Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0004
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2017
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Ideen und Innovationen für die Mobilität der Zukunft
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Claus Doll
Mit dem Deutschen Mobilitätspreis verfolgen die Initiative „Deutschland – Land der Ideen“ und das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur das Ziel, die Bedeutung und das Potenzial digitaler Lösungen im Hinblick auf Mobilität aufzuzeigen. Mobilitätsexperten und am Thema interessierte Privatpersonen erhalten die Chance, ihre innovativen Projekte und Ideen einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Dr. Claus Doll, Leiter des Geschäftsfeldes Mobilität am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung und Jurymitglied des Deutschen Mobilitätspreises, analysiert die Ergebnisse des Wettbewerbsjahres 2016 und leitet zentrale Trends ab.
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POLITIK Innovationsförderung Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 10 Ideen und Innovationen für-die Mobilität der Zukunft Wie Menschen und Organisationen in Deutschland den digitalen Wandel der Mobilität vorantreiben Trends, Digitalisierung, Innovation, Mobilitätssysteme, Best Practice, Open Innovation Mit dem Deutschen Mobilitätspreis verfolgen die Initiative „Deutschland - Land der Ideen“ und das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur das Ziel, die Bedeutung und das Potenzial digitaler Lösungen im Hinblick auf Mobilität aufzuzeigen. Mobilitätsexperten und am Thema interessierte Privatpersonen erhalten die Chance, ihre innovativen Projekte und Ideen einer breiten Öffentlichkeit zu präsentieren. Dr. Claus Doll, Leiter des Geschäftsfeldes Mobilität am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung und Jurymitglied des Deutschen Mobilitätspreises, analysiert die Ergebnisse des Wettbewerbsjahres 2016 und leitet zentrale Trends ab. Claus Doll I nnovationen im Mobilitätssektor entstehen nicht im leeren Raum, sondern basieren auf vorangegangenen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen. Diese sind die Grundlage für weitere Innovationen und prägen neue Mobilitätslösungen. Die Digitalisierung wirkt aktuell als wichtiger Innovationstreiber, der es ermöglicht, bestehende Mobilitätsdienste zu verbessern und gänzlich neue Lösungen zu entwickeln. Das folgende Vier- Stufen-Modell systematisiert die zentralen Triebfedern der Innovationsentwicklung im Mobilitätssektor und schafft ein Verständnis für die aktuellen Trends. Stufe 1: Technik bringt Austausch und Fortschritt Mobilitätssysteme verbinden Menschen und Firmen - zumindest sollten sie dies tun. Die großen Entwicklungen im Bereich der Fahrzeug- und Antriebstechnik wie Eisenbahn, Automobil und Flugzeug, haben zweifellos die Art, wie wir leben und arbeiten, grundlegend verändert. Städte sind bis zu heutigen Megacities gewachsen, Handelsbeziehungen intensivierten sich zu globalen Netzwerken und neue Industrien entstanden. Stufe 2: Menschen und Unternehmen organisieren Mobilität neu In den zurückliegenden 100 Jahren haben sich die Gewichte der Verkehrsträger und die Intensität deren Nutzung deutlich verschoben; die grundsätzlichen Elemente der Mobilität - Straße, Schiene, Schiff und Flugzeug - bekamen jedoch keinen nennenswerten Zuwachs. Entscheidendes hat sich jedoch auf der Metaebene der Mobilitätsorganisation getan. Traditionelle und sektorale Modelle der Verkehrsangebote werden zunehmend durch Servicedienstleister ergänzt oder ganz übernommen. Ein wichtiges Element ist die Sharing Economy, also das Teilen von Autos oder Fahrrädern