Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0076
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2017
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Auswirkungen vollautomatisiertere PKWs auf die Verkehrsmittelwahl
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Sebastian Wödl
Christina Pakusch
Paul Bossauer
Gunnar Stevens
Das autonome Fahren wird die Mobilität revolutionieren. Um die Auswirkung der Vollautomation auf die Eigenschaften der Verkehrsmittel und die Präferenzen der Nutzer besser zu verstehen, haben wir die Nutzenwerte neuen Verkehrsmodi im Vergleich zu den bestehenden Verkehrsmodi analysiert und im Rahmen einer Online-Umfrage von potentiellen Nutzern in Form eines vollständigen Paarvergleichs bewerten lassen. Die Studie zeigt, dass der Privat-PKW, unabhängig davon ob traditionell oder vollautomatisiert, zwar nach wie vor das präferierte Verkehrsmittel ist, im direkten Vergleich das Carsharing jedoch viel stärker von der Vollautomation profitiert. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass das vollautomatisierte Carsharing verstärkt in Konkurrenz zum ÖPNV tritt.
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Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 68 MOBILITÄT Wissenschaft Auswirkung vollautomatisierter PKWs auf die Verkehrsmittelwahl Autonomes Fahren, Selbstfahrtechnik, Verkehrsmittelwahl, Self-Driving Cars, Shared Autonomous Vehicles Das autonome Fahren wird die Mobilität revolutionieren. Um die Auswirkung der Vollautomation auf die Eigenschaften der Verkehrsmittel und die Präferenzen der Nutzer besser zu verstehen, haben wir die Nutzenwerte neuen Verkehrsmodi im Vergleich zu den bestehenden Verkehrsmodi analysiert und im Rahmen einer Online-Umfrage von potentiellen Nutzern in Form eines vollständigen Paarvergleichs bewerten lassen. Die Studie zeigt, dass der Privat-PKW, unabhängig davon ob traditionell oder vollautomatisiert, zwar nach wie vor das präferierte Verkehrsmittel ist, im direkten Vergleich das Carsharing jedoch viel stärker von der Vollautomation profitiert. Darüber hinaus gibt es Hinweise darauf, dass das vollautomatisierte Carsharing verstärkt in Konkurrenz zum ÖPNV tritt. Sebastian Wödl, Christina Pakusch, Paul Bossauer, Gunnar Stevens D ie Auswirkung autonomer Systeme auf das Alltagsleben der Menschen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Dies wird aktuell kaum so stark diskutiert wie beim Thema des autonomen Fahrens. Allgemein wird darunter das selbstständige, zielgerichtete Fahren eines Fahrzeugs im realen Verkehr ohne Eingriff des Fahrers verstanden (Maurer et al., 2015). Entsprechend dem J3016-Standard (SAE International, 2016) lassen sich hier sechs Stufen der Automatisierung unterscheiden: keine Automation, Assistenzsysteme, Teilautomatisierung, Bedingte Automatisierung, Hochautomatisierung und als letzte Stufe die Vollautomatisierung. In dieser letzten Stufe soll das Fahrzeug vollständig vom Computer kontrolliert und notfalls in den „risikominimalen Systemzustand“ (z. B. zum Stillstand) gebracht werden. Bis zur Vollautomation kommt der Gestaltung der Kontrollübergabe eine wichtige Rolle zu (Walch et al., 2015). Die führenden Automobilhersteller und IT-Konzerne im Bereich des autonomen Fahrens gehen jedoch aktuell davon aus, dass innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre die Vollautomation Serienreife erlangen könnte. Hierdurch werden auch neue, innovative Vehicle-on-Demand Dienste, (Fagnant & Kockelman, 2014; Foljanty & Duong, 2016; Pakusch et al., 2016), wie selbstfahrende Taxis bzw. selbstfahrende Carsharing-Dienste möglich. Verschiedene Autoren erwarten hierdurch eine signifikante Reduzierung des Privat-PKWs, begleitet mit einem starken Anstiegs des Carsharing-Einsatzes (Fagnant et al., 2015). Neben der technischen Machbarkeit spielen ethische und rechtliche Aspekte (Riek & Howard, 2014) sowie die Nutzerakzeptanz eine wichtige Rolle. So zeigen verschiedene Studien, dass die Mehrheit der Bevölkerung im Allgemeinen positiv gegenüber autonomen Autos eingestellt ist und sich vorstellen kann, sie zu kaufen und/ oder zu nutzen (Payre et al., 2014; Rödel et al., 2014). Dabei erhöht sich die Akzeptanz, wenn die Benutzer die Möglichkeit haben, die Kontrolle über das Auto zu übernehmen und selbst steuern zu dürfen (EY, 2013). Ferner spielen Alter, Geschlecht, sowie Vorerfahrung mit teilweise autonomen Autos eine Rolle (Pakusch & Bossauer, 2017; Nordhoff, 2014; Rödel et al., 2014). Gleichzeitig berichten Studien, dass sich Nutzer um Datenschutz, allgemeine Sicherheit und rechtliche Haftungsfragen sorgen (Howard & Dai, 2014). Die Verkehrsmittelwahl hängt zudem stark davon ab, welche Alternativen dem Nutzer zur Verfügung stehen (Knapp, 2015). Um ein besseres Verständnis für die Auswirkung der Vollautomation auf das künftige Verkehrsverhalten zu bekommen, haben wir eine Online-Umfrage zur Verkehrsmittelwahl unter Einbezug des autonomen Fahrens durchgeführt, deren Ergebnisse im Folgenden vorgestellt werden sollen. Verkehrsmittelwahl Unter Alltagsmobilität versteht man „jede Ortsänderung außerhalb der eigenen Wohnung, die im Zusammenhang mit den dem Alltagsleben zuzuordnenden Aktivitäten von Personen steht“ (Gorr, 1997). Sie ist Voraussetzung dafür, dass bestimmte Aktivitäten überhaupt erledigt werden können - wie z. B. zur Arbeit fahren, Einkaufen gehen, Freunde treffen, etc. Dafür stehen verschiedene Verkehrsmittel bzw. Transportdienstleistungen (kurz: Verkehrsmodi) zur Verfügung, aus denen das Individuum wählen kann, um seinen Mobilitätsbedarf zu befriedigen. Hierbei wurden eine Reihe von Faktoren identifiziert (Gorr, 1997; Knapp, 2015; Stock & Bernecker, 2014), welche die Verkehrsmittelwahl beeinflussen - u. a. demographische und sozioökonomische Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 69 Wissenschaft MOBILITÄT Faktoren wie Alter, Geschlecht und Einkommen, psychographische Faktoren wie Werte und allgemeine Einstellung z. B. zum Umweltschutz, geographische Faktoren wie Wohn- und Zielort und auch situative Faktoren wie Fahrtzweck und Tageszeit spielen eine Rolle. Daneben weisen die Verkehrsmodi verschiedene Charakteristika auf, die deren Attraktivität bestimmen. Diese Charakteristika lassen sich nach Stock und Bernecker (2014) zu acht Kategorien zusammenfassen: Sicherheit: Die wahrgenommene Sicherheit spielt eine Rolle bei der Verkehrsmittelwahl, wobei die Wahrnehmung sich nicht unbedingt in den Unfallstatistiken widerspiegeln muss. Durchgängigkeit: Ein Verkehrsmodus sollte den Nutzer ohne Unterbrechung vom aktuellen Aufenthaltsort zu seinem Zielort bringen. Umstiege, aber auch das Aufsuchen von Einstiegs- und Ausstiegs-Orten