eJournals Internationales Verkehrswesen 69/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0010
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Messen ist Wissen - Digitalisierung in der Hafenwirtschaft

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Emile Hoogsteden
Wurde Öl früher das Schwarze Gold genannt, so sind Daten das digitale Gold der Zukunft. Zukunftsfähige Häfen als leistungsfähige Umschlagszentren müssen daher die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen. Die Transparenz eines Hafens ist dem Informationsaustausch zu verdanken. Dieser führt zur Optimierung der Logistikkette und erhöht den Warenumschlag. Für einen Hafenbetrieb als entscheidendem Glied in der Supply Chain ist die innovationsgetriebene, beschleunigte Entwicklung neuer Konzepte und Umsatzmodelle für einen „smarten Hafen“ absolut notwendig.
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Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 31 Digitalisierung LOGISTIK Messen ist Wissen - Digitalisierung in der Hafenwirtschaft Logistikkette, Big Data, Hafenlogistik Wurde Öl früher das Schwarze Gold genannt, so sind Daten das digitale Gold der Zukunft. Zukunftsfähige Häfen als leistungsfähige Umschlagszentren müssen daher die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen. Die Transparenz eines Hafens ist dem Informationsaustausch zu verdanken. Dieser führt zur Optimierung der Logistikkette und erhöht den Warenumschlag. Für einen Hafenbetrieb als entscheidendem Glied in der Supply Chain ist die innovationsgetriebene, beschleunigte Entwicklung neuer Konzepte und Umsatzmodelle für einen „smarten Hafen“ absolut notwendig. Emile Hoogsteden D ie Transparenz in der Supply Chain und der Austausch von Daten gestalten die Logistikkette zuverlässiger und effizienter. Hier befinden sich alle Marktteilnehmer nicht in einer Phase der Veränderung, sondern in einem neuen Zeitalter. Die Anwendung der Informationstechnologie in allen Bereichen der Gesellschaft und der Wirtschaft treibt diese Entwicklung an. Häfen müssen die neuen Möglichkeiten annehmen und sich dafür auch bei den anderen Teilnehmern im Logistikprozess einsetzen, so dass alle optimal von den neuen Möglichkeiten profitieren können. Das kann man nicht erzwingen - schon gar nicht, wenn es um Digitalisierung geht. Hafenbetriebe als Schaltzentralen im Warenumschlag können jedoch für ein Klima sorgen, in dem es sehr wahrscheinlich ist, dass sich Innovationen entwickeln und zu den Marktbedingungen passen. Das tut der Rotterdamer Hafen: Hier wird die gesamte Innovationskette gefördert. Der Hafen Rotterdam übernimmt die Vorreiterrolle in einem umfassenden Innovations-Öko-System. Gerade Häfen können Studien und Forschungen an Universitäten unterstützen - etwa das Port Innovation Lab an der TU in Delft sowie Projekte an der Erasmus Universität in Rotterdam - und beobachten weltweit Forschungsinitiativen. Auch Hackathons oder Start-Up-Innovationen schaffen ein Klima für Innovationen, die für den Hafen relevant sind. PortXL zum Beispiel ist die erste Accelerator, der weltweit auf Start-up-Unternehmen im Bereich Häfen spezialisiert ist. Austausch von Daten in Echtzeit für-eine optimale Gestaltung der Liegezeit im Hafen Hafenbehörden als Logistikdienstleister müssen den Nutzern des Hafens ein völlig neues Produkt bieten: Daten. Dienstleistungen in diesem Bereich übernehmen die Rolle eines Datenmaklers: Öffentliche, hafeninterne, externe und angereicherte Daten werden in Echtzeit über automatische Verbindungen ausgetauscht. Kunden können dadurch, dass sie diese Daten in ihren eigenen Systemen benutzen, ihre Prozesse optimieren. In einem Zeitraum von einem Jahr zum Beispiel lässt sich durch zahlreiche Pilotprojekte der Wert des Austauschs von Daten in Echtzeit steigern. Die Abläufe im Hafen lassen sich durch die Verfügbarkeit aller Informationen zu jeder Zeit optimal gestalten (Bild 1). Dabei geht es nicht nur um Basisdaten wie Tiefgang oder Zugangsrichtlinien, sondern auch schon um den Zeitpunkt, an dem die erste Leine an Land festgemacht wird (First Line Ashore Time), Bunkertätigkeiten und die Last Hose Time. Hafenbetriebe ergreifen die Initiative, Reedereien, Verlader, Dienstleister im Hafenbereich, internationale Verbände und auch andere Hafenbehörden an einen Tisch zu bringen und erarbeiten Lösungen, von denen jede Branche, jeder Hafen und die Häfen bei ihrer Zusammenarbeit profitieren. Gemeinsam erarbeiten Reedereien und Häfen Konzepte zur „Port Call Optimisation“ durch eine bessere Qualität und Verfügbarkeit von Ereignisdaten. Reedereien, Dienstleister und Terminalbetreiber profitieren davon durch niedrigere Kosten, gesteigerte Zuverlässigkeit sowie nachhaltige und sichere Prozesse. Plattformen zum Datenaustausch laden alle Parteien ein, ihre Informationen über Dienste und rund um die Abfertigung eines Schiffes zu teilen. Dies ermöglicht die Just-in-time-Planung, etwa für Lotsen an Bord, und die vorausschauende Planung aller Dienstleistung sowohl im aktuellen Hafen als auch im nächsten anzulaufenden Hafen. Big-Data-Wasserstandsmelder Ein wichtiges Feld der Sammlung relevanter Daten ist die Erfassung tatsächlicher Wasserbestände im Hafen. Der Hafen Rotterdam etwa veröffentlicht für jeden Quadratmeter des Hafenareals eine statistische Mindesttiefe. So besteht eigentlich rund um die Uhr für Reedereien hinreichende Sicherheit bei der Grobplanung des Hafenanlaufs. Die tatsächlichen Wasserstände sind natürlich nicht statisch, sondern variieren in Abhängigkeit von den Gezeiten Tag für Tag, ja Minute für Minute, und können auch höher sein. Mit Online-Tools wie „Dynamic Nautical Accessibility Rotterdam“ (DYNAR) können die Reedereien dank dynamischer Daten ihre Schiffe sicher und dabei so schwer wie möglich beladen. Das spart Geld, denn die optimale Nutzung des möglichen Bild 1: Die Digitalisierung des Hafens verlangt auch die Zusammenführung aller Daten zu jeder Zeit im rechten Format für alle Teilnehmer der Supply-Chain. Das System Portbase koordiniert umfassend Dienstleistungen rund um die Abfertigung von Ladungen. Bild: Portbase Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 32 LOGISTIK Digitalisierung Tiefgangs erhöht die Auslastung der Ladekapazität eines Schiffs. Ein- und auslaufende Schiffe im Hafen können in vielen Fällen mehr Ladung mitnehmen, als es jetzt der Fall ist (Bild 2). Die Daten des Online-Tools basieren dabei nicht auf einer revolutionär neuen Messmethode, sondern ergeben sich aus einer Big Data-Anwendung, wobei Daten von Institutionen wie dem königlich-niederländischen meteorologischen Institut (INMI) mit denen der Hafenbehörde kombiniert werden. So lässt sich die Wassersäule in den Häfen dynamisch und aktuell berechnen und prognostizieren. Hierdurch können Zeitfenster festgelegt werden, innerhalb derer Schiffe mit einem größeren Tiefgang in den Hafen einlaufen und ihn verlassen können. Bei Zeitfenstern rund um die Springflut kann bereits jetzt mit ein paar Zentimetern an zusätzlichem Tiefgang gefahren werden. Bei einem durchschnittlichen Tanker entsprechen etwa zehn Zentimeter zusätzlicher Tiefgang 900 Tonnen zusätzlicher Ladung pro Schiff. So lassen sich die Kapazitäten der Wasserwege intelligenter nutzen und die Effizienz sowie der Umsatz der Häfen erhöhen. Das Tool DYNAR steht zurzeit als Pilotprojekt den Teilnehmern am Pilotprojekt, wie Shell, Koole Terminals und Vopak Agencies, zur Verfügung. Derzeit wird getestet, ob der zusätzliche Tiefgang, der auf dem Papier nachweisbar ist, auch in der Praxis erreicht werden kann. Das Tool konzentriert sich dabei auf dem Transport von trockenen Massengütern und Schüttgut. Anhand der Ergebnisse des Pilotprojekts wird beschlossen, ob diese Lösung sich für alle Unternehmen im Hafen und zum Beispiel auch für die Containerbranche eignet. In Zukunft sollen auch Unternehmen