch letztere haben sich auch neue Referenzpreise für günstiges Reisen im Markt etabliert. Besonders preisaggressiv ist der Anbieter Megabus aufgetreten, welcher Ticketpreise ab 1- EUR pro Strecke kommuniziert hat (mittlerweile wurde der Anbieter durch Marktführer Flixbus übernommen). Empirische Ergebnisse belegen, dass die Nutzer von Fernlinienbussen preissensibler sind und beispielsweise günstige Bahnpreise besser bewerten als Reisende ohne Fernbuserfahrung [3]. Wie objektiv ist die Sicht der Verbraucher? Verbraucher orientieren sich allerdings nicht (nur) an objektiven Gegebenheiten. So zeigen Befragungsergebnisse, dass es kein stabiles Urteil über die Nutzungskosten des PKW gibt (vgl. [4, 5]). Zusätzlich besteht eine starke Tendenz zur Unterschätzung der Kosten gegenüber den nach betriebswirtschaftlichen Regeln geschätzten objektiven Kosten [6]. Bezüglich der Höhe der von den Autonutzern wahrgenommen Kosten der PKW-Reise liegen unterschiedliche Interpretationen vor. Häufig wird ein rationales Entscheidungsmodell herangezogen, nachdem bei kurzfristigen Entscheidungen nur die variablen Kosten der PKW- Nutzung herangezogen werden. Der Erfolg der BahnCard-Einführung in 1992 wurde beispielsweise damit begründet, dass die Käufer der BahnCard die Kartenkosten (wie die fixen Kosten des PKW-Besitzes) als „Sunk Costs“ betrachten und die 50 %-ige Rabattierung des Bahn-Normalpreises auf dem Niveau der variablen PKW-Kosten lag-[7]. 3 Vor dem Hintergrund der veränderten Marktgegebenheiten stellt sich die Frage, inwieweit sie Einfluss auf die Abschätzung der tatsächlichen PKW-Nutzungskosten haben. Bisherige Befunde aus der statistischen Analyse zeigen im internationalen Vergleich eine geringe Preissensibilität der mit dem Auto zurückgelegten Entfernungen. Dies soll in Deutschland deutlicher als in den USA der Fall sein. Nach Bühler und Kunert führt eine zehnprozentige Erhöhung der variablen Kosten zu einer Reduktion der täglichen Autodistanz von 1,6 % [8]. Auch andere Regressionsanalysen beziehen primär die variablen Kosten der Autonutzung in ihre Modelle ein, weil diese in besonderem Maße als entscheidungsabhängig angesehen werden. Fixe (z. B. Abschreibungen) oder quasi-fixe Kostenkomponenten (z. B. Kosten für Inspektion) spielen keine relevante Rolle. 4 Vor diesem Hintergrund stellen sich die folgenden Fragen: • Wie hoch liegen die von den PKW-Nutzern wahrgenommenen Kosten für die Reise mit dem Auto? Inwieweit ist erkennbar, dass diese sich bei veränderten Kraftstoffpreisen entsprechend verändern? • Welche Kostenkomponenten werden in die Schätzung der PKW-Kosten von den Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 17 Mobilitätskosten POLITIK Fahrzeugnutzern berücksichtigt? Wie hoch ist der Anteil von Autofahrern, der nur die variablen Kosten als relevant betrachtet? • Bestehen länderspezifische Unterschiede in der Wahrnehmung der PKW-Kosten, d.h. einerseits in der Höhe der Kosten und anderseits in der Kostenstruktur? • Wie wirkt sich eine Erhöhung der wahrgenommenen PKW-Kosten auf die Verkehrsmittelwahl aus? Höhe der wahrgenommen Kosten der PKW-Reise Untersuchungsansatz MobilitätsTRENDS MobilitätsTRENDS 2016 ist eine Studie zur Ermittlung und Bewertung von Trends im Mobilitätsmarkt. Sie wird jährlich mehrmals in Kooperation von der exeo Strategic Consulting AG und der Rogator AG durchgeführt. Grundlage der Untersuchung ist eine repräsentative Befragung von ca. 4500 Personen ab 18 Jahren (deutschsprachige Bevölkerung DACH-Gebiet). Geschätzte Kosten durch die Autofahrer Innerhalb der Studie wurden Autofahrer bezüglich der Kosten einer PKW-Reise mit unterschiedlicher Reiseweite befragt. Dabei wurden randomisiert drei Gruppen gebildet, und zwar mit (a) 200 km Gesamtstrecke, (b)-600 km Gesamtstrecke und (3) 1000 km Gesamtstrecke. Die Ergebnisse sind in Bild 1 dargestellt: • Im Juli 2016 werden in Deutschland für die kurze PKW-Reise (200 km) Kosten von etwa 53 EUR (mittlere Strecke von 600 km: 110 EUR und längere Strecke bei 1000 km: 174 EUR) geschätzt. Umgerechnet auf den Kilometer ergeben sich Kosten, die von der kurzen Strecke (0,27- EUR/ km) über mittlere Strecken (0,18 EUR/ km) bis zur längeren Strecke (0,17 EUR/ km) degressiv abnehmen. Der Mittelwert von etwa 0,20 EUR/ km ist bereits ein Indikator dafür, dass nicht nur die Out-of-Pocket-Kosten der Autoreise ( je nach Verbrauch und Kraftstoff zwischen 0,07 und 0,11 EUR/ km) die Wahrnehmung der Autofahrer bestimmen, sondern auch weitere Kostenelemente. Allerdings liegt der Wert auch deutlich unterhalb des Vollkostenniveaus. Diese liegen nach Berechnungen des ADAC z. B. für einen VW Golf VII bei aktuell etwa 43 Eurocent pro km (ct/ km). 5 • Da die Fragestellung mit vergleichbaren repräsentativen Designs auch in früheren Wellen der MobilitätsTRENDS (Sep. 2015 und Jan. 2016) integriert war, können auch Veränderungen über die Zeit analysiert werden. So ergeben sich in der Erhebung im Jan. 2016 insgesamt erkennbar abgesenkte Kostenniveaus. Dies betrifft die mittleren und längeren Strecken. Kosten für kürzere Strecken sind über alle drei Erhebungswellen ansteigend. Eindeutige strukturelle Effekte des unterschiedlichen Kraftstoff-Preisniveaus auf die PKW-Kostenschätzungen sind nicht erkennbar. Wahrnehmung einzelner Kostenkomponenten Die fixen Kosten der PKW-Nutzung setzen sich zusammen aus dem Wertverlust, aus Steuern, die auf Anschaffung und Besitz erhoben werden, aus Versicherungsprämien und aus sonstigen Unterhaltskosten. 6 Zu diskutieren ist, inwieweit bestimmte Kostenkomponenten einen quasifixen Charakter haben können. Variable Kosten ergeben sich im Wesentlichen aus dem Kraftstoffpreis sowie den Steuern auf Kraftstoffe, aus Preisen und Steuern für Öle, gegebenenfalls aus Straßenutzungsgebühren wie Maut und verschleißabhängigen Wartungskosten [4]. Wahrgenommene Zusammensetzung der-PKW-Kosten In der Befragung wurden insgesamt fünf Kostenpositionen gestützt abgefragt. Die Positionen Spritkosten (Kraftstoffe) und sonstige variable Kosten (z. B. für Öl) können als Out-of-Pocket-Kosten bezeichnet werden. Knapp zwei Drittel der Autofahrer in Deutschland geben als Kostenbestandteil ihrer Schätzung nur diese variablen Kosten an. Mehr als ein Drittel bezieht weitere Kostenpositionen ein. Bild 2 stellt die Verteilung der genannten Kostenpositionen dar; 55 % der Befragten geben nur eine Position an, 8 % nennen alle fünf Kostenpositionen. 7 Die Struktur der Kosten ist wiederum von der Streckenlänge abhängig. Für die kürzere Reise werden im Mittel mit 2,3 Nennungen deutlich mehr Kostenpositionen angegeben als auf längeren Strecken. Der Anteil der Autofahrer, der die Abschreibungskosten bzw. die Kosten der Wiederbeschaffung in ihre Kalkulation einbezieht, liegt auf kürzeren Strecken von 200 km bei 25 % und geht bei längeren Strecken (1000 km) auf 6 % zurück. 