Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0086
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2016
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Echtzeitdaten im ÖPNV
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Kathrin Viergutz
In Ausgabe 3|2016 von Internationales Verkehrswesen beschreiben Alexander Rammert und Trutz von Olnhausen, welche Fahrgastinformationen von Fahrgästen im Regionalverkehr besonders gerne genutzt werden und welche Anforderungen an diese bestehen. Ergänzend dazu werden hier die Ergebnisse einer Masterstudie beschrieben, die zum Ziel hatte, Nutzeranforderungen an dynamische Fahrgastinformationen (DFI) mit Echtzeitdaten im Nahverkehr zu identifizieren.
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Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 47 Informationssysteme MOBILITÄT Echtzeitdaten im ÖPNV Welche Anforderungen haben Fahrgäste an Informationen - und was ist besser: Apps oder Haltestellen-Anzeigen? Dynamische Fahrgastinformationen, Anforderungsanalyse, Fahrgäste, ÖPNV, App, Haltestellen In Ausgabe 3|2016 von Internationales Verkehrswesen beschreiben Alexander Rammert und Trutz von Olnhausen, welche Fahrgastinformationen von Fahrgästen im Regionalverkehr besonders gerne genutzt werden und welche Anforderungen an diese bestehen. 1 Ergänzend dazu werden hier die Ergebnisse einer Masterstudie beschrieben, die zum Ziel hatte, Nutzeranforderungen an dynamische Fahrgastinformationen (DFI) mit Echtzeitdaten im Nahverkehr zu identifizieren. Autorin: Kathrin Viergutz F ahrgäste haben das Bedürfnis, stets aktuelle und verlässliche Informationen über Abfahrten und Verbindungen zu erhalten. Besonders interessant sind dabei Echtzeitdaten, also Angaben, wann Bus und Bahn tatsächlich - und nicht laut Fahrplan - eintreffen. Dafür eignen sich Echtzeitangaben an Haltestellen oder in mobilen Anwendungen, die Auskunft über die aktuelle Betriebslage und die voraussichtliche Ist-Abfahrtszeit geben. Diese ermöglichen den Fahrgästen die verlässliche Abschätzung der tatsächlichen Reisezeit sowie die eventuelle Anpassung ihrer Fahrt zum Beispiel durch die Generierung einer Alternativroute bei Betriebsstörungen. Im Rahmen einer im Jahr 2015 durchgeführten Masterstudie an der Technischen Universität Berlin wurden die Nutzeranforderungen von Fahrgästen auf eben diese dynamischen Fahrgastinformationen (DFI) mit Echtzeitdaten untersucht. 2 Kernstück der Studie bildete eine Online-Befragung unter Fahrgästen des Nahverkehrs, mithilfe welcher der Frage nachgegangen wurde, welche Arten von DFI für diese besonders wertvoll sind. Klassifizierung von Fahrgastinformationen Echtzeiten in der Fahrgastinformation werden meist in Form von Restzeiten ausgegeben, also nicht in absoluten Uhrzeiten angezeigt, sondern stellen einen „Countdown“ bis zur Abfahrt dar. Im Gegensatz zur Angabe von Ist-Zeiten in Form von Restzeiten ist die Anzeige von Uhrzeiten meist Fahrplandaten vorbehalten. So kann bei Verspätungen, Betriebsstörungen oder fehlenden Standortsignalen der Fahrzeuge eine Kombination aus Echtzeit- und Fahrplandaten zuverlässig und unmissverständlich vermittelt werden. Die Sortierreihenfolge entspricht dabei meist der chronologischen Reihenfolge ab dem aktuellen Zeitpunkt. Weit verbreitet ist die Restzeitanzeige in ganzen Minuten, Restzeiten können jedoch auch sekundengenau ausgegeben oder in Form von Entfernungsangaben des Fahrzeugs zur betreffenden Haltestelle angegeben werden. Aus der Information über die Anzahl der noch zu bewältigenden Haltestellen bis zum Eintreffen eines Fahrzeugs kann der Fahrgast bei Vorhandensein ausreichender Erfahrungswerte die prognostizierte Dauer bis zum Eintreffen des Fahrzeugs ableiten (Bild 1). Neben den dargestellten bahnsteig- und gleisspezifischen Abfahrtstafeln können Abfahrtstafeln auch die Abfahrten mehrerer Gleise, beispielsweise an Knotenpunkten, enthalten. Solche Abfahrtstafeln, die sich nicht direkt am Bahnsteig, jedoch in dessen Nähe befinden, werden auch „Near-Stop-Displays“ genannt. Rahmenbedingungen der Fahrgastbefragung Die quantitative Fahrgastbefragung wurde zwischen dem 14.06.2015 und 25.07.2015 als Online-Befragung durchgeführt. Regionale Teilnahmevoraussetzungen existierten nicht, jedoch bestand eine weitere Aufgabe des Forschungsprojekts darin, eine Strategie für die Echtzeitdaten-Fahrgastinformation in der Rhein-Neckar-Region zu erarbeiten, weshalb rund 70 % der Befragten diese Region als ihren Wohnort angaben. Insgesamt wurden 462 Personen befragt. Rund 66 % der Befragten waren dabei männlichen Bild 1: Beispiele für Darstellungen der dynamischen Abfahrtszeit Alle Darstellungen: Autorin Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 48 MOBILITÄT Informationssysteme sowie rund 32 % weiblichen Geschlechts. Durch den Verbreitungsweg Internet ist die Altersstruktur der Teilnehmer gegenüber dem Bundesdurchschnitt verjüngt - rund 34 % der Teilnehmer waren zwischen 21 und 30 Jahre alt, lediglich 14 % gaben an, 51 Jahre oder älter zu sein. Trotz der vom Bundesdurchschnitt abweichenden Teilnehmerstruktur können die Ergebnisse der Studie aufgrund der großen Stichprobe bei der Analyse von Nutzeranforderungen behilflich sein. Mobilitätsverhalten und Informationsbeschaffung Die Ergebnisse der Fahrgastbefragung im Einzelnen: Nutzungshäufigkeit: Rund 78 % der Befragten gaben an, mindestens dreimal wöchentlich öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, rund 63 % sogar mindestens achtmal wöchentlich. Dabei steht eine Nutzung für eine Fahrt inklusive möglicher Umstiege. Wegezwecke: Bei der Frage nach den Wegezwecken, bei der Mehrfachnennungen möglich waren, gaben rund 79 % der Befragten an, öffentliche Verkehrsmittel für den Weg zur Arbeit, Schule oder Universität nutzen. Freizeitziele werden während der Tagesstunden von 64 %, abends und nachts von 61 % mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreicht. Informationsbeschaffung: Den Befragten wurde ein Szenario vorgestellt, bei welchem sie entscheiden sollten, auf welchem Wege sie sich Informationen zur Erreichung eines ihnen unbekannten Zieles in der Umgebung beschaffen würden. Dabei war die Nennung mehrerer Antworten möglich. Bild 2 zeigt, dass rund 76 % der Befragten eine App zur Informationsgewinnung zurate ziehen würden. Rund 48 % würden mithilfe eines stationären Computers oder mobilen Gerätes die Webseite eines Verkehrsunternehmens aufsuchen. Diese Ergebnisse decken sich in ihrer Tendenz mit den Ergebnissen von Rammert und von Olnhausen. Deren Studie ergab, dass tägliche Nutzer öffentlicher Verkehrsmittel zur Gewinnung von Informationen zur Reiseplanung vorrangig (32 %, Mehrfachangaben möglich) mobile Anwendungen nutzen. Zudem nutzen rund 25 % dafür Webseiten. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass sich die Frage aus der Studie von Rammert und von Olnhausen auf allgemeine Reiseanbindungen bezieht, weshalb rund 21 % der Befragten angaben, Reisen vorrangig aufgrund eigener Erfahrungswerte zu planen. Die in der hier beschriebenen Studie gestellte Frage bezog sich hingegen auf die Gewinnung von Reiseinformationen zu bisher unbekannten Zielen. Informationsbeschaffung älterer Befragter: Betrachtet man die Informationsbeschaffung der Befragten, die 51 Jahre oder älter sind (48 Befragte), wird deutlich, dass sowohl Webseiten als auch Apps bei dieser Zielgruppe ebenfalls beliebte