eJournals Internationales Verkehrswesen 69/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0067
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2017
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„Innovationen fördern“

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2017
Ben Möbius
Axel Schuppe
Die Forderung „Mehr Güter auf die Bahn“ ist nicht wirklich neu, allerdings scheint die technische und infrastrukturelle Entwicklung auf der Schiene hinter dem stark wachsenden Transportbedarf weiter zurückzufallen. Kann der „Masterplan Schienengüterverkehr“ Abhilfe schaffen? Wo steht die deutsche Bahnindustrie? Und wo liegen die Hindernisse auf dem Weg zum „Schienengüterverkehr 4.0“? Ein Ge- spräch mit den Geschäftsführern des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Dr. Ben Möbius und Axel Schuppe.
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Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 34 LOGISTIK Interview „Innovationen fördern“ Die Forderung „Mehr Güter auf die Bahn“ ist nicht wirklich neu, allerdings scheint die technische und infrastrukturelle Entwicklung auf der Schiene hinter dem stark wachsenden Transportbedarf weiter zurückzufallen. Kann der „Masterplan Schienengüterverkehr“ Abhilfe schaffen? Wo steht die deutsche Bahnindustrie? Und wo liegen die Hindernisse auf dem Weg zum „Schienengüterverkehr 4.0“? Ein Gespräch mit den Geschäftsführern des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland (VDB), Dr. Ben Möbius und Axel Schuppe. Deutschland tut sich schwer damit, Innovationen im Verkehrsbereich umzusetzen. Nun wurde vor wenigen Wochen der „Masterplan Schienengüterverkehr“ vorgestellt. Kann der den Knoten lösen? Möbius: Er hat fraglos das Potenzial dazu. Das Konzept des Runden Tisches dient ja dem richtigen Ziel, dass der Schienengüterverkehr innovativer und effizienter wird. Aus unserer Sicht ist das ein großer Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Logistik. Im Kern: zu mehr Wirtschaftlichkeit und mehr Klimaschutz. Gerade die Senkung der Trassenpreise wird einen enormen Schub für den digitalen Schienengüterverkehr schaffen. Uns liegt der Lärmschutz sehr am Herzen. Die Maßnahmen stehen im Einklang mit den Beschlüssen der Bundesregierung: der Einführung einer Innovationsprämie für superleise Güterwagen und dem Verbot lauter Güterwagen ab Fahrplanwechsel 2020/ 21. Ziel muss es jetzt sein, dass erstens zentrale Bausteine des Masterplans Eingang finden in den nächsten Koalitionsvertrag. Und dass sie zweitens ehrgeizig umgesetzt werden für den Schienengüterverkehr 4.0. Trassenkosten halbieren, ein Forschungsprogramm zur Bahn-Modernisierung auflegen - welche der Maßnahmenpakete halten Sie für vorrangig, um den Transport auf der Schiene zu fördern, attraktiver zu machen? Möbius: Die Politik muss das eine tun und darf das andere nicht lassen. Der Masterplan Schienengüterverkehr umfasst zehn Maßnahmenpakete. Im Vordergrund stehen eine leistungsfähige Infrastruktur, die bessere Nutzung von Innovationspotenzialen und ein fairer politischer Ordnungsrahmen. Es werden fünf Sofortmaßnahmen festgelegt. Zum Beispiel ist ein Testfeld für die Digitalisierung und Automatisierung der Zugbildung im Güterverkehr geplant. Das Konzept für ein Bundesprogramm „Schiene 4.0“ soll Innovationen fördern. Die senken zugleich die Lebenszykluskosten. Nur mit einem umfassenden Ansatz gelingt die Logistik von morgen. Schuppe: Viele Technologien für den Schienengüterverkehr von morgen