zwischen Privatmenschen (Peer-to-Peer-Car- oder -Bikesharing) oder durch professionelle Sharing-Organisationen. Es hat sich gezeigt, dass der Sharing-Markt auch für die Automobilindustrie lukrativ, oder zumindest zu bedeutend ist, um diesen zu vernachlässigen. Die dahinterliegenden Geschäftsmodelle sind dabei vielschichtig und umfassen in der Regel andere Ziele als den reinen Gelderwerb. Stufe 3: Dinge, Dienste und Menschen sind vernetzt Die dritte Stufe der Mobilität ist die Vernetzung von Dienstleistungen, Anbietern und Nutzern. Treiber der zunehmenden Vernetzung ist zweifellos die Verfügbarkeit leistungsfähiger mobiler Endgeräte ab Mitte der 2000er Jahre. Multimodale Dienste sind mittlerweile Standard in vielen Navigationssystemen. Die echte Verknüpfung von Mobilitätsdiensten als Mehrwert für Menschen und Unternehmen bedarf jedoch der Einbindung von Tarifen, Abrechnungssystemen und physischen Elementen. Hier reicht die Digitalisierung und informationsseitige Vernetzung alleine nicht aus; eine Konzentration auf diese kann im Extremfall sogar zu Problemen während der Reise führen. Die Integration physischer Infrastrukturen sowie der Abrechnungs- und Buchungssysteme über mehrere Verkehrsangebote hinweg stellt jedoch aktuell noch eine technische, organisatorische, juristische und betriebswirtschaftliche Herausforderung für alle Beteiligten dar. Durch die Vernetzung von Nutzern untereinander lassen sich schließlich alte Mobilitätsformen wie Trampen oder Mitfahrzentralen auf einfache Weise wiederbeleben. Hierdurch wird einerseits die Effizienz und Nachhaltigkeit der Fahrzeugnutzung, zum Beispiel durch Ridesharing-Plattformen, erhöht, andererseits werden jedoch traditionelle Institutionen wie Bahn und ÖPNV mit allen ökonomischen und sozialen Folgewirkungen geschwächt. Gleichzeitig bieten sich Anbietern öffentlicher Verkehrslösungen auch Chancen: Durch geschickt vernetzte und organisierte Systeme von und für Menschen lassen sich etwa Mobilitätsangebote in Regionen aufrechterhalten, welche durch die traditionellen Anbieter nicht mehr ökonomisch sinnvoll bedient werden können. Stufe 4: Automatisierung revolutioniert Verkehr und Logistik Als vierte Mobilitätsstufe kann schließlich die derzeit breit diskutierte Automatisierung der Verkehrs- und Logistiksysteme bezeichnet werden. Fahrerlose Systeme Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 11 Innovationsförderung POLITIK müssen per se miteinander und mit ihrer Umwelt kommunizieren. Während autonom fahrende Systeme im ÖPNV und in der Luftfahrt bereits Standard sind und im Eisenbahnverkehr wohl kaum eine Veränderung mit sich bringen werden, könnten diese den Straßenverkehr revolutionieren. Autonome Taxis, Carsharing-Flotten und Lieferdienste haben das Potenzial, die Kosten der Individualmobilität deutlich zu senken. Auch dies kann zu einer verbesserten Anbindung entlegener Regionen beitragen. Darüber hinaus ließen sich durch autonome Systeme bezahlbare und flexible Mobilitätsdienste für mobilitätseingeschränkte Menschen vorstellen. Zudem tragen autonome Systeme bei einem genügend hohen Marktanteil mutmaßlich stark zu einer erhöhten Verkehrssicherheit bei. Voraussetzung für diese Szenarien ist jedoch, dass autonome Systeme sicher und zuverlässig arbeiten und gesellschaftlich akzeptiert sind. Der Mensch: entscheidend für eine intelligente Mobilität der Zukunft In all diesen Bereichen spielt die Digitalisierung eine wesentliche Rolle. Der Einsatz mobiler Endgeräte, vernetzter Gegenstände und Einheiten im Sinne eines „Internet der Dinge“ und die Digitalisierung von Prozessen entsprechend des Konzepts der „Industrie 4.0“ sind aus Szenarien von Mobilität und Logistik