Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0032
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2017
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Autobahngesellschaft und öffentlich-private Partnerschaft
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Andreas Kossak
Das politische Gerangel um die Etablierung einer „Autobahngesellschaft“ und die Beteiligung Privater an der Finanzierung der Bundesfernstraßen sowie die Diskussionen um die Einführung einer „Ausländermaut“ für PKW tragen in mancher Hinsicht skurrile Züge. Eine Chronologie – und ein nachdrücklicher Appell zum Handeln.
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Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 16 INFRASTRUKTUR Finanzierung Autobahngesellschaft und öffentlich-private Partnerschaft Verkehrsinfrastruktur, Fernstraßen, Bundesfernstraßengesellschaft, ÖPP-Projekt, Maut Das politische Gerangel um die Etablierung einer „Autobahngesellschaft“ und die Beteiligung Privater an-der Finanzierung der Bundesfernstraßen sowie die Diskussionen um die Einführung einer „Ausländermaut“ für PKW tragen in mancher Hinsicht skurrile Züge. Eine Chronologie - und ein nachdrücklicher Appell zum Handeln. Andreas Kossak E nde des Jahres 2016 wurde in der Tagespresse berichtet, dass sich Bund und Länder „nach monatelangem Gerangel um Kompetenzen und Geld … darauf geeinigt (haben), die Verwaltung der Fernstraßen neu zu ordnen“ [1]. Danach solle „künftig allein der Bund für die Autobahnen zuständig“ sein. Das würde insbesondere bedeuten, „dass Bauvorhaben in Zusammenarbeit mit privaten Unternehmen, sogenannte ÖPP-Projekte, nicht mehr blind als Mittel zum schnellen und günstigen Straßenbau bejubelt werden. Auch ein Verkauf der Bundesfernstraßengesellschaft ist vorerst vom Tisch“ [1]. Die Logik dieser Argumentation erschließt sich zwar nicht unbedingt; das ist aber durchaus nicht untypisch für das Thema. Der Bund ist seit jeher Aufgabenträger der Bundesfernstraßen; er hat lediglich die Auftragsverwaltung für Bau und Betrieb den jeweils betroffenen Bundesländern übergeben. Die in den vergangenen Jahren praktizierten ÖPP-Projekte im Fernstraßenbau sind nicht etwa „blind“ von den Bundesländern praktiziert worden, sondern auf der Grundlage von Bundesgesetzen. Empfehlungen der „Pällmann-Kommission“ Tatsächlich dauert das „Gerangel“ um das betreffende Thema bereits wesentlich länger als lediglich einige Monate. Anfang 2015 wurde vermeldet, dass „die Strategen von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) jetzt einen alten Plan hervorgekramt (haben), der in ähnlicher Art schon einmal formuliert worden ist. Im September 2000 war das.“ [2]. Damit war der Schlussbericht vom 5. September 2000 der vom Bundesverkehrsministerium eingesetzten unabhängigen „Kommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ gemeint - in der Regel seither nach ihrem Vorsitzenden als „Pällmann-Kommission“ bezeichnet [3]. An erster Stelle der „Kernpunkte der Empfehlungen“ der Kommission heißt es darin: • „Umgehende Gründung einer Bundesfernstraßenfinanzierungsgesellschaft; ab 2001 Ausstattung mit allen Mauteinnahmen zum ausschließlichen Einsatz für die Bundesfernstraßen; Auflegung eines kreditfinanzierten Kurzfristprogramms mit Refinanzierung über Mauteinnahmen; später Weiterentwicklung der Gesellschaft zu einer oder mehreren Betreibergesellschaft(en) für BAB (Bundesautobahnen) und Bundesstraßen.