eJournals Internationales Verkehrswesen 68/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0080
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2016
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Bahnhof und Bahnhofsfunktionen aus Nutzerperspektive

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2016
Karsten Hager
Wolfgang  Rid
Carolin Herdtle
Felix Märker
Diana Böhm
Aus wissenschaftlicher Literatur wurden generische Funktionen von Bahnhöfen ermittelt. Der Projektanalyserahmen stützte sich auf eine Arbeit von S. Zemp [siehe 10], der aus Anforderungen an Bahnhöfe Bahnhofsfunktionen ableitet. Für die Fallstudie Ludwigsburg lag der Fokus auf der Identifizierung von nutzergruppenspezifischen Merkmalen, nämlich Pendler und Senioren, die mit interdisziplinären Methoden analysiert wurden und in Planungs- und Handlungsvorschlägen zum Bahnhofumbau mündeten. Die Ergebnisse stammen aus den Projekten „LUI (Ludwigsburg Intermodal)“ und „einfach umsteigen. Altersgerechte Orientierungs- und Leitsysteme an Umsteigepunkten“.
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Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 24 Bahnhof und Bahnhofsfunktionen aus Nutzerperspektive Ergebnisse am Beispiel des Umbaus des Bahnhofs Ludwigsburg zum „Wohlfühlbahnhof“ Nutzergruppen, Umsteigepunkte, Bahnhöfe, Bahnhofsfunktionen, Stadtplanung, Verkehrsplanung Aus wissenschaftlicher Literatur wurden generische Funktionen von Bahnhöfen ermittelt. Der Projektanalyserahmen stützte sich auf eine Arbeit von S. Zemp [siehe 10], der aus Anforderungen an Bahnhöfe Bahnhofsfunktionen ableitet. Für die Fallstudie Ludwigsburg lag der Fokus auf der Identifizierung von nutzergruppenspezifischen Merkmalen, nämlich Pendler und Senioren, die mit interdisziplinären Methoden analysiert wurden und in Planungs- und Handlungsvorschlägen zum Bahnhofumbau mündeten. Die Ergebnisse stammen aus den Projekten „LUI (Ludwigsburg Intermodal)“ und „einfach umsteigen. Altersgerechte Orientierungs- und Leitsysteme an Umsteigepunkten“. Autoren: Karsten Hager, Wolfgang Rid, Carolin Herdtle, Felix Märker, Diana Böhm A ls zentrale Mobilitätsorte, an denen unterschiedliche Verkehrsarten und -träger zusammentreffen, stehen Bahnhöfe vor dem Hintergrund sozialer und technologischer Entwicklungen vor vielfältigen Herausforderungen. Zum einen werden Mobilitätsbedürfnisse durch gesellschaftliche Modernisierungs- und Individualisierungsprozesse in zunehmendem Maße komplexer [1]. Zum anderen stellen makrostrukturelle Faktoren, wie der Klimawandel, die wachsende Urbanisierung und der Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologie moderne Mobilitätssysteme vor große Herausforderungen [2]. Ausgangssituation und Untersuchungsraum Der Ludwigsburger Bahnhof zählt zu einem der größten Bahnhöfe in Baden-Württemberg. Er wird von ca. 50 000 Fahrgästen täglich genutzt, von denen ein Großteil Be- Foto: Städtebau-Institut Universität Stuttgart INFRASTRUKTUR Wissenschaft Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 25 Wissenschaft INFRASTRUKTUR rufspendler ist. Aufgrund der wachsenden Zahl der Ein-, Aus- und Umsteiger sowie der notwendigen Integration neuer Mobilitätsangebote und technologischer Innovationen, soll der bestehende Bahnhof an zukünftige Anforderungen angepasst werden. Die Neugestaltung des Bahnhofs und des angrenzenden ZOB soll eine übersichtliche inter- und multimodale Verknüpfung der Verkehrsträger fördern, neue Mobilitätsangebote (z. B. Car- und Pedelec-Sharing) integrieren