Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0034
41
2017
692
Entsorgungsverkehre auf dem Wasser
41
2017
Thomas Decker
Das Forschungsprojekt „GüllOst“ der Rheinischen Fachhochschule Köln (Standort Neuss) zielt ab auf ein Logistik-Konzept, das die durch sogenannte „Nährstoffbörsen“ oder „Güllebanken“ verursachten Quell-, Ziel- und Transitverkehre für organischen Dünger zu optimieren sucht. Ziel ist dabei insbesondere, entsprechende LKW-Verkehre auf Binnenschiffe zu verlagern und dabei den Mittellandkanal als den Weg des Hauptlaufs in den Fokus zu rücken.
iv6920024
Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 24 LOGISTIK Binnenschifftransport Entsorgungsverkehre auf-dem-Wasser Löst das Binnenschiff den Entsorgungsdruck in der Landwirtschaft? Binnenschiff, Mittellandkanal, Nährstoffkreislauf, Gülle, Agrogüter Das Forschungsprojekt „GüllOst“ der Rheinischen Fachhochschule Köln (Standort Neuss) zielt ab auf ein Logistik-Konzept, das die durch sogenannte „Nährstoffbörsen“ oder „Güllebanken“ verursachten Quell-, Ziel- und Transitverkehre für organischen Dünger zu optimieren sucht. Ziel ist dabei insbesondere, entsprechende LKW-Verkehre auf Binnenschiffe zu verlagern und dabei den Mittellandkanal als den Weg des Hauptlaufs in den Fokus zu rücken. Thomas Decker G ülle hat sich - weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit - zu einem internationalen Wirtschaftsgut entwickelt. So wurden beispielsweise in 2012 mehr als 1,7 Mio. t aus den Niederlanden nach Deutschland exportiert, Tendenz steigend. Parallel dazu entwickelten sich sog. „Nährstoffbörsen“, „Nährstoffkontore“ oder „Güllebanken“, über die diese „Nebenprodukte der Landwirtschaft“ gehandelt werden [1]. Aufgrund der EU-Milchkontingent-Freigabe ist zudem ein weiterer Anstieg der ohnehin schon viel zu hohen Güllemengen zu erwarten. Auch eine Verschärfung der Düngeverordnung trägt dazu bei, sodass z.B. Maisreste wie Gülle behandelt werden müssen und Landwirte dann noch weniger direkt ausbringen können. Trinkwasseruntersuchungen ergeben inzwischen regelmäßig, dass in Deutschland anhaltend gegen die Nitratrichtlinie verstoßen wird [2]. Die Straße zur Abfuhr der Gülle (z.B. von Gelderland oder NRW zur Hildesheimer Börde oder zur Magdeburger Börde bzw. nach Sachsen-Anhalt über die Autobahn A2) wird darüber hinaus bis Ende des Jahrzehnts an ihre Grenzen stoßen, sodass nur noch die Wasserwege zur Abfuhr der Gülle aus den Überschussregionen hin zu möglichen Bedarfsregionen bleiben. Status Quo Entsorgungsverkehre werden in Einzelfällen mittlerweile per Binnenschiff und beispielsweise auch über den Mittellandkanal abgewickelt. Die Mehrheit der Entsorgungsverkehre - mit Ausnahme der LKW- Vorlaufverkehre zum Binnenschiff - wird allerdings nach wie vor über LKW-Direktverkehre abgewickelt. Festzuhalten ist jedenfalls, dass dies mit Blick auf die extrem hohen Entsorgungsbedarfe der Überschußregionen bei gleichzeitig unterversorgten Bedarfsregionen bei weitem nicht ausreicht, um von einer ökologisch nachhaltigen Transportkette sprechen zu können. Die Bauernschaften, die heute noch mit tendenziell steigenden Entsorgungskosten rechnen und wegen zunehmender rechtlicher Restriktionen an ihre Kapazitätsgrenzen stoßen, sehen sich dabei inzwischen einem Kuriosum gegenüber. So existieren in den Niederlanden einerseits z.B. noch