Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0044
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Entwicklungstrends bei ausgewählten europäischen Fluggesellschaften
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Katrin Kölker
Steffen Bießlich
Bernd Liebhardt
Klaus Lütjens
Volker Gollnick
Im folgenden Artikel werden für ausgewählte Fluggesellschaften Kennzahlen ermittelt und deren Entwicklung der letzten zehn Jahre nachverfolgt. Die Kennzahlen decken einen großen Bereich des Betriebs einer Fluggesellschaft ab und umfassen neben Bestandsgrößen auch angebotsseitige, finanzielle und geographische Aspekte. Die Analyse der verschiedenen Kennzahlen ermöglicht einen Überblick über deren spezifische Entwicklung im Zeitverlauf sowie einen Vergleich der Fluggesellschaften.
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Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 53 Entwicklungstrends bei ausgewählten europäischen Fluggesellschaften Fluggesellschaft, Entwicklungstrends, Quantitative Analyse Im folgenden Artikel werden für ausgewählte Fluggesellschaften Kennzahlen ermittelt und deren Entwicklung der letzten zehn Jahre nachverfolgt. Die Kennzahlen decken einen großen Bereich des Betriebs einer Fluggesellschaft ab und umfassen neben Bestandsgrößen auch angebotsseitige, finanzielle und geographische Aspekte. Die Analyse der verschiedenen Kennzahlen ermöglicht einen Überblick über deren spezifische Entwicklung im Zeitverlauf sowie einen Vergleich der Fluggesellschaften. Katrin Kölker, Steffen Wenzel, Peter Bießlich, Bernd Liebhardt, Klaus Lütjens, Volker Gollnick F luggesellschaften stellen eine der wichtigsten Gruppen von Akteuren im Lufttransportsystem dar. Sie bestimmen im Wettbewerb untereinander und mit anderen Verkehrsträgern die Qualität und die Struktur des Angebots von Lufttransportdienstleistungen. Von den Geschäftsmodellen der Fluggesellschaften hängen die Netzstruktur sowie der- Bedarf und der Einsatz von Flugzeugtypen mit unterschiedlichen Leistungsmerkmalen wie z. B. Reichweite und Sitzplatzkapazität ab. Um Aussagen über die aktuelle und zukünftige Angebotsstruktur im Luftverkehr zu treffen, besteht ein Interesse, einzelne Fluggesellschaften untereinander zu vergleichen und in ihrer zeitlichen Entwicklung zu beschreiben. Die bisherige Literaturrecherche hat ergeben, dass keine Veröffentlichung, welche die Entwicklungstrends ausgewählter Charakteristika von Fluggesellschaften aufzeigt, existiert. Für diese Aufgabe wurden daher zunächst die wichtigsten Struktur- und Leistungsmerkmale von Fluggesellschaften identifiziert. Für die Darstellung dieser Merkmale wurde ein zehnachsiges Netzdiagramm (auch als Spinnennetzdiagramm bezeichnet) gewählt, weil damit sowohl eine große Anzahl an Merkmalen als auch deren zeitliche Entwicklung übersichtlich aufgetragen und verglichen werden kann. Für das Netzdiagramm stellen sich Fragen zur Ausrichtung, Bewertung und Normierung der Kennzahlen auf den zehn Achsen. Es wird die Konvention getroffen, dass positive Merkmalsausprägungen außen auf den Netzdiagrammen angesiedelt sind. Wie im Falle des Flottenalters sind bei manchen Merkmalen zahlenmäßig besonders niedrige Werte als gut zu bewerten. Am Beispiel des später näher erläuterten Merkmals Zentralität wird zudem deutlich, dass bei manchen Merkmalen nicht offensichtlich ist, ob hohe oder niedrige Werte positiv zu bewerten sind. Um eine Vergleichbarkeit der Kennzahlen zwischen den Fluggesellschaften herzustellen, wird der beste Jahreswert eines Merkmals über alle betrachteten Fluggesellschaften auf den Wert Eins für alle Netzdiagramme normiert. Die anderen Werte dieses Merkmals aus anderen Jahren und anderen Fluggesellschaften werden dazu in Relation gesetzt. Im weiteren Verlauf dieses Artikels wird exemplarisch auf die ausgewählten Merkmale und deren vergleichende Entwicklung bei den Fluggesellschaften Lufthansa, Turkish Airlines, easyJet und Air Berlin im Zeit- Foto: Pixabay Luftfahrt MOBILITÄT Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 54 MOBILITÄT Luftfahrt raum 2006 - 2015 eingegangen, welche auf dem europäischen Luftverkehrsmarkt in Konkurrenz zueinander stehen. Die Auswahl der Fluggesellschaften erfolgte mit der Maßgabe möglichst unterschiedlicher