sowie Warte- und Aufenthaltsbereiche aufwerten, um den Ludwigsburger Bahnhof als „Mobilitätsdrehscheibe der Zukunft“ [3] weiterzuentwickeln. Seitens der Stadtverwaltung wurde daher das Projekt „Wohlfühlbahnhof“ initiiert. Dieser Begriff ist wie folgt definiert: „Der Bahnhof ist die zentrale Verkehrsdrehscheibe im Stadtgebiet der Stadt Ludwigsburg. Er ist modern, übersichtlich, sicher und sauber und verfügt somit über eine hohe Aufenthaltsqualität. Er ist städtebaulich gut in die Umgebung integriert“ [4]. Von 2013 bis 2016 wurden zwei Forschungsprojekte „LUI (Ludwigsburg Intermodal)“ und „Einfach umsteigen. Altersgerechte Orientierungs- und Leitsysteme an Umsteigepunkten“ durchgeführt, um die Anforderungen an den Bahnhof einer Mittelstadt sowie die Chancen der planerischen Umsetzung zu untersuchen. Insbesondere zur Umsetzung innovativer Mobilitätssysteme erscheint eine Zielgruppen-spezifische Analyse zielführend [5, 6, 7]. Ein Fokus der Untersuchung lag auf der Nutzergruppe der Berufspendler als größter Nutzergruppe des Bahnhofs, ein weiterer auf Senioren, um vor dem Hintergrund des demographischen Wandels eine lebenslange selbstständige Teilnahme am Leben in der Stadt zu fördern. Stand der Forschung Bahnhöfe sind komplexe Mikrobausteine einer Stadt, an denen auf engstem Raum verschiedenste Funktionen und Nutzergruppen aufeinandertreffen. Eine Verknüpfung verschiedener Transportmodi wird zumeist als primäre Funktion eines Bahnhofs hervorgehoben, sowohl in der Makro- [8], als auch in der Mikroebene [9]. Eine umfassende Analyse von (Personen-)Bahnhöfen wurde in der Schweiz in einem transdisziplinären Forschungsprojekt vorgenommen [10]. Im Rahmen dieses Forschungsprojektes wurden fünf generische Bahnhofsfunktionen identifiziert, die es ermöglichen, die Anforderungen von Akteuren an Bahnhöfe zu analysieren und eine holistische Betrachtung von Bahnhöfen vorzunehmen. Die generischen Funktionen sind: (1) Siedlungsraum und Verkehrsnetz verknüpfen (2) Verkehrsmittelwechsel ermöglichen (3) Kommerzielle Nutzungen ermöglichen (4) Öffentlichen Raum bieten und (5) Identität des Umfeldes mitgestalten. Methoden der Funktionsanalyse des Ludwigsburger Bahnhofs: Partizipationsformate, Seminar, Pedelecwege-Analyse, Beschilderungsanalyse Zur Analyse der spezifischen Anforderungen von Pendlern wurden im Projekt LUI mehrere Planwerkstätten durchgeführt (03/ 2013, 02/ 2014, 01/ 2016). Die Planwerkstätten zeichneten sich durch ein heterogenes Teilnehmerfeld aus, das aus Anwohnern, Lokalpolitkern oder Arbeitgebern im Bahnhofsumfeld bestand. In der ersten Planwerkstatt [4] wurden allgemeine Themen wie ÖPNV, Stadtplanung, Elektromobilität und Barrierefreiheit diskutiert. In der zweiten Planwerkstatt [11] wurden vor allem die Inhalte des Projektes LUI diskutiert. Die dritte Planwerkstatt [3] basierte auf dem geplanten Umbau des ZOB, die Situation der einzelnen Verkehrsträger im Bahnhof der Zukunft sowie die Situation der Radabstellanlagen und Radwege. Durch das heterogene Teilnehmerfeld der Planwerkstätten wurde das Durchführen von Fokusgruppen (Pendler und Senioren) als zielführend angesehen. Zudem wurde ein Pendlerbeirat initiiert (09/ 2014, 06/ 2015), um die Berufspendler in den Fokus zu nehmen. Im ersten Pendlerbeirat (13 Teilnehmer) ging es um die Evaluierung der Funktionen eines Musterbahnhofs sowie dem akuten Handlungsbedarf vor Ort. Im zweiten Pendlerbeirat (zehn Teilnehmer) wurden konkrete bauliche Maßnahmen an Teilbereichen des Bahnhofs