Instrumente zur Informationsgewinnung darstellen, wobei Webseiten noch stärker genutzt werden als Apps. Immer und überall informiert: Apps für öffentliche Verkehrsmittel Mobile Anwendungen: Bei mobilen Anwendungen (Apps) handelt es sich um Auskunftssysteme, die dem Fahrgast individuelle Auskünfte erteilen. Die gebotenen Informationen werden bei geringer zeitlicher Entfernung zum aktuellen Zeitpunkt als Countdown angegeben, teilweise mit Angabe der Fahrplantreue. Bei Abfragen, welche sich auf einen späteren Zeitpunkt beziehen, werden Fahrplandaten meist als Uhrzeiten dargestellt. Nutzer können zudem durch die Aktivierung der Umfeldsuche auch ortsbezogene Informationen erhalten. Für die Nutzung ist ein eigenes Anzeigegerät mit Internetverbindung, wie beispielsweise ein Smartphone oder Tablet, nötig. Nutzungshäufigkeit von Apps: Insgesamt gaben rund 73 % der Befragten an, mindestens einmal wöchentlich Apps zu nutzen, rund 58 % sogar mehrmals wöchentlich oder täglich (Bild 3). Lediglich 11 % der Befragten nutzen keine Apps für öffentliche Verkehrsmittel. Zu beachten ist dabei, dass die Befragung online durchgeführt wurde und somit eine Aufgeschlossenheit gegenüber moderner Technik und ein routinierter Umgang mit Software seitens der Befragten anzunehmen ist. Abfahrts- und Verbindungsauskünfte: Fahrplanauskünfte in Apps können auf zwei verschiedene Weisen erfolgen. Abfahrtsauskünfte geben Auskunft über die Abfahrten bestimmter Linien an bestimmten Haltestellen. Verbindungsauskünfte ermitteln Wege von einem Startzu einem Zielpunkt. In der Befragung gaben rund 26 % der Befragten an, hauptsächlich Verbindungsauskünfte in Apps zu nutzen. Rund 22 % nutzen vorrangig Abfahrtsauskünfte und rund 39 % gaben an, beide Auskunftsarten gleichermaßen in Apps nutzen. Beliebte Funktionen von Apps: In Bild 4 sind mögliche Funktionen von Apps für öffentliche Verkehrsmittel nach ihrer von den Befragten zugesprochenen Wichtigkeit bewertet. Die Zahlen im Diagramm zeigen die absolute Anzahl der Antworten. Insgesamt 410 Befragte (rund 89 %) halten eine Verbindungsauskunft, welche eine Route von einem Startzu einem Zielpunkt ermittelt, für sehr wichtig oder eher wichtig. Echtzeit- Angaben werden von 401 Befragten (rund 87 %), Live-Ticker mit aktuellen Informationen über Fahrplanabweichungen und Betriebsstörungen von 379 Befragten (rund 82 %), Abfahrtszeiten und Linien an bestimmten Haltestellen von 370 Befragten Bild 2: Möglichkeiten der Informationsbeschaffung: Alle Befragten Bild 3: Nutzungshäufigkeit von Apps Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 49 Informationssysteme MOBILITÄT (rund 80 %) als sehr wichtig oder eher wichtig empfunden. Weniger wichtig ist die Möglichkeit, das Unternehmen direkt zu kontaktieren, sowie der Kauf von Tickets in der App: Insgesamt bewerten 218 Befragte (rund 47 %) die Feedback-Möglichkeit als eher unwichtig oder überhaupt nicht wichtig. Die Möglichkeit, Fahrscheine in der App zu erwerben halten 188 Befragte (rund 41 %) für eher unwichtig oder überhaupt nicht wichtig. Dabei ist zu beachten, dass es sich bei den Befragten um Personen handelt, welche häufig öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Es ist davon auszugehen, dass viele der Befragten über Zeitkarten verfügen und deshalb der Erwerb von Fahrscheinen nicht zu deren unbedingt erforderlichen Funktionen einer App gehört. Apps machen die Nutzung des ÖPNV ein bisschen besser: Die Befragten wurden um ihre Selbsteinschätzung gebeten, ob die Nutzung von Apps bei ihnen zu einer häufigeren oder bevorzugten Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel geführt hat. Rund 26 % dieser Befragten gaben an, dass die Nutzung von Apps positive