vermindern die Qualität des Verkehrsmodus. Reisezeit: Zeit ist eine kostbare Ressource. Deshalb stellt die durchschnittliche Reisezeit eines Verkehrsmodus ein wichtiges Entscheidungskriterium dar. Verfügbarkeit: Die Möglichkeit, unabhängig von Dritten selbst über Abfahrtszeit, Geschwindigkeit und Route bestimmen zu können, stellt ein hohes Gut dar. Reisekosten: Ein weiter Faktor sind die wahrgenommenen Kosten. Ein Vergleich der wahren Kosten wird dabei durch verschiedene Tarifsysteme, leistungsbezogene Kosten und Fixkosten etc. erschwert. Transport von Gepäck: Der Transport von Gepäck und Gütern wird durch die Gestaltung, Auslastung und Vorschriften unterschiedlich gut unterstützt und beeinflusst so die Verkehrsmittelwahl. Reisegenuss: Neben pragmatischen Qualitäten spielen auch Komfort, Fahrspaß und Behaglichkeit sowie das Erleben der Reisestrecke eine Rolle bei der Verkehrsmittelwahl. Zertifikatserfordernis: Mangelnde Fahrkompetenz bzw. der Nachweis der Kompetenz durch Zertifikate kann insbesondere für Jüngere, Ältere, Behinderte und Ärmere die Verkehrsmittelwahl beeinflussen bzw. einschränken. Ein bestimmter Verkehrsmodus wird dann präferiert, wenn es entsprechend seiner Charakteristika erstens die Anforderungen der Mobilitätsaufgabe erfüllt (notwendiger Nutzenwert) und zweitens im Vergleich zu den anderen zur Wahl stehenden Verkehrsmodi einen höheren Nutzen verspricht (relativer Nutzenwert) (Gorr, 1997). D. h. beim relativen Nutzenwert sind weniger die absoluten Eigenschaften (absolute Kosten, absolute Sicherheit, etc.) entscheidend, sondern wie diese im Verhältnis zu den anderen Verkehrsmodi stehen. In der Regel gibt es zur Befriedigung der Alltagsmobilität einen präferierten Hauptverkehrsmodus, auf den man routinemäßig zurückgreift (Gorr, 1997). Bei Kurzstrecken wird dabei häufig in Betracht gezogen, diese zu Fuß oder per Fahrrad zu erledigen. Bei längerer Strecke wird im Alltag von den meisten Personen der Privat- PKW bevorzugt, gefolgt vom öffentlichen Personenverkehr (dpa. (n.d.)., 2015). Daneben ist die Beliebtheit von Carsharing in den letzten Jahren stark gestiegen (Witzke, 2015). Durch das autonome Fahren wird diese Auswahlmöglichkeit durch die vollautomatisierten Varianten des Privat-PKWs und des Carsharings vergrößert. Deshalb soll im Folgenden abschätzt werden, wie sich diese technische Innovation auf die Charakteristika und den relativen Nutzenwert der neuen Verkehrsmodi auswirken könnte. Vollautomatisierter Privat-PKW Als erstes Betrachten wir hierzu den vollautomatisierten Privat-PKW. Hierbei gehen wir insbesondere auf die relativen Veränderungen in Bezug zum klassischen Privat- PKW ein. Sicherheit: Statistiken zeigen, dass bezogen auf den Personenkilometer das Unfallrisiko beim PKW größer als mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist. Laut Statistisches Bundesamt (2016) sind 88% der Unfälle mit Personenschäden auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen. Vor diesem Hintergrund wird allgemein davon ausgegangen, dass die Vollautomatisierung die Sicherheit im Straßenverkehr erhöht (Rödel et al., 2014). Hinsichtlich der wahrgenommenen Sicherheit zeigen Studien jedoch, dass Befragte sich meist für die besseren Fahrer halten und in Bezug auf die Vollautomatisierung noch große Unsicherheiten bestehen (Eimler & Geisler, 2015). Durchgängigkeit: Ein großer Vorteil des Privat-PKWs gegenüber dem ÖPNV besteht darin, dass man durchgängig, d.h. ohne umzusteigen, zum Zielort fahren kann. Einzig das Aufsuchen bzw. das Finden eines Parkplatzes verringert die Durchgängigkeit des PKWs. Dies verbessert sich durch die Vollautomatisierung. Das vollautomatisierte Fahrzeug kann den Fahrgast direkt vor der Haustür abholen, am Zielort rauslassen, um anschließend eigenständig zu einem Parkplatz in der Nähe zu fahren. Verfügbarkeit: Es ist von der gleichen, hohen Verfügbarkeit wie bei heutigen PKWs auszugehen. Reisezeit: Es wird keine große Veränderung gegenüber der heutigen Fahrzeit von PKWs erwartet. Reisekosten: Langfristig wird die Selbstfahrtechnik zum Standard gehören und die Fahrzeuge nicht teurer sein als heute (Fagnant et al., 2015). Gepäcktransport: Es gibt situationsbedingte Verbesserungen, wenn der Nutzer das Fahrzeug nicht mit seinem Gepäck aufsuchen muss, sondern vom vollautomatisierten PKW abgeholt wird. Reisegenuss: Die Vollautomatisierung befreit Insassen von der Fahraufgabe, sodass sie anderen Tätigkeiten nachgehen können. Dies kann die Quality of Time stark verbessern und den Fahrkomfort steigern. Studien wie (EY, 2013) zeigen jedoch, dass einige Befragte Angst haben, dass durch die Vollautomatisierung der Spaß am Fahren sinkt, und die Option begrüßen, das Steuer selbst übernehmen zu können. Zertifikatserfordernis: Gegenüber dem heutigen Privat-PKW erlaubt die Vollautomatisierung auch Menschen ohne Fahrerlaubnis oder mit eingeschränkter Fahrkompetenz, das Verkehrsmittel zu nutzen. Vollautomatisiertes Carsharing Im Folgenden sollen die Veränderungen der Vollautomatisierung auf das Carsharing diskutiert werden. Sicherheit: Durch die Übernahme der Fahraufgabe durch einen Computer findet eine ähnliche Steigerung der Sicherheit wie beim Privat-PKW statt. Carsharing- Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 70 MOBILITÄT Wissenschaft Nutzer sind i.d.R. jedoch Wenigfahrer (Witzke, 2015). Deshalb könnte man annehmen, dass sich diese Personengruppe beim Fahren unsicherer fühlt und deshalb die Verringerung des Unfallrisikos durch die Vollautomatisierung besonders schätzt. Durchgängigkeit: Personen, die Carsharing bisher nicht nutzen, bemängeln die Durchgängigkeit beim heutigen Carsharing (Witzke, 2015), da der Nutzer beim stationsbasierten Carsharing zunächst zu einer Carsharing- Station gelangen und das Fahrzeug wieder bei festgelegten Station abstellen muss bzw. beim free-floating Carsharing zum Abstellort gelangen und das Fahrzeug in festgelegten Stadtgebieten abstellen muss. Deshalb ist Carsharing heute meist nur in Städten mit einem gut ausgebauten ÖPNV attraktiv. Im Vergleich zum ÖPNV und klassischen Carsharing wird bei der Vollautomatisierung die Durchgängigkeit durch das eigenständige Abholen und Parken stark verbessert. Verfügbarkeit: Modellsimulationen gehen davon aus, dass durch die automatische Relokation und das automatische Abholen die Verfügbarkeit stark erhöht wird, sodass der Nutzer im Schnitt weniger als eine Minute auf ein Fahrzeug warten muss (Fagnant et al., 2015). Dadurch gewinnt das vollautomatisierte Carsharing bei den Nutzenwerten stark gegenüber der klassischen Variante sowie dem ÖPNV und verringert den Abstand zum Privat-PKW. Jedoch ist die wahrgenommene Verfügbarkeit immer noch