sind ja heute schon verfügbar - Stichworte digital, vernetzt, leise. Für die technologischen Lösungen, die in unserem liberalisierten Schienenverkehrsmarkt mit vielen unterschiedlichen Rollen einen direkten Kundennutzen aufzeigen, verspüren unsere Mitgliedsunternehmen eine sich deutlich belebende Nachfrage. Dazu gehören klar solche Themen wie Datenboxen für Güterwagen sowie daten- und zustandsorientierte Wartung. Lokomotiven aus Deutschland sind weltweit führende High-Tech-Produkte, in denen sich Kraft und Zuverlässigkeit mit digitaler Intelligenz verbinden. Für die Technologien, die auf ihrem Weg Hindernisse zu liegen haben, steckt der Masterplan Schienengüterverkehr den Weg ab, diese Innovationen systematisch einzusetzen. Es muss gelingen, Klimaschutz, ökonomische Effizienz und Multimodalität in der Logistik noch besser zu verbinden. Dafür ist ein Schienengüterverkehr dann der Schlüssel, wenn er „State of the Art“ ist. Das muss der Anspruch sein. Kann Digitalisierung - derzeit ja oft als Lösung aller Probleme gehandelt - wirklich helfen, eine lang vernachlässigte Schieneninfrastruktur zukunftstauglich zu machen? Möbius: Nicht alleine. Eins greift ins andere. Die Schieneninfrastruktur besteht ja bei Weitem nicht nur aus rein digitalen Komponenten. Denken Sie an Gleise, Weichen, Streckenelektrifizierungen. Diese Hardware muss stimmen auf höchstem technischen Niveau. Dafür sind Investitionen entscheidend. Aber zugleich muss und kann die Infrastruktur dank digitaler Lösungen intelligenter werden. Leit- und Sicherungstechnik, Bahnübergangssysteme, automatisiertes Fahren - „Schiene 4.0“ macht die Infrastruktur effizienter. Die Basis legt die europäische Leit- und Sicherungstechnik ERTMS. Da müssen wir schneller werden. Außerdem brauchen wir mehr Elan für elektronische Stellwerke. So sieht grenzüberschreitender Verkehr auf der Schiene im 21. Jahrhundert aus, ohne absurde Mehrsystemausrüstungen an Bord. Digital lässt sich die Zugtaktung erhöhen, die U-Bahn kommt dann häufiger. Unterm Strich bedeutet Digitalisierung: Der Schienenverkehr wird attraktiver. Und noch klimaschonender. Zum Beispiel brauchen automatisiert fahrende U-Bahnen 30 Prozent weniger Energie - das ist 30 Prozent mehr Klimaschutz. Enorme Chancen! Schuppe: Vollautomatisiertes, fahrerloses Fahren ist auf der Schiene Realität mit außerordentlicher gesellschaftlicher Akzeptanz. Die- Kartographie reicht von Vancouver, Las Vegas und Sao Paulo über Tokio, Dubai und Singapur bis nach London, Rom, Mailand, Paris, Lyon, Barcelona, Kopenhagen und Wien. In Deutschland verkehren fahrerlose U-Bahnen bisher nur in Nürnberg. Schon seit-über drei Jahrzehnten fahren überdies auf Kurzstrecken vollautomatisierte People-Mover, meist in extrem enger und hochflexibler bedarfsorientierter Taktung. Beispielsweise an Flughäfen, etwa in Frankfurt am Main, Paris und neuerdings am Flughafen München. Die Bahnindustrie ist hier anderen Sektoren voraus. Digitalisierung eröffnet große Chancen, diese Technologien weiterzuentwickeln. Werden wir also nach dem hoch automatisierten Fahren auf der Straße bald auch fahrerlose Fern- und Güterzüge sehen? Schuppe: Heute sind fahrerlose Züge vor allem in geschlossenen Systemen wie U-Bahnen und Tunneln, Hochbahnen, auf Flughäfen erfolgreich im Einsatz. Künftig wird eine vollständige Automatisierung auch außerhalb von geschlossenen Systemen möglich sein. Eine Debatte, die den Gesetzgeber bei der Weiterentwicklung des nötigen Rahmens für die Einführung solcher Systeme in Deutschland unterstützt, muss jetzt geführt werden. Doch automatisiertes Fahren auf der Schiene zeichnet sich durch unterschiedliche Lösungen aus. Neben dem vollautomatisierten Betrieb, der für bestimmte Strecken sinnvoll ist, spielen ausgetüftelte digitale Assistenzsysteme für den Fahrer zunehmend eine Schlüsselrolle. Eine Verbindung rechnergestützter automatisierter Prozesse mit der Kompetenz eines Fahrers ist oft die richtige Lösung. Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 35 Interview LOGISTIK Ob teil-, halb- oder vollautomatisiertes Fahren: Die Frage darf nicht zum Glaubenssatz geraten, sondern ist projektscharf auszulegen. Sämtliche Stufen des automatisierten Fahrens sind Erfolgsparameter für die Zukunft des Schienenverkehrs. Vollautomatisierte Lösungen in offeneren Systemen kann ich mir beispielsweise zuerst bei Rangier- oder Depotverkehren oder in der Zugbereitstellung und -wegführung gut vorstellen. Die Basis bilden eine intakte, digital ertüchtigte Infrastruktur, eine leistungsfähige fahrzeugseitige Sensorik und eine sichere Kommunikation. Der „Masterplan“ ist entstanden am Runden Tisch des BMVI: Brauchen wir in Deutschland mehr Runde Tische, damit Innovationen mehrheitsfähig werden? Möbius: Ja, ich glaube schon. Die Bahnindustrie hält diesen Prozess des Runden Tisches jedenfalls für einen Riesenfortschritt. Beides, die Förderung von Innovationen und ein fairer Ordnungsrahmen, ist enorm wichtig. Aber wo stehen wir? - Die Bahnindustrie in Deutschland verfügt über das Knowhow für Schienengüterverkehr 4.0. Das beweisen wir tagtäglich an vielen Orten auf der Welt: in der Hitze des Persischen Golfes ebenso wie in der Kälte Skandinaviens - „made in Germany“. Aber wir haben zu wenig „make in Germany“. Wir müssen doch den Anspruch haben, auch Leit-Markt zu sein, also Innovationen bei uns umzusetzen. Wir brauchen Pilotprojekte, anwendungsorientierte Forschungsförderung, Impulse, damit Innnovationen in den Markt kommen. Dazu kann das Format Runder Tisch, wenn es ernst gemeint ist, entscheidend beitragen. In der Bevölkerung ist oft die Lautstärke der Züge ein wichtiger Grund, den Neu- und Ausbau der Schienenwege zu blockieren. Das „Gesetz zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen“ soll wesentlich zur Reduzierung des Lärms beitragen. Kann das genügen? Schuppe: Das „Gesetz zum Verbot des Betriebs lauter Güterwagen“ ist ein wichtiger Meilenstein für die Halbierung des Schienenlärms bis 2020. Das können wir nur begrüßen. Für die Eigentümer von leisen neuen oder umgerüsteten Güterwagen ist damit klar, dass ab Ende 2020 mit lauten Güterwagen kein wirtschaftlich erfolgreicher Schienengüterverkehr mehr betrieben werden kann und ihr eigenes Engagement Früchte tragen wird. Auch die durch den Bundestag noch einmal gegenüber dem Regierungsentwurf enger gefassten Ausnahmen und Befreiungen des Gesetzes sind wichtig, weil damit das beabsichtigte Signal an die Halter lauter Wagen noch unmissverständlicher ausgefallen ist. Ich glaube, dass auf dem Weg bis 2020 und danach noch schneller gute Effekte erzielt werden können, wenn die Verbreitung sehr leiser Güterwagen mit weiteren Anreizen unterstützt werden würde. Am Beispiel der Einführung von Euro 5- und Euro 6-LKW hat der Straßensektor in den letzten 15 Jahren vorgemacht, wie das geht: Pekuniäre Anreize für Investitionen besonders emissionsarme Zugmaschinen und die Staffelung der Maut haben eine bemerkenswerte Steuerungswirkung erzielt. Welche Auswirkungen könnte dieses Gesetz auf den Fahrzeugmarkt in Europa haben? Schuppe: Die Parlamentarier haben mit dem Gesetz - erfreulich einmütig - Klarheit für die Branche in Europa geschaffen: Wer künftig Güter durch das Transitland Deutschland auf der Schiene transportieren will, so die Botschaft, muss spätestens ab 2021 auf leise Technologien setzen. Güterwagen werden nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen europäischen Ländern für den grenzüberschreitenden Verkehr umgerüstet oder neu entwickelt werden müssen. Das ist auch eine Chance für einen Technologieschub „made in Europe“. Ein Domino-Effekt wird nicht ausbleiben. Das ist eine große Entlastung für viele Menschen in Europa. Exportorientierte Branchen in Deutschland fürchten weltweit wachsende protektionistische und nationalistische Tendenzen und folglich schmerzliche Exporteinbußen. Teilen Sie diese Befürchtungen? Möbius: Die Bahnindustrie in Deutschland ist eine stark exportorientierte Industrie. Die Exportquote liegt bei rund 50 Prozent. Das spiegelt die Technologieführerschaft unserer Häuser. Darauf können wir stolz sein. Deutschland und Europa müssen vitales Interesse daran haben, dass dies so bleibt, um Wohlstand hierzulande zu sichern. Wir verstehen uns als Bannerträger der offenen Märkte. Denn im globalen Wettbewerb sind wir erfolgreich. Aber natürlich gibt es am Horizont teils ziemlich dunkle Wolken. Arbeitsplätze in Deutschland sind dann gefährdet, wenn der globale Wettbewerb verzerrt ist. Unfaire Wettbewerbsbedingungen - Marktabschottung, überzogene Lokalisierungspflichten, überbordende Staatsinvestitionen - führen leicht zu einer fatalen Abwärtsspirale. Genau das darf nicht passieren. Entscheidend sind klare, faire Regeln, das sprichwörtliche Level-Playing-Field … … wie beim neuen Freihandelsabkommen mit Japan? Möbius: Mir macht die Einigung der Europäischen Union und Japans über die Grundzüge des Freihandelsabkommens Mut. Es war reichlich Geduld gefordert. Aber jetzt gibt es eine klare Festlegung: Die sogenannten Betriebssicherheitsklauseln auf japanischer Seite sollen fallen. Sie stellen für die europäische Bahnindustrie eine diskriminierende non-tarifäre Barriere zum japanischen Markt dar. Vorgesehen ist nun eine Übergangsperiode von einem Jahr nach Inkrafttreten des Abkommens. Solche Fortschritte sind mühsam, aber essenziell wichtig. In wenigen Wochen wird gewählt. Was schreiben Sie einer kommenden Bundesregierung ins Stammbuch? Möbius: Wenn ich die klassischen drei Wünsche frei hätte? Innovationen fördern durch ein Bahnforschungsprogramm, Innovationen fordern durch nachhaltige Ausschreibungen, Impulse und Pilotprojekte, den freien und fairen Wettbewerb stärken durch eine selbstbewusste nationale und europäische Außenwirtschaftspolitik ■ Dr. Ben Möbius ist seit 2015 Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Bahnindustrie in Deutschland mit den Schwerpunkten Fahrzeuge und Komponenten über Servicegeschäft, Infrastruktur und Verkehrspolitik sowie Marktentwicklung und Mittelstand. Er ist Mitglied in zahlreichen Kommissionen sowie unter anderem im Herausgeberbeirat von Internationales Verkehrswesen. ZUR PERSON Foto: VDB Dipl.-Ing. Axel Schuppe ist seit 2005 Verbandsgeschäftsführer. Er studierte Elektro- und Informationstechnik und ist beim VDB mit den Aufgabenbereichen Forschungspolitik und -förderung, Betriebsleittechnik und Zugsicherung, Umwelt, Qualität, Sicherheit und Technische Gremien befasst. ZUR PERSON Foto: VDB