8 1) Stellen Sie sich vor, Sie planen eine Reise mit dem Pkw. Wie hoch schätzen Sie die Kosten für eine Reise von 200 / 600 / 1000 km (einfache Strecke * 2)? 47,2 122,7 153,3 200 km 600 km 1000 km Geschätzte Pkw-Kosten nach Entfernung (Jan. 2016) 46,9 123,8 172,8 200 km 600 km 1000 km Geschätzte Pkw-Kosten nach Entfernung (Sep. 2015) Ø 24 Ct Kosten je km Ø 20 Ct Ø 15 Ct Ø 23 Ct Ø 21 Ct Ø 17 Ct 53,1 109,6 174,2 200 km 600 km 1000 km Geschätzte Pkw-Kosten nach Entfernung (Jul. 2016) 1) Ø 27 Ct Ø 18 Ct Ø 17 Ct Streckenlänge Streckenlänge Streckenlänge 1) Stellen Sie sich vor, Sie planen eine Reise mit dem Pkw. Wie hoch schätzen Sie die Kosten für eine Reise von 200 / 600 / 1000 km (einfache Strecke * 2)? Welche Kosten haben Sie bei Ihrer Schätzung berücksichtigt? Reise 200 km (100 km Hin/ Rück) Spritkosten Sonstige variable Kosten (z.B. Öl) Steuer / Versicherung Wartung (z.B. Ölwechsel / Reparaturen / Verschleiß) Abschreibung / Wiederbeschaffung Kostenbestandteile 1) Reise 600 km (300 km Hin/ Rück) Reise 1.000 km (500 km Hin/ Rück) 99% 37% 33% 31% 25% 98% 33% 12% 25% 11% 97% 28% 21% 23% 6% Out-of-Pocket- Kosten 55% 21% 11% 7% 8% 1 2 3 4 5 % der Befragten (Autonutzer) Anzahl Kostenkomponenten Ø 15 Ct/ km Ø 30 Ct/ km Ø 2,3 Ø 1,8 Ø 1,7 Bild 1: Deutschland - Wahrgenommene Kosten der PKW-Nutzung nach Reiseweite (in EUR) Bild 2: Deutschland - Berücksichtigung unterschiedlicher Kostenbestandteile nach Streckenlänge POLITIK Mobilitätskosten Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 18 Altersabhängige Kostenwahrnehmung Da für den Mobilitätsmarkt die Generation der Unter-30-Jährigen eine besondere Bedeutung hat - sie sind zum Beispiel für Automobilhersteller nicht nur die potentiellen Neuwagenkäufer von morgen, sondern verfügen über Einstellungs- und Verhaltensmuster, die weniger verfestigt sind als bei älteren Menschen [9] - soll kurz auf altersbedingte Wahrnehmungsunterschiede eingegangen werden. Erstens ist zu konstatieren, dass die mittlere Kostenschätzung im Alterssegment <30 Jahre sehr nahe am Mittelwert aller Befragten liegt. Auch die dargestellte Kostendegression ist in dieser Altersgruppe festzustellen. Unterschiede ergeben sich aber in der Struktur der wahrgenommen Kosten. Jüngere Autofahrer tendieren dazu, weniger Kostenkomponenten zu nennen. In Deutschland geben 62 % der unter 30-Jährigen nur eine von fünf vorgelegten Kostenkomponenten an, bei Senioren sind dies 50 %. Stärker als das Alter des Befragten wirkt allerdings das Alter des Fahrzeugs: Die mittleren geschätzten Kosten der PKW-Nutzung liegen bei etwa 17 Cent, wenn das Fahrzeug bis zu vier Jahre alt ist und steigen auf 24 Cent an, wenn das Fahrzeug neun und mehr Jahre alt ist. Länderspezifische Unterschiede in der Wahrnehmung der PKW-Kosten Länderspezifische Unterschiede in der DACH-Region Relativ deutliche Unterschiede zwischen der Schweiz einerseits und Deutschland und Österreich anderseits ergeben sich für die Höhe der Kostenschätzung und die Struktur der genannten Kostenkomponenten für PKW-Reisen. Wie Bild 3 (rechter Teil) zeigt, liegt die Kostenschätzung in der Schweiz in CHF