geringer, da nicht garantiert werden kann, dass das Auto jederzeit abfahrbereit vor der Tür steht, sondern mit einer variierenden Anfahrtszeit gerechnet werden muss. Reisezeit: Gegenüber dem heutigen Carsharing verkürzt sich durch die hohe Durchgängigkeit auch die Fahrzeit, da der Nutzer nicht erst (mit dem ÖPNV) zum Abholort gelangen muss. Die reine Fahrzeit wird somit ähnlich der mit einem (vollautomatisierten) Privat-PKW sein, zuzüglich der genannten Wartezeit. Reisekosten: Die Vollautomatisierung erlaubt eine effiziente Relokation der Fahrzeuge und infolgedessen auch eine höhere Auslastung. Dies führt zu sinkenden Kosten gegenüber dem klassischen Carsharing. Gepäcktransport: Es werden keine großen Veränderungen zum heutigen PKW erwartet. Jedoch ergibt sich zum heutigen Carsharing der Unterschied, dass der Nutzer das Gepäck nicht zur Abholstation tragen muss. Damit bietet das vollautomatisierte Carsharing-Fahrzeug den gleichen Komfort wie der (vollautomatisierte) Privat-PKW. Reisegenuss: Es ist mit den gleichen Eigenschaften wie beim vollautomatisierten Privat-PKW zu rechnen. Jedoch haben Carsharing-Nutzer oft ein eher pragmatisches Verhältnis zum Fahren (Witzke, 2015), weshalb die Befreiung von der Fahraufgabe wahrscheinlich eher positiv empfunden wird. Zertifikatserfordernis: Wie beim Privat-PKW hat die vollautomatisierte Variante den Vorteil gegenüber dem heutigen Carsharing, dass der Nachweis der Fahrkompetenz entfallen kann. Methodologie Zur Untersuchung der Auswirkung der Vollautomation auf die Verkehrsmittelwahl wurde eine Online-Umfrage durchgeführt, deren Fragebogen aus drei Teilen bestand: Zunächst wurden allgemeine Informationen zur Person und dem aktuellen Mobilitätsverhalten abgefragt. Im zweiten Teil wurde den Teilnehmern ein Video 1 angeboten, das mit dem autonomen Fahren allgemein und in Gestalt von vollautomatisierten Carsharing vertraut machen sollte. Der letzte Teil bestand aus einem vollständigen Präferenzbzw. Dominanzpaarvergleich (Bortz & Döring, 2013). Hierzu musste der Befragte bei zehn Paaren, bei denen jeweils zwei Verkehrsmodi angezeigt wurden, das jeweils präferierte Hauptverkehrsmittel auswählen. Als Hilfestellung wurde eine kurze Erläuterung der einzelnen Merkmale des Verkehrsmodus präsentiert (vgl. Bild 1). Die Erläuterung basierte dabei auf der oben dargelegten, literaturgestützten Analyse der Verkehrsmodi. Der Fragebogen wurde in Pre-Tests auf Verständlichkeit geprüft und entsprechend überarbeitet. Anschließend wurde die Befragung in verschiedenen sozialen Netzwerken und Onlineplattformen beworben und vom 16.12.2016-16.01.2017 freigeschaltet. Insgesamt wurde die Umfrage von 277 Teilnehmern vollständig ausgefüllt. Die Teilnehmer waren zu 45,1 % männlich und 54,9 % weiblich. Das Durchschnittsalter der Befragten liegt bei 28,7 Jahren, 68,6 % von ihnen leben in der Stadt, 31,4 % auf dem Land. Von den 277 Befragten besitzen 97,1 % eine Fahrerlaubnis, 67,8 % einen eigenen PKW und 51,6 % ein Langzeitticket für den ÖPNV. Das Bildungsniveau der Stichprobe ist recht hoch (91,9 % mit Hochschulreife, 7,6 % mit mittlerer Reife). Ergebnisse und Diskussion Die Ergebnisse der einzelnen Paarvergleiche sind in der Präferenzmatrix zusammengefasst (Tabelle 1). Die Beurteilungen der Teilnehmer sind konsistent. Der mittlere Konsistenzkoeffizient der Paarvergleichsurteile beträgt 0,95 % (Bortz & Döring, 2013); der Großteil der Befragten hat also eine bewusste oder unbewusste individuelle Präferenzordnung. Der Wert einer Zelle gibt dabei an, wie häufig der Verkehrsmodus in der Spalte gegenüber dem Verkehrsmodus in der Zeile bevorzugt wurde. So besagt z. B. der Wert 176 bzw. 63,5 %, dass der Privat- PKW von 176 Befragten, also 63,5 %, gegenüber dem ÖPNV bevorzugt wurde. Die Werte sind fettgedruckt, wenn die Nutzerpräferenz größer 50 % ist. Ein Stern markiert, wenn der Wert entsprechend eines rechtseitigen Binomialtests signifikant ist (p-Wert< 0.05). Zur Bestimmung des Rangs wurde die Spaltensumme der Paar- Bild 1: Paarvergleich in der Online-Umfrage Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 71 Wissenschaft MOBILITÄT vergleiche gebildet und nach ihrer Größe geordnet (Bortz & Döring, 2013). Die Ergebnisse zeigen, dass ein relativ hoher Anteil der Teilnehmer (36,5 %) den ÖPNV gegenüber dem Privat-PKW bevorzugt. Dies kann damit erklärt werden, dass das urbane, studentische Milieu überproportional in der Stichprobe vertreten ist, bei dem die Präferenz für ÖPNV u. a. durch Studententickets, gut ausgebauten Nahverkehr, etc. relativ hoch ist. Trotzdem liegt der Privat-PKW auf Rang 1 bzw. die vollautomatisierte Variante auf Rang 2, gefolgt vom ÖPNV, während die Carsharingbasierten Modi auf den letzten Plätzen landen. D.h. trotz teilweise diagnostizierter Abwendung der urbanen Jugend vom Autobesitz, scheint auch für sie der (vollautomatisierte) Privat-PKW von großer Bedeutung zu sein. Um Veränderungen in der Präferenzstruktur genauer zu untersuchen, sollen die Ergebnisse der Paarvergleiche genauer analysiert werden. Beim Privat-PKW zeigt der direkte Paarvergleich von vollautomatisierter vs. traditioneller Variante keine eindeutige Präferenz. Zwar liegt die traditionelle Variante leicht vorne (54,2 %), der Unterschied ist jedoch nicht signifikant. Dieses Ergebnis spiegelt die Analyse von Abschnitt 2. wider. Die vollautomatisierte Variante weist in Summe etwa gleiche Nutzenwerte auf; Zwar kann sie in einigen Bereichen z. B. durch die bessere Durchgängigkeit punkten, jedoch bestehen womöglich bei der wahrgenommenen Sicherheit und dem wahrgenommenen Fahrspaß Vorbehalte. Demgegenüber wird das vollautomatisierte gegenüber dem traditionellen Carsharing mit 64,6 % signifikant bevorzugt (p-Wert < 0.05). Auch hier gehen das Ergebnis der Umfrage und die Analyse der relativen Nutzenwerte in Abschnitt 2. einher. Der hohe Wert von 64,6 % deutet daraufhin, dass die Vollautomation beim Carsharing eine starke Akzeptanz findet, weil hier Nachteile wie mangelnde Verfügbarkeit, Durchgängigkeit, Flexibilität und hohe Kosten, (Witzke, 2015; Meurer et al., 2014) ganz oder teilweise wegfallen. Hinzu kommt, dass Carsharing Wenigfahrer und bisherige ÖPNV-Nutzer anspricht, bei denen die Vorteile der Vollautomation, wie Erhöhung der Unfallsicherheit und Wegfall einer Fahrkompetenz, besonders ins Gewicht fallen. Es fällt weiterhin auf, dass beim Carsharing 64,6 % der Befragten die vollautomatisierte Variante bevorzugen, während es beim Privat-PKW nur 45,8 % sind. Um zu überprüfen, ob solche Differenzen zwischen je zwei Anteilswerten signifikant sind, wurde jeweils der Binomialtest für zwei Stichproben durchgeführt (Toutenburg & Knöfel, 2009). Die zuvor genannte