eJournals Internationales Verkehrswesen 69/3

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0070
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2017
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Zukunft der Mobilität 2025+

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Rahild Neuburger
Die neue Zukunftsstudie Münchner Kreis Phase VII stellt das Thema vernetzte, intelligente Mobilität in den Mittelpunkt. Im Vordergrund stehen dabei nicht jene, häufig in Studien diskutierte Themen wie die Auswirkungen der Digitalisierung auf etablierte Wertschöpfungsstrukturen oder die Frage, wer die zukünftige Schnittstelle zum Kunden besetzt. Vielmehr geht es um eine ganzheitliche Betrachtung der Mobilität, wie sie sich im Zuge der digitalen Transformation zukünftig darstellen wird.
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Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 46 MOBILITÄT Digitale Transformation Zukunft der Mobilität 2025+ Auszüge aus der Zukunftsstudie Münchner Kreis VII Mobilitätsdienste, Mobilitätserfüllung, Wertschöpfung, Dienstleistung, Infrastrukturpolitik Die neue Zukunftsstudie Münchner Kreis Phase VII stellt das Thema vernetzte, intelligente Mobilität in den Mittelpunkt. Im Vordergrund stehen dabei nicht jene, häufig in Studien diskutierte Themen wie die Auswirkungen der Digitalisierung auf etablierte Wertschöpfungsstrukturen oder die Frage, wer die zukünftige Schnittstelle zum Kunden besetzt. Vielmehr geht es um eine ganzheitliche Betrachtung der Mobilität, wie sie sich im Zuge der digitalen Transformation zukünftig darstellen wird. Rahild Neuburger D igitalisierung verändert nicht nur etablierte Wertschöpfungsstrukturen oder führt zum vermehrten Auftreten von Plattformen; sie verändert auch die Anforderungen und Bedürfnisse, die Kunden zukünftig an Mobilität stellen. Vor diesem Hintergrund verfolgt die aktuelle Zukunftsstudie vielmehr das Ziel, das Thema „zukünftige Mobilitätserfüllung 2025+“ umfassend zu behandeln und zentrale Herausforderungen, die sich für unterschiedliche Akteure (v.a. Politik, Unternehmen, Nutzer) ergeben, herauszuarbeiten. Das zentrale Ergebnis der vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft und Medien, Energie und Technologie geförderten interdisziplinären Studie*, an der insgesamt 17 Player aus der Mobilitätsindustrie, aber auch aus der IKT-Industrie mitwirkten, ist die Identifizierung und Analyse von neun kritischen Themenfeldern: 1) Anonymität in der Mobilität von morgen ist eine Illusion. Zukünftige Mobilität ohne Verwendung persönlicher Daten geht nicht; erforderlich ist die Schaffung wirksamer, einheitlicher Regeln für Europa. 2) Offliner bleiben auf der Strecke. Der zukünftige Mobilitätszugang ist digital - um Offliner zu gewinnen, muss zum einen der Nutzen des digitalen Zugangs geschaffen und vermittelt werden; zum anderen sind robuste Zugangsschnittstellen zu entwickeln. 3) Feindliche Übernahme - Personen und Güter reisen zukünftig fremd. Globale Plattformen verursachen eine radikale Veränderung der Wertschöpfung. Umso wichtiger wird es, offene und freie Marktplätze zu erhalten. 4) Das Infrastrukturverständnis von gestern blockiert die Infrastrukturpolitik von morgen. Der Infrastrukturpolitik fehlt der ganzheitliche Ansatz. Dringend muss die Kompetenz für domänenübergreifende und beschleunigte infrastrukturpolitische Entscheidungen aufgebaut werden. 5) Raus aus dem Silodenken! Das Denken in Entweder-/ Oder-Kategorien schränkt die Mobilität ein. Potenziale einer flexiblen Verknüpfung aller Mobilitätsoptionen müssen geschaffen und ausgeschöpft werden. 