etwa doppelt so hoch wie in Deutschland und Österreich, die in Hinblick auf die Kostenfunktion relativ ähnlich sind. Die Unterschiede sind aber neben dem höheren Preisniveau in der Schweiz vor allem auch in der unterschiedlichen Wahrnehmung von Kostenelementen begründet. Wenn für Deutschland gilt, dass die Autofahrer zu knapp zwei Drittel nur variable Kosten in ihrer Schätzung zugrunde legen, ist dies in der Schweiz diametral: 31 % der Autofahrer kalkulieren nur mit variablen Kosten, 69 % beziehen zumindest bestimmte Fixkosten in die Kostenschätzung mit ein. Fast ein Viertel der Schweizer Autofahrer nennt alle fünf Kostenpositionen. Im Segment der Senioren sind dies sogar mehr als 40 %. Eine entsprechende Altersabhängigkeit ist auch in den Nachbarländern festzustellen, allerdings weniger prägnant ausgeprägt als in der Schweiz. Wahrgenommenes Kostenniveau und Verkehrsmittelentscheidungen Veränderte Kostenwahrnehmung mit Konsequenzen Wenn festzustellen ist, dass die Kostenschätzungen eine erhebliche Varianz aufweisen, auch weil die Autofahrer unterschiedliche Komponenten in die Schätzung der PKW- Kosten einbeziehen, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Höhe der PKW- Kosten pro km auf die Verkehrsmittelwahl hat. In Bild 4 sind dazu drei Klassen gebildet worden (Schätzung der PKW-Kosten von unter 15 ct/ km, von 15 bis unter 30- ct/ km und von 30 und mehr ct/ km). Bezüglich der Autonutzung zeigt sich folgende Abhängigkeit: Während Personen mit geschätzten PKW-Kosten von unter 15 ct/ km auf einen Modalanteil des Autos (letzte Fernreise) von fast 90 % kommen, liegt der korrespondierende Anteil bei hohen wahrgenommenen Kosten von 30 und mehr ct/ km bei 77 %. Dieselbe Wirkungsrichtung ergibt sich für die Bewertung des Preis-Leistungs-Verhältnisses des PKW. Mit steigenden Kosten gehen die entsprechenden Zustimmungswerte zurück (von 82 % auf 64 %). Vom wahrgenommenen Kostenniveau gehen nicht nur Einflüsse auf die Verkehrsmittelwahl bei Fernreisen (> 50 km einfache Strecke) aus. Auch bei Kurzreisen zeigen sich Abhängigkeiten: Insbesondere bei hohen wahrgenommenen Kosten pro km ergibt sich ein sprunghafter Anstieg der ÖP- NV-Nutzungsrate (von 29 % bei PKW-Kosten von unter 15 ct/ km auf 48 % bei PKW- Kosten von mehr als 30 ct/ km). Derselbe Zusammenhang zeigt sich auch bei der Betrachtung der disponiblen ÖPNV-Fahrten (ÖPNV für Reisen in Erwägung gezogen, aber letztendlich nicht genutzt [10]). Insgesamt lässt sich schlussfolgern, dass ein steigendes Kostenbewusstsein bei der Autonutzung die Affinität zum ÖPNV erhöht. Habitualisierung in der Verkehrsmittelwahl Werden Autoreisende in Deutschland gefragt, welches Verkehrsmittel sie als Alternative in Erwägung gezogen haben, antworten etwa 80 % der Befragten mit „nein, ich habe kein anderes Verkehrsmittel berücksichtigt“ (frühere Studien aus 2008 [11] kommen auf nahezu identische Werte; dies ist ein Indikator dafür, dass die Wahrnehmungseffekte relativ robust sind). In der Schweiz liegt der korrespondierende Wert etwa zehn Prozentpunkte niedriger. Dies unterstreicht insgesamt ein erhebliches 1) Stellen Sie sich vor, Sie planen eine Reise mit dem Pkw. Wie hoch schätzen Sie die Kosten für eine Reise von 200 / 600 / 1000 km (einfache Strecke * 2)? Welche Kosten haben Sie bei Ihrer Schätzung berücksichtigt? Deutschland