Ludwigsburg diskutiert. Zusätzlich wurde ein studentischer Entwurf am Städtebau-Institut der Universität Stuttgart durchgeführt, welcher den Bahnhof als Teil eines multimodalen Mobilitätssystems funktional und ästhetisch in die Gesamtstadt integriert. Zur Untersuchung der Nutzergruppe der Seniorinnen und Senioren (bei der Teilnehmerauswahl definiert als Bürgerinnen und Bürger über 60 Jahren) wurde im Projekt „… einfach umsteigen“ ein Ideenworkshop durchgeführt (05/ 2016). Die Nutzergruppe der Senioren ist sehr heterogen, daher wurde bei der Auswahl der Workshop-Teilnehmer u.a. auf unterschiedliche körperliche Beeinträchtigungen sowie Erfahrungen mit der Nutzung des Bahnhofs geachtet, um ein breites Spektrum an Problemen identifizieren und Lösungsvorschläge erarbeiten zu können. Mit 14 Seniorinnen und Senioren fand im Rahmen des Workshops zunächst eine gemeinsame Ortserkundung und -analyse des Bahnhofareals statt. Dabei erhielten die Teilnehmer fiktive Alltagsaufgaben zu den Themenbereichen Warten, Orientieren und Bewegen am Bahnhof, die sie in Kleingruppen vor Ort lösen sollten. Anschließend wurden im ge- Bild 1: Fotodokumentation Pendlerstrecke am Beispiel Hartenecker Höhe - Bahnhof Quelle: Städtebau-Institut Universität Stuttgart Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 26 INFRASTRUKTUR Wissenschaft meinsamen Austausch an einem physischen Modell positive und negative Eindrücke gesammelt. In einer Ideenwerkstatt entwickelten die Senioren schließlich Einfälle, Visionen und Wünsche für den Ludwigsburger Bahnhof. Zudem wurden zwei weitere Analyseschritte durchgeführt: Darunter fällt zum einen eine Pedelecwege- Analyse, die sich mit der Anbindung des Ludwigsburger Bahnhofs mit Hilfe von Pedelecs beschäftigt und Handlungsempfehlungen zum Ausbzw. Umbau der Radinfrastruktur bei einer erhöhten Nutzungsfrequenz von Pedelecs auf den Radwegen Ludwigsburgs gibt. Da eine Analyse aller Radwege in Ludwigsburg nicht innerhalb des Projektes umgesetzt werden konnte, wurden Beispielstrecken anhand von Nutzungsszenarien ausgewählt (s. Bilder 1-4). Des Weiteren wurde durch eine Analyse aller vorhandenen Schilder und Hinweistafeln im Bahnhofsareal Möglichkeiten einer vereinfachten Wegeführung ausgelotet. Unter Beachtung der Notwendigkeit einer einheitlichen Beschilderung sowie einer nur eingeschränkt die STVO und DB-ergänzenden Beschilderung wurden vor allem Maßnahmen entwickelt, die durch gestalterische, bauliche oder topographische Elemente Menschen leiten. Untersuchungsergebnisse Siedlungsraum- und Verkehrsnetz verknüpfen (Pedelecwegeanalyse) Als Ausgangspunkt für Testfahrten auf Basis von nutzergruppenspezifischen Zielen (Naherholung, Einkaufen, Arbeitsweg) wurde das Neubaugebiet Hartenecker Höhe im Osten Ludwigsburgs gewählt (s. Bild 1: Beispielstrecke Hartenecker Höhe - Bahnhof ). Die Strecken wurden bei den Testfahrten nach folgenden Prüfkriterien analysiert: (a) Orientierung (b) Übersichtlichkeit (c) Belag der Fahrbahn (in Abhängigkeit von Witterung und Saison) (d) Breite der Wege. Bild 2 fasst die wichtigsten Unterschiede zwischen Fahrrädern und Pedelecs zusammen und bildet den durchschnittlichen Pedelecnutzer ab, d.h. Nutzer in der Alterskategorie 50+, ggf. körperliche Einschränkungen und Unerfahrenheit mit höheren Durchschnittsgeschwindigkeiten auf Fahrrädern. Berufspendler benötigen vorwiegend übersichtliche, kreuzungsarme und wetterunabhängige Strecken, um Fahrtzeiten möglichst kurz zu halten. Die Einrichtung von Vorfahrtstraßen, zuverlässigem