Differenz in den Nutzerpräferenzen ist signifikant (p-Wert <0.05). Dies deutet darauf hin, dass die Akzeptanz der Vollautomation abhängig vom Nutzenzuwachs des jeweiligen Verkehrsmodus ist. Aus Nutzersicht bringt die Vollautomation beim Privat-PKW also eher geringfügige Verbesserungen, während sie den Nutzen und somit die Attraktivität von Carsharing stark erhöht. Entsprechend interessant ist, wie sich die Präferenzen im Fall der Vollautomation zwischen Privat-PKW und Carsharing verschieben. In der traditionellen Variante gibt es eine signifikante Präferenz von 81,2 % für den Privat-PKW. In der vollautomatisierten Variante gibt es zwar auch eine signifikante Präferenz für den Privat-PKW, aber diese sinkt signifikant auf 70,4 % (p-Wert < 0.05). D. h. die relativen Nutzenwerte von Privat-PKW und Carsharing gleichen sich in Zukunft etwas an. Deshalb ist zu vermuten, dass die Vollautomatisierung von Carsharing zu einer Vergrößerung des Marktpotentials und einer Ausweitung des Modus im Gesamt-Modalsplit verhelfen kann. Hierbei gilt es, auch die indirekten Auswirkungen der Vollautomation auf den ÖPNV zu beachten. Die Paarvergleiche des ÖPNV mit den Carsharing-Varianten zeigt, dass durch die Vollautomation die Präferenz für den ÖPNV von 63,5 % auf 49,8 % signifikant sinkt (p-Wert < 0.05). Auch dies war aufgrund der relativen Nutzungswertanalyse erwartbar. So wird beim Carsharing die Verfügbarkeit sowie die Durchgängigkeit durch die Vollautomation verbessert. Außerdem verschwindet durch den Wegfall des Nachweises der Fahrkompetenz ein Alleinstellungsmerkmal des ÖPNV gegenüber dem PKW. Dies trifft im Prinzip auch für den Privat-PKW zu. Überraschenderweise zeigt sich durch die Vollautomation des Privat-PKW eine Steigerung der Präferenz für den ÖPNV von 36,5 % auf 41,2 %. Durch die Vollautomation verliert der Privat-PKW also an Attraktivität gegenüber dem ÖPNV. Eine Erklärung hierfür könnte sein, dass durch mangelndes Technikvertrauen heutige Autofahrer lieber auf den ÖPNV ausweichen würden, als sich in einen vollautomatisierten PKW zu setzen. Fazit Das autonome Fahren stellt eines der großen Forschungs- und Entwicklungsthemen dieser Zeit dar (Maurer u. a., 2015). Um die Auswirkungen auf den Menschen zu verstehen, reicht jedoch eine rein technische Betrachtung nicht aus. Auch Nutzerakzeptanzstudien, die das selbstfahrende Auto nur isoliert betrachten, greifen zu kurz. Um die Auswirkung der Vollautomation auf das Mobili- PKW Vollautom. PKW Carsharing Vollautom. Carsharing ÖPNV PKW 127 45,8 % 52* 18,8 % 72* 26,0 % 101* 36,5 % Vollautomatisch PKW 150 54,2 % 93* 33,6 % 82* 29,6 % 114* 41,2 % Carsharing 225* 81,2 % 184* 66,4 % 179* 64,6 % 181* 65,3 % Vollautomatisch Carsharing 205* 74,0 % 195* 70,4 % 98* 35,4 % 138 49,8 % ÖPNV 176* 63,5 % 163* 58,8 % 96* 34,7 % 139 50,2 % Summe 756 669 336 472 534 Rang 1 2 5 4 3 Tabelle 1: Präferenzmatrix mit den absoluten und relativen Häufigkeiten des Paarvergleichs (n=277) Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 72 MOBILITÄT Wissenschaft tätsverhalten besser zu verstehen, gilt es die neuen Verkehrsmodi im Vergleich zu den bestehenden Verkehrsmodi zu analysieren und zu bewerten. Deshalb haben wir in diesen Beitrag den Ansatz der relational bestimmten Nutzenwerte aus der Verkehrsforschung übernommen (Gorr, 1997). Die Verkehrsforschung hat insbesondere