im Hafen anhand solcher Tools Einblick in andere dynamische hydro-meteorologische Aspekte erhalten, die bei der Optimierung der Reise eines Schiffes eine Rolle spielen. Als weitere Aspekte sind Strom-Ports, dynamische Informationen über Windverhältnisse und Sichtweiten denkbar. Alle Bausteine stehen zur Verfügung - und die damit verbundenen Vorarbeiten sind bereits gemacht. Schnüffler-Netzwerke Bereits in die Tat umgesetzt sind Netze aus E-Noses („elektronische Nasen“), die ihren Wert in der Praxis unter Beweis stellen (Bild-3). In Häfen wird, wie in jedem Industriebetrieb, mit Stoffen gearbeitet, die unabsichtlich freigesetzt werden können. Manche Gase sind gefährlich oder lästig, und nicht alle können mit menschlichen Sinnesorganen wahrgenommen werden. Eine E- Nose ist ein Sensor, der auch diese nicht wahrnehmbaren Veränderungen in der Luftzusammensetzung misst und die diesbezüglichen Informationen drahtlos an einen zentralen Server sendet. Das We-Nose- Netzwerk am Rotterdamer Hafen verfügt mittlerweile zum Beispiel über 152 E-Noses sowie zwei mit einer E-Nose ausgerüstete Einsatzfahrzeuge des Hafens Rotterdam. Dadurch lassen sich Geruchsbelästigungen effektiv bekämpfen und die Freisetzung gefährlicher Stoffe frühzeitig signalisieren. Unternehmen, Gemeinden und Umweltbehörden können auf diese Weise bei der Freisetzung von unangenehmen oder gefährlichen Gasen schneller aktiv werden. Das Netzwerk trägt wesentlich zu einem gesunden, sicheren und attraktiven Hafen und Umgebung bei. Die Ergebnisse lassen sich sehen. Bei der Umweltbehörde in der Region Rotterdam-Rijnmond haben Einwohner dieser Region im Jahre 2015 nur noch 4238 Geruchsmeldungen eingereicht. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr 2014 einen Rückgang von 22 %. Noch nie war die Anzahl der Geruchsmeldungen so niedrig, wobei vor allem der Rückgang bei den Meldungen über Gerüche von den großen Industrie-Unternehmen auffiel. Port-of-the-Things Auch das Internet der Dinge bietet den Hafenbetreibern einen enormen Zuwachs an relevanten Daten. Mittels bestehender und neuer Konnektivitäten und Sensoren werden im Hafen Informationen erfasst, um intelligente Anwendungen für die Kunden und den Hafenbetrieb selbst zu entwickeln. Anlegekonstruktionen an Ankerplätzen sind nicht mehr einfach aus Beton und Stahl, sondern enthalten viel Elektronik, um das gesamte Verfahren rund um das Anlegen effizienter und sicherer zu machen. Technologien zum Messen, Versenden und Verarbeiten von Daten sind in den letzten Jahren rasant besser und preiswerter geworden. Sensoren messen Schäden und Defekte - zum Beispiel ein Loch in einer Kaimauer oder einen schiefen Pfahl - aber auch eine defekte nautische Beleuchtung. Deren Ausfall kann nun sowohl aus der Entfernung signalisiert und manchmal sogar bereits vorbeugend gemeldet werden. Gefahrensituationen sowie der langfristige Ausfall eines Ankerplatzes lassen sich so vermeiden. Experimentiert wird auch mit Sensoren, die Messdaten zu aufkommenden Kräften bei Konstruktionen wie etwa Haken, Pollern und Verankerungen sammeln. Ebenfalls werden Sensoren entwickelt, welche die Nutzung (oder das Verhalten der Nutzer) der Anlegekonstruktionen überwachen - wie zum Beispiel Anlegegeschwindigkeiten. Mit diesen Informationen lassen sich unter anderem die Konstruktion neu zu bauender Anlegekonstruktionen optimieren oder die Lebensdauer vorhandener Konstruktionen berechnen. Messen ist Wissen - bereits mit dem derzeitigen Stand der Digitalisierung erhält dieser Begriff eine ganz neue Dimension. ■ Bild 3: E-Noses messen den Austritt von Emissionen, Häfen können schneller handeln. Bild: Marc Nolte Bild 2: Online-Tools ermöglichen die optimale Auslastung von Schiffen, orientiert an den in Echtzeit erfassten Schwankungen von Wasserständen. Bild: Hafen Rotterdam Emile Hoogsteden Vice President Containers, Breakbulk & Logistics, Hafen Rottderdam containers@portofrotterdam.com