eJournals Internationales Verkehrswesen 69/2

Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0028
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2017
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Was nicht gebraucht wird: eine neue Bahnreform

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2017
Gerd Aberle
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Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 9 Was nicht gebraucht wird: eine neue Bahnreform B ereits am Tag nach dem Rücktritt des bisherigen Vorstandsvorsitzenden der DB AG meldeten sich die Befürworter einer anderen Bahnpolitik lautstark und von einigen Medien begierig aufgenommen zu Wort. Es waren die altbekannten Forderungen nach einer stärkeren Einflussnahme des Eigentümers Bund und der Politik auf die unternehmerischen Entscheidungen des Vorstandes, möglichst durch eine neue Bahnreform, welche wesentliche der früheren Bundesbahn-Regelungen im Sinne einer starken Sozialorientierung der Entscheidungsprozesse durch politische Vorgaben wieder beleben sollten. Eine solche Umkehrung der Bahnreform von 1994 kann nur von jenen gewünscht werden, welche die katastrophalen Folgen der damaligen Verwaltungsorganisation Bundesbahn, die entsprechend der früheren Regelungen im Grundgesetz wie die Finanz- und Zollverwaltung des Bundes zu führen war, nicht erlebt oder verdrängt haben. Die Bahnreform von 1994 war der existenzsichernde Einschnitt für die Staatsbahn und der einen funktionsfähigen Eisenbahnverkehr in Deutschland durch die Marktöffnung des Netzes für viele in- und ausländische Bahnunternehmen sichernde Vorgang. Das schließt partielle Korrekturen und Anpassungsprozesse nicht aus, die sich aus den immer komplexer werdenden Anforderungen der Märkte ergeben. Das deutsche, mittlerweile sehr ausdifferenzierte Bahnsystem und vor allem auch die Leistungsstruktur der DB AG werden weltweit positiv bewertet. Dass der Wettbewerb im SPNV sehr attraktiv für viele erfolgreiche Wettbewerber der DB AG ist, aber gleichzeitig beim früheren Monopolisten zu Marktanteilsverlusten führen kann und auch führt, zeigt sich für die Kunden entsprechend in wesentlich verbesserten Qualitäten und - für die Aufgabenträger der Länder und für die Endkunden - in niedrigeren Preisen. Sie führen auch dazu, dass deutlich höhere Angebotsleistungen eingekauft werden können. Und noch eines sollte immer wieder in Erinnerung gerufen werden: die deutliche Trennung von unternehmerischen Aufgaben der Bahnunternehmen und sozialstaatlichen Aufgaben, die sich insbesondere im SPNV sehr deutlich zeigen. Durch die mit der Bahnreform 1994 eingeführten und vom Bund finanzierten neuen Verantwortlichkeiten wurden die Länder mit dieser Daseinsvorsorgeaufgabe betraut und entsprechend finanziert, aktuell mit 8,2 Mrd. EUR p.a. Die Bahnen müssen sich entsprechend ihrer Leistungsmöglichkeiten im Wettbewerb um die Nahverkehrsaufträge unternehmerisch bewerben. Damit wurde mit der Bahnreform der wichtigste Schwachpunkt der Bundesbahnpolitik beseitigt: die unklaren Verantwortlichkeiten für politisch geforderte Leistungen. Hinsichtlich der Netzverantwortlichkeiten wurde eine in etwa entsprechende Regelung durch grundgesetzliche Vorgaben erreicht. Entscheidend ist auch, dass von diesen sehr veränderten Rahmenbedingungen nicht nur die DB AG, sondern alle im deutschen Netz aktiven Bahnunternehmen profitieren - und letztlich die Kunden. Dass die DB AG immer wieder mit Qualitätsproblemen zu tun hat, folgt auch aus der besonderen Störanfälligkeit des Systems Schienenverkehr, was im Vergleich mit dem Straßenverkehr übersehen wird. Bei Netzstörungen, etwa durch Bauarbeiten oder Unfälle, können nur selten kurzfristig Ausweichstrecken genutzt werden. Dies wirkt sich häufig für Stunden netzweit aus. Auch sind die Steuerungssysteme im Schienenverkehr ungleich komplexer als im selbstorganisierenden Straßenverkehr. Mehrere Güterbahnen in Europa sind Verlustbringer. Dies liegt auch daran, dass die Kosten- und Preisstrukturen, wie auch häufig die Qualitätsprofile, nicht den letztlich durch den LKW gesetzten Benchmarks entsprechen. Und wenn dann noch, wie in Deutschland, die DB AG einen Umsatzanteil von rd. 50 % im besonders fragilen Einzelwagenverkehr aufweist, der im direkten Wettbewerb zum LKW steht, ist die Situation außerordentlich schwierig, zumal die meisten anderen großen Bahnen keinen Einzelwagenverkehr durchführen. Außerdem sind die Innovationsaktivitäten für den Gütertransport unvergleichlich niedriger als im LKW-Sektor. Eine neue Bahnreform ist kontraproduktiv und unnötig. Es gilt, die Schwächen der Leistungsprozesse kritisch zu analysieren und entsprechend im Sinne einer wettbewerblich ausgerichteten Kundenorientierung zu reduzieren. Wirtschaftlichkeit, Rentabilität und Kundenausrichtung sind Bestandteile einer erfolgreichen Unternehmenspolitik. Dass der Staat die umweltfreundlichen und E-Mobilität in hohem Maße praktizierenden Bahnunternehmen von Sonderbelastungen im Vergleich mit dem Straßenverkehr entlastet, wie etwa der Stromsteuer, EEG-Umlage und Umweltzertifikate, sollte politisch endlich verinnerlicht werden. Sicherung eines leistungsfähigen und umweltbedeutsamen Schienenverkehrs ist nicht nur eine Angelegenheit beliebter Reden. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche