Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0050
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NGT CARGO - Schienengüterverkehr der Zukunft
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Joachim Winter
Mathias Böhm
Gregor Malzacher
David Krüger
Trotz unbestrittener Vorteile und vielfacher Anstrengungen steigt der Anteil des Schienengüterverkehrs (SGV) am Modal-Split innerhalb der Europäischen Union (EU) momentan nicht. Eine von der EU beabsichtigte Güterverkehrsverlagerung von der Straße auf andere Verkehrsträger, hauptsächlich auf die Schiene, findet nicht statt. Vor diesem Hintergrund entwickelt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) mit dem NGT CARGO-Triebwagenzug als zentralem Forschungsobjekt ein ganzheitliches Logistikkonzept mit dem Ziel, den Anteil der Schiene am Güterverkehr in der EU deutlich zu erhöhen.
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Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 82 NGT CARGO - Schienengüterverkehr der Zukunft Güterverkehr, Einzelwagenverkehr, autonom, Zukunft, Schiene Trotz unbestrittener Vorteile und vielfacher Anstrengungen steigt der Anteil des Schienengüterverkehrs (SGV) am Modal-Split innerhalb der Europäischen Union (EU) momentan nicht. Eine von der EU beabsichtigte Güterverkehrsverlagerung von der Straße auf andere Verkehrsträger, hauptsächlich auf die Schiene, findet nicht statt. Vor diesem Hintergrund entwickelt das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) mit dem NGT CARGO-Triebwagenzug als zentralem Forschungsobjekt ein ganzheitliches Logistikkonzept mit dem Ziel, den Anteil der Schiene am Güterverkehr in der EU deutlich zu erhöhen. Joachim Winter, Mathias Böhm, Gregor Malzacher, David Krüger B is zum Jahre 2030 ist mit einer Erhöhung der Gesamtgüterverkehrsleistung in der Bundesrepublik Deutschland um 38 % zu rechnen [1]. Gemeinsam mit der ebenfalls prognostizierten Zunahme der Personenverkehrsleistung ist im Rahmen dieser Entwicklung auch von einer Erhöhung des Schadstoffausstoßes und der Ressourcenbeanspruchung durch den Verkehr auszugehen. Um bei weiterhin gegebener Wettbewerbsfähigkeit dem Fortschreiten dieser Entwicklungstendenz entgegenzuwirken, formulierte die EU-Kommission im Jahr 2011 im Weißbuch „Verkehr“ zehn Entwicklungsziele für den Verkehrssektor für die Jahre 2030 und 2050 [2]. Einen zentralen Punkt stellt dabei die Verlagerung von 30 % der Straßengüterverkehrsleistung über 300-km bis 2030 und 50 % bis 2050 auf andere Verkehrsträger, hauptsächlich auf die Schiene, dar. Der Anteil des Schienenverkehrs am Modal-Split der Güterverkehrsleistung soll damit deutlich erhöht werden. Aktuelle Statistiken [3] zeigen jedoch, dass sich dieser Bahnanteil in den letzten Jahren nicht maßgeblich verändert hat. Bisherige EU-Programme mit dem Ziel, den Güterverkehr von der Straße auf andere Verkehrsträger - insbesondere auf die Schiene - zu verlagern, haben diese Zielsetzung nicht erreicht [4]. Bei einem weiteren Fortschreiten der aktuellen Entwicklungstendenzen werden die Ziele des Weißbuches Verkehr im Bereich des Schienengüterverkehrs (SGV) weder im Jahr 2030 noch im Jahr 2050 erfüllt werden [5, 6]. Um diese Entwicklung umzukehren und im Wettbewerb mit den anderen Verkehrsträgern erfolgreich bestehen zu können, sind innovative Logistik-, Produktions- und Fahrzeugkonzepte für den SGV notwendig. Im Rahmen des Projektes Next Generation Train (NGT) [7] entwickeln die Wissenschaftler des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) mit dem Fahrzeug NGT CARGO als zentralem Forschungsobjekt ein innovatives Gesamtkonzept zur Steigerung der Attraktivität im SGV. Das DLR erforscht im Bereich Verkehr zukunftsweisende Zugkonzepte. Die