Geschäftsmodelle, um deren spezifische Unterschiede aufzuzeigen, wobei der Fokus auf den beiden größten deutschen Fluggesellschaften liegt. Die Analyse kann auf beliebige Luftverkehrsgesellschaften übertragen werden. Die Ergebnisse basieren auf einer umfassenden Datenanalyse der kommerziellen Datenbanken Ascend Online Fleet Database [1], Sabre Market Intelligence [2] sowie den Bilanzen der untersuchten Fluggesellschaften. Passagiernetzwerk Die Passagiernachfrage ist ein zentraler Treiber für ökonomische Entscheidungen, aber auch Entwicklungen innerhalb einer Fluggesellschaft. Basierend auf Nachfrageprognosen entscheiden Fluggesellschaften unter anderem, welche Routen betrieben und welche Ticketpreise gesetzt werden. Entscheidungen hinsichtlich der Sitzplatzkapazität bei der Ausarbeitung des Flugplans finden ebenfalls auf Basis der prognostizierten Nachfrage statt und bestimmen damit, zu welchen Tageszeiten und mit welchem Flugzeugtyp die Strecken bedient werden [7]. Zur Beschreibung des Passagiernetzwerkes einer Fluggesellschaft wurden die drei Kennzahlen jährliches Passagieraufkommen (Passagiere), Anzahl der bedienten Märkte (Märkte) und der Parameter zur Messung der Direktheit der Passagierrouten (Direktheit) berechnet. Neben dem stetigen globalen Wachstum der Passagiernachfrage der vergangenen Jahre [8] sind deutliche Trends im europäischen Raum sichtbar. Während weltweit die RPK (Revenue Passenger Kilometres, Personenkilometer) in den vergangenen Jahren um durchschnittlich 5,2 % stiegen, erhöhten sich die ASK (Available Seat Kilometres, Sitzplatzkilometer) bedingt durch einen wachsenden Sitzladefaktor lediglich um 4,2 % [2]. Diese Abweichung ist auf innereuropäischen Flügen noch deutlicher zu beobachten, wohingegen bei Langstreckenflügen von und nach Europa der Unterschied und damit das Wachstum des Sitzladefaktors geringer ist (Bild 1). Der aktuelle Sitzladefaktor liegt bei durchschnittlich 84 % auf europäischen Flügen [2] und kann nicht unbegrenzt weiter wachsen. Bei einem weiteren Wachstum der Passagierzahlen, müssen die Fluggesellschaften zwingend mehr Flüge durchführen oder größere Flugzeuge betreiben. Die untersuchten Fluggesellschaften haben sehr unterschiedliche Passagiernetzwerke, welche aus topologischer Sicht durch die Direktheit der Reiserouten der Passagiere gekennzeichnet sind. Diese beschreibt die Anzahl der Umstiege auf Passagierrouten. Je weniger Passagiere umstei- 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 Passagiere Direktheit Märkte Allianz Rentabilität Flottenalter Sitzplatzkapazität Streckenlänge Zentralität Flugbewegungen Lufthansa 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 Passagiere Direktheit Märkte Allianz Rentabilität Flottenalter Sitzplatzkapazität Streckenlänge Zentralität Flugbewegungen Turkish Airlines 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 Passagiere Direktheit Märkte Allianz Rentabilität Flottenalter Sitzplatzkapazität Streckenlänge Zentralität Flugbewegungen easyJet 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 0 0.2 0.4 0.6 0.8 1 Passagiere Direktheit Märkte Allianz Rentabilität Flottenalter Sitzplatzkapazität Streckenlänge Zentralität Flugbewegungen Air Berlin 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 Bild 2: Dateninduzierte Analyse der Entwicklung ausgewählter Fluggesellschaften (0 entspricht dem Minimum und 1 dem Maximum über alle Fluggesellschaften und alle Jahre), Datenquellen: [1-6] 1 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 1.6 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 RPK Weltweit ASK Weltweit RPK Innereuropäisch ASK Innereuropäisch RPK von/ nach Europa ASK von/ nach Europa Bild 1: Entwicklung der RPK (Revenue Passenger Kilometres) und ASK (Available Seat Kilometres) Datenquelle: [2] Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 55 Luftfahrt MOBILITÄT gen und je geringer die Anzahl der Umstiege ist, desto höher ist die Direktheit des Netzes. Turkish Airlines und Lufthansa operieren ein sehr indirektes Netz mit Drehkreuzen in Istanbul bzw. Frankfurt und München, wobei nach einem Anstieg der Direktheit bis 2012 die Netze beider Fluggesellschaften wieder indirekter werden. Obwohl beide ein sehr indirektes Netz betreiben, bietet Lufthansa eine weit