eine Reihe von Einflussfaktoren für die Verkehrsmittelwahl wie Reisezeit, Verfügbarkeit, etc. bestimmt, auf die nutzerzentrierte Forschung zum autonomen Fahren aufbauen kann. In diesem Beitrag haben wir gezeigt, wie die vollautomatisierten Varianten bestehender Verkehrsmodi aus dieser Perspektive analysiert werden können. Die Analyse hat gezeigt, dass in Bezug auf den relativen Nutzenwert das Carsharing in viel stärkerem Maße von der Vollautomation profitiert als der Privat-PKW. Dies zeigte sich auch in der empirischen Studie, bei der im direkten Vergleich der traditionellen vs. vollautomatisierten Variante Carsharing gegenüber dem Privat- PKW weit besser abschnitt. Insofern kann dies als Bestätigung der These der Attraktivitätssteigerung des Carsharing durch Vollautomation (Fagnant et al., 2015) gelesen werden. Aufgrund der hohen Attraktivität des Privat-PKWs bedeutet eine Verringerung des relativen Abstands nicht, dass es zu einer signifikanten Reduzierung von Privat-PKWs kommt. So kommt in der Studie z. B. der Privat-PKW bzw. dessen vollautomatisierte Variante weiterhin auf die vorderen Ränge. Hinzu kommt, dass das vollautomatisierte Carsharing verstärkt in Konkurrenz zum ÖPNV tritt. Einschränkend gilt es jedoch zu beachten, dass die Studie in Bezug auf Alter und Bildungsgrad nicht repräsentativ ist und die Ergebnisse deshalb nicht unmittelbar auf die Gesamtbevölkerung übertragbar sind. Ferner wurde die Präferenzstruktur der Nutzer nur indirekt erfasst, ggf. durch das Informationsvideo beeinflusst und kann sich vor dem Hintergrund der technischen Entwicklung in Zukunft verändern. Deshalb gilt es, Studien zur Nutzerakzeptanz und in Bezug auf die zu untersuchende Nutzergruppe in regelmäßigen Abständen zu wiederholen. Das autonome Fahren sollte dabei jedoch immer im Gesamtkontext der existieren Verkehrsmodi und deren jeweiligen Eigenschaften betrachtet werden. Die Stärke des hier dargelegten Forschungsdesigns der Paarvergleiche ist es, sowohl den Gesamtkontext zu berücksichtigen, also auch detaillierte Einblicke in die Präferenzstrukturen der Nutzer zu erhalten. ■ 1 https: / / www.youtube.com/ watch? v=6WTNBZZGOIs LITERATURVERZEICHNIS Bortz, J., & Döring, N. (2013). Forschungsmethoden und Evaluation. Springer-Verlag. dpa. (n.d.). (2015). Nutzung der Verkehrsmittel im Alltag in Deutschland | Umfrage. Abgerufen 17.03.2017, https: / / de.statista.com/ statistik/ daten/ studie/ 2267/ umfrage/ alternativeverkehrsmittel-zum-eigenen-auto/ Eimler, S. C., & Geisler, S. (2015). Zur Akzeptanz Autonomen Fahrens - Eine A-Priori Studie. In Mensch & Computer Workshopband (S. 533-540). EY, (Ernst & Young). (2013). Autonomes Fahren - die Zukunft des Pkw-Marktes? Fagnant, D. J., & Kockelman, K. M. (2014). 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Paul Bossauer Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin paul.bossauer@h-brs.de Gunnar Stevens, Prof. Dr. Lehrstuhl für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Wirtschaftsinformatik, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin gunnar.stevens@h-brs.de Christina Pakusch Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin christina.pakusch@h-brs.de Sebastian Wödl Fachbereich Wirtschaftswissenschaften, Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, Sankt Augustin sebastian.woedl@smail.wis.h-brs.de