Hauptziele sind hierbei die Verkürzung der Reise- und Transportzeiten bei geringem spezifischen Energiebedarf, Lärmreduktion, Komfortsteigerung, Verbesserung der Fahrsicherheit sowie Verringerung des Verschleißes und der Lebenszykluskosten. In diesem Rahmen wurde bereits ein Betriebskonzept für zwei Züge der NGT-Familie entwickelt. Der Hochgeschwindigkeits-Triebwagenzug (NGT HST) verkehrt mit Fahrplan-Geschwindigkeiten bis 400 km/ h auf Hochgeschwindigkeits-Hauptstrecken, ergänzt durch einen bis zu 230 km/ h schnellen Intercity-Triebwagenzug (NGT LINK), der die Fahrgäste aus dem Umland an die Knotenbahnhöfe der Hochgeschwindigkeitsstrecke des HST befördert. Aktueller Stand im Schienengüterverkehr Aktuell werden innerhalb der EU lediglich 10,8 % des zwischenstaatlichen und 17,2 % der Binnengüterverkehrs-Leistung auf der Schiene erbracht [3]. Wird die Entwicklung des Anteiles des SGV an der Gesamtgüterverkehrsleistung innerhalb und zwischen Alle Abbildungen: Autoren/ DLR TECHNOLOGIE Schienengüterverkehr Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 83 Schienengüterverkehr TECHNOLOGIE den aktuell 28 Mitgliedsstaaten der EU betrachtet, so ist zu konstatieren, dass sich dieser Anteil seit 2000 nicht erhöht hat (Bild 1), obwohl die gesamte Gütertransportleistung stetig steigt. Trotz einer deutlichen Zunahme der Gesamtgüterverkehrsleistung von 7,3 % im internationalen und 9,9 % im Binnenverkehr konnte keine Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene beobachtet werden. Wird die auf der Schiene erbrachte Güterverkehrsleistung in die Produktionsgruppen Ganzzugverkehr, inklusive kombiniertem Verkehr (KV) und Einzelwagenverkehr (EWV) differenziert, so ist zu erkennen, dass der Anteil des EWV an der gesamten SGV- Leistung - über die letzten Jahre betrachtet - kontinuierlich abnimmt (Bild-2). Die Abnahme der Güterverkehrsleistung im EWV steht damit im Zusammenhang, dass in den vergangenen Jahren in Europa ca. 35 % aller Rangierbahnhöfe sowie eine Vielzahl privater Gleisanschlüsse stillgelegt wurden [8]. Betrachtet man die Anteile des EWV an der gesamten SGV-Leistung einzelner europäischer Länder, so ergibt sich allerdings ein inhomogenes Bild. Die Spannweite reicht von Ländern wie Dänemark oder Spanien, in denen der EWV komplett eingestellt wurde, bis zu Ländern wie Deutschland oder Tschechien, in denen der EWV einen Anteil von bis zu 45 % an der gesamten SGV-Leistung besitzt. Kennzeichnend für den EWV ist ein aufwendiger Prozessablauf. Besonders die Zugbildung und -trennung sowie die Abholung und Zustellung der einzelnen Wagen stellen ressourcen- und zeitintensive Prozesse dar, welche 30 bis 40 % der Gesamtkosten verursachen. Für diese Prozesse müssen permanent Personal und Fahrzeuge vorgehalten werden, deren Produktivität jedoch nur 30-bis 55 % beträgt [9]. Im Verlauf eines einzelnen Transportvorganges kann es vorkommen, dass eine Vielzahl an Kupplungsvorgänge durchgeführt werden muss. Das Kuppeln erfolgt in weiten Teilen Europas manuell. Die häufigen Kuppelvorgänge führen u.a. zu langen Stillstandszeiten der Einzelwagen, welche in einer durchschnittlichen Systemgeschwindigkeit von 18 km/ h im EWV resultieren [10]. Verbunden mit dieser Geschwindigkeit können in Deutschland zwischen Abholung eines Einzelwagens beim Versender und seiner Zustellung bis zu 36 Stunden vergehen [11]. Herausforderungen für den Schienengüterverkehr Bei einem weiteren Fortschreiten der aktuellen Entwicklungstendenzen wird das Wachstum der verkehrsträgerübergreifenden Güterverkehrsleistung innerhalb Europas hauptsächlich durch den vermehrten und häufigeren Transport kleinteiliger Sendungen, zum Großteil Konsumgüter, generiert. In traditionell bahntypischen Bereichen, wie beispielsweise dem Montanverkehr, ist nur ein sehr geringes Wachstum zu erwarten [12]. Es ist zu konstatieren, dass das Wachstum im Güterverkehr in Bereichen stattfindet, welche von der Eisenbahn hauptsächlich durch den EWV abgedeckt werden. Wie bereits beschrieben, verläuft die Entwicklung des europäischen EWV konträr zu dieser Entwicklung. Trotz Vorteilen wie beispielsweise einer hohen Leistungsfähigkeit, einer hohen Energieeffizienz, geringen betriebswirtschaftlichen Kosten und niedrigen externen Kosten [13], welche der SGV bieten kann, ist eine Umkehrung dieser Tendenz zum augenblicklichen Zeitpunkt nicht zu erkennen [14]. Für die meisten Akteure im SGV ist der Transportpreis das entscheidende Kriterium, um im intermodalen Wettbewerb bestehen zu können. Diese Tatsache führt dazu, dass Innovationen in diesem Bereich für alle Transportmittel vorrangig auf die Reduzierung der Produktionskosten existierender Systeme zielen [15]. Die Kosten für Neuerungen müssen aus dem laufenden Betrieb erwirtschaftet werden. Vor diesem Hintergrund werden im SGV-Bereich trotz vorhandenem Innovationspotential meist nur technische Neuerungen, welche mit minimalem Kapitaleinsatz zu einer zeitnahen Reduzierung der Kosten führen, implementiert und beschränken sich häufig auf Detailoptimierungen bestehender Systeme. Im Eisenbahnbereich erfordert die breite Einführung neuer technischer Innovationen jedoch oft einen hohen initialen Kapitaleinsatz, während die monetären Vorteile dieser Lösungen häufig erst über einen längeren Zeitraum quantifizierbar werden. Dies erfordert eine langfristige und nachhaltige Strategie, welche sich mit einer primär kostenfixierten Sichtweise nur schwer umsetzen lässt, ohne die momentane Wettbewerbsfähigkeit zu verringern. Deswegen werden technisch ausgereifte Innovationen, trotz unbestrittener Vorteile, nicht flächendeckend implementiert. Diese Kausalität führt zu einem selbsthemmenden System, in dem Innovationen nur schwer entwickelt und zur breiten Anwendung gebracht werden können. Dadurch wird die Zukunftsfähigkeit und perspektivische Wettbewerbsfähigkeit des SGV in den kommenden Jahren weiter reduziert. Eine Vorbereitung auf kommende Herausforderungen, wie beispielsweise die Integration des SGV in die Industrie 4.0 wird dadurch deutlich erschwert. Vor diesem Hintergrund muss evaluiert werden, in welchen Bereichen des SGV 42,4% 41,0% 39,6% 39,8% 36,7% 37,1% 36,5% 57,6% 59,0% 60,4% 60,2% 63,3% 62,9% 63,5% 0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 Einzelwagenverkehr Ganzzugverkehr internationaler GV 0 5 10 15 20 25 30 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 Anteil am Modal-Split der Güterverkehrsleistung [%] binnen GV internationaler GV Bild 1: Anteil der Schiene an der Gesamtgüterverkehrsleitung innerhalb der EU 28 [3] Bild 2: Schienengüterverkehr nach Produktionsarten Quelle: Eurostat, Daten für D, LT, PL, RO, SK, SI, FI, SE und CH. Werte für 2009 interpoliert Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 84 TECHNOLOGIE Schienengüterverkehr Handlungsbedarf besteht, um die Marktposition des SGV zukünftig ausbauen zu können und die daraus abgeleiteten Neuerungen umzusetzen. Wie bereits dargelegt, ist ein Großteil des Wachstums im Gesamtgüterverkehr in einem Bereich zu erwarten, der von der Bahn durch den EWV abgedeckt wird. Aus diesem Grund ist der Fokus für einen wachstumsorientierten SGV auf eine Verbesserung und Optimierung dieser Produktionsmethode zu legen. Basierend auf dem Anforderungsprofil und den Kundenwünschen für dieses Marktsegment muss evaluiert werden, wie die Bahn ihre Stärken nutzen kann und welche Schwachstellen der EWV aufweist. Aus den Schwächen werden Innovationsfelder abgeleitet, in denen Handlungsbedarf besteht. Beispielsweise konnten bereits im Forschungsvorhaben SPIDER PLUS der EU [16] konkrete Zielsetzungen identifiziert werden, deren Umsetzung die Zukunftsfähigkeit des SGV auch im Jahr 2050 gewährleisten soll. Als Schlüsselelemente konnten dabei eine Automatisierung des kompletten Produktionsprozesses sowie die Entwicklung von lärmarmem und leichtbauoptimiertem Rollmaterial identifiziert werden. Aus der Sicht vieler Kunden weist der momentane EWV im Vergleich zu seinen Konkurrenten, hauptsächlich gegenüber dem Gütertransport auf der Straße, vor allem in den Punkten Flexibilität, Laufzeit, Kosten, Lärmemission, Pünktlichkeit sowie der Möglichkeit zur Sendungsverfolgung Nachteile auf [17, 18]. Hauptqualitätsmerkmal für die Kunden stellt neben der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit vor allem die Flexibilität des Transportmittels dar. Im heutigen Produktionsprozess ist ein Vorlauf von mindestens fünf Tagen zwischen Bestellung und Transport im EWV üblich. Der starre Betriebsablauf im Eisenbahnwesen erfordert diesen langen Vorlauf, um die benötigten Ressourcen an Personal und Material sowie die benötigten Trassen fristgerecht zur Verfügung stellen zu können. Der aus Kundensicht nur schwer im Vorfeld planbare Transportbedarf erfordert aktuell vom SGV-Unternehmen die Vorhaltung der benötigten Ressourcen, welche ihre potentiell mögliche Produktivität nur begrenzt ausnutzen können (Ausnutzungsgrad 30 bis 55 %) [9]. Dieser Betriebsablauf steht im Gegensatz zu dem vom Markt geforderten häufigen Transport kleinteiliger, im Transportvolumen stark schwankender, Sendungen. Häufig kann der tatsächliche benötigte Transportbedarf nicht fünf Tage im Voraus abgeschätzt werden. Weiterhin verringert der betriebliche Ablauf die Produktivität des EWV. Die Zusammenstellung und Auflösung der gesamten Zugverbände geschieht zeit- und personalintensiv heute überwiegend manuell. Aus den oben geschilderten Umständen lassen sich zwei Handlungsfelder ableiten. Zu einem sollte der Betriebsablauf im EWV weitestgehend automatisiert werden zum anderen darauf aufbauend die Flexibilität des EWV erhöht werden. Dadurch entsteht ein Mehrwert der Dienstleitung EWV, welcher die Wettbewerbsfähigkeit und die Akzeptanz deutlich steigern kann und damit die Verlagerungsstrategie der EU aktiv unterstützt. NGT CARGO-Zugkonzept Um die oben genannten Handlungsfelder zu bedienen, entwickeln die Wissenschaftler am DLR mit dem NGT CARGO den Güterzug der nächsten Generation. Der NGT CARGO soll als neuartiges Gesamtkonzept zur Steigerung der Attraktivität im SGV beitragen, indem er durch einen hohen Automatisierungsgrad die Flexibilität und durch eine intelligente Abfertigung und höhere Geschwindigkeiten die Kapazität des SGV- Systems erhöht. Die automatisch fahrenden NGT CARGO-Züge werden je nach Bedarf aus CARGO-Einzelwagen und leistungsstarken Triebköpfen zusammengestellt. Die CARGO-Einzelwagen verfügen über einen eigenen Antrieb mit geringerer Leistung sowie einen fahrzeugseitigen Basis-Energiespeicher. Dieser Energiespeicher ermöglicht einen energieautarken Betrieb der Einzelwagen mit einer Basis-Reichweite, welche für die meisten Anforderungen ausreichend ist. Sollte es erforderlich sein, die Reichweite eines Einzelwagens zu erhöhen, können zusätzliche Energiespeicher modular ergänzt werden. Dadurch sind sie in der Lage, autonom und autark, einzeln oder als CARGO- Einzelwagen-Verband, Gleisanschlüsse zu bedienen (Bild 3). Die Zugbildung und Trennung erfolgt dabei autonom ohne den Einsatz von Rangierlokomotiven und -personal. Die CAR- GO-Einzelwagen und Triebköpfe sind untereinander mit automatischen Kupplungen verbunden. Jeder CARGO-Einzelwagen