Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0015
21
2017
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Sharing: Nische oder Massenmarkt?
21
2017
Lukas Foljanty
Maike Gossen
Paula Ruoff
Die noch jungen Phänomene Car-, Ride- und auch Bikesharing zählen zu den derzeit am häufigsten diskutierten Mobilitätstrends, von denen disruptive Wirkungen ausgehen sollen. Trotz des dynamischen Wachstums der Sharing-Branche haben sie bislang allerdings noch keinen relevanten Anteil am Gesamtverkehrsmarkt. Noch jünger ist die Forschung zur Shared Mobility und ihrer tatsächlichen Wirkungen. Das Projekt „ShareWay“ hat in einem umfassenden Wissenskompendium den aktuellen Stand von Forschung und Praxis zur Shared Mobility zusammengetragen und Entwicklungsperspektiven beleuchtet.
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Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 45 Sharing: Nische oder Massenmarkt? Ergebnisse der Studie „ShareWay“ zum Stand der Forschung und Praxis der geteilten Mobilität Carsharing, Bikesharing, Öffentlicher Verkehr, Mobilitätstrends, Nutzerpotenziale Die noch jungen Phänomene Car-, Ride- und auch Bikesharing zählen zu den derzeit am häufigsten diskutierten Mobilitätstrends, von denen disruptive Wirkungen ausgehen sollen. Trotz des dynamischen Wachstums der Sharing-Branche haben sie bislang allerdings noch keinen relevanten Anteil am Gesamtverkehrsmarkt. Noch jünger ist die Forschung zur Shared Mobility und ihrer tatsächlichen Wirkungen. Das-Projekt „ShareWay“ hat in einem umfassenden Wissenskompendium den aktuellen Stand von Forschung und Praxis zur Shared Mobility zusammengetragen und Entwicklungsperspektiven beleuchtet. Lukas Foljanty, Maike Gossen, Paula Ruoff A ngesichts der durchschnittlichen Standzeiten und dem niedrigen Besetzungsgrad von privaten PKW sowie dem nur unzureichend gehobenen Potenzial des Fahrrads für urbane Mobilität scheint das Prinzip des Teilens mittels Car-, Ride- und Bikesharing eine naheliegende Antwort auf die Frage der Gestaltung der Mobilität von morgen. Die Potenziale der Shared Mobility für das Ende des privaten PKW-Besitzes, eine umfassende Verhaltensänderung und eine ressourcenschonende Mobilität durch höhere Auslastung von Fahrten und Fahrzeugen wurden in den letzten Jahren mehrfach postuliert und führen teilweise zu sehr hohen Erwartungen an die verkehrliche Wirksamkeit. Allerdings hat die Shared Mobility bisher nur geringe Auswirkungen auf das Gesamtverkehrssystem, wie etwa einen de facto nicht quantifizierbaren Modal Split- Anteil und eine größtenteils homogene Nutzergruppe von jüngeren, gut gebildeten Männern, zumindest jedoch Städter mit höherem Einkommen. Ziel des vom österreichischen Verkehrsministerium (bmvit) und der österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) geförderten Projekts „ShareWay“ [1] war ein Realitätsabgleich und eine Über- Foto: pixabay.de Shared Mobility MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 46 MOBILITÄT Shared Mobility prüfung empirischer Nachweise für die erwarteten Potenziale der Shared Mobility. Eine umfassende Sekundäranalyse wissenschaftlicher Studien zur Shared Mobility, Erfahrungsberichte aus der Praxis und von Pilotprojekten sowie Interviews mit Expert/ innen dienten der Zusammenstellung des aktuellen Wissensstands. Die Zwischen- und Endergebnisse des Projekts wurden in zwei Workshops mit Fachleuten der