Separiervorgaben von 50 %, ab 1.1.2016 dann von 60 % usw. und Entsorgungskosten von bis zu 30 EUR je 1000 Liter. Andererseits werden Landwirten aber mittlerweile auch Entgelte zwischen 5 und 25 EUR je Kubikmeter Gülle bezahlt. Ausdrücklich zu betonen ist, dass Binnenschiffstransporte mit Gülle im Einzelfall bereits jetzt wirtschaftlich zu sein scheinen, sobald entsprechende Abnahmebetriebe gefunden sind. So waren beispielsweise zwei Tankschiffe mit jeweils 1200 t Gülle nach einem Hauptlauf von lediglich rund 350 km am Nachlaufpunkt innerhalb eines Tages abverkauft [3]. Vereinzelte Binnenschiffstransporte von den Niederlanden bis nach Österreich stehen schließlich ebenfalls bereits in Rede. Daher ist davon auszugehen, dass derlei Transporte bei veränderten politischen Rahmenbedingungen durch zusätzliche Entsorgungsgebühren oder sogar Abnahmeentgelte etc. weiter zunehmen könnten. Konzept Ausgehend von den niederländisch-deutschen Überschussregionen North Brabant, Gelderland, Midden Limburg, Teilen Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens ist daher zu prüfen, ob sich deren überschüssige Gülle via Binnenhäfen an Maas und Rhein über den Mittellandkanal bis hin zu den Bedarfsregionen wie etwa der Hildesheimer oder auch der Magdeburger Börde sinnvoll abtransportieren lassen (Bild 1) [4]. Zwischenlagerstätten vor oder in den Häfen Hildesheim oder Magdeburg könn- Bild 1: Mögliche Transportwege von den Überschusszu den Bedarfsregionen Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 25 Binnenschifftransport LOGISTIK ten dabei eine wichtige Rolle spielen - ausdrücklich auch gegen allfällige Bedenken der örtlichen Hafenverwaltungen. Auch auf Reede liegende Tankschiffe entlang des Mittellandkanals könnten per se als Zwischenlagerstätte fungieren. Gülle sollte jedenfalls - so die Proposition - auf direktem Wege auf unterversorgte Felder gelangen und möglichst nicht via vorgeschalteter Separation etc. aufwendig behandelt werden. Um nun eine Verlagerung von Gülletransporten von der Straße auf die Wasserwege zu erwirken, müssen die bisherigen LKW-Direktverkehre als Vorlauf ausgelegt werden, etwa in der Form eines klassischen Milk-runs. Als potenzielle Sammelstellen im Vorlauf kommen in den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - folgende Häfen in Betracht: Wanssum für Nord-Limburg, Zevenellen für Midden Limburg und SO-Brabant, Emmerich für Teile von Gelderland und die DeltaPort-Häfen zum Beispiel für weite Teile Nordrhein-Westfalens [5]. Im Anschluss daran werden die Flüssignährstoffe in den genannten Häfen in Tankschiffe verfüllt. Der Hauptlauf der Transportkette verläuft insoweit dann über den Rhein-Herne-Kanal und/ oder den Dortmund-Ems-Kanal in Richtung Mittellandkanal. In den Zielhäfen wird die Gülle wieder abgepumpt und auf die unterversorgten Felder der jeweiligen Bedarfsregionen verteilt. Diese Nachläufe werden im Auftrag der Bauernschaft durch Lohnunternehmer durchgeführt, welche die Gülle vorzugsweise durch injizierende und daher möglichst verlustarme Ausbringungsverfahren in die Böden einarbeiten. Die Ausbringung über herkömmliche Prallteller bleibt dabei nach wie vor eher den eigenmechanisierten Landwirten vorbehalten. Einige Häfen wie z. B. DeltaPort am Niederrhein haben jedenfalls laut Wasserstraßen-, Hafen- und Logistikkonzept des Landes