höhere Zahl von Märkten an, wie aus den Netzdiagrammen (Bild 2) ersichtlich ist. Das liegt zum einen an der weit höheren Anzahl an Flugbewegungen, welche auch die Flugbewegungen der Kurz- und Mittelstreckenflüge der Eurowings umfassen. Zum anderen ist das Netzwerk stark beeinflusst durch eine ausgeprägte Allianz mit anderen Fluggesellschaften. Daher wurde die Kennzahl Allianz eingeführt, welche die Anzahl der Passagiere misst, welche auf Routen reisen, die von verschiedenen Fluggesellschaften bedient wurden. Dazu zählt sowohl ein Wechsel der Fluggesellschaft, als auch der Fall, bei dem ein Flug durch eine andere Fluggesellschaft als Codeshare durchgeführt wird [9]. Durch eine Ausweitung des Angebots von Fluggesellschaften in Form von neuen Routen, höheren Frequenzen oder einer höheren Sitzplatzkapazität, kann zusätzliche Nachfrage induziert werden. In den Netzdiagrammen wird deutlich, wie unterschiedlich die Voraussetzungen für erhöhte Passagierzahlen sind. Bei Lufthansa wird ein größeres Beförderungsvolumen durch eine Steigerung der Sitzplatzkapazität ermöglicht (siehe auch Abschnitt Flotten). Selbiges gilt für Turkish Airlines, die zugleich auch die Anzahl der Flugbewegungen signifikant erhöhten. Da easyJet eine weitgehend einheitliche Flotte betreibt, ist hier eine Korrelation nur zwischen der Anzahl der Flugbewegungen und dem Passagiervolumen zu erkennen. Finanzen Die europäischen Netzwerk-Carrier wie Lufthansa, Air France oder British Airways konkurrieren im globalisierten und deregulierten Markt mit Low-Cost-Carriern wie easyJet, Ryanair oder Wizz Air auf regionaler Ebene und im Interkontinentalverkehr mit Fluggesellschaften aus dem Nahen Osten wie Emirates und Etihad. Zu letzteren kann auch Turkish Airlines wegen seiner geografischen Nähe und seines ähnlichen Geschäftsmodells gezählt werden. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal der Geschäftsmodelle sind die unterschiedlichen Strukturen. Das Geschäftsmodell der Low-Cost-Carrier fußt darauf, die Betriebskosten möglichst gering zu halten, um günstige Ticketpreise anbieten zu können. Dies wird beispielsweise durch schlanke Verwaltungen, große einheitliche Flotten sowie niedrige Gehälter erreicht. Nahöstliche Fluggesellschaften profitieren ebenfalls von geringeren Kosten, weil sie aus Regionen mit niedrigeren Löhnen, Infrastrukturkosten und Steuern operieren [10]. Europäische Netzwerk-Carrier haben hingegen über lange Zeiträume gewachsene und relativ starre Verwaltungs- und Gehaltsstrukturen. Neben Sparprogrammen etablieren die Fluggesellschaften eigene Billigfluggesellschaften wie Hop! oder Eurowings, um dem entgegenzuwirken. Sowohl die Low-Cost-Carrier als auch die nahöstlichen Fluggesellschaften entwickeln sich äußerst stark, während die Netzwerk- Carrier ein deutlich geringeres Wachstum aufweisen. Zur Quantifizierung des wirtschaftlichen Erfolges wurde die Kennzahl Rentabilität ausgewählt, welche die operative Marge repräsentiert. easyJet und Turkish Airlines weisen in der Regel eine höhere Rendite (durchschnittliche operative Marge 2006-2015: easyJet 6,9 % mit zuletzt deutlichem Aufwärtstrend; Turkish Airlines 7,1 %) im Vergleich zu den Netzwerk-Carriern (Lufthansa: 4,3 %) aus. Air Berlin orientierte sich nach seinen Anfangszeiten als Charterflieger am Ende des Jahrtausends zum Billig-Linienflug hin und schrieb zuletzt immer höhere Verluste (siehe Bild 3). Flotten Fluggesellschaften befassen sich in der Flottenplanung - basierend auf dem prognostizierten Bedarf nach Lufttransport - mit den Fragen, wie viele Flugzeuge und welche Flugzeugtypen im Planungszeitraum benötigt werden, wann existierende Flugzeuge außer Dienst gestellt werden sollen, wann neue Flugzeuge beschafft und wie diese finanziert werden. Dabei stehen in erster Linie ökonomische, aber auch zunehmend ökologische Entscheidungsfaktoren im Fokus. Übergeordnetes Ziel ist die Erfüllung der ökonomischen Ziele der Fluggesellschaft. Strategische und operative Ziele der Flottenplanung sind z. B. die Fähigkeit zur Bedienung bestimmter Märkte, so- -500 0 500 1,000 1,500 2006 2008 2010 2012 2014 2016 Nettogewinn J ahr Lufthansa [M.EUR] Turkish Airlines [M.USD] easyJet [M.GBP] Air Berlin [M.EUR] Bild 3: Entwicklung des Nettogewinns, Datenquellen: [3] - [6]