ist mit einer Ortungssensorik ausgestattet und kann so jederzeit lokalisiert werden. Dem Kunden stehen damit exakte Angaben zum aktuellen Status und zur zu erwartenden Ankunftszeit seiner Lieferung zur Verfügung. Kommt es zu Abweichungen, beispielsweise durch einen gestörten Betriebsablauf, werden diese umgehend an den Kunden kommuniziert. Für den Betrieb im Hochgeschwindigkeitsbereich wird ein CARGO-Einzelwagen- Verband, in Abhängigkeit der erforderlichen Zusatzleistung, mit ein bis zwei Triebköpfen zu einem vollständigen CARGO- Triebwagenzug zusammengestellt (Titelbild, Bild 4). Die Triebköpfe stellen die zusätzliche Traktionsleistung zur Verfügung, welche für den Hochgeschwindigkeitsverkehr notwendig ist. Die Anzahl der CARGO-Einzelwagen und Triebköpfe kann je nach Kundenanforderung unter Anpassung der Höchstgeschwindigkeit variiert werden, wobei sich der NGT CARGO in der schnellsten Konfiguration betrieblich mit dem Personenzug NGT HST (400 km/ h) kombinie- Bild 3: NGT CARGO-Einzelwagen und Belademodul für den Nahbereich Bild 4: NGT CARGO-Triebwagenzug (Triebkopf und Einzelwagen) Internationales Verkehrswesen (69) 2 | 2017 85 Schienengüterverkehr TECHNOLOGIE ren lässt. In der Konfiguration als Triebwagenzug ist auch der Einsatz des NGT CAR- GO im interkontinentalen Güterverkehr zwischen Europa und Asien angedacht und möglich. Über eine fernwirkende Kupplung können mehrere NGT CARGO-Triebwagenzüge ohne mechanische Verbindung virtuell miteinander gekuppelt werden. Die Fahrzeuge befinden sich dabei in einem definierten Abstand, der fahrdynamisch über die aufeinander abgestimmte Regelung der Antriebs- und Bremsanlage realisiert wird. Virtuell gekoppelte Triebwagenzüge sind betrieblich als eine Zugeinheit zu sehen. Die Kupplung mit den anderen Zügen der NGT- Familie (NGT HST und NGT LINK) ist ebenfalls vorgesehen. Zusätzlich wird dadurch ein dynamisches Flügeln ermöglicht. Das bedeutet, dass die Triebwagenzüge als Ganzes während der Fahrt infolge der Verwendung der fernwirkenden Kupplung gestärkt oder geschwächt werden können. Diese virtuelle Kupplung der Personen- und Gütertriebzüge macht es zum einen möglich die vorhandenen Streckenkapazitäten optimal zu nutzen und erhöht zum anderen die betriebliche Flexibilität des NGT CAR- GO. Der NGT CARGO kombiniert eine flexible Feinverteilung im EWV mit geringem personellem Aufwand und kurzen Transportzeiten. An offenen Gleisanschlüssen und in zentralisierten Logistikzentren werden diverse Ladungsträger automatisch be- und entladen. Mit dem NGT CARGO werden auch kleine Mengen hochwertiger oder eilbedürftiger Güter bedarfsgerecht, schnell und zu angemessenen Kosten transportiert. Zusammenfassung und Ausblick Das Konzept des NGT CARGO zeigt, wie der Güterverkehr der Zukunft aussehen kann. Mit dem NGT CARGO-Triebwagenzug und dessen autonom fahrbaren Einzelwagen wird ein ganzheitliches Logistikkonzept mit einer geschlossenen intermodalen Transportkette von Tür zu Tür für den Güterverkehr der Zukunft entwickelt. Basierend auf dem Marktsegment mit den größten Wachstumschancen, dem EWV, wird ein Konzept für einen flexiblen, bedarfsgerechten, schnellen und variablen SGV entwickelt, welches für unterschiedliche Transportaufgaben geeignet ist. Neben einer Reduzierung der Kosten, hauptsächlich durch die eine weitestgehende Automatisierung des Transportprozesses, erfüllt dieses Konzept vor allem den Kundenwunsch nach einem flexiblen und ressourcenschonenden Gütertransportmittel. Das Gesamtkonzept NGT CARGO soll zur Steigerung der Attraktivität des SGV beitragen. Im Spannungsfeld zwischen Innovation und Wirtschaftlichkeit wird ein Güterverkehrssystem konzipiert, dass dabei helfen kann, das ambitionierte Ziel der EU, eine