Winterdienst und entsprechender Ausleuchtung, aber auch Sofortmaßnahmen wie der Rückschnitt von Hecken (für ein aufgeräumtes Sichtfeld) tragen oft zur Verbesserung der Situation bei. Senioren akzeptieren durchschnittlich längere Fahrtzeiten, fahren häufiger in Gruppen und verstärkt zu Freizeit- und Einkaufszwecken (Absatz beruht auf: Pendlerbeirat Stadt LB, 2014). Aufgrund des hohen Eigengewichts der Pedelecs und der geringeren körperlicher Fitness von Senioren sind Hebesituationen, Schiebepassagen und Spurrillen zu vermeiden, ebenso sollten Bordsteine abgesenkt werden. Bild 3 zeigt eine Übersicht Bild 2: Unterschiede zwischen Pedelecs und Fahrrädern; durchschnittliches Nutzerprofil Quelle: Städtebau-Institut Universität Stuttgart Bild 3: Nutzerbewertung von Senioren und Pendlern Quelle: Städtebau- Institut Universität Stuttgart Bild 4: Anforderungen für Pendler mit Pedelecnutzung an die Radinfrastruktur am Beispiel der Hartenecker Höhe Quelle: Städtebau-Institut Universität Stuttgart Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 27 Wissenschaft INFRASTRUKTUR der zugrunde gelegten Gewichtung der einzelnen Kriterien pro Nutzergruppe, die von den Autoren erarbeitet wurde. Bild 4 zeigt zusammenfassend die notwendigen Anforderungen an eine Rad-Infrastruktur bei verstärktem Pedelecaufkommen. Verkehrsmittelwechsel ermöglichen (Beschilderungsanalyse, Partizipationsformate) Die Verwendung von Beschilderung als Lösung eines Orientierungsproblems sollte nur in Ausnahmefällen erfolgen. Zudem wurde der Frage nachgegangen, an welcher Stelle Pendler oder Senioren gesonderte Informationen benötigen. Die Zielgruppe der Berufspendler zeigte im Gegensatz zur Gruppe der Senioren vornehmlich Interesse an Informationen zum Verkehrsmittel (z. B. aktuelle Abfahrtsinformationen) und weniger an Maßnahmen zu einer verbesserten Orientierung. Senioren wünschen sich darüber hinaus kurze Wege, nutzerfreundliche Informationstafeln sowie barrierefreie Leitsysteme. Bei der Informationstafel ist insbesondere auf die Auswahl kontrastreicher Farben zu achten, welche auch von Personen mit eingeschränkter Sehkraft lesbar sind. Zur Förderung der visuellen Orientierung wurde eine farbige Sortierung der Busse vorgeschlagen, z.B. durch eine spezielle Farbigkeit für Innenstadtbusse. Zudem haben akustische Orientierungshilfen eine wichtige Funktion beim Verkehrsmittelwechsel. Angesichts der ermittelten Wünsche der beiden Nutzergruppen konnten die sechs folgenden Maßnahmen zur Orientierung bei Verkehrsmittelwechsel erarbeitet werden: (a) Markierungen auf dem Boden (b) sichtbare Alternativen (c) zusammenfassen (d) gestaltend leiten (e) Orientierung durch Sichtbarkeit (f ) konzentrieren (s. Bild 5). Anhand der kategorisierten Bestandsaufnahme der Beschilderung (ÖPNV, Stadt, Fahrrad, STVO) könnten unter Anwendung der sechs Maßnahmen von 106 am Bahnhof aufgenommenen Schildern 69 Schilder ersetzt oder abmontiert und somit die Wegfindung am Bahnhof verbessert werden. Kommerzielle Nutzung ermöglichen (Partizipationsformate) Die Relevanz von kommerziellen Nutzungen an Bahnhöfen wurde von keinem Teilnehmerkreis in den Partizipationsformaten infrage gestellt, allerdings wurde weder von Pendlern noch von Senioren akuter Handlungsbedarf identifiziert. Bei einer Priorisierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Bahnhofsfunktionen im Rahmen der zweiten Planwerkstatt wurden „kommerzielle Nutzungen“ mit der geringsten Priorität bewertet. Stattdessen wurde das am