6) Anbieter im Blindflug - Kennen sie ihre Kunden noch? Klassische Mobilitätsanbieter sind zu langsam im Aufgreifen der Kundenbedürfnisse, so dass neue Mobilitäts- Ökosysteme ohne sie gestaltet werden. Kundenzentrierung ist als Erfolgsfaktor in den Fokus zu stellen. 7) Mobilität ist mehr als Ankommen. Der Zusatznutzen beeinflusst zunehmend die Wahl des Verkehrsmittels. Neue Qualitäten des Transports an sich; aber auch zusätzliche Angebote zur Gestaltung der Zeit unterwegs werden mitentscheidend und als Wettbewerbsvorteil nutzbar. 8) Virtuelle Mobilität substituiert physische Mobilität. Es geht auch ohne physische Mobilität und es wird auch funktionieren. Virtuelle Mobilität in Arbeits- und Lebenswelt muss als echte Mobilitätsalternative begriffen werden. 9) Bis zum Stillstand - Güter und Menschen stehen im Wettbewerb um Verkehrsraum. Die Logistik treibt die zukünftigen Mobilitätsinnovationen. Personen- und Güterverkehr in der intelligenten Stadt müssen als Systemverbund verstanden und betrieben werden. Für alle neun Themenfelder werden in der Studie zentrale Herausforderungen und Handlungsempfehlungen herausgearbeitet. Exemplarisch seien drei Themenfelder herausgegriffen. Mobilität ohne digitale Spaltung „Die Nutzung von Mobilitätsdiensten ohne die Verwendung digitaler Zugangstechnik muss auch in Zukunft flächendeckend gewährleistet werden“. 51 % der in der Studie befragten internationalen Experten (n = 498) stimmten dieser These zu und bestätigten damit implizit, dass die oft erwähnte Gefahr einer digitalen Spaltung auch die Gestaltung und Implementierung neuer Mobilitätskonzepte tangiert. Die Verfügbarkeit von Breitbandinternet und die Verbreitung von mobilen, internetfähigen Endgeräten sind die essentiellen Voraussetzungen dafür, dass zukünftige Mobilität weitgehend über digitale Services angeboten werden kann. So können viele neue Mobilitätsservices nur deshalb angeboten werden, weil alle Beteiligten (Anbieter, Transportmittel und Reisende) digital vernetzt sind. Ein Beispiel sind stationsunabhängige Car-Sharing-Angebote, welche Smartphone-Nutzern rund um die Uhr On- Demand-Mobilität anbieten. Digitale Technologien stellen also die Basis für die erforderliche Vernetzung dar und sind gleichzeitig Treiber der Entwicklung von innovativen Mobilitätsdiensten. Der Zugang zu diesen innovativen Mobilitätsdiensten ist jedoch meist ausschließlich über digitale Kanäle möglich. So gibt es beispielsweise für standortunabhängige Sharing-Angebote keine Ticketautomaten und es besteht keine Möglichkeit, telefonisch ein Auto zu reservieren. Für einen Großteil der Gesellschaft und insbesondere für die Generation der Digital Natives stellt dies kein Problem dar. Aber - nach dem Digital Index 2016 der Initiative D21 gibt es in Deutschland etwa 17 Millionen Menschen, die das Internet überhaupt nicht nutzen und somit auf neu entstehende Mobilitätsservices nicht zugreifen können. Da sich dieser Trend schon seit längerer Zeit altersunabhängig zeigt, ist auch im Jahr 2025 mit einer relevanten Zahl von Personen zu rechnen, die keinen Zugang Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 47 Digitale Transformation MOBILITÄT zum Internet haben oder haben möchten. Diese sog. Offliner stehen künftig vor Zugangsbarrieren, sind von Teilen der Mobilität ausgeschlossen oder haben einen direkten finanziellen Nachteil, weil sie ein nondigitales Mobilitätsverhalten bevorzugen. Bei der Entwicklung, Gestaltung und Implementierung