Spritkosten Sonstige variable Kosten (z.B. Öl) Steuer / Versicherung Wartung (z.B. Ölwechsel / Reparaturen / Verschleiß) Abschreibung / Wiederbeschaffung Kostenbestandteile 1) Österreich Schweiz 98% 33% 22% 26% 13% 96% 30% 36% 40% 21% 94% 48% 52% 54% 43% Out-of-Pocket- Kosten 0,0 0,1 0,2 0,3 0,4 0,5 200 km 600 km 1.000 km Schweiz (CHF/ km) Österreich (EUR/ km) Deutschland (EUR/ km) Kosten pro km nach Land Entfernung 82% 74% 64% unter 15 Cent 15 bis unter 30 Cent 30+ Cent Zufriedenheit Preis-Leistungs- Verhältnis Pkw (% top-2, 6er-Skala) Kostenschätzung pro km (Pkw) 88% 82% 77% unter 15 Cent 15 bis unter 30 Cent 30+ Cent Gewähltes Verkehrsmittel bei der letzten Fernreise (>50 km): % Pkw Kostenschätzung pro km (Pkw) 29% 32% 48% unter 15 Cent 15 bis unter 30 Cent 30+ Cent Nutzer des ÖPNV (häufiger als „selten“ in %) Kostenschätzung pro km (Pkw) Bild 3: Berücksichtigung unterschiedlicher Kostenbestandteile und streckenabhängige Abschätzung der PKW-Nutzungskosten nach Land Bild 4: Verkehrsmittelwahlentscheidungen nach wahrgenommenen PKW-Kosten (Deutschland) Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 19 Mobilitätskosten POLITIK Maß an Habitualisierung - eine Verhaltensweise, die sich kurzbis mittelfristig nur geringfügig beeinflussen lässt. Durch Vereinfachungsheuristiken wird die relative Vorzüglichkeit von Verkehrsmittelalternativen von Zeit zu Zeit durch die Autofahrer überprüft. Demzufolge ergeben sich auch keine unmittelbar erkennbaren wahrgenommenen Kostensenkungen, die sich proportional zu den tatsächlichen Preissenkungen bei Kraftstoffen verhalten. Dies ist damit zu erklären, dass ca. 40 % der Autofahrer die Preise vor dem Tanken an unterschiedlichen Tankstellen gar nicht oder nur selten vergleichen. Geringe Kraftstoff-Preiselastizität auf die PKW-Fahrleistung Die im Rahmen von Zeitreihen- oder Querschnittsanalysen publizierten Abschätzungen, die überwiegend eine geringe Preiselastizität der Autofahrer in Hinblick auf Spritpreisveränderungen konstatieren, werden in der empirischen Untersuchung unterstützt. In Deutschland stimmen knapp 60 % der Befragten der Aussage zu, „Ich achte jetzt mehr auf den Spritpreis an Tankstellen“ (top-2, Ablehnung ca. 14 %). Die Zustimmung zum Statement „Ich fahre jetzt mehr mit meinem Fahrzeug“ beträgt dagegen nur 17 % (Ablehnung ca. 50 %). Andere Studien, die beispielsweise den Einfluss von Straßengebühren (PKW-Road Pricing) auf die PKW-Nutzung untersuchen, weisen ebenfalls auf relativ geringe Verhaltensänderungen hin. Diskussion und Ausblick Wie die empirische Untersuchung zeigt, stellen die Kosten der Autoreise zwar neben anderen Facetten wie Bequemlichkeit, Reisedauer etc. ein relevantes Entscheidungskriterium dar, das allerdings schwer greifbar ist. Die geschätzten Kosten einer Autoreise belaufen sich im Mittel auf ca. 20 Cent pro km, wobei eine sehr große Streuung festzustellen ist. Dabei ist zunächst festzustellen, dass in der Regel weder lediglich die Out-of- Pocket-Kosten noch die Vollkosten für die Kostenabschätzung herangezogen werden. Als reine Spritkosten sind ca. 6,5 ct/ km (Diesel) bis 9 ct/ km (Otto) zu veranschlagen [12]. Werden die geschätzten mittleren Kosten der Autonutzung mit früheren Erhebungen vergleichen (z. B. wurden für 2002 Werte von ca. 18 ct/ km berechnet; vgl. [5]), so