Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0024
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2017
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Die digitale Zukunft über den Wolken
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Andy Mason
Das Internet der Dinge (IoT) könnte die technologische Entwicklung in der Luftfahrt schon bald rasant verändern. Auch deutsche Unternehmen wie der Augsburger Embedded Computing-Hersteller Kontron sehen ihre Rolle im datengetriebenen Verkehrswesen von morgen. Ein Gespräch mit Andy Mason, Vice President Systems & Program Manager für die Bereiche Aviation, Transportation und Defense bei Kontron, im Vorfeld der Aircraft Interiors Expo (AIX).
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Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 77 Vernetzung und IT-Sicherheit als zentrale Herausforderungen Das Internet der Dinge (IoT) könnte die technologische Entwicklung in der Luftfahrt schon bald rasant verändern. Auch deutsche Unternehmen wie der Augsburger Embedded Computing-Hersteller Kontron sehen ihre Rolle im datengetriebenen Verkehrswesen von morgen. Ein Gespräch mit Andy Mason, Vice-President Systems & Program Manager für die Bereiche Aviation, Transportation und Defense bei Kontron, im Vorfeld der Aircraft Interiors Expo (AIX). Herr Mason, wie hat sich das IoT-Verständnis Ihres Unternehmens in den letzten Jahren entwickelt - und welche Branchen adressieren Sie besonders? Kontron ist schon seit Jahren ein kompetenter Akteur, wenn es um die Entwicklung von Produkten für das Internet der Dinge geht. Einen speziellen Branchenfokus verfolgen wir dabei per se nicht, denn wir sind davon überzeugt, dass die fortschreitende Vernetzung die industrielle und wirtschaftliche Zukunft insgesamt bestimmen wird. Wir bieten unseren Kunden das technologische Grundgerüst, um von den Chancen der Digitalisierung im Allgemeinen profitieren zu können. Eine herausragende Rolle spielt dabei die Möglichkeit, eine Vielzahl von Rechnern und Sensoren untereinander zu vernetzen. All unsere Geräte sind deshalb so abgestimmt, dass sie mühelos in einem großen Rechnerverbund agieren und mit Daten aus den unterschiedlichsten Quellen umgehen können. Das erleichtert die Datensammlung, Analyse und Visualisierung ungemein. Unsere grundlegende IoT-Strategie ist es also, Produkte zu entwickeln, die in den unterschiedlichsten Anwendungsszenarien erfolgsbringend eingesetzt werden können. Gerade deshalb spielt die Vernetzung in der Industrie - Stichwort „Smart Factory“ und „Industrie 4.0“ - und im Transportgewerbe derzeit aufgrund der mannigfaltigen Chancen in diesen Bereichen natürlich eine gewaltige Rolle. Welche Trends sehen Sie im Bereich Aviation? Die Integration von Sensoren in weitere, davon bisher unberührte Bereiche wird sich fortsetzen. Einen starken Fokus legen wir deshalb auf die drahtlose Vernetzung des kompletten Flugzeugs, denn das vereinfacht den Datenaustausch enorm. In Passagierflugzeugen kann man per Sensoren beispielsweise bequem den Zustand der Rettungswesten überwachen oder innovative In-Flight-Entertainment-Lösungen realisieren. Auch abseits der Kabine sehen wir zahlreiche gewinnbringende Anwendungsfälle für die Einbindung sensorgestützter Applikationen. Der Be- und Entladevorgang im Frachtverkehr ist ein solches Beispiel. Verbindet sich ein Flugzeug etwa drahtlos mit dem Frachtterminal, kann die Erfassung der verladenen Güter per Sensor-Abgleich vollständig automatisch erfolgen. Das geht natürlich viel schneller als der manuelle Scan jedes einzelnen Stücks durch einen Mitarbeiter. Auch die Echtzeit-Erfassung von Frachtdaten während des Fluges ist eine IoT-Anwendung, die uns derzeit beschäftigt. Um die optimale, drahtlose Vernetzung im Passagier- und Frachtraum zu gewährleisten, befinden wir uns in enger Abstimmung mit den Flugzeug-Herstellern. Denn nur eine stets zuverlässige und sichere Verbindung ermöglicht, das volle Potential des sensorgestützten Datenabgleichs im Transportwesen vollständig auszuschöpfen. Foto: pixabay.de Andy Mason ist Vice President Systems & Program Manager für die Bereiche Aviation, Transportation und Defense bei Kontron ZUR PERSON Die digitale Zukunft über-den-Wolken Interview TECHNOLOGIE Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 78 TECHNOLOGIE Standpunkt Die technischen Möglichkeiten sind also vorhanden? Wir sind hier bereits sehr gut aufgestellt. Als führender Anbieter bei der Vernetzung von Passagierkabinen mit dem neuen Wifi-Standard 802.11ac verfügen wir über große Erfahrung in diesem Bereich. Außerdem unterstützen unsere Produkte den 4G/ LTE-Mobilfunkstandard das ist alles andere als