Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0025
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Bitte mehr Zuversicht!
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Detlef Frank
Man mag es schon bald nicht mehr hören: Begriffe wie Disruption (engl.: Auseinanderreißen, Zerbrechen), Transformation und Sharing Economy – alles am besten gleich 4.0 – begleiten einen Hype, der einerseits mit großen Erwartungen, andererseits oft mit erheblichen Befürchtungen einhergeht. – Ein Zwischenruf von Detlef Frank, Mitglied des Beirats der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik.
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Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 78 TECHNOLOGIE Standpunkt Die technischen Möglichkeiten sind also vorhanden? Wir sind hier bereits sehr gut aufgestellt. Als führender Anbieter bei der Vernetzung von Passagierkabinen mit dem neuen Wifi-Standard 802.11ac verfügen wir über große Erfahrung in diesem Bereich. Außerdem unterstützen unsere Produkte den 4G/ LTE-Mobilfunkstandard das ist alles andere als selbstverständlich. Für die Verbindung mit bis zu 10 000 Sensoren pro Flugzeug prüfen wir gerade energiesparende Drahtlos-Verbindungen - und auch viele andere Anwendungen könnten in Zukunft von diesem Ansatz profitieren. Connectivity scheint in der kommerziellen Luftfahrt generell ein großes Thema zu sein. Wie sind Sie in diesem Bereich aufgestellt? Die Vernetzung an Bord spielt für uns eine ganz zentrale Rolle, das dafür notwendige Hardware-Portfolio bauen wir kontinuierlich aus und entwickeln unser Angebot weiter. Unsere Cab-n-Connect Wireless Access Points sind gute Beispiele dafür, unser ACE Flight Airborne Server ebenso. Beide Serien unterstützen zum Beispiel eine ganze Reihe innovativer, drahtloser In-Flight Entertainment- Systeme. Passagiere können damit das Entertainment-Angebot an Bord bequem auf ihrem eigenen Gerät genießen, die Inhalte werden dafür einfach auf das mobile Endgerät gestreamt. Einen großen Anteil an der Einführung dieser neuen Features haben unsere Kunden. Mit ihnen arbeiten wir im Entwicklungsprozess sehr eng zusammen und stimmen die Systeme dementsprechend genau auf ihre jeweiligen Anforderungen ab. Lufthansa Systems ist so ein Beispiel. Die deutsche Airline war einer der ersten Anbieter überhaupt, der drahtloses In-Flight-Entertainment auf Basis unserer Hardware angeboten hat. Mittlerweile verfügen wir über mehr als zehn Jahre Erfahrung in der Entwicklung solcher Systeme, was natürlich auch unseren neuen Kunden zu Gute kommt. Gerade Low-Cost-Airlines in Europa setzen derzeit auf tragbare Wifi-Boxen, um ohne großen Aufwand WLAN und Internet an Board nachzurüsten. Wie sehen Sie diese Entwicklung? Grundsätzlich ist es nachvollziehbar, dass eine gewisse Nachfrage für solche tragbaren Systeme besteht. Wir glauben aber, dass fest integrierte Systeme mit entsprechender Sicherheitszertifizierung und regelmäßigen Wartungsintervallen die besseren Lösungen sind. Insbesondere Sicherheitsbedenken im Bezug auf die für den Betrieb dieser Systeme notwendigen Batterien bereiten uns Sorgen. Was wir uns in Zukunft aber vorstellen können, ist die Entwicklung einer tragbaren Lösung zur Nachrüstung sicherheitsrelevanter Systeme und Netzwerke an Bord. Ist die Entwicklung von In-Flight-Entertainment-Endgeräten wie zum Beispiel Displays für Kontron ein Thema? Technisch ist die Entwicklung solcher Systeme nicht weiter problematisch. Die notwendigen Zertifizierungsprozesse, bis die Geräte dann schlussendlich verbaut werden dürfen, sind allerdings sehr aufwändig und damit für uns nicht zielführend. Kontron wird sich weiterhin auf die Vernetzung im