Bahnhof Ludwigsburg relativ breite Warenangebot als eher störend empfunden (Bild 6). Im Zuge eines Workshops mit Ludwigsburger Senioren wurde deutlich, dass auch die Gruppe der Senioren die Vielzahl an Geschäften und deren Außenauslagen im Bahnhofsgebäude negativ bewertet, da die Auslagen die Bewegungsfreiheit im Gebäude einschränken. Öffentlichen Raum bieten (Partizipationsformate, Seminar) Drei der von der Stadt Ludwigsburg benannten Themengebiete mit dringendem Handlungsbedarf haben Bezug zum öffentlichen Raum [4]. Zudem wurde in den Pendlerbeiräten berichtet, dass der heutige Bahnhofsvorplatz nicht als öffentlicher Platz wahrgenommen wird. Zu Beginn des Projektes wurde häufig über mangelnde Sauberkeit sowie ein ungenügendes Sicherheitsempfinden am Bahnhof berichtet. Dies konnte allerdings in der Projektlaufzeit durch ein einheitliches Reinigungskonzept Bild 5: Maßnahmen zur Schilderreduktion zur Orientierung an Bahnhöfen Quelle: Städtebau- Institut Universität Stuttgart, eigene Darstellung Bild 6: Die Gruppe der Senioren bewertet die Vielzahl der Geschäfte und ihrer Außenauslagen im Bahnhofsgebäude negativ. Foto: Städtebau-Institut Universität Stuttgart Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 28 INFRASTRUKTUR Wissenschaft und eine größere Präsenz des Sicherheitspersonals verbessert werden, wie sich in den Fokusgruppen zeigte. Die Senioren definierten die Aufenthaltsqualität in öffentlichen Räumen überwiegend über einen hohen Anteil an Grünflächen. Außerdem wurde eine barrierearme Gestaltung durch ebene Straßenbeläge, abgesenkte Bordsteine, breite Gehwege und ausreichende ergonomische Sitzmöglichkeiten mit Witterungsschutz gefordert. Des Weiteren wurden zur Aufwertung des öffentlichen Raums in der Ideenwerkstatt Spielgeräte und Bewegungselemente diskutiert. Explizit angesprochen wurde außerdem die Thematik der Sicherheit, wie etwa ausreichende Beleuchtung des öffentlichen Raums. Der Input der Senioren wurde mithilfe eines Modells des Ludwigsburger Bahnhofareals gesammelt, in das die Senioren ihre Ideen, Anregungen und Wünsche mit Stecknadeln markieren konnten (s. Bild 7). Im Rahmen eines studentischen Entwurfsprojektes [12] wurde der Bahnhofsvorplatz neu gestaltet, um eine Aufwertung der Flächen vornehmen zu können (s. Bild 8). Darüber hinaus wurde vorgeschlagen, durch temporäre Maßnahmen (z.B. Bodengestaltung, Abkleben von Werbung) eine Bewusstseinsänderung für den öffentlichen Raum herbeizuführen. Identität des Umfelds mitgestalten (Partizipationsformate, Seminar) Der Begriff der Identitätsgestaltung war für alle Befragten und Fokusgruppenteilnehmer schwer zu fassen. Für Pendler spielte diese Funktion nahezu keine Rolle, die Senioren fokussierten sich auf funktionale Aspekte des Bahnhofs. Die einzigen Anregungen zur Gestaltung des Umfeldes handelten von der Integration anderer am Bahnhof benötigter Gebäude (Parkhäuser), die z. B. über die Fassadengestaltung in das städtebauliche Umfeld integriert werden sollten. Festzuhalten ist, dass sich die Beteiligung von Nutzergruppen im Hinblick auf die Entwicklung und Gestaltung der ‚Identität‘ eines Bahnhofs im Vergleich zu den anderen Bahnhofsfunktionen als am schwierigsten herausstellte, das Format der Partizipation im Bereich der Gestaltung evtl. auch an seine Grenzen stößt. Die studentischen Entwürfe zielten insbesondere darauf ab, die Trennwirkungen der Gleise zu verringern sowie zusätzliche Sichtachsen zu schaffen (s. Bild 7). Fazit Das theoretische Konzept der generischen