Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0077
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Technologischer Wandel im Flugverkehr
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Ulrich Wenger
Weltweit nimmt die Mobilität von Personen und Gütern zu. Internationale Lieferketten lassen das Frachtgeschäft über alle Verkehrssektoren hinweg stark wachsen. Neben dem stark gestiegenen Güterverkehr wächst auch der Personenverkehr stetig. Menschen reisen per motorisierten Individualverkehr auf der Straße, mit der Bahn oder dem Flugzeug. Dabei treffen die Meisten die Entscheidung für den jeweiligen Verkehrsträger auf Basis von Reisezeit und Kosten. Vor allem beim Transportmittel Flugzeug werden neben dem Preis für das Ticket auch die ökologischen Kosten für Viele immer wichtiger.
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Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 73 Technologischer Wandel im-Flugverkehr Wie moderne Triebwerke den Flugverkehr effizienter machen und Emissionen reduzieren Flugzeugbau, Triebwerke, Treibstoffverbrauch, Emissionen, Effizienz Weltweit nimmt die Mobilität von Personen und Gütern zu. Internationale Lieferketten lassen das Frachtgeschäft über alle Verkehrssektoren hinweg stark wachsen. Neben dem stark gestiegenen Güterverkehr wächst auch der Personenverkehr stetig. Menschen reisen per motorisierten Individualverkehr auf der Straße, mit der Bahn oder dem Flugzeug. Dabei treffen die Meisten die Entscheidung für den jeweiligen Verkehrsträger auf Basis von Reisezeit und Kosten. Vor allem beim Transportmittel Flugzeug werden neben dem Preis für das Ticket auch die ökologischen Kosten für Viele immer wichtiger. Ulrich Wenger D ie zivile Luftfahrt boomt. Ein Ende des Wachstums ist derzeit nicht in Sicht. In den nächsten 20 Jahren wird es bei einem durchschnittlichen jährlichen Luftverkehrswachstum von rund 4,4 % 1 zu einer Verdopplung der weltweiten Flugzeugflotte kommen. Durch den rapiden Anstieg der Passagierzahlen werden die Treibhausgas- Emissionen im Flugverkehr noch bis 2020 ansteigen. Ab 2020 sollen die Emissionen dann aber auch bei einem weiter steigenden Luftverkehrsaufkommen, unter anderem durch auf Emissionshandel basierende Offsets, stabil bleiben. Um beim Treibhausgasausstoß mittelfristig eine Reduktion zu erzielen, müssen die Emissionen pro Passagier weiter drastisch gesenkt werden. Auch wenn die Luftfahrtindustrie gegenwärtig sehr gute Zeiten erlebt, kann sie es sich daher nicht leisten, sich auf ihrem Erfolg auszuruhen. 2011 hat die von der EU-Kommission einberufene High-Level Group zum Thema Luftverkehr die strategischen Ziele der europäischen Industrie im sogenannten „Flightpath 2050“ formuliert. Um die international führende Rolle der europäischen Luftfahrtindustrie zu gewährleisten, wurden drei Handlungsziele identifiziert: Erhöhung der Investitionen in neue Technologien, Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit im weltweiten Luftverkehrsmarkt und eine besser integrierte Luftverkehrspolitik. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass ein harter Wettbewerb unter den Fluggesellschaften sowie ambitionierte Klimaziele den Druck erhöhen, stets neue innovative und effiziente Lösungen zu entwickeln. Ständige Verbesserungen an Flugzeugen machen die Luftfahrt sparsamer, umweltfreundlicher und leiser. Die Flugzeugtriebwerke bieten hierbei eines der größten Potenziale. Forschungs- und Entwicklungszyklen sind in der Luftfahrt sehr kapitalintensiv und komplex. Hinzu kommt, dass die Zyklen wesentlich länger sind als beispielsweise Der Airbus A350 ist mit den derzeit effizientesten Triebwerken der Welt ausgerüstet, den Trent XWB aus dem Hause Rolls-Royce. Foto: Airbus/ Antony Pecchi Triebwerktechnik TECHNOLOGIE Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 74 TECHNOLOGIE Triebwerktechnik in der Autoindustrie und bis zu 20 Jahre andauern. Daher ist ein klarer Fahrplan für neue Vorhaben wichtig. Zu diesem Zweck haben sich zahlreiche nationale und europäische Organisationen, Unternehmen und Verbände in dem einflussreichen europäischen Luftfahrtforschungsbeirat ACARE (Advisory Council for Aviation Research and Innovation in Europe) zusammengeschlossen. ACARE hat sich unter anderem zu ehrgeizigen Klima-Zielen für den Luftverkehr verpflichtet (Tabelle 1). Der Verbrauch sowie die Emissionen sollen deutlich gesenkt und der wahrgenommene Lärm reduziert werden. Hierzu wurde 2012 von ACARE die Strategic Research and Innovation Agenda (SRIA) veröffentlicht. Die Agenda bietet der Industrie einen Fahrplan zur Emissionsreduzierung. Die bisherigen Reduktionsziele für 2020 (ACARE-2020-Ziele) und 2050 (Flightpath-2050-Ziele) wurden zusammengeführt und durch Zwischenziele für 2035 ergänzt. Die europäische Luftfahrt verpflichtet sich darin, den Kraftstoffverbrauch und die CO 2 -Emissionen pro Passagierkilometer bis 2050 um 75 % im Vergleich zu 2000 zu senken. Bis 2020 ist eine Reduzierung von 50 % vorgesehen. Zudem sollen die Stickoxid-Emissionen (NO x ) bereits bis 2020 um 60 % und bis 2050 um 90 % pro Passagierkilometer sinken. Der wahrgenommene Lärm soll bis 2050 gegenüber 2000 um 65 % reduziert werden. Die Flugzeugtriebwerke müssen den größten Teil zur Reduzierung von Stickoxidemissionen beitragen. Bei den CO 2 -Emissionen und dem Kraftstoffverbrauch müssen die Triebwerke bis 2050 für eine Reduzierung von rund 30 Prozentpunkten sorgen (s. Bild 1). Die Industrie hat in den letzten Jahrzehnten schon viel erreicht. Bei dem ersten düsenbetriebenen Verkehrsflugzeug, der Boeing 707, lag der durchschnittliche Kerosinbedarf Ende der 1950-er Jahre pro Passagier noch bei über 8 l auf 100 km. Ende der Achtzigerjahre lag der Durchschnittsverbrauch des A310 nur noch bei etwas über 4 l. Der A380 erreicht bereits 3 l. Mit dem Trent XWB aus dem Hause Rolls-Royce (Bild 2), dem derzeit weltweit effizientesten Triebwerk, in Verbindung mit dem hochmodernen Airbus A350-900, konnte der Kerosinbedarf pro Passagier auf 2,9 l/ 100 km weiter gesenkt werden. 2 Blickt man auf Deutschland, so hat sich das Volumen des Luftverkehrs hierzulande seit dem Jahr 1990 mehr als verdreifacht (plus 231 %). Die jährlich benötigte Kerosinmenge ist aber in diesem Zeitraum nur um 85 % gestiegen. Das heißt: Absolut produziert dieses Verkehrssegment zwar mehr Klimagase, pro Kopf konnte der Verbrauch aber um 42 % gesenkt werden. Der durchschnittliche Verbrauch der deutschen Flotte pro Person und 100 km beträgt jetzt nur noch 3,64 l. Fortschritte bei Effizienz und Aerodynamik im Flugzeug- und Triebwerksbau haben hierzu ganz wesentlich beigetragen. 3 Nur durch eine enorme Anstrengung im Bereich Forschung und Entwicklung konnte diese beeindruckende Innovationsleistung gelingen, die das Potenzial der Luftfahrtindustrie eindrucksvoll zeigt. Vieles von dem Erreichten wurde mithilfe von Fördermitteln der Bundesrepublik und der Europäischen Union ermöglicht. Auch für die Zukunft ist die öffentliche Förderung von Forschung und Entwicklung in der Luftfahrtindustrie gesichert. Die Bundesregierung plant zwischen 2016 und 2020 insgesamt 755 Mio. EUR in das Luftfahrtforschungsprogramm zu investieren. 152 Mio. EUR sollen bereits im Jahr 2017 bereitgestellt werden. Zusätzlich sollen im Rahmen der europäischen Technologieinitiative „Clean Sky“ bis 2020 rund 75 % Reduktion von CO 2 pro Passagier-km bis 2050 50 % bis 2020 90 % Reduktion von NO x -Emissionen bis 2050 60 % bis 2020 65 % Reduktion des wahrgenommenen Lärms bis 2050 50 % bis 2020 Tabelle 1: Der Advisory Council for Aviation Research and Innovation in Europe (ACARE) hat ambitionierte Technologie-Ziele für 2050 gesetzt (gegenüber 2000). ACARE goal -75% CO 2 overall reduction: • -30% Rolls-Royce contribution ACARE goal -90% NOx overall reduction: • -75% Rolls-Royce contribution • -15% from operational efficiency improvements ACARE goal -65% aircraft noise reduction: • -45dB cumulative • Operational improvements and aircraft design will give significant further reductions CO 2 (Engine) NOx (Engine) Noise (Aircraft) ACARE (Advisory Council for Aviation Research and Innovation in Europe) Flightpath 2050 target 10 0 -10 -20 -30 -40 -50 Trent 800 (Boeing 777) dB 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Trent 500 (Airbus A340) Trent 900 (Airbus A380) Trent 1000 (Boeing 787) Trent 800 % CO 2 or fuel burn 2000 2010 2020 2030 2040 2050 Trent 500 Trent 900 Trent 1000 Trent XWB -5 -10 -15 -20 -25 -30 0 -15 -30 -45 -60 -75 % margin relative CAEP6 2000 Trent 800 2010 2020 2030 2040 2050 Trent 500 Trent 900 Trent 1000 Trent XWB Trent family Technology demonstrator engine targets Advance UltraFan TM Advance UltraFan TM UltraFan TM Trent XWB (Airbus A350XWB) Advance Bild 1: Die Triebwerksgenerationen bei Rolls-Royce werden kontinuierlich effizienter, emissionsärmer und leiser. Bild 2: Zahlreiche Innovationen machen das Trent XWB von Rolls Royce zum derzeit effizientesten Triebwerk der Welt. Internationales Verkehrswesen (69) 3 | 2017 75 Triebwerktechnik TECHNOLOGIE 1,6- Mrd. EUR in verschiedene nationale Luftfahrtforschungsprojekte fließen. 4 Aber auch die Industrie investiert jährlich einen Milliardenbetrag in ihre Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Die Ausgaben der Industrie summierten sich 2015 insgesamt auf 4,2 Mrd. EUR in dem Bereich Luft- und Raumfahrt, was etwa 12 % des Branchenumsatzes entspricht. 5 2016 investierte allein Rolls-Royce 1,59 Mrd. EUR in Forschung und Entwicklung, den Großteil davon in die Entwicklung neuer Triebwerkstechnologien. 6 Rolls-Royce Deutschland forscht in Dahlewitz bei Berlin (Bild 3) bereits an der übernächsten Generation von Flugzeugtriebwerken - dem sogenannten UltraFan TM , einem Triebwerk, das erstmals ein Getriebe für die Übertragung sehr hoher Leistungen von bis zu 70 MW einsetzt. Diese Triebwerke der übernächsten Generation sollen mindestens 25 % sparsamer werden als die Trent Triebwerke der ersten Generation, die den Airbus A330 angetrieben haben. Erste Testflüge mit dem neuen Triebwerk sind ab 2021 geplant. Die stetigen Verbesserungen der Antriebstechnologie allein können die steigenden Emissionen des stark wachsenden Flugverkehrs allerdings nicht kompensieren (Bild 4). Insgesamt können die Effizienzziele im Flugverkehr nur im Dreiklang erzielt werden: Neben effizienten Triebwerken und innovativen Flugzeugen gehört dazu auch eine intelligente Luftverkehrsleitung. Die Deutsche Flugsicherung (DFS) hat im Bereich der Routenoptimierung bereits einiges erreicht. Die durchschnittliche Abweichung von der Idealflugroute konnte seit 2010 um ein Drittel verbessert werden, von 5,5 km auf 3,7 km im Jahr 2016. Mit den dadurch eingesparten Kilometern hätte man 140 Mal um die Erde fliegen können. Alleine im Jahr 2016 wurden somit rund 70 500 t weniger CO 2 ausgestoßen. 7 Im Bereich der Luftverkehrsleitung liegen allerdings noch weitaus größere Potenziale, sofern der einheitliche europäische Luftraum effektiv umgesetzt würde. Die Herausforderungen sind groß - und so ist bei alledem auch unkonventionelles Denken gefordert. So kann man durch intelligent festgelegte Flugrouten beispielsweise die negative Wirkung von Kondensstreifen auf das Klima reduzieren. Die Untersuchungen des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) haben gezeigt, dass eine klima-optimierte Flugführung bei nur moderatem technischem Aufwand möglich ist. Dabei werden die Routen so gelegt, dass Emissionen dort entstehen, wo sie die geringsten negativen Auswirkungen auf das Klima haben. Die Klimawirkung von Flugzeugemissionen konnte so um durchschnittlich 10 % verringert werden. In der Studie zu Nordatlantikflügen wurde nachgewiesen, dass eine solche Routenführung in Summe nur zu einem unwesentlich höheren Kraftstoffverbrauch führt. Zudem stellt dies eine Möglichkeit dar, dass Flugzeuge aller Alters- und Effizienzklassen ihre Umweltauswirkungen reduzieren können. Eine weitere Option bieten alternative Kraftstoffe. Hierbei kann es sich sowohl um bio-basierte als auch synthetische Flüssigkraftstoffe handeln, auch elektrische Antriebe sind nicht ausgeschlossen. Falls Flugzeuge der Zukunft beispielsweise über viele kleine, über den ganzen Flügel verteilte Propeller verfügen würden, müsste ein passender Antrieb die Energie für diese Schuberzeuger und die Flugzeugsysteme liefern. Dann könnte es sich als vorteilhaft erweisen, die notwendige Energie mit einer hocheffizienten Gasturbine zu erzeugen und an Bord elektrisch zu verteilen. Durch solche Innovationen und die generell sehr hohen Aktivitäten im Bereich Forschung und Entwicklung ist man sich in der Luftfahrtindustrie sicher, die ambitionierten Klimaziele erreichen zu können. ■ 1 http: / / www.aircraft.airbus.com/ market/ global-marketforecast-2017-2036/ 2 https: / / www.lufthansagroup.com/ de/ themen/ flottenentwicklung/ 2-liter-klasse.html 3 https: / / www.bdl.aero/ de/ veroffentlichungen/ klimaschutzreport_2017/ # 4 https: / / www.bmwi.de/ Redaktion/ DE/ Textsammlungen/ Technologie/ Schluesseltechnologien/ luftfahrttechnologien.html 5 https: / / www.bdli.de/ meldungen/ luft-undraumfahrtindustrie-setzt-wachstumskurs-2015-fort 6 http: / / www.bbaa.de/ aktuelles/ news/ 946-rolls-royceuniversity-technology-centres-feiern-10-jahre-forschungfuer-umweltvertraegliche-triebwerke 7 https: / / www.bdl.aero/ de/ veroffentlichungen/ klimaschutzreport_2017/ # Ulrich Wenger, Dr.-Ing. E.h. Head of Engineering & Technology, Rolls Royce Deutschland Ltd & Co KG, Blankenfelde-Mahlow ulrich.wenger@rolls-royce.com Bild 3: In Dahlewitz bei Berlin produziert Rolls-Royce unter anderem das Trent XWB und forscht bereits an der übernächsten Triebwerksgeneration. Bild 4: Trotz signifikanter Verbesserungen bei Triebwerken und im Flugzeugdesign bedarf es weiterer Anstrengungen, um die Emissionen im wachsenden Luftverkehr zu stabilisieren. Quelle: IATA/ BDL