Shared Mobility diskutiert. Angesichts der Unsicherheiten hinsichtlich des Verständnisses und der Definition von Shared Mobility wurde zunächst eine Eingrenzung und Typologisierung des Begriffs vorgenommen. Ist Sharing reiner Altruismus, der eine Vergütung oberhalb von Aufwandsentschädigungen unnötig macht? Oder ist es schlicht „crowd-based capitalism“ [2], der es ermöglicht, durch Vermietung unterausgelasteter Gegenstände Geld zu verdienen? Konkret verkehrsbezogen: Zählen Taxis oder der öffentliche Verkehr auch zur Shared Mobility? Wo wird diesbezüglich in der Fachliteratur die Grenze gezogen? Unter Berücksichtigung der verfügbaren Angebots- und Organisationsformen bzw. Akteursbeziehungen wurde im Projekt folgende Definition gewählt: Shared Mobility ist die eigentumslose Nutzung von Mobilitätsdienstleistungen unterschiedlicher Verkehrsträger, mit Ausnahme des öffentlichen Verkehrs und Taxis. Es können sowohl Verkehrsmittel wie PKWs und Fahrräder bzw. -infrastrukturen wie Parkplätze als auch Dienstleistungen unter Shared Mobility fallen. Die Transaktionen finden zwischen Privatpersonen und Unternehmen (B2C), zwischen Unternehmen (B2B), zwischen Privatpersonen (C2C), und zwischen öffentlichem Sektor und Privatpersonen (P2C) statt (siehe Tabelle 1). Auch wenn die Anfänge des Carsharing viele Jahrzehnte zurück reichen, handelt es sich bei der Shared Mobility immer noch um ein verhältnismäßig junges Phänomen, bei dem sich der Markt sehr dynamisch entwickelt, neue Akteure mit innovativen Angeboten hinzukommen und andere wieder austreten (Bild 1). Dies hängt mit unterschiedlichen Rahmenbedingungen zusammen, die fördernd wie hemmend auf die Marktentwicklung wirken können. Dazu zählen u. a. die sich wandelnde Einstellung zum PKW-Privatbesitz, beschleunigte technologische Entwicklungen wie Smartphones und ihr Marktdurchsatz, teils unsichere Regulierungsrahmen, angebotsplanerische Dilemmata (beispielsweise ist die Nachfrage nach Shared Mobility dort am höchsten, wo das dichteste ÖV-Angebot besteht) und ökonomische Vorteile aber auch Risiken auf Nutzer- und Anbieterseite. Diese Dynamik spiegelt sich auch im Forschungsstand wieder. Zu Car- und Bikesharing wurde bereits eine wachsende Anzahl an Untersuchungen und Forschungsprojekten durchgeführt oder sie werden aktuell bearbeitet. Zum Thema Ridesharing und Rideselling hingegen liegen kaum belastbare Erkenntnisse vor, so dass z. B. die Frage, welche Auswirkungen beispielsweise der Fahrdienst Uber auf die ÖV- Nachfrage hat, derzeit nicht sicher beantwortet werden kann. Im Rahmen des Projekts wurden insgesamt drei Fallstudien erstellt, in denen Shared Mobility-Lösungen in unterschiedlichen Zusammenhängen untersucht und mögliche Synergiepotenziale sowie Umsetzungsherausforderungen herausgearbeitet wurden. Da der Wohnstandort Ausgangs- und Endpunkt der meisten Alltagsaktivitäten und damit auch entscheidend für die personenbezogene Mobilität ist, beleuchtete eine Fallstudie die Potenziale der Integration von Shared Mobility in die verkehrliche Erschließungsplanung für neue und bestehende Wohngebiete. Die untersuchten Praxisbeispiele legen den Schluss nahe, dass es große Unterschiede hinsichtlich der Akzeptanz und Nutzung von Car- und Bikesharing als Teil eines Wohnkonzeptes gibt und dementsprechend erst wenige Wohnungsbauunternehmen oder private Baugruppen Interesse daran zeigen. Auch im Wirtschaftsverkehr