Verlagerung von 30 % des Straßengüterverkehrs über 300 km auf andere Verkehrsträger bis zum Jahre 2030 und von 50 % bis zum Jahre 2050 zu erreichen. Dieser Artikel gibt eine erste Übersicht über das grundlegende Konzept des NGT CARGO. Die Details der einzelnen Teilaspekte dieses Konzeptes (wie beispielsweise das detaillierte Logistik- und Betriebskonzept) sowie die Fahrzeugarchitektur, Konstruktion und das Antriebskonzept werden in weiteren Schritten erarbeitet. ■ LITERATUR [1] Schubert, M.: Verkehrsverflechtungsprognose 2030 - Schlussbericht, 2014 [2] Europäische Kommission: Weißbuch - Fahrplan zu einem einheitlichen europäischen Verkehrsraum - Hin zu einem wettbewerbsorientierten und ressourcenschonenden Verkehrssystem, Brüssel, 2011 [3] European Commission: EU transport in figures - Statistical Pocketbook 2016, Luxemburg, 2016 [4] Europäischer Rechnungshof: Waren die Marco-Polo-Programme im Hinblick auf die Verkehrsverlagerung von der Straße auf andere Verkehrsträger wirksam? , Sonderbericht, Luxemburg , 2013 [5] CER: Rail freight status report 2013 - Rail freight after a decade of EU rail policy, Brüssel, 2013 [6] Europäischer Rechnungshof: Der Schienengüterverkehr in der EU: noch nicht auf dem richtigen Kurs, Sonderbericht, Luxemburg, 2016 [7] Winter, J. (Hrsg.): NGT - Next Generation Train, RTR Special, Hamburg, 2011 [8] Guglielminetti, P.: Study in Single Wagonload Traffic in Europe, European Rail freight days, Brüssel, 2014 [9] D’Inca, J.: Entwicklungen und Trends im europäischen Einzelwagenverkehr - Ein System zwischen Marktpotenzialen und Restrukturierungsprogrammen, 6. Internationaler VDV-Eisenbahnkongress, Frankfurt am Main, 2011 [10] Süderhauf, B.: Die automatische Mittelpufferkupplung (AK) - Voraussetzung für eine Automatisierung des Schienen Güterverkehrs - Kosten-Nutzen-Analyse, Köln 2009 [11] Siegmann, J. und Stuhr, H.: Hat der Einzelwagenverkehr (EV) in Europa noch eine Chance? In: Eisenbahntechnische Rundschau, 3 (2012), S. 10-18 [12] Kochsiek, J.: Güterverkehrslogistik 4.0 - Was ist das? - Wo geht das hin? - Was bedeutet das für den Schienengüterverkehr, VDI Expertenforum, Aachen, 2016 [13] Domergue, P. und Markovic-Chénais, S.: Greening Transport - Reduce External Costs, International Union of Railways (UIC), Paris, 2012 [14] Breimeier, R.: Güter gehören auf die Bahn: Autobahn oder Eisenbahn? Teil 1: Allgemeine Überlegungen, Eisenbahn Revue International, 6 (2013), S.305-311 [15] Breimeier, R.: Innovationschancen für den Schienengüterverkehr in Deutschland. In: Eisenbahn Revue International, 11 (2015), S.537-540 [16] Deiterding, L., Hörstel, J., Muchow, M. und Weismantel, S.: SPIDER PLUS - Vision für die europäische Mobilität. In: ZEVrail 140, 3 (2016), S.68-76 [17] Deutsche Bahn AG: Wettbewerbsbericht 2014, Berlin, 2014 [18] Siegmann, J.: Neuer Schienengüterverkehr in Europa: effektiver, wirtschaftlicher, leiser und energieärmer. In: Eisenbahntechnische Rundschau, 5 (2014), S. 10-15 Mathias Böhm, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Fahrzeugkonzepte, Forschungsfeld Technologiebewertung und Systemanalyse, Berlin mathias.boehm@dlr.de Gregor Malzacher, Dipl.-Ing. Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Fahrzeugkonzepte, Forschungsfeld Fahrzeugarchitekturen und Leichtbaukonzepte, Stuttgart gregor.malzacher@dlr.de Joachim Winter, Dr.-Ing. Projektleiter Next Generation Train (NGT), Institut für Fahrzeugkonzepte, Stuttgart joachim.winter@dlr.de David Krüger, B. Eng. (McGill University) Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Fahrzeugkonzepte, Forschungsfeld Fahrzeugarchitekturen und Leichtbaukonzepte, Stuttgart david.krueger@dlr.de Bild 4: NGT CARGO-Triebwagenzug (Triebkopf und Einzelwagen)