Bahnhofsfunktionen nach [10] eignete sich in der vorliegenden Untersuchung gut, um einerseits den Zustand des Bahnhofs, andererseits seine Entwicklungsmöglichkeiten zu beschreiben. Die Definitionen sowie die Interaktionen zwischen den Funktionen führen dazu, dass alle Bahnhöfe in ihrer Einzigartigkeit abgebildet werden können. Die Gewichtung der Funktionen variiert im Hinblick auf den Maßstab des Bahnhofs sowie prägenden Nutzergruppen. Maßnahmen zur Verbesserung einzelner Funktionen können Synergien zur Folge haben, aber auch Zielkonflikte auslösen (Fläche für den Verkehrsmittelwechsel vs. Fläche für öffentlichen Raum). Je nach spezifischen Umbauzielen der Bahnhöfe müssen wechselnde Zielgruppen in die Planung eingebunden werden. Dies ist insbesondere dann aufwändig, wenn es um die Anbindung von Bahnhöfen in ihr städtisches Umfeld Bild 7: Visualisierung des Bahnhofsareals Ludwigsburg am Modell mit Stecknadeln der Senioren für Anregungen, Kritik, etc. Quelle: Städtebau-Institut der Universität Stuttgart) Bild 8: Studentischer Entwurf zur Neugestaltung der öffentlichen Plätze am Ludwigsburger Bahnhof Quelle: Städtebau-Institut Universität Stuttgart, Studenten: Sibylle Schmitt, Leo Herrmann Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 29 Wissenschaft INFRASTRUKTUR [10] Zemp, S. (2011): Sustainable positioning of railway stations systemic analysis for knowledge integration. ETH Zürich, Dissertation No. 19578, 122 S. [11] Stadt Ludwigsburg (LB) (2014): Zeit für einen Wandel - Planwerkstatt „Wohlfühlbahnhof“. Ludwigsburg, 8 S. [12] Städtebau-Institut (2016): Abschlussabgaben des studentischen Entwurfs der Werkstatt: Mobilität zum Bahnhof Ludwigsburg. Carolin Herdtle, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Forschungsgruppe Stadt-Mobilität-Energie, Städtebau-Institut, Universität Stuttgart carolin.herdtle@si.uni-stuttgart.de Felix Märker, Dipl.-Ing., M. Eng. Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Stadt-Mobilität-Energie, Städtebau-Institut, Universität Stuttgart felix.maerker@si.uni-stuttgart.de Wolfgang Rid, Prof. Dr. Leiter der Forschungsgruppe Stadt-Mobilität- Energie, Städtebau-Institut, Universität Stuttgart, und Professor für Stadt-und Regionalökonomie, FH Erfurt wolfgang.rid@si.uni-stuttgart.de Diana Böhm, Dipl.-Ing. Wissenschaftliche Mitarbeiterin am LAI Lehrstuhl für Landschaftsarchitektur und industrielle Landschaft, Prof. Udo Weilacher, TU München boehm@lai.ar.tum.de Karsten Hager, M. Sc. Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Stadt-Mobilität-Energie, Städtebau-Institut, Universität Stuttgart karsten.hager@si.uni-stuttgart.de HINTERGRUND Der Projektrahmen LUI (Ludwigsburg Intermodal): Das hier geschilderte Projekt ist Teil des Forschungsprojektes Ludwigsburg Intermodal (LUI), gefördert im Rahmen des Programmes Schaufenster Elektromobilität bzw. LivingLab BWe mobil (Laufzeit: 01.05.2013 - 30.06.2016). Das Projekt wird als Konsortialprojekt durchgeführt, Projektpartner sind die Stadt Ludwigsburg (Lead-Partner), die Universität Stuttgart (SI und IAT), sowie die Stadtwerke Ludwigsburg Kornwestheim (SWLB). Projektinhalt: Der Bahnhof Ludwigsburg soll im Zuge von Modernisierungsmaßnahmen zu einer intermodalen Mobilitätsdrehscheibe mit hoher Aufenthaltsqualität ausgebaut werden. Besonders im Fokus liegt dabei der Ausbau der Elektromobilität, die zusammen mit einer baulichen Modernisierung des Bahnhofs das neue nachhaltige intermodale Mobilitätskonzept der Stadt Ludwigsburg prägen soll. „… einfach