selbstverständlich. Für die Verbindung mit bis zu 10 000 Sensoren pro Flugzeug prüfen wir gerade energiesparende Drahtlos-Verbindungen - und auch viele andere Anwendungen könnten in Zukunft von diesem Ansatz profitieren. Connectivity scheint in der kommerziellen Luftfahrt generell ein großes Thema zu sein. Wie sind Sie in diesem Bereich aufgestellt? Die Vernetzung an Bord spielt für uns eine ganz zentrale Rolle, das dafür notwendige Hardware-Portfolio bauen wir kontinuierlich aus und entwickeln unser Angebot weiter. Unsere Cab-n-Connect Wireless Access Points sind gute Beispiele dafür, unser ACE Flight Airborne Server ebenso. Beide Serien unterstützen zum Beispiel eine ganze Reihe innovativer, drahtloser In-Flight Entertainment- Systeme. Passagiere können damit das Entertainment-Angebot an Bord bequem auf ihrem eigenen Gerät genießen, die Inhalte werden dafür einfach auf das mobile Endgerät gestreamt. Einen großen Anteil an der Einführung dieser neuen Features haben unsere Kunden. Mit ihnen arbeiten wir im Entwicklungsprozess sehr eng zusammen und stimmen die Systeme dementsprechend genau auf ihre jeweiligen Anforderungen ab. Lufthansa Systems ist so ein Beispiel. Die deutsche Airline war einer der ersten Anbieter überhaupt, der drahtloses In-Flight-Entertainment auf Basis unserer Hardware angeboten hat. Mittlerweile verfügen wir über mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Entwicklung solcher Systeme, was natürlich auch unseren neuen Kunden zu Gute kommt. Gerade Low-Cost-Airlines in Europa setzen derzeit auf tragbare Wifi-Boxen, um ohne großen Aufwand WLAN und Internet an Board nachzurüsten. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Grundsätzlich ist es nachvollziehbar, dass eine gewisse Nachfrage für solche tragbaren Systeme besteht. Wir glauben aber, dass fest integrierte Systeme mit entsprechender Sicherheitszertifizierung und regelmäßigen Wartungsintervallen die besseren Lösungen sind. Insbesondere Sicherheitsbedenken im Bezug auf die für den Betrieb dieser Systeme notwendigen Batterien bereiten uns Sorgen. Was wir uns in Zukunft aber vorstellen können, ist die Entwicklung einer tragbaren Lösung zur Nachrüstung sicherheitsrelevanter Systeme und Netzwerke an Bord. Ist die Entwicklung von In-Flight-Entertainment-Endgeräten wie zum Beispiel Displays für Kontron ein Thema? Technisch ist die Entwicklung solcher Systeme nicht weiter problematisch. Die notwendigen Zertifizierungsprozesse, bis die Geräte dann schlussendlich verbaut werden dürfen, sind allerdings sehr aufwändig und damit für uns nicht zielführend. Kontron wird sich weiterhin auf die Vernetzung im Flugzeug konzentrieren, darin liegt unsere Kernkompetenz und dort sehen wir das größte Potential. Was wir in Zukunft aber weiter ausbauen werden, ist die Weiterentwicklung bestehender Produkte zur Überwachung sicherheitskritischer Systeme aus anderen Bereichen, etwa aus dem Schienenverkehr oder der Verteidigungsindustrie. Viele unserer Produkte in diesen Bereichen lassen sich auch in der Luftfahrt produktiv einsetzen. ■ Cab-n-Connect Wireless Access Points unterstützen verschiedene drahtlose In-Flight Entertainment-Systeme: Das Entertainment- Angebot an Bord wird direkt auf die mobilen Endgeräte der Passagiere gestreamt. Bild: Kontron Bitte mehr Zuversicht! Man mag es schon bald nicht mehr hören: Begriffe wie Disruption (engl.: Auseinanderreißen, Zerbrechen), Transformation und Sharing Economy - alles am besten gleich 4.0 - begleiten einen Hype, der einerseits mit großen Erwartungen, andererseits oft mit erheblichen Befürchtungen einhergeht. - Ein Zwischenruf von Detlef Frank, Mitglied des Beirats der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik. V or allem mit der fortschreitenden elektronischen Aufrüstung der Autos geht die Angst um, dass die Fahrzeuge rollende Computer werden und alles andere Nebensache werden wird. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Auch in Zukunft entscheidet nicht die Software von Google, Apple oder anderen, ob ein Auto sicher auf der Straße bleibt. Es sind - wie vor 125 Jahren - vier postkartengroße Felder, nämlich die Kontaktstellen zwischen Reifen und Fahrbahn, die die Fahrsicherheit garantieren müssen. Und diese mechanischen Eigenschaften müssen in Zukunft eher noch besser werden. Wie sonst soll ein Fahrzeug ein automatisiertes Lenk- und Bremsmanöver, das ein normaler Fahrer nicht bewältigen könnte, überhaupt durchführen, wenn nicht Fahrwerk, Reifen und Bremsen die elektronischen Befehle in die gewünschten Fahrzeugbewegungen umsetzen könnten? Die Physik der Fahrdynamik ist die gleiche wie bisher. Die Digitalisierung macht also keine der bisherigen, bewährten Fahrzeugei-