neuer Mobilitätsangebote ist daher von vorneherein die digitale Barrierefreiheit zu gewährleisten. Handytickets, die Abschaffung des Ticketautomaten oder auch die individuelle Zusammenstellung von Reisen über digitale Plattformen schließen digitale Randgruppen aus. Erforderlich ist zum einen die Entwicklung alternativer Zugangsmöglichkeiten zu digitalen Mobilitätsservices, ohne dass neue administrative oder finanzielle Hürden aufgebaut werden. Flankierend erscheinen zum anderen Maßnahmen, die Akzeptanz und Vertrauen in digitale Kanäle schaffen, erforderlich zu sein. Dies kann nur dann gelingen, wenn die Nutzer verstehen, dass ihnen die digitale Bereitstellung eines digitalen Mobilitätsdienstes einen spürbaren Vorteil bringt. Die Gestaltung möglichst intuitiver und einfacher Zugangsmöglichkeiten oder auch die Implementierung von Erprobungsräumen kann hier hilfreich sein. Politischer Wandel im Infrastrukturverständnis „Die heutige Infrastrukturpolitik mit ihren dezentralen Planungsprozessen blockiert die erfolgreiche Entwicklung zukunftsfähiger, vernetzter Mobilitätskonzepte“. 64 % der in der Studie befragten internationalen Experten (n = 498) stimmten dieser These zu und bewiesen damit die Relevanz dieses weiteren Themenfeldes der Studie. Der bestehenden Verkehrsinfrastrukturpolitik liegt ein äußerst komplexer Planungs-, Anforderungs-, Gestaltungs-, Budgetierungs- und Realisierungsprozess zugrunde, der sich oft nur auf einzelne Infrastrukturen (Straße, Schiene, technische Infrastruktur) bezieht und der Ganzheitlichkeit zukünftiger Mobilitätserfüllungssysteme noch keine Rechnung trägt. Dieses Denken wird der Realität zukünftig entstehender Mobilitätssysteme nicht gerecht. So bleibt beispielsweise das Potenzial von Elektroautos ungenutzt, wenn keine flächendeckende Ladeinfrastruktur zur Verfügung steht. Fehlt eine hochverfügbare, mobile Breitbandkommunikations-Infrastruktur, werden sich das autonome Fahren und die zu dessen Umsetzung erforderlichen innovativen Nutzungs- und Abrechnungssysteme nicht durchsetzen können. Diese für die Integration der Infrastrukturen und deren Ausbau und Aufbau benötigten infrastrukturübergreifenden Sichten und Zusammenhänge, das Identifizieren und Gestalten von zusätzlich erforderlichen, neuen technischen Infrastrukturen und die Berücksichtigung der Konvergenzen zwischen den Infrastrukturen sind methodisch und politisch jedoch nicht verankert. Im Gegenteil - innerhalb der Infrastrukturen für Mobilitätssysteme überwiegen bei Planungen häufig Fortschreibungen. Die Infrastrukturpolitik bleibt damit auf engen Pfaden verhaftet, auf denen sie sich seit jeher bewegt. Die Dynamik in der Wandlung von Infrastrukturanforderungen erfordert jedoch das Verlassen dieser Pfadabhängigkeit - insbesondere, wenn es um die Gestaltung und Entwicklung zukünftiger Mobilitätssysteme geht. Denn letztlich sind Digitalisierung der bestehenden Infrastrukturen für funktionierende Mobilitätslösungen und Forcierung neuer digitaler Infrastrukturen entscheidende Enabler für die Evolution der Mobilität. Ihre beschleunigte politische Wegbereitung ist somit von fundamentaler Bedeutung. Es wird deutlich: Zukünftige Mobilitätsinfrastrukturen werden viele bisher getrennt geplante Infrastrukturen und Modalitäten verbinden. In Konsequenz müssen Planung und Gestaltung zukünftiger Infrastrukturen modalitätsübergreifend stattfinden. Erforderlich hierfür ist die Systemperspektive, die die Abhängigkeiten zwischen den verschiedenen Elementen eines Mobilitätserfüllungssystems (Akteure, Produkte/ Services, digitale und nicht digitale Infrastrukturen, regulative Rahmenbedingungen) berücksichtigt und alle Akteure mit einbezieht. Ein rein nach branchenspezifischen Wertschöpfungsketten oder nach digitalen und klassischen Infrastrukturen differenziertes Planen und Handeln ist vor dem Hintergrund des Anspruchs einer intelligent vernetzten Mobilität 2025+ nicht mehr zielführend. Klassische Mobilitätsanbieter verlieren den direkten Kontakt zum Kunden „Branchenfremde Anbieter werden zukünftig die Mobilitätsmärkte dominieren, weil klassische Mobilitätsanbieter den direkten Kontakt zum Kunden verloren haben“. Diese These, der in der Studie lediglich 34 % der internationalen Experten (n = 498) nicht zugestimmt haben, verdeutlicht auch hier die Problematik. Kundenorientierung oder - modern ausgedrückt „User-Centricity“ - ist keine neue Maxime. Im Jahr 2025+ wird die Forderung nach Kundenorientierung jedoch ganz neue Dimensionen erreichen. Innovative Mobilitätsangebote sind auf jeden einzelnen Menschen mit seinen unterschiedlichen Interessen, Wünschen, Bedürfnissen und Werten zugeschnitten. Es wird nicht mehr „Die Kunden“, sondern „Den Kunden“ geben, denn die Nutzer eines intelligenten, integrierten Mobilitätserfüllungssystems agieren als individuelle Personen mit spezifischen Bedürfnissen und Wünschen. So werden sie auch wahrgenommen und mit intelligenter Software-Unterstützung bedient. Für alle direkten (z. B. „ich komme von A nach B“) und indirekten (z. B. „ich möchte dabei gut unterhalten werden“) Mobilitätsbedürfnisse und Anforderungen von Personen wird es bezahlbare Lösungen geben. Diese werden so konkret auf individuelle Bedürfnisse ausgerichtet sein, dass eine hohe Nutzerzufriedenheit gewährleistet sein wird. So ist durchaus ein Szenario denkbar, dass ein digitaler Mobilitätsassistent seinem Nutzer an fast jedem Ort der Welt passende Verkehrsmittel vorschlägt und situativ passende Umgebungs- oder Konsuminformationen anbietet. Je nach Ort, Reiseanlass, Zeit und Nutzungsverhalten werden die Mobilitätsbedürfnisse des Nutzers in Echtzeit analysiert und vom Assistenten in ein individuelles Informationsangebot übersetzt. Software-definierte Services werden dabei über Plattformen zur Verfügung gestellt, die automatisiert individuelle Lösungen bereitstellen können. In Folge verlagert sich die Kundenschnittstelle vom Anbieter einzelner Lösungen hin zum Anbieter einer Plattform, über die die entsprechenden Angebote und Dienstleistungen vernetzt und integriert angeboten werden. Wenn klassische Anbieter den direkten Kontakt zum Reisenden über die nächsten Jahre nicht weiter verlieren möchten, ist ein schnelles Umdenken bzw. Reagieren erforderlich. Dies betrifft zum einen die Entwicklung und Gestaltung der einzelnen Services und Dienste; zum anderen aber insbesondere auch die Gestaltung der Schnittstelle zum Kunden. Zukünftig wird möglicherweise derjenige erfolgreich sein, dem es gelingt, Mobilität als Dienstleistung anzubieten, deren einzelne Komponenten von unterschiedlichen Anbietern erbracht werden und über eine Plattform dem Kunden angeboten werden. Individuelle Fahrzeuge gleich welcher Art sind dann nicht mehr erforderlich. ■ * Münchner Kreis (Hrsg.): Mobilität.Erfüllung.System. Zur Zukunft der Mobilität 2025+ - Zukunftsstudie Münchner Kreis Band VII, München 2017. Kostenloser Download: https: / / www.muenchner-kreis.de/ download/ zukunftsstudie7.pdf Rahild Neuburger, Dr. Ludwig-Maximilians-Universität München, Projektteam Münchner Kreis Zukunftsstudie neuburger@lmu.de