Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2016-0091
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„Ingenieursdenken ist mehr denn je gefragt“
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Jochen Eickholt
Digitalisierung, Elektroautos, autonomes Fahren – die Innovationsspirale dreht sich im Bereich Mobilität schneller als je zuvor. Welche Relevanz haben in diesem Umfeld noch Jahrestage wie der 200. Geburtstag von Werner von Siemens? Fragen von Eberhard Buhl an den CEO Siemens Mobility, Dr. Jochen Eickholt.
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Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 64 EXTRA Werner von Siemens „Ingenieursdenken ist mehr denn-je-gefragt“ Digitalisierung, Elektroautos, autonomes Fahren - die Innovationsspirale dreht sich im Bereich Mobilität schneller als je zuvor. Welche Relevanz haben in diesem Umfeld noch Jahrestage wie der 200. Geburtstag von Werner von Siemens? Fragen von Eberhard Buhl an den CEO Siemens Mobility, Dr. Jochen Eickholt. Herr Dr. Eickholt, am 13. Dezember 2016 würde Werner von Siemens 200-Jahre alt, das Unternehmen selbst kann im kommenden Jahr das 170. Jahr der Gründung feiern. Wie wichtig sind solche Termine heute noch für einen global tätigen Konzern wie Siemens? Das sind schon bedeutende Wegmarken. Werner von Siemens hat ja nicht nur unser Unternehmen geprägt, sondern die deutsche und auch die globale Industriegeschichte. Nur wenige Industriekonzerne haben eine so lange und erfolgreiche Tradition wie unser Unternehmen. Es geht aber vor allem auch um Werner von Siemens als Person: Er war ein Ingenieur und Erfinder im besten Sinn des Wortes, der für uns bis heute ein Vorbild ist. Weil seine Ideen die Welt von Grund auf veränderten? Seine Ideen und Erfindungen auf dem Gebiet der Elektrotechnik veränderten damals die Welt und prägen sie bis heute. Der elektrische Zeigertelegraph zum Beispiel war ein revolutionäres, aber praxistaugliches Kommunikationsgerät, das bald darauf in der Telegraphen-Bauanstalt von Siemens & Halske in großer Zahl gefertigt wurde. Mit der Erfindung der Dynamomaschine konnte elektrische Energie überhaupt erst wirtschaftlich erzeugt und praktisch genutzt werden. Und die erste elektrische Lokomotive 1879, zwei Jahre später dann die erste elektrische Straßenbahn, sind gewissermaßen die Initialzündungen für Siemens Mobility von heute. Dann ist es also der berühmte Erfindergeist, der Werner von Siemens bis heute so bemerkenswert erscheinen lässt? Das auch, aber Werner von Siemens war zugleich ein engagierter, verantwortungsvoller und weitsichtiger Unternehmer. Er dachte von Anfang an in internationalen Kategorien. Mit Hilfe seiner Brüder William und Carl spannte Werner von Siemens ein Vertriebsnetz über ganz Europa, von Irland bis Russland und in den Nahen Osten. Er stellte hohe Ansprüche an sich selbst, hatte aber stets auch das Wohl Anderer im Blick. Zeitgemäß interpretiert, prägen sein Unternehmergeist und seine soziale Verantwortung bis heute die Kultur und die Werte des Unternehmens - unser Firmenslogan „Ingenuity for life“ weist genau in diese Richtung. Und dieses Ingenieursdenken ist Ihrer Meinung nach auch heute noch gefragt? Heute mehr denn je. Denn die Innovationszyklen werden zusehend kürzer, während die einst scharfen technologischen Grenzen etwa zwischen Straßen- und Schienenverkehr verschwimmen. Das hat gute Gründe. Die Herausforderungen an Nutzer, Betreiber und Hersteller von Fahrzeugen erweisen sich zunehmend als verkehrsträgerübergreifend - und so gleichen sich immer häufiger auch die Lösungsansätze. Können Sie ein konkretes Beispiel dafür nennen? Nehmen wir als Ausgangspunkt den gesellschaftlichen und politischen Willen zu sauberer Mobilität. Wenn wir heute innovative Ladesysteme für Elektrobusse aus bewährter Straßenbahntechnik heraus entwickeln, dann zeigt sich, wie selbstverständlich diese einst konkurrierenden Systeme zusammenwachsen. Zusammen mit der Urbanisierung und dem demografischen Wandel gehört ja die steigende Nachfrage nach Mobilität zu den großen Herausforderungen der Zeit. Das sind starke Treiber für eine dynamische Entwicklung bei Digitalisierung und Automatisierung. Die gleicht in manchen Bereichen fast schon einer Revolution: Weil sich Infrastrukturen nicht unbegrenzt erweitern lassen, müssen wir Wege finden, sie effizienter zu nutzen - etwa mit intelligenten Assistenzsystemen oder autonomen Fahrzeugen. Die Digitalisierung ist der Katalysator dafür, dass wir auch in bereits existierenden Verkehrssystemen den Durchsatz erhöhen und flexibler gestalten können, dass wir die Verfügbarkeit von Zügen und Systemen auf über 99 Prozent verbessern können, und dass wir einen bisher nie gekannten Passagierkomfort anbieten können. Der aktuelle Trend zur Digitalisierung ist also unumkehrbar? Da bin ich ganz sicher: In den kommenden Jahren wird Digitalisierung die Mobilität, aber auch unser gesamtes Lebensumfeld stärker prägen, als viele von uns sich heute vorstellen können. ■ Dr. Jochen Eickholt ist CEO der Siemens-Division Mobility ZUR PERSON
