Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
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Robert Belle
Transport for London ist der Mobilitätdienstleister der britischen Metropole. Die Organisation hat eine lange Tradition und gleichzeitig den Anspruch, mit der Zeit gehen. Das gilt besonders für den Kundenservice: Die Website von Transport for London ist zentrale Anlaufstelle für alle Reisenden in und um London. Mit dem Umzug in die AWS Cloud von Amazon Web Services ist TfL jetzt in der Lage, auf die starke Zunahme an mobilen Nutzern einzugehen und gleichzeitig Kunden sowie Drittanbietern Verkehrsdaten in Echtzeit zur Verfügung zu stellen. Dass dabei noch Kosten gespart werden, ist ein angenehmer Nebeneffekt.
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Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 73 Nächste Station: Cloud Transport for London setzt auf Cloud-Infrastruktur Daten-Infrastruktur, Cloud, Echtzeitdaten, Dienstleistungen, Fahrgastinformation, Mobilität Transport for London ist der Mobilitätdienstleister der britischen Metropole. Die Organisation hat eine lange Tradition und gleichzeitig den Anspruch, mit der Zeit gehen. Das gilt besonders für den Kundenservice: Die Website von Transport for London ist zentrale Anlaufstelle für alle Reisenden in und um London. Mit dem Umzug in die AWS Cloud von Amazon Web Services ist TfL jetzt in der Lage, auf die starke Zunahme an mobilen Nutzern einzugehen und gleichzeitig Kunden sowie Drittanbietern Verkehrsdaten in-Echtzeit zur Verfügung zu stellen. Dass dabei noch Kosten gespart werden, ist ein angenehmer Nebeneffekt. Autor: Robert Belle O bwohl in seiner heutigen Form erst im Jahr 2000 gegründet, führen die Wurzeln von Transport for London (TfL) bis ins 19.-Jahrhundert zurück. Schon damals boten unterschiedliche Bus- und Bahngesellschaften Transportdienste an. Seit 2000 untersteht TfL direkt dem Londoner Bürgermeister und sorgt dafür, dass der öffentliche Nahverkehr in London reibungslos funktioniert. Bei rund 30 Mio. Fahrten täglich ist das kein leichtes Unterfangen. Die Website hat sich als zentrale Anlaufstelle für die Kunden etabliert. Dort finden sie unter anderem Informationen zu den unterschiedlichen Verkehrsmitteln, Hilfe für die Reiseplanung und aktuelle Nachrichten. Das Angebot erfährt regen Zuspruch: Pro Tag besuchen zwischen 600 000 und 700 000 Nutzer die Website, wobei mehr als 3 Mio. Seitenaufrufe gezählt werden. Das gilt allerdings nur für gewöhnliche Tage - fällt beispielsweise überraschend Schnee oder streiken die Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe, steigt die Zahl der Seitenzugriffe sprunghaft an. Bis zu 20-Mal mehr Zugriffe als üblich sind dann zu verzeichnen. Der Großteil dieses zusätzlichen Datenverkehrs fällt darüber hinaus sehr komprimiert an - beispielsweise innerhalb einer Stunde am frühen Morgen, meist zu Beginn der Rush-Hour. Für solche Fälle musste TfL bisher Überkapazitäten bereithalten, die ansonsten ungenutzt blieben. Aber nicht nur die Lastspitzen zu meistern, stellte das Team vor eine Herausforderung. Ebenso gilt es, sich auf das geänderte Verhalten der Nutzer einzustellen: Immer häufiger informieren sich Kunden nämlich von unterwegs, der Anteil mobiler Seitenzugriffe liegt inzwischen bei 54 %. Damit steigt auch die Bedeutung personalisierter, stand- Bildquelle: Transport for London Cloud-Lösungen TECHNOLOGIE Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 74 TECHNOLOGIE Cloud-Lösungen ortbasierter Informationen und News in Echtzeit. Kommt beispielsweise die Nachricht über eine fünfminütige Zugverspätung am aktuellen Standort erst nach fünf Minuten beim Nutzer an, ist sie wertlos. Insgesamt suchte TfL hier nach einem flexibleren System als dem bis dahin genutzten Content Delivery Network (CDN). Die Website war damit 2007 online gegangen - und in ihrer eher statischen, unflexiblen Art nun nicht mehr zeitgemäß. Neben der Weiterentwicklung des eigenen Online-Angebotes stand TfL vor einer weiteren Herausforderung. Rund um das eigene Angebot ist eine Community von Entwicklern und Serviceanbietern, die Apps und Dienstleistungen für Mobilität in London anbieten, herangewachsen. Dieser Entwickler-Community wollte TfL möglichst unkompliziert und reibungslos Echtzeitdaten zur Verfügung stellen, auf deren Basis sie die Angebote verbessern kann. Es ist TfL ein Anliegen, dass die Kunden in London ein möglichst umfassendes, vielfältiges