spielt Sharing bisher eine untergeordnete Rolle - jedenfalls gemessen an den wenigen und meist klein dimensionierten Praxisbeispielen. Jedoch bieten Sharing-Prinzipien für den immer stärker über die Straße abgewickelten Güterverkehr große Chancen mit Blick auf Effizienzgewinne, Ressourceneinsparungen und Verbesserungen bei der Umweltbilanz durch das Teilen von Flächen und Fahrzeugen, die Verteilung kleinerer Transporte per Ridesharing für Güter sowie durch die Kombination von Personen- und Gütermobilität in einem Verkehrsmittel. Besonders großes Potenzial besteht für den ländlichen Raum. Angebote aus dem Mobilitätsbereich Goods Sharing Service Sharing Organisationsform B2C Stationsbasiertes und stationsunabhängiges Carsharing Stationsbasiertes und stationsunabhängiges Bikesharing [Taxidienste] B2B Business Carsharing [Gewerbliche Chauffeurdienste] C2C Privates Carsharing Privates Bikesharing Privates Parkplatz-Sharing Ridesharing Rideselling Mikro-ÖV-Systeme P2C Öffentliches Carsharing Öffentliches Bikesharing [Öffentlicher Nahverkehr] Tabelle 1: Angebots- und Organisationsformen bzw. Akteursbeziehungen Bild 1: Verschiedene Markt-Akteure mit unterschiedlichen Angebots- und Organisationsformen Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 47 Shared Mobility MOBILITÄT Auch der Personenwirtschaftsverkehr könnte von Sharing Modellen profitieren und Kosten sowie CO 2 einsparen. In der dritten Fallstudie wurden die möglichen Auswirkungen der Einführung von Carsharing-Angeboten, die mit autonomen Fahrzeugen operieren, untersucht. Zentrale Erkenntnis ist, dass vom autonomen Fahren je nach Konfiguration des zukünftigen Verkehrssystems unerwünschte Nebenwirkungen (so genannte Rebound- Effekte) ausgehen können. Der Anteil der fahrerlosen Shared Mobility am Gesamtverkehr ist daher von entscheidender Bedeutung für das Eintreten der in der aktuellen Diskussion um autonomes Fahren stark hervorgehobenen Vermeidung negativer Folgen des Straßenverkehrs (Unfalltote, Flächenverbrauch, Emissionen usw.) [3, 4]. Hinsichtlich der Wirkungen der Shared Mobility auf den öffentlichen Verkehr wird zumeist davon ausgegangen, dass Car- und Bikesharing per se keine Konkurrenz, sondern eine wichtige Ergänzung zum ÖPNV darstellen und somit dem „Umweltverbund 2.0“ zuzuordnen seien. Für das Bikesharing kann diese Einschätzung grundsätzlich bestätigt werden, da das Fahrrad für die erste und letzte Meile eine symbiotische Ergänzung zum ÖV darstellt. Hingegen müssen die wechselseitigen Wirkungen zwischen Carsharing und ÖV differenziert bewertet werden. So gibt es einerseits mehrere Studien, die eine hohe ÖV-Affinität und steigende ÖV- Nutzung bei Carsharing-Nutzern feststellen konnten. Andererseits wurde z. B. für die Stadt München errechnet, dass insbesondere das vollflexible Carsharing in signifikantem Umfang zu Einnahmeverlusten für den ÖV führt [5]. Problematisch ist dabei, dass sich die Studien mit Blick auf die angewendeten Methoden unterscheiden und weder längere Zeitreihen betrachtet, noch regionale Besonderheiten berücksichtigt wurden. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse ist somit bestenfalls eingeschränkt möglich. Ein einigermaßen übereinstimmendes Bild geben die Untersuchungen nur dahingehend, dass vom klassischen stationsgebundenen Carsharing keine Konkurrenzwirkung auf den ÖV festzustellen ist. Bislang ist der Anteil der Shared Mobility am Gesamtverkehrsmarkt kaum messbar. Um der Frage nachzugehen, welches Potenzial Shared Mobility mittelfristig entfalten könnte, wurden verschiedene Zukunftsbilder entworfen, um die Herausforderungen zu identifizieren, die in einem sich verändernden Mobilitätsmarkt bevorstehen (siehe Bild 2). Die Frage, welches Szenario bzw. welche Kombination der Zukunftsbilder mit großer Wahrscheinlichkeit eintreten wird, ist weiterhin offen und hängt u. a. von zukünftigen politischen Handlungsentscheidungen ab. Insbesondere das derzeit stark anbietergetriebene „Trial-and-Error“ sollte gezielt begleitet und ggf. gefördert werden aber auch verstärkt hinsichtlich tatsächlicher Wirksamkeit und Wirkungsmechanismen evaluiert werden. So kann es gelingen, Shared Mobility stärker in eine Gesamtverkehrsstrategie einer Stadt bzw. Region einzubetten und den integrierten Systemmehrwert des Umweltverbundes zu steigern. Fazit Zentrale Fragen der Shared Mobility sind weiterhin ungeklärt: Ist wirklich ein Ende des Besitztums erkennbar, oder verzögert sich nur die Anschaffung des eigenen PKW im Laufe einer Biographie? Trägt die derzeitige Ziel- und Nutzergruppe wirklich zur ökologischen Verkehrswende bei, oder steigert Shared Mobility lediglich die Optionenvielfalt und Flexibilität der Mobilität urbaner Besserverdiener? Füllen Shared Mobility-Angebote Mobilitätslücken und ermöglichen Menschen, Wege umweltfreundlich, sicher und bedarfsgerecht zurückzulegen - oder führen sie zu mehr Bequemlichkeitsmobilität und unnötig induziertem Verkehr? Um den vielfältigen Erwartungen gerecht zu werden, muss es der Shared Mobility zunächst gelingen, sich vom Nischendasein heraus im Massenmarkt zu etablieren. Die Gestaltungsmöglichkeiten hin zu einer sozial gerechten, umweltfreundlichen und verkehrlich sinnvollen Shared Mobility sind vorhanden. Es bedarf einer aktiven und zielbewussten Haltung der Städte und Kommunen diese zu nutzen, um nicht von neuen, agilen Mobilitätsanbietern überrollt zu werden. ■ LITERATUR [1] Das Projekt „ShareWay“ wurde im Rahmen des Forschungsprogramms „Mobilität der Zukunft“ vom Österreichischen Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) und der Österreichischen Forschungsfördergesellschaft (FFG) gefördert. Der Ergebnisbericht kann kostenlos heruntergeladen werden unter: https: / / www2.ffg.at/ verkehr/ studien.php? id=1267 [2] Sundararajan, Arun (2016): The Sharing Economy: The End of Employment and the Rise of Crowd-Based Capitalism, Cambridge Massachusetts [3] Foljanty, Lukas; Duong, Thuy Chinh (2016): Autonomes Fahren - Game Changer für die Zukunft der Mobilität. In: Internationales Verkehrswesen (68) 2016, Heft 1 [4] Foljanty, Lukas; Duong, Thuy Chinh (2016): Autonomes Fahren - Chancen, Herausforderungen und Handlungsfelder für öffentliche Akteure. In: Internationales Verkehrswesen (68) 2016, Heft 2 [5] Specht, N.; Krietemeyer, H.; Isfort, A. (2015): Nutzt oder schadet Carsharing dem ÖPNV? In: Der Nahverkehr 12/ 2015. Maike Gossen, M.A. Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsfeld Unternehmensführung und Konsum, IÖW GmbH gemeinnützig, Berlin maike.gossen@ioew.de Paula Ruoff, M.A. Beraterin und Expertin für Sharing und Mobilität der Zukunft, KCW GmbH, Berlin ruoff@kcw-online.de Lukas Foljanty, Dipl.-Ing. Zum Zeitpunkt der Erstellung der ShareWay-Studie Berater bei der KCW GmbH, Berlin Bild 2: Zukunftsbilder der Shared Mobility