Auswirkungen auf ihre Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel habe. Immer noch wichtig: Anzeigen an Haltestellen Anzeigen an Haltestellen: DFI-Anzeigen an Haltestellen sind ortsfeste Anlagen, die Auskunft über Abfahrten an den betreffenden Haltestellen geben. Sie werden auch „At-Stop-Displays“, „Pixel-Anzeiger“ oder „Fahrgastinformationssäulen“ genannt. Dabei handelt es sich um stationäre Systeme, die ein kollektives Publikum bedienen. Übermittelt werden vorrangig zeitbezogene Informationen zu den nächsten Abfahrten vom betreffenden Standort. Der Abruf von Informationen über Abfahrten zu einem späteren Zeitpunkt ist nicht möglich. Diese Informationen werden über Geräte vermittelt, welche meist vom Verkehrsunternehmen bereitgestellt werden. Für die Nutzung der dargebotenen Information ist somit der Besitz eines eigenen Anzeigegerätes nicht nötig. Um die Information zu erhalten, muss der Nutzer selbst nicht aktiv werden, da die eigenständige Suche entfällt, sondern die ihm präsentierte Information lediglich konsumieren. Anzeigen sind beliebt: Die Befragten wurden nach ihrer Zustimmung zur Aussage, dass sie DFI-Anzeigen an Haltestellen für sinnvoll und nützlich halten, gebeten. Rund 97 % der Befragten stimmten dieser Aussage „voll und ganz“ oder „eher“ zu. Dabei schätzen die Befragten dabei vor allem die Anzeige von Linien und Zielen (rund 83 %, Mehrfachangaben möglich) sowie Echtzeiten (rund 82 %). Für drei von vier Befragten ist die Anzeige der Wartezeit als Restzeit wichtig. Fazit: Die Mischung macht’s Kombination mehrerer Informationssysteme: Die Befragung hat gezeigt, dass Fahrgäste zur idealen Fahrgastinformation mehrere DFI-Systeme je nach den situationsbedingten Anforderungen kombinieren. Dabei wünschen sie sich zuverlässige Informationen mit Echtzeiten, die übersichtlich aufbereitet, kostengünstig und schnell verfügbar sind. Abschließend zeigt Bild 5 die Antworten von Fahrgästen auf die Frage, auf welches DFI-System sie am wenigsten zu verzichten bereit wären. Für rund 42 % der 462 Befragten stellen Anzeigen an Haltestellen die wichtigste Fahrgastinformation dar. Rund 37 % möchten nicht auf Auskünfte per mobiler Anwendung verzichten. Informationssysteme werden vielfältiger: Alexander Rammert und Trutz von Olnhausen schreiben in ihrem Artikel, dass Informationssysteme vielfältiger werden. Diese These kann durch die beschriebene Studie belegt werden: Digitalisierung und die ständige Vernetzung führt zu einer hohen Informationsdichte im ÖPNV. Fahrgäste können sich auf vielfältige Weise über die aktuelle Betriebslage informieren. Dabei sind Informationen, die durch eigenen aktiven Abruf im Smartphone gewonnen werden können, genauso wichtig wie Informationen, die an Haltestellen bereitgestellt werden. Die Mischung macht’s! Interessant wäre die Betrachtung der Vorbehalte von Nicht-Nutzern öffentlicher Verkehrsmittel. So könnte in einer weiteren Studie eine Anforderungsanalyse von Personen durchgeführt werden, die aufgrund unzureichender oder schwer zugänglicher Informationen die Nutzung des ÖPNV vermeiden. ■ 1 Rammert, Alexander, und Trutz von Olnhausen: Zukunft der Fahrgastinformation: Untersuchung der Nutzungsansprüche an Informationssysteme im Schienenpersonenverkehr. In: Internationales Verkehrswesen (68) 2016, Ausgabe 3, Seiten 58-61 2 Weitere Informationen sowie die vollständigen Ergebnisse der Studie im PDF-Format auf der Webseite www.fahrgast-information.de Kathrin Viergutz, M.Sc. Absolventin Fachbereich Planung und Betrieb im Verkehrswesen, Technische Universität Berlin viergutz@fahrgast-information.de Bild 4: Bevorzugt genutzte Funktionen von Apps Bild 5: Bewertung der favorisierten Fahrgastinformation