Serviceangebot wahrnehmen können. Auch Forschungseinrichtungen sollten mit einem verbesserten Datenangebot unterstützt werden. Bislang konnte TfL Informationen aus seinem Datenbestand nur sehr punktuell und auf Anfrage weitergeben. Flexibilität und Skalierbarkeit - die-Cloud macht’s möglich Das Digital Team von TfL unter der Leitung des Head of Online, Phil Young, entschied sich schließlich für die AWS Cloud und ein Paket verschiedener AWS Produkte, um ihre ambitionierten Pläne in die Tat umzusetzen. Besonders die hohe Flexibilität und die Abrechnung auf Stundenbasis überzeugten TfL, aber auch die Auto-Scale-Option: Lastspitzen bei Schneefall oder Streik sind damit ohne weiteres abzufangen. Noch ist das Digital Team Vorreiter, wenn es um die Cloud-Nutzung bei TfL geht. Doch gerade diese hohe Flexibilität und Skalierbarkeit hat inzwischen das Interesse in weiteren Teilen der Organisation geweckt. Es gibt mehrere technische Abteilungen, von denen jede ihre eigene, angestammte Infrastruktur unterhält. Das liegt einerseits in der Entwicklung von TfL begründet, andererseits haben die verschiedenen Teams und Abteilungen auch unterschiedliche Aufgaben und damit individuelle Bedürfnisse an die IT. Hier kommen überwiegend noch herkömmliche On-Premises-Strukturen zum Einsatz. Insgesamt steht TfL mit seinem Umstieg in die Cloud also am Anfang - Young vergleicht den Prozess mit dem „Wenden eines Supertankers“. TfL arbeitet an manchen Stellen auch mit anderen Providern als AWS zusammen. Für Young und sein Team hat es daher hohe Priorität, dass sich die eingesetzten Cloud- Services möglichst reibungslos mit anderen Lösungen verzahnen lassen. Nur so kann TfL sicherstellen, dass einerseits die Kunden ein nahtloses Angebot ohne Brüche und Hindernisse bekommen, dass andererseits jede Abteilung mit der für sie optimalen Lösung arbeiten kann. Der Aufwand dafür ist hoch: Damit die AWS Cloud eingesetzt werden konnte, mussten einige Bereiche der Infrastruktur neu entwickelt und umgebaut werden. Bis heute hat der Cloud-Stack bei TfL neun Entwicklungsstufen durchlaufen, wobei in jede dieser Stufen Erkenntnisse und Verbesserungen aus der vorherigen eingeflossen sind. Auch Einblicke in das Nutzerverhalten der Kunden von TfL spielten dabei eine wichtige Rolle. Information für alle - TfL hebt seinen Datenschatz Strategisch mindestens ebenso wichtig wie die Website ist das zweite große Projekt, das TfL mit Hilfe von AWS realisiert: die Freigabe seiner Datenbestände. Aus dem gesamten Verkehrsnetz sammelt TfL seit langem unterschiedliche Daten. Dazu gehören Fahrpläne ebenso wie Preislisten, Verzeichnisse von Verkaufsstellen und Haltestellen, aber auch dynamische Informationen wie An- und Abfahrtzeiten oder Statusinformationen zu den verschiedenen Verkehrsmitteln. Diese Daten liegen in unterschiedlichen Formaten vor, beispielsweise als Excel- Tabellen, aber auch als XML-Files oder JSON-Feeds. Dementsprechend waren die Informationen bislang auch jeweils anders gespeichert. Verfügbar waren sie im Grunde nur auf Anfrage nach dem Freedom of Information Act, und selbst dann nur in begrenztem Umfang. Echtzeit-Feeds gab es so gut wie gar nicht. Das hat sich durch den Einsatz der AWS Cloud inzwischen geändert. Heute ist TfL in der Lage, über eine offene Programmierschnittstelle seinen gesamten Datenbestand, auch Echtzeitinformationen, interessierten Entwicklern unkompliziert zur Verfügung zu stellen. Und die Nachfrage ist groß: Mehr als 8000 Entwickler greifen inzwischen auf die Daten zu. Rund 500 Smartphone-Apps sind bereits auf ihrer Basis entstanden, um Einwohnern und Besuchern Londons Services rund um Transport und Nahverkehr in der Stadt zu bieten. TfL verfolgt dabei das Motto: Je mehr Informationsquellen für die Kunden bereitstehen, desto besser wird der Service insgesamt - egal, wer die Informationen letztendlich lie- Bild 1: Einblicke in genaue Verkehrsdaten unterstützen künftige Smart-City-Konzepte. Bildquelle: TfL Internationales Verkehrswesen (68) 4 | 2016 75 Cloud-Lösungen TECHNOLOGIE fert. AWS bietet TfL damit einen Kanal, Daten web-basiert an externe Interessenten weiterzugeben. Dazu gehören neben den genannten App-Entwicklern auch interne Teams, die jetzt einfacher an benötigte Informationen kommen, sowie Forscher an Universitäten. Sie arbeiten auf Basis vor allem der historischen Verkehrsdaten, unter anderem über Fahrgastaufkommen und Verkehrsdichte, an neuen Verkehrskonzepten für das notorisch stark ausgelastete London. Längerfristig gesehen muss das nicht an den Stadtgrenzen Londons Halt machen. Einblicke in genaue Verkehrsdaten machen umfassende Lösungen für verschiedene Probleme möglich und unterstützen damit Smart-City- Konzepte. Eine der Hauptkomponenten der AWS- Infrastruktur, die TfL einsetzt, ist AWS EC2. Darauf laufen MongoDB Datenbanken, SQL-Server und Oracle-Instanzen, die TfL selbst verwaltet. Dazu kommen Amazon Simple Storage Service (S3), Amazon Route53, der Amazon Simple Queue Service (Amazon SQS), für einige Daten auch der Amazon Relational Database Service (Amazon RDS), der Amazon Simple Notification Service (Amazon SNS) sowie Amazon Glacier. Die Lösung wächst kontinuierlich: Wo zu Beginn der Zusammenarbeit mit AWS noch zwölf Node-Instanzen ausreichten, betreibt TfL heute bereits rund 50 Instanzen, um den steigenden Bedarf zu decken. Daneben hat TfL auch viel Aufwand in die Automation und in die Einführung von DevOps gesteckt. So entstand eine agile Infrastruktur, die dem insgesamt agilen strategischen Ansatz des Transportunternehmens entspricht. TfL unterhält 20 Entwicklungsumgebungen, außerdem noch zwei weitere für die Website und eine für den TfL Journey Planner, darüber hinaus drei Produktionsumgebungen. Für die Umgebungen sind zwei DevOps-Teams verantwortlich, außerdem sorgt ein externer Anbieter mit einem Managed Service auf AWS für Support rund um die Uhr. Die Cloud lohnt sich - auch finanziell Die bisherigen Ergebnisse können sich sehen lassen: Seit dem Projektstart im Oktober 2012 stieg der Anteil der TfL-Kunden, die über die Website auf Echtzeitinformationen zugreifen, von 51 % auf 70 %. Im selben Zeitraum nahm auch die Nutzung von Apps zu, die auf Daten von TfL basieren - 40 % der TfL-Kunden statt zuvor nur 27 % verwenden die Angebote der Serviceanbieter. Dieser Erfolg beruht nach Ansicht von TfL hauptsächlich auf der neuen Möglichkeit, die Services extrem schnell und agil weiterzuentwickeln und anzupassen. Die AWS-Plattform ist sogar noch flexibler als erwartet. Die Infrastruktur mit 20 Entwicklungsumgebungen, in denen zuvor nur vier in Betrieb waren, lässt Prototypen sehr schnell entstehen. Außerdem erlaubt die Produktionsumgebung paralleles Arbeiten. Dadurch konnte das Digital Team von TfL die Entwicklungszeit für neue Angebote deutlich verkürzen und dynamisch auf die Bedürfnisse der Kunden reagieren. Ein Beispiel: Der Umzug der Journey Planner Engine auf eine völlig neue Cloud-Umgebung gelang in weniger als zwei Monaten - jetzt wird das Angebot von mehr als 5 Mio. Reisenden genutzt. Nicht im Fokus der Planung, aber dennoch ein willkommener Effekt des Umstiegs auf AWS waren Einsparungen bei den Kosten. Die Abrechnung nach Stunden und das automatische Skalieren der eingesetzten Ressourcen führten dazu, dass TfL nicht länger ungenutzte Ressourcen bereithalten musste, um Lastspitzen abzufangen. Hier lag das einzige, wenn auch lösbare Problem in der Finanzabteilung: Die Rechnungen für AWS fallen als Konsequenz jeden Monat unterschiedlich hoch aus und sind nicht ganz präzise vorherzusagen. Das muss die Organisation in den Finanzprozessen berücksichtigen und entsprechend flexibel agieren können. Die Entwicklung bei TfL geht weiter - schon sind weitere Datenpakete für das Angebot geplant. Dazu gehört beispielsweise die Veröffentlichung historischer Daten über das Fahrgastaufkommen an wichtigen U-Bahnstationen der Metropole. Damit lassen sich künftig möglicherweise Vorhersagen darüber treffen, wann und wo es besonders eng werden könnte. Außerdem will TfL die rund 25 Gigabyte Daten, die täglich aus den Signalsystemen gewonnen werden, noch besser nutzen und mehr davon an die Entwickler weitergeben. Dadurch lassen sich, so die Hoffnung, noch präzisere Aussagen über die Situation im Londoner Verkehrsnetz treffen. Auch Daten aus dem Ticketverkauf, komplett anonymisiert, sollen künftig dabei helfen, das Nutzerverhalten der TfL-Kunden besser einschätzen und vorhersagen zu können. Das Angebot lässt sich damit weiter personalisieren und mit standortbasierten Daten aufwerten. Was die digitale Zukunft für die Londoner in Sachen Transport und Verkehr noch bringt, bleibt abzuwarten. Mit dem Umzug in die Cloud jedenfalls ist TfL für alle Entwicklungen optimal gerüstet. ■ Robert Belle PR Manager Germany, Amazon Web Services Germany GmbH, München rbelle@amazon.com Bild 2: Heute nutzen 40 % der TfL-Kunden Smartphone-Apps. Bildquelle: TfL