“ In der Erläuterung der „Komponenten des Lösungsansatzes“ wird die betreffende Empfehlung unter anderem damit begründet, dass mit der Gründung der Gesellschaft der „Multiplikatoreffekt privatwirtschaftlicher Finanzierung“ genutzt werden solle. Bei Vorlage des Berichts wurde mit dem Beginn der Erhebung der entfernungs-/ belastungsabhängigen Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen durch schwere LKW ( ≥ 12 t zulässiges Gesamtgewicht) am 1. Januar 2003 ausgegangen; so war das von der Bundesregierung im Herbst 1999 festgelegt worden. Bis zu diesem Zeitpunkt sollte die in 1995 eingeführte Eurovignettenpflicht für dieselben Fahrzeugklassen und Straßen in Kraft bleiben. Als Rechtsform für die Gesellschaft wurde die Aktiengesellschaft (AG) empfohlen, „weil sie • in anderen Infrastrukturbereichen erprobt und bewährt ist, • den späteren Zutritt für Private ermöglicht und • die erforderliche Transparenz der Geschäftstätigkeit gewährleistet“. Die nachfolgenden fünf Kernpunkte der Empfehlungen behandeln die schrittweise völlige Umstellung der Finanzierung der Bundesfernstraßen von der Steuerfinanzierung auf die direkte Nutzerfinanzierung einschließlich der „Entlastung der Nutzer von Verkehrssteuern Zug um Zug … sobald und in dem Ausmaß, in dem das Einnahmevolumen aus Nutzerentgelten die (bereits latente) Finanzierungslücke … übersteigt“ (Bild 1). Abschließend empfiehlt die Kommission: • „Erweiterung des Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetzes (von 1994) prinzipiell auf alle Maßnahmen des Fernstraßenbaus; • ab 2001 Ausschreibung von Maßnahmen, die privatwirtschaftlich Erfolg versprechend sind; • Vergabe von Betreiberkonzessionen durch den Bund oder die Finanzierungsgesellschaft.“ Zu den Komplexen „Privatisierung“ und „Beteiligung Privater“ (PPP/ ÖPP) heißt es in der Begründung des „Lösungskonzeptes“: • Privatisierung bei Beibehaltung der Infrastrukturverantwortung fortführen! Der mit der Privatisierung der Telekom, der Post, des Luftverkehrs und der Bahn eingeschlagene Weg sollte fortgeführt und auf alle Bundesverkehrswege und alle Aufgaben ausgedehnt werden, die sich für eine Ausgliederung aus der Bundesverwaltung eignen; dabei ist sicher zu stellen, dass die Infrastrukturverantwortung und der Einfluss auf die Steuerung der Infrastrukturentwicklung beim Bund bleiben. • Möglichkeiten für die Beteiligung Privater verbessern und erweitern! Nach der gültigen Gesetzeslage sind die Möglichkeiten der Privatfinanzierung und Beteiligung Dritter an der Finanzierung sowie des privaten Projektmanagements stark eingeschränkt. Die Beschränkungen sollten beseitigt werden. Die private Finanzierung sollte aus- Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 17 Finanzierung INFRASTRUKTUR schließlich auf der Basis einer Refinanzierung durch Nutzerentgelte praktiziert werden. Die Empfehlungen der Kommission waren die konsequente Reaktion auf den Befund einer bereits latenten gravierenden Instandhaltungskrise der Bundesverkehrswege als Folge unzureichender Finanzierung und mangelhafter Effizienz der Verwendung der eingesetzten Mittel. Sie wurden seinerzeit von Politikern aller Lager und den Repräsentanten aller relevanten Lobby-Organisationen uneingeschränkt begrüßt; ihre schnelle Umsetzung wurde gefordert. Wie bisher verfahren wurde Anstelle einer „Bundesfernstraßenfinanzierungsgesellschaft“ wurde in 2001 eine „Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft“ (VIFG) gegründet, zuständig für alle Bundesverkehrswege (Straße, Schiene, Binnenwasserstraßen). Als Rechtsform wurde nicht die von der Kommission empfohlene AG gewählt, sondern die GmbH. Die Gesellschaft wurde nicht mit den Einnahmen aus der Eurovignette versehen. Der Termin für den Beginn der Erhebung der entfernungsabhängigen LKW-Maut musste zunächst vom 1. Januar 2003 auf den 31. August 2003 verschoben werden. Zu diesem Datum wurde von der Bundesrepublik der Eurovignetten-Vertrag gekündigt. Nach weiteren Verzögerungen erfolgte der Beginn der Erhebung schließlich am 1. Januar 2005. Mit Herannahen dieses Termins wurde politisch entschieden, 50 % der Netto-Einnahmen den Bundesfernstraßen zuzuordnen, 38 % den Bundesschienenwegen und 12 % den Bundeswasserwegen. Nach Beginn der Gebührenerhebung wurden die Einnahmen nicht etwa zur Schließung der unstrittigen Finanzierungslücke verwendet, sondern zum Anlass genommen wurden, den steuerfinanzierten Teil des Investitionshaushaltes entsprechend zu reduzieren. Darüber hinaus erfolgte die Zuordnung der Finanzmittel an die VIFG nicht etwa direkt, sondern nach Vereinnahmung durch das Bundesfinanzministerium aus dem allgemeinen Finanzhaushalt. Damit wurde gegen zentrale Empfehlungen der „Pällmann-Kommission“ und grundlegende Prinzipien der Nutzerfinanzierung verstoßen. Vor dem Hintergrund der kritischen Lage des Bundeshaushaltes entbrannte in 2005 dann auch noch eine öffentliche politische Diskussion um die Ausweitung der Gebührenerhebung zur Stärkung des allgemeinen Haushalts [4]. Noch im Frühjahr 2004 hatte der für das Thema zuständige Vizepräsident des ADAC in seinem Statement im Rahmen eines parlamentarischen Abends in Berlin zur Verkehrsinfrastrukturfinanzierung die schnellstmögliche Umsetzung der Empfehlungen der „Pällmann-Kommission“ im „Maßstab 1: 1“ gefordert [4]. In Reaktion auf die nachfolgenden politischen Entscheidungen schlug die Zustimmung der relevanten Verbände in strikte Ablehnung der Umstellung der Finanzierung der Bundesfernstraßen auf Nutzerfinanzierung um. Inoffiziell ist die Ablehnung bis heute in der Regel mit der unausgesprochenen Einschränkung versehen: „bis die Politik in diesem Zusammenhang ihre Glaubwürdigkeit überzeugend nachgewiesen hat“. Tatsächlich setzte sich die von der Kommission konstatierte Unterfinanzierung und Handhabung der verfügbaren Mittel praktisch unverändert fort. Das nahm der seinerzeitige Vorsitzende Dr. Wilhelm Pällmann zum Anlass, zehn Jahre nach Berufung der Kommission - vor der Bundestagswahl 2009 - gemeinsam mit dem Verfasser dieses Beitrags, mit Unterstützung von Vertretern relevanter Verbände und Unternehmen einen „Appell zum Handeln“ in Buchform zu veröffentlichen [5, 6]. Darin wurden nicht zuletzt die Kernpunkte des Kommissionsberichts in Erinnerung gerufen. Die „Autobahngesellschaft“ Abgesehen von einer Erweiterung der Aufgaben der VIFG [7] sowie der nominellen Zuordnung aller Mauteinnahmen nur noch zu den Bundesfernstraßen, hatte sich in Sachen Betreibergesellschaft nachfolgend wenig Bemerkenswertes getan. Das änderte sich mit dem eingangs zitierten „Gerangel“. In der öffentlich dokumentierten Diskussion verfolgten danach „Sigmar Gabriel, Wolfgang Schäuble und die Geldbranche … offenbar den Plan, den Bau und Betrieb der staatlichen Infrastruktur von privaten Investoren erledigen zu lassen. Das wäre dreist“ [8]. Im Frühjahr 2015 wurde dann gemeldet, dass Bundesverkehrsminister Dobrinth eine „Revolution beim Straßenbau“ plane; er wolle eine „staatliche Gesellschaft für Fernstraßen gründen … die private Finanzierungen in Anspruch nehmen kann“, das „wäre eine kleine Revolution“ [9]. Im Herbst 2015 firmierte die Realisierung einer „Verkehrsinfrastrukturgesellschaft“ als „Vorschlag einer Kommission unter der Federführung des DIW-Präsidenten Marcel Fratzscher“, die von Bundeswirtschaftsminister Gabriel eingesetzt worden war. Die Gesellschaft solle „Planung, Bau, Betrieb und Finanzierung von Bundesfernstraßen ‚aus einer Hand‘ gewährleisten … Überdies hält es die Fratzscher-Kommission zumindest für möglich, dass jene Gesellschaft das Recht auf eigenständige Kreditaufnahmen erhält“ [10]. Ende November 2016 las man schließlich: „Ein Verkauf der Bundesfernstraßengesellschaft ist vorerst vom Tisch. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hätte diese Gesellschaft, nicht die Straßen selbst, am liebsten an private Investoren übertragen. Seine Infrastrukturexperten hatten in einem Gesetzentwurf für die neue Gesellschaft geschrieben, dass lediglich die Mehrheit der Anteile beim Bund bleiben solle. Je mehr Privatanleger mit von der Partie seien, desto effizienter würden die Straßen verwaltet.“ Nunmehr hätten sich aber Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel und Verkehrsminister Alexander Dobrinth „gegen diesen Plan … verbündet“ [1]. Laut dem zwischen den beiden Ministerien abgestimmten Gesetzentwurf solle die Gesellschaft in vollständigem Eigentum des Bundes stehen. Die knapp 13 000 km Autobahnen und rd. 1300 km (autobahnähnlich ausgebaute und mit Autobahnen verknüpfte) Bundesstraßen sollen künftig wie das Schienennetz verwaltet werden. Eine „Fernstraßenbehörde“ solle für hoheitliche Aufgaben zuständig sein, der „Bundesfernstraßengesellschaft“ solle Bau, Betrieb und Erhalt der betreffenden Straßen übertragen werden. Als Gesellschaftsform solle die GmbH gewählt werden; dies sei angeblich ein Kompromiss zwischen einer Behörde und einer AG. Laut Aussage des Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann, sei eine GmbH „leichter zu steuern als eine AG“ [1]. Die seit vielen Jahren auch in Deutschland regelmäßig als leuchtendes Beispiel für eine erfolgreich agierende Autobahngesellschaft zitierte österreichische „Autobah- Bundesfernstraßen Von Steuerzu Nutzerfinanzierung 0 3 6 9 12 15 18 21 Lkw 12 t BAB Lkw < 12 t BAB Pkw BAB Lkw 12 t B Lkw < 12 t B Pkw B Transaktionskosten Finanzierungslücke Budget Kompensation Steuer : Maut = 1: 1 "interne" Kosten Maut - Einnahmen Bild 1: Prinzip des Paradigmenwechsels auf Basis der Zahlen von 2000 [2] Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 18 INFRASTRUKTUR Finanzierung nen- und Schnellstraßen-Finanzierungs- Aktiengesellschaft“ (ASFINAG) ist dagegen tatsächlich eine AG. Sie wurde bereits im Jahr 1992 gegründet, finanziert sich im Wesentlichen aus Mautgebühren und operiert gänzlich ohne staatliche Zuschüsse. Alle Mauteinnahmen gehen direkt in Bau, Erhaltung und Betrieb des Fernstraßennetzes [11]. Die neue deutsche „Autobahngesellschaft“ soll dem Vernehmen nach aus bereits bestehenden Gesellschaften gebildet werden, die in ihr „aufgehen oder (darin) einbezogen werden“. Genannt sind die Projektmanagementgesellschaft DEGES, die VIFG und Toll-Collect [1]. Der (vorläufige) Ausgang des „Gerangels“ in diesem Zusammenhang belegt nicht zuletzt die in jüngster Zeit in der Politik wieder beträchtlich gewachsenen Vorbehalte gegenüber einer Beteiligung der Privatwirtschaft an Infrastrukturprojekten. „Autobahngesellschaft“ und ÖPP/ PPP Nach [1] sieht man beim Bund (derzeit) Projekte in öffentlich-privater Partnerschaft skeptisch. Aus dem Bundeswirtschaftsministerium soll verlauten: „Da muss man vorsichtig sein, allein das Stichwort ÖPP löst Gegenreaktionen in der Bevölkerung aus.“ Solche Partnerschaften seien nur in Einzelfällen denkbar. Diese Position ist allerdings schwerlich mit den Fakten und Erfahrungen in allen Ländern weltweit vereinbar, die eine solide langjährige Praxis mit der Durchführung gerade auch von komplexen Infrastrukturprojekten in öffentlich-privater Partnerschaft haben (Tabelle 1). Das trifft bemerkenswerterweise aber auch für die Bundesrepublik zu. So wird in einem gemeinsam vom Bundesverkehrsministerium und dem Bundesrechnungshof in Auftrag gegebenen und Ende Dezember 2015 vorgelegten Gutachten explizit festgestellt: • „… die Erfahrungen mit ÖPP im Bundesfernstraßenbau (sind) positiv, • alle Projekte wurden frühzeitig fertig gestellt, • der Kostenrahmen aller Projekte wurde … eingehalten, • die Qualität der Leistungen wird von den Straßenbauverwaltungen der Länder als gut bis sehr gut qualifiziert“ [12]. Zudem habe der Bundesrechnungshof den in ÖPP realisierten Projekten „eine höhere Haushaltstransparenz als der konventionellen Variante bescheinigt…“ und dass „von der ÖPP-Beschaffungsvariante wesentliche Impulse auf die öffentliche Verwaltung“ ausgehen würden. „Autobahngesellschaft“ und Benutzungsgebühren Die „Pällmann-Kommission“ hat die von ihr empfohlene „Fernstraßenfinanzierungsgesellschaft“ und die nachfolgende(n) Betreibergesellschaft(en) in direkten Zusammenhang mit der umfassenden Umstellung von Steuerfinanzierung auf Nutzerfinanzierung gebracht. Das stand in vollem Einklang mit der bereits in 1995 von der EU-Kommission im Grünbuch „Faire und Effiziente Preise im Verkehr“ formulierten und nach wie vor unverändert gültigen Verkehrspolitik der Kommission [14]. Mit der Einführung entfernungsbzw. belastungsabhängiger Gebühren für die Benutzung von Bundesautobahnen durch schwere LKW ( ≥ 12 t zulässiges Gesamtgewicht) am 1.- Januar 2005 wurde prinzipiell der erste Schritt im Sinne der Umstellung in der Bundesrepublik getan. Grundsätzlich könnte bereits die Einführung der Eurovignette als Vorstufe eingeordnet werden. Seither erfolgten lediglich geringfügige Erweiterungen der Gebührenerhebung im Straßengüterverkehr. Als Reaktion auf einen sich weiter verschlechternden Zustand der Verkehrsinfrastruktur setzte die Verkehrsministerkonferenz der Länder im Einvernehmen mit dem Bundesverkehrsministerium in 2012 eine politische Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“ („Daehre- Kommission“) ein [15]. Der Verfasser dieses Beitrages hatte im Auftrag des Bundesverkehrsministeriums im Rahmen der Arbeit der Kommission ein Migrations-Szenario für die schrittweise völlige Umstellung der Finanzierung der Straßeninfrastruktur aller Aufgabenträger auf direkte entfernungs-/ belastungsabhängige Nutzerfinanzierung erarbeitet und mit dem zuständigen Generaldirektor bei der EU-Kommission erfolgreich abgestimmt [16]. Die Aufnahme des Konzepts in die Empfehlungen der Kommission scheiterte dann aber am Widerstand einzelner Bundesländer. Es folgte die peinliche Geschichte der von der CSU im Bundestagswahlkampf 2013 geforderten „Ausländer-Maut“. Deren Einführung wird in der laufenden Legislaturperiode vom neuen Bundesverkehrsminister und vormaligen CSU-Generalsekretär Dobrinth seither unter der Bezeichnung „Infrastrukturabgabe“ vehement weiter verfolgt. Das Projekt ist in fast jeder relevanten Hinsicht fragwürdig. Zudem wäre zu erwarten, dass eine Umsetzung die von der Sache her gebotene, schrittweise umfassende Umstellung auf belastungsabhängige Nutzerfinanzierung der Verkehrsinfrastruktur für absehbare Zeit eher blockieren als fördern würde. Appell zum Handeln Die Dauer und die Facetten des „Gerangels“ um die Etablierung einer „Autobahngesellschaft“ und um die Beteiligung Privater an der Gesellschaft und an der Infrastrukturfinanzierung sowie die Diskussionen um die Einführung einer „Ausländermaut“/ „Infrastrukturabgabe“ für PKW tragen in vieler Hinsicht fragwürdige, teilweise eher skurrile Züge. Über nunmehr 16 Jahre nach Veröffentlichung des Schlussberichts der „Pällmann-Kommission“ gebietet das einen erneuten Appell zum Handeln im Sinne eines ganzheitlichen, nachhaltigen Prozesses. Dabei sollte die Etablierung der „Autobahngesellschaft“ als wichtiger Meilenstein in Richtung einer oder mehrerer Betreibergesellschaften für alle Bundesfernstraßen verstanden werden. Die Beteiligung Privater daran sollte nicht ausgeschlossen werden. Der Anteil und das Spektrum der Finanzierung und Realisierung, gerade auch großer und komplexer Projekte in öffentlich priva- Risiko Öff. Hand Teils Ö Teils P Privat Entwurf Landbeschaffung Umweltverträglichkeit Bau Baugrund Leitungsverlagerung Betrieb und Instandhaltung Markt / Nachfrage Latente Defekte Gesetzesänderungen Höhere Gewalt Konkurrierende Anlagen Tabelle 1: Generelle Risiko-Allokationen im Straßensektor; Beispiel UK [13] Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 19 Finanzierung INFRASTRUKTUR ter Partnerschaft, sollte erheblich erweitert werden. Insbesondere sollte endlich auch die vollständige Umstellung der Finanzierung der Straßen aller Aufgabenträger auf direkte belastungsabhängige Nutzerfinanzierung (ggf. ergänzt durch Nutznießerfinanzierung) EU-konform konzipiert und in geeigneten Schritten realisiert werden. In Erwartung der Umsetzung der Empfehlungen der „Pällmann-Kommission“ in dieser Hinsicht galt die Bundesrepublik Anfang des letzten Jahrzehnts weltweit als Vorbild. Das wurde bereits nach wenigen Jahren politisch verspielt. Eine Wiederherstellung des betreffenden Status wäre ein international viel beachtetes Highlight der Verkehrspolitik mit tatsächlicher Impulswirkung auf europäischer Ebene. ■ LITERATURVERZEICHNIS [1] Doll, N. und Gassmann, M.: Öffentliches Ärgernis. In: Die Welt, 27. November 2016 [2] Kröger, M.: Schäubles Fernstraßen AG: Schnellstraßen in privater Hand - was bringt das? In: Spiegel Online, 11. Februar. 2015 [3] Kommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung: Schlussbericht, 5. September 2000 [4] Kossak, A.: Pro und Contra Pkw-Maut. In: Der Nahverkehr 1-2/ 2006 [5] Kossak, A. und Pällmann, W. (Hrsg.): 10 Jahre Regierungskommission Verkehrsinfrastrukturfinanzierung - Aktualisierter und erweiterter Appell zum Paradigmenwechsel! In: Edition Internationales Verkehrswesen, DVV Media Group 2009 [6] Kossak, A.: Transport Infrastructure Finance - A call to action; Etc, etc. In: The international road pricing and electronic toll collection review, November / Dezember 2009 [7] www.vifg.de [8] Schumann, H,: Privatisierung für Allianz & Co. In: Der Tagesspiegel, 26. Februar 2015 [9] Kamann, M.: Dobrinth plant Revolution beim Straßenbau. In: Die Welt 21. April 2015 [10] Gassmann, M.: Privates Geld für Sanierung der Straßen. In: Die Welt, 4. September 2015 [11] www.asfinag.at [12] Die Deutsche Bahnindustrie: Stellungnahme zum Bericht „Öffentlich-Private Partnerschaften (ÖPP) des Bundesministeriums für Verkehr und Digitale Infrastruktur an den Rechnungsprüfungsbericht im Deutschen Bundestag vom 18. 12. 2015. Berlin, Stadt 07. 01. 2016 [13] US-DOT FHWA: Public Private Partnerships for Highway Infrastructure - Capitalizing on International Expericence. In: International Technology Scanning Program, Washington D.C. 2009 [14] Kommission „Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“: Schlussbericht vom 30. September 2013 [15] Kommission „Zukunft der Verkehrsinfrastrukturfinanzierung“: Schlussbericht; im Dezember 2012 [16] Kossak, A. : German Road VMT Scenario; Präsentation, TRB Joint Subcommittee on VMT Revenues. Washington D.C. 14. Januar 2013 Andreas Kossak, Dr.-Ing. Kossak Forschung & Beratung, Hamburg drkossak@aol.com Fachausstellung und Fachtagung für Planung, Bau und Betrieb von Einrichtungen des ruhenden Verkehrs Karlsruhe, 21. - 22.06.2017 Kostenfreie Eintrittskarte sichern! parken-messe.de/ eintrittskarten Im „ruhenden Verkehr” die Überholspur nutzen Folgen Sie uns @PARKEN2017 #PARKEN17 Erfahren Sie alles über Bezahlsysteme, Instandhaltung, Smart Mobility, uvm.