nicht wegzudenken. Wie dargestellt kann man dieser Entwicklung viel Positives abgewinnen: Verkehrssicherheit, Inklusion von Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, Anbindung entlegener Regionen, bezahlbare Mobilität und mehr Effizienz und Nachhaltigkeit. Intelligente und nutzbringende Mobilitätskonzepte brauchen jedoch unbedingt auch den Faktor Mensch, um die angesprochenen Potenziale umzusetzen. Die Preisträger des Deutschen Mobilitätspreises 2016 decken das Spektrum aus Digitalisierung, intelligenten und regionalen Konzepten, Inklusion und Nachhaltigkeit in seiner vollen Bandbreite ab. Beispielsweise befassen sich fünf Best-Practice-Lösungen aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit einer intelligenten, multimodalen Mobilität mit speziellem Augenmerk auf mobilitätseingeschränkten Menschen und dem ländlichen Raum. Weitere prämierte Konzepte kommen aus den Gebieten Peer-to-Peer- Carsharing, automatisierte Belieferung und dem Management von Straßen-, Schienen- und Ladeinfrastrukturen. Die Preisträger zeigen mit ihren Innovationen, wie sich die Chancen der Digitalisierung kreativ und unternehmerisch nutzen lassen, um Mobilitätssysteme im Sinne von Gesellschaft und Wirtschaft zukunftsfähig zu gestalten. ■ Claus Doll, Dr. Leiter Geschäftsfeld Mobilität am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI), Karlsruhe claus.doll@isi.fraunhofer.de Zehn Best-Practice-Projekte für die Mobilität der Zukunft I n der Best-Practice-Phase des Deutschen Mobilitätspreises wurden zehn herausragend innovative Projekte von Organisationen aus ganz Deutschland gewürdigt. BrokenLifts - Plattform für Aufzugsstörungsinformationen Initiator: Sozialhelden e.V., Berlin Über die digitale Plattform BrokenLifts.org können sich Menschen in Echtzeit über defekte Aufzüge im Berliner Nahverkehr informieren. Das Projekt setzt dabei auf offene Daten, um die Reiseplanungssicherheit zu erhöhen. CleverShuttle - Von Tür zu Tür per grünem RideSharing Initiator: CleverShuttle - GHT Mobility GmbH, Berlin Das Berliner Start-up CleverShuttle bietet einen grünen und günstigen Tür-zu-Tür-Fahrdienst nach RideSharing-Prinzip. Ein intelligenter Algorithmus errechnet die besten Streckenkombinationen und fasst die Anfragen zu Fahrgemeinschaften zusammen. Cyface - Bequemer fahren Initiator: Technische Universität Dresden, Dresden Das Dresdner Start-up Cyface sammelt mit einer crowdbasierten Plattform Daten zur Straßenqualität und wertet diese aus, um Routen intelligenter zu planen. Außerdem liefern die Daten Behörden eine Grundlage dafür, die Straßenqualität zu verbessern. Dēmos - Demokratisches Mobilitätssystem Initiatoren: Slock.it UG, Mittweida und innogy SE, Essen Die Plattform Dēmos nutzt Blockchain- Technologie, um den Nutzern verschiedener Mobilitätsdienste Souveränität über ihre Daten zu geben und ihnen zu ermöglichen, selbst zum Anbieter zu werden. DHL Paketkopter - Transport auch in entlegene Gebiete Initiator: DHL Paket, Bonn Mit dem Paketkopter ermöglicht DHL die schnelle und einfache Paketzustellung in schwer erreichbaren Gebieten. Die Integration des sogenannten „unbemannten Luftfahrsystems“ in die DHL-Logistikkette ver- Deutscher Mobilitätspreis 2017 Am 13. März startet die Best-Practice-Phase des Deutschen Mobilitätspreises 2017. Nachdem 2016 das Thema Teilhabe im Fokus stand, sind in diesem Jahr wegweisende Projekte zum Jahresthema Sicherheit gefragt. Organisationen aller Art mit Sitz in Deutschland können sich bis zum 23. April um die Auszeichnung bewerben. Informationen unter: www.deutscher-mobilitätspreis.de Andi Weiland | Sozialhelden e.V. CleverShuttle - GHT Mobility GmbH Dirk Ackner innogy SE DHL Paket GmbH