umsteigen. Altersgerechte Orientierungs- und Leitsysteme an Umsteigepunkten. Untersucht am Fallbeispiel des Bahnhofsvorplatzes in Ludwigsburg“: Förderprogramm „kleine Schritte, große Wirkung“ der Robert-Bosch Stiftung in Kooperation mit der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen e.V. (BAGSO). (Laufzeit: 09 / 2015 - 09 / 2016) Projektinhalt: Im Projekt „…einfach umsteigen“ wurde sich der Frage der altersspezifischen Mobilitätsproblematik am Beispiel der Umsteigeorte genähert. Gemeinsam mit ortsansässigen Seniorinnen und Senioren wurde am Fallbeispiel des Bahnhofs Ludwigsburg untersucht, welche Bewegungs- und Orientierungsabfolgen es an Umsteigeplätzen gibt und welche Faktoren bei älteren Mobilitätsnutzern zu Problemen mit der Nutzung des Bahnhofs führen. Dazu wurde im Mai 2016 ein Workshop mit Ludwigsburger Bürgerinnen und Bürgern der Generation 60+ durchgeführt. Um eine möglichst große Bandbreite an Meinungen zu untersuchen, nahmen sowohl Personen, die den Ludwigsburger Bahnhof bereits in ihrem Alltag als Umsteigepunkt nutzen, am Workshop teil, als auch solche, die (bislang) nur wenige Erfahrungen mit dem Bahnhofsraum gemacht hatten. Die Autoren danken den Mitarbeitern der städtischen Verwaltung Ludwigsburg für die konstruktive Zusammenarbeit sowie allen Umfrage-/ Workshop-Teilnehmern für ihr Interesse und ihren Input. geht. Empfehlenswert ist aus Sicht der Autoren, ein Controlling zur Messbarkeit der Fortschritte in den einzelnen Funktionen zu verwenden. Eine Analyse des Ist-Zustandes sowie des Handlungsbedarfs für den Bahnhof Ludwigsburg konnte durch die Fokussierung auf spezifische Nutzergruppen zielorientiert erstellt werden. Die vorgestellte Pedelecwege-Analyse sowie die Methoden zur Reduktion von Beschilderung sind prinzipiell auf andere Untersuchungsregionen übertragbar. Nutzerspezifische Formate, wie Fokusgruppen, haben sich im Laufe der Projekte als wertvoll erwiesen und sollten bei Bahnhofsanalysen immer zum Einsatz kommen. In den Diskussionsrunden war die Verwendung von Visualisierungen sehr hilfreich, um Planungsinhalte zu diskutieren (s. Bild 7): Die Teilnehmer konnten sich mit Hilfe der Visualisierungen besser orientieren und ihr Feedback besser strukturieren. ■ LITERATUR [1] Jarass, J. (2012): Wohnstandortpräferenzen und Mobilitätsverhalten: Verkehrsmittelwahl im Raum Köln. VS Verlag für Sozialwissenschaften. Wiesbaden. [2] Deutscher Bundestag (2013): Zukunft der Mobilität - Entwicklung der Mobilitätsforschung des Bundes. Drucksache 17/ 12119. Berlin. [3] Stadt Ludwigsburg (LB) (2016): Vom Wohlfühlbahnhof zum Bahnhof der Zukunft - Planwerkstatt. Ludwigsburg, 8 S. [4] Stadt Ludwigsburg (LB) (2013): Zeit für einen Wandel - Planwerkstatt „Bahnhof mit Zug“. Ludwigsburg, 8 S. [5] Braun, A., Herdtle, C., Schmid, M., Märker, F., Rid, W. (2015): Toolbox für Elektromobilität in Mittelstädten. Online unter: http: / / www.emis-projekt.de/ brcms/ pdf/ EMiS_Toolbox_ Elektromobilitaet.pdf (Zugriff am 08.08.2016). [6] Hager, K., Märker, F., Rid, W., Zimmermann, S.: Verortung von Pedelec-Verleihstationen (PVS). In: Planerin 4/ 16, 38-40. [7] Rid, W.; Parzinger, G.; Müller, U.; Grausam, M. (2016): Elektromobilität im Carsharing - Status Quo, Potenziale und Erfolgsfaktoren. BMVI (Hrsg.). Berlin. [8] Juchelka, R. (2002): Bahnhof und Bahnhofsumfeld. Ein Standortkomplex im Wandel. [9] Arndt, K.; Becker, J. (2013): Beispielhafte Bahnhöfe im RMV. Was bei der Bahnhofsgestaltung zu beachten ist. In: Der Nahverkehr (5), 34-38.