Flugzeug konzentrieren, darin liegt unsere Kernkompetenz und dort sehen wir das größte Potential. Was wir in Zukunft aber weiter ausbauen werden, ist die Weiterentwicklung bestehender Produkte zur Überwachung sicherheitskritischer Systeme aus anderen Bereichen, etwa aus dem Schienenverkehr oder der Verteidigungsindustrie. Viele unserer Produkte in diesen Bereichen lassen sich auch in der Luftfahrt produktiv einsetzen. ■ Cab-n-Connect Wireless Access Points unterstützen verschiedene drahtlose In-Flight Entertainment-Systeme: Das Entertainment- Angebot an Bord wird direkt auf die mobilen Endgeräte der Passagiere gestreamt. Bild: Kontron Bitte mehr Zuversicht! Man mag es schon bald nicht mehr hören: Begriffe wie Disruption (engl.: Auseinanderreißen, Zerbrechen), Transformation und Sharing Economy - alles am besten gleich 4.0 - begleiten einen Hype, der einerseits mit großen Erwartungen, andererseits oft mit erheblichen Befürchtungen einhergeht. - Ein Zwischenruf von Detlef Frank, Mitglied des Beirats der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik. V or allem mit der fortschreitenden elektronischen Aufrüstung der Autos geht die Angst um, dass die Fahrzeuge rollende Computer werden und alles andere Nebensache werden wird. Genau das Gegenteil ist aber der Fall. Auch in Zukunft entscheidet nicht die Software von Google, Apple oder anderen, ob ein Auto sicher auf der Straße bleibt. Es sind - wie vor 125 Jahren - vier postkartengroße Felder, nämlich die Kontaktstellen zwischen Reifen und Fahrbahn, die die Fahrsicherheit garantieren müssen. Und diese mechanischen Eigenschaften müssen in Zukunft eher noch besser werden. Wie sonst soll ein Fahrzeug ein automatisiertes Lenk- und Bremsmanöver, das ein normaler Fahrer nicht bewältigen könnte, überhaupt durchführen, wenn nicht Fahrwerk, Reifen und Bremsen die elektronischen Befehle in die gewünschten Fahrzeugbewegungen umsetzen könnten? Die Physik der Fahrdynamik ist die gleiche wie bisher. Die Digitalisierung macht also keine der bisherigen, bewährten Fahrzeugei- Internationales Verkehrswesen (69) 1 | 2017 79 Standpunkt TECHNOLOGIE genschaften überflüssig. Das durchschnittliche Familienauto wird auch in Zukunft ein Gefäß sein, das vier bis fünf Personen sicher und komfortabel von A nach B bringt und alles kann, was wir heute von ihm verlangen. Was die neuen Technologien mitbringen, kommt im wesentlichen zusätzlich in das Auto oder um das Auto herum. Es gibt guten Grund zu der Annahme, dass ein erfahrener Fahrzeughersteller leichter die Digitalisierung bewältigt, als dass ein Elektronik- und Softwarekonzern ohne fremde Hilfe ein gebrauchstüchtiges Auto baut. Große Skepsis ist in der öffentlichen Wahrnehmung auch zu erkennen wegen der erweiterten Angebote im Mobilitätsbereich, die möglicherweise von den traditionellen Herstellern nicht in ihr Geschäft aufgenommen werden könnten. Hier aber lohnt sich ein Blick in die Geschichte. Die Autoindustrie hat es immer verstanden, auf Nachfrage aus dem Markt und auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren. Hilfreich ist dabei der Blick auf eine Grafik aus dem Jahre 1990 (! ) zum Thema „Geschäftsfelder von Fahrzeugherstellern“. Hätte man beispielsweise einem Auto-Besitzer um 1930 gesagt, dass in Zukunft sein Auto in einer Autowerkstatt gewartet, von einer Maschine gewaschen und durch den Hersteller finanziert würde, wäre vermutlich die Antwort gewesen: „Um mein Auto kümmert sich mein Chauffeur, der gerade einen zweiwöchigen Kurs bei Daimler- Benz in Stuttgart absolviert hat, mein Gärtner wäscht den Wagen und das Geld zur Anschaffung habe ich selbstverständlich angespart! “ Bleiben wir beim Beispiel der Finanzierung: Als nach dem zweiten Weltkrieg auch immer mehr Privatkunden ihre Fahrzeuganschaffung durch Kredite finanzierten, hatte man keinesfalls die Befürchtung, dass nun die Banken das Autogeschäft übernehmen würden. Die Fahrzeughersteller haben ihre eigenen Banken aufgebaut, einige liefern als Service auch gleichzeitig die Versicherung (VVD = VolkswagenVersicherungsDienst) und erwirtschaften damit heute einen erheblichen Anteil ihres Ertrages. Fazit: Transformation war immer, nur war der Begriff noch nicht von Beraterfirmen oder Soziologen erfunden worden! Ein vergleichbarer Vorgang heute ist unter anderem die Akquisition des Navigationskarten-Herstellers HERE durch mehrere große deutsche Fahrzeughersteller. Nun kann man berechtigt einwenden, dass die Veränderungen der Vergangenheit über einen sehr langen Zeitraum abliefen, heute jedoch alles viel schneller geht. Stimmt. Aber dafür haben wir auch heute viel schnellere und effizientere Werkzeuge. Brauchte um 1930 ein Brief vom Absender zum Empfänger noch zwei bis fünf Tage, verschicken wir heute elektronische Dokumente im Millisekunden-Tempo. Konstruierte man bis in die 1960er Jahre noch mit Tusche auf Transparentpapier, arbeiten wir heute mit CAD. Wir verschicken keine voluminösen Zeichnungsrollen an unsere Zulieferer, sondern arbeiten mit ihnen auf einer gemeinsamen elektronischen Plattform. Es gibt nur einen einzigen Bereich, der in diesem Zusammenhang deutlich erhöhte Zuwendung braucht, nämlich die Antriebsentwicklung und -produktion. Wenn der Verbrennungsmotor und sein Getriebe durch einen Elektromotor ersetzt werden, dann muss man eben den Elektromotor, die erforderliche Elektronik und die Batterie selbst herstellen. Derartige Veränderungen hat es auch immer gegeben, wenn auch in kleinerem Maßstab. Die Ablösung von Vergaser und mechanischer Zündung durch elektrische Motorsteuerung und Einspritzung hat auch keinen Vergaserhersteller zur Aufgabe seines Geschäfts getrieben, wenn er denn bereit zur Veränderung war. Doch zurück zum Elektro-Antrieb. Bis das Elektroauto zum Standard im Massenmarkt wird, werden sicher noch zehn Jahre vergehen. Das sind etwa eineinhalb Modellgenerationen! Bei einer angenommenen Mitarbeiter-Fluktuation von nur 2,5 % pro Jahr durch Pensionierung werden allein dadurch in den nächsten 10 Jahren 25 % neue Mitarbeiter einzustellen sein, und die müssen dann die entsprechenden Kompetenzen mitbringen. Sicher nicht einfach, aber auch nicht aussichtslos. Man möchte den Entscheidern in der Fahrzeugindustrie gern zurufen: Nicht vor permanent wiederholten Modebegriffen einknicken, sondern - wie in der Vergangenheit - zügig und selbstbewusst die notwendigen Arbeiten anpacken! Dann bringt die Zukunft wirklich zusätzliche Marktchancen. ■ Dipl.-Ing. Detlef Frank Gemeinschaftsstr. 13, 85435 Erding frankde@t-online.de Bild 1: Geschäftsfelder von Fahrzeugherstellern - Vergangenheit und Ziele für die Zukunft. Qualitative Abschätzungen aus dem Jahr 1990 Jahr Fahrzeugherstellung Fahrzeug, Aufbau, Ausstattung Wettbewerb: Einzelfertigungen, Karosseriebauer, Zubehörfirmen 100% Fahrzeugbetrieb Pflege, Service, Reparatur Ersatzteile, Recycling Wettbewerb: Eigentümer, freie Werkstatt, Teileaufbereitungsfirmen Verkehrssysteme Verkehrslenkung, -info, Straßenbau und -betrieb Wettbewerb: Behörden, Medien, Banken, Bau- und Investmentgesellschaften Wirtschaftsdienste Finanzierung, Leasing, Reiseorganisation, Versicherung Wettbewerb: Banken, Reiseveranstalter, Versicherungsgesellschaften Nichtmotorisierte t ä t i l i b o M Telekommunikation, Entertainment, Simulatorangebote Wettbewerb: Post (heute Telekom), Spielhallen, Fahrschulen, Abenteuer-Anbieter 1930 1960 1990 2020 2050