ergeben sich auch längerfristig nur leichte Erhöhungen. Bei den Treibern für die Höhe der Kosten stellt die Reiseentfernung einen wichtigeren Faktor dar als beispielsweise das Geschlecht oder die Jahres-Kilometerleistung des PKW: Bei steigender Entfernung nehmen die absoluten Kosten erwartungsgemäß zu, die Kosten pro km jedoch ab. Die Vermutung, dass bei längeren Reisen bei den Autofahrern ein stärkeres Bewusstsein für feste oder quasi-feste Kosten erhöht wird, lässt sich nicht belegen. Die länderspezifische Analyse zeigt darüber hinaus, dass eine Nutzung von Literatur- oder Standardwerten bei der Verkehrsmodellierung schwierig ist. So verhalten sich insbesondere die Schweizer Autofahrer anders als ihre Nachbarn in Deutschland und Österreich, wenn es um die wahrgenommen PKW-Kosten geht. In der Schweiz sind diese höher, weil fixe oder quasifixe Kostenkomponenten deutlich stärker in die Kostenschätzung für PKW-Reisen aufgenommen werden. Vor diesem Hintergrund kann der hohe Modalanteil der Bahn nicht nur durch eine hohe Leistungsfähigkeit des Schweizer Bahnsystems erklärt werden, sondern zum Teil auch durch die hohen wahrgenommenen Kosten der Autonutzung. Abschließend soll darauf hingewiesen werden, dass auch die Preissensitivität im Markt keine fixe Größe darstellt. Selbst wenn Autofahrer eine begrenzte Kostentransparenz und ein begrenztes Preiswissen haben, spielt die (wahrgenommene) relative Preisposition des Wettbewerbs eine Rolle, seien es „Kampfpreise“ von Low-Cost-Airlines wie Ryanair [13] oder von Fernlinienbussen wie Megabus [14]. 9 ■ 1 Zu den zeitlichen Veränderungen der Kraftstoffpreise für Diesel und Benzin siehe http: / / www.verbrauchsrechner. de/ entwicklung-der-benzinpreise/ deutschland/ . 2 Für Euphorie in der Busbranche hat die Meldung des Statistischen Bundesamtes im April 2016 gesorgt, weil „sich der Boom im Linienfernverkehr mit Omnibussen - allerdings abgeschwächt - fortgesetzt hat: 2015 dürften mindestens 20 Millionen Fahrgäste befördert worden sein, rund ein Viertel mehr als im Vorjahr“. Hinter dieser Zahl verbergen sich die Beförderungsfälle, nicht jedoch die Anzahl der Fernlinienbus-Nutzer (Personensicht) in Deutschland. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Expertenschätzungen zur Marktentwicklung teilweise erheblich zu hoch angesetzt waren. 3 Allerdings sind bereits an dieser Interpretation Zweifel angebracht. Werden Bahnreisende um die Bewertung des gezahlten Preises gebeten, ergeben sich beispielsweise für Reisende mit BahnCard 50 schlechte Werte, obwohl diese Reisenden faktisch nur 50 % des Flexpreises (Normalpreises) bezahlt haben. Andere Kundengruppen mit effektiv gleich hohem Rabatt auf den Flexpreis kommen auf ein deutlich höheres Zufriedenheitsniveau bezogen auf die Ticketpreishöhe. 4 Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass die Einbeziehung von Kosten, die über die reinen Kraftstoffkosten hinausgehen, auch methodisch problematisch sind, weil diese kaum operationalisierbar sind. 5 Abruf am 15.9.2016 unter https: / / www.adac.de/ infotestrat/ autodatenbank/ autokosten/ autokosten-rechner/ default. aspx. 6 Quasi-fixe Kosten (auch als sprungfixe, stufenfixe oder Sprungkosten bezeichnet) liegen dann vor, wenn sie innerhalb eines Intervalls der Ausprägungen einer Bezugsgröße (im allgemeinen der Beschäftigung) fix sind (fixe Kosten) und bei Ober-bzw. Unterschreitung der Intervallgrenzen sprunghaft ansteigen bzw. sinken. 7 Fehlende Werte zu 100 % sind bei der Position „Spritkosten“ durch die Nutzer von Fahrzeugen mit Elektro-Antrieb erklärbar, die sich nicht eindeutig zuordnen konnten. 8 In einer Parallelstudie (Pricing Lab 2016) wurde fast zeitgleich ein identisches Fragendesign allerdings in einem leicht veränderten Kontext (nur in Deutschland) verwendet. Die grundsätzlichen strukturellen Effekte, die im Rahmen von MobilitätsTRENDS identifiziert wurden, sind auch in dieser Studie erkennbar. Dies spricht für eine hohe Reliabilität der Ergebnisse. 9 Der Autor bedankt sich bei der Rogator AG, Nürnberg, für die Durchführung der Erhebung und das Datenmanagement der Studien. LITERATUR [1] Krämer, A. (2016): Zukunft Bahnpersonenverkehr: Wie wettbewerbsfähig ist das deutsche Bahnsystem unter veränderten Konkurrenzbedingungen? ZEVrail 140 (4), S. 138-145. [2] Krämer, A., Jung, M. (2014): Zwischen Preiswettbewerb und Preiskampf - Das Spannungsfeld zwischen Nachfrageboom und Preiserosion bei Reisen mit Fernlinienbussen. Internationales Verkehrswesen, 66 (4) 2014, S. 58-60. [3] Krämer, A. (2016): Using Experimental Survey Designs to Support Pricing Decisions. Business Management Horizons, 4 (1), June 2016. S. 22-38. [4] Molt, W. (1977): Preiswahrnehmung komplexer Güter am Beispiel der PKW-Nutzung. Zeitschrift für Verbraucherpolitik, 1 (4), S. 325- 338. [5] Wilger, G.: Mehrpersonen-Preisdifferenzierung. Diss., DUV, Wiesbaden 2004. [6] Schneider, H.: Preisbeurteilung im Verkehrsdienstleistungsbereich, in: Woratschek, H. (Hrsg.): Neue Aspekte des Dienstleistungsmarketing, Wiesbaden 2000, S. 101-130. [7] Firner, H. / Tacke, G. (1993): Bahncard: Kreative Preisstruktur. Absatzwirtschaft, 36 (5), S. 66-70. [8] Bühler, R., Kunert, U. (2008): Trends und Determinanten des Verkehrsverhaltens in den USA und in Deutschland. Forschungsprojekt im Auftrag des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung Projektnummer 70.0802/ 2006 Berlin. [9] Bratzel, S. (2014): Die junge Generation und das Automobil - Neue Kundenanforderungen an das Auto der Zukunft? In: Ebel, B., Hofer, M.B. (Hrsg.): Automotive Management, S. 93-108. [10] Krämer, A.: Nachfragepotenziale für den ÖPNV - Konzeptionelle Überlegungen und empirische Ergebnisse für die DACH-Region. DER NAHVERKEHR, Heft 10/ 2016, S. noch offen. [11] Bauer, F. (2008): Psychological Pricing - Entscheidungen verstehen, Verhalten steuern. Straßenverkehrstechnik 6.2008, S. 352-357. [12] Shell Deutschland/ Prognos AG: Shell PKW-Szenarien bis 2040. Hamburg 2014. [13] Krämer, A. (2016): Der Preis ist heiß - Welche Rolle spielen Preisendungen, Wettbewerbsinformationen und das Handelsunternehmen für das Preisurteil des Verbrauchers und die Preiswahrnehmung von Aktionsangeboten? MARKENARTIKEL, Heft 10/ 2016, S. 101-103. [14] Krämer, A., Jung, M., Burgartz, T. (2016): A Small Step from Price Competition to Price War - Understanding Causes, Effects and Possible Countermeasures. International Business Research; Vol. 9, No. 3, S. 1-13. Andreas Krämer, Prof. Dr. Professor an der Business and Information Technology School, Iserlohn; Vorstand der exeo Strategic Consulting AG, Bonn andreas.kraemer@exeo-consulting.com