Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0084
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2017
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Von Versäumnissen, Wunschkonzerten und ökonomischem Unsinn
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2017
Gerd Aberle
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Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 9 Von Versäumnissen, Wunschkonzerten und-ökonomischem Unsinn D ie neue Legislaturperiode des Deutschen Bundestages ist auch Anlass, über Prioritäten der Verkehrspolitik nachzudenken. Ein „Weiter so wie gehabt“ ist sowohl der Umwelt wie auch dem Steuerzahler nicht zuzumuten. So stellen sich - außerhalb der stark emotionalisierten Diskussion um die angeblich das Mobilitätsglück bringenden autonom fahrenden Autos - einige vernachlässigte Fragen und Handlungserfordernisse. Wenn die international vereinbarten Klimaziele von Deutschland erreicht werden sollen, ist eine Attraktivitätssteigerung des ÖPNV mit Modal-Split-Effekten unabdingbar. Zwar steigen in den Agglomerationsräumen die Nutzerzahlen kontinuierlich an. Sie stoßen jedoch derzeit bereits auf aus Nutzersicht kaum hinnehmbare Kapazitätsüberlastungen mit längerfristig nicht akzeptierbaren Zumutungen. Die Ursachen dieser Misere liegen vor allem in den Infrastrukturdefiziten des schienengebundenen ÖPNV. Ihre Milderung - von Beseitigung zu sprechen wäre eine Situationsverkennung - erfordert zusätzliche Investitionsmittel mit hohen Milliardenbeträgen, aber auch Jahrzehnte umfassende Zeitaufwendungen für Planung(! ), Baurechte(! ) und Baumaßnahmen. Neben der Absicherung der Klimaziele geht es auch um die Entlastung der Flächenbeanspruchung durch PKW und LKW in den Agglomerationsräumen. Es verwundert, mit welcher Hartnäckigkeit die Planung einer Elektrifizierung der LKW auf Autobahnen mit Hilfe von Oberleitungen politisch und mit Finanzhilfen unterstützt wird. Ökonomisch handelt es sich um Unsinn, die Autobahnen mit kostenintensiven und störanfälligen Oberleitungen und Platooning als Alternative zum elektrifizierten Schienengüterverkehr aufwerten zu wollen. Mit Steuerzahlergeld lassen sich absurde Vorstellungen wieder einmal fördern. Eben mit diesem Geld muss letztlich auch die geplante Halbierung der Trassenpreise im Schienengüterverkehr ausgeglichen werden. Das aber führt inzwischen zu weitergehenden Wünschen: Halbierung der Trassenentgelte in Deutschland auch für den SPNV und den Personenfernverkehr. Nur über die Finanzierung wird (noch) geschwiegen. Wunschkonzert eben. Dass damit ein wesentliches Element der Bahnreform von 1994 (Regionalisierung des SPNV) in entscheidenden Elementen verändert und damit das gesamte Finanzierungs- und Verantwortungskonzept ausgehebelt wird, sollte nicht verschwiegen werden. Es fällt auf, dass ein Verkehrsträger in der politischen Diskussion weitestgehend unbeachtet bleibt: die Binnenschifffahrt. Und dies, obwohl hier erhebliche Kapazitätsreserven mit vergleichsweise günstigen Umweltauswirkungen vorliegen. Die Schifffahrt leidet unter starken Wasserstandschwankungen bei den natürlichen Wasserwegen, unter sehr restriktiv wirkenden Brücken- und Schleusenengpässen im Kanalnetz und auf den kanalisierten Flüssen sowie unter organisatorischen Abwicklungsproblemen durch Stauungen in den Westhäfen. Hinzu kommen Befürchtungen einer Wettbewerbsbenachteiligung durch Trassenpreissenkungen im Schienengüterverkehr. Immerhin leistet die Binnenschifffahrt rd. 60 % des Transportaufkommens des Schienengüterverkehrs in Deutschland, und dies auf lediglich 7240 