Nordrhein-Westfalen bereits spezifizierte Entwicklungspotenziale, um in den Umschlag oder die Zwischenlagerung von Flüssignährstoffen einzusteigen [6]. Ausblick Zur weiteren Forcierung des Forschungsprojekts ist die Rheinische Fachhochschule Köln (Standort Neuss) aktuell mit mehreren Kooperationspartnern im Gespräch. So prüft derzeit eine deutsche mittelständische Werft, wie sich die bis 2018 frei werdenden rund 50 Einhüllen-Tanker sinnvoll zweitverwenden ließen. Diese Einheiten werden danach nicht mehr für den Einsatz von Ölprodukten etc. zugelassen, sodass eine alternative Nachfolgenutzung in vorliegendem Kontext möglich erscheint. Eine Zwischenlagerung von Gülle in einem auf Reede liegenden Tankschiff wurde in einem Einzelfall auf dem Wesel-Datteln- Kanal ebenfalls bereits geprüft, dies allerdings zur stetigen Befüllung einer - mittlerweile nicht genehmigten - Biogasanlage in Hünxe. Zudem zeigt ein internationaler 3-PL- Logistikdienstleister mit rund 8000 Beschäftigten großes Interesse, die nach eigenem Bekunden überraschend hohen und wachsenden Güllebzw. Festmistmengen in den Niederlanden und Deutschland über seine bestehende Binnentankschiffflotte zu transportieren. Zu konzedieren ist an dieser Stelle, dass mit den aufgezeigten Verlagerungsoptionen der Verkehrsströme zugunsten des Binnenschiffs lediglich verkehrliche Überlasten auf den Straßen verbessert würden. Die grundsätzlichen Probleme der Überdüngung und der daraus resultierenden politisch gegensätzlichen Positionen zwischen Wasser- und Bauernlobby würden dabei freilich nicht gelöst. Als elektronischer Marktplatz zur Steuerung dieser kombinierten Verkehre böten sich schließlich ein nationales „Meldeprogramm Wirtschaftsdünger“ oder ein „Wirtschaftsdüngerkataster“ an. Die bisherigen Versuche einzelner Bundesländer greifen insoweit zu kurz. Eine derartige Meldestelle käme als staatlicher Organisation jedenfalls der Forderung nach einer notwendig „diskriminierungsfreien“ Datenbank zur Erfassung einschlägiger Transporte am ehesten nach. ■ QUELLEN [1] Decker, T. (2014): Transport von Agrogütern mit Binnenschiffen zur Versorgung von Biomassekraftwerken, in: Neusser Schriften, 1. Jg., (1) 2014, Ergebnisbericht zum EUREGIO-Forschungsprojekt HARRM, 25 S. [2] Becker, S./ Schießl, M. (2017): Kacke am Dampfen, in: Der Spiegel, (3) 2017, S. 74-75 [3] Uken, M. (2013): Millionen mit dem Mist, in: Zeit Online, o.S. [4] Granzow, A. (2016): Gülle als Zukunftsmarkt für die Binnenschifffahrt, in: SUT Schiffahrt und Technik, 35. Jg., (4) 2016, o.S. [5] Decker, T. (2016): Versorgung von Biomassekraftwerken mit Agrogütern - Bimodale Strategien für Binnenreeder, in: Internationales Verkehrswesen, 67 Jg., (2) 2015, S. 25-28 [6] MBWSV Ministerium für Bauen, Wohnen, Städteentwicklung und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen (2016): Wasserstraßen-, Hafen- und Logistikkonzept des Landes Nordrhein-Westfalen, S. 59-62 Thomas Decker, Prof. Dr. Studiengangleiter Logistics and Supply Chain Management, Professur für Transport- und Verkehrslogistik, Rheinische Fachhochschule Köln gGmbH, Standort Neuss thomas.decker@rfh-neuss.eu info@vtg.com • www.vtg.de DIGITAL INTERMODAL CUSTOMIZED Treffen Sie uns auf der Messe transport logistic vom 9. bis 12. Mai 2017 in München, Freigelände (FGL), Gleis 3/ 1, und Halle B6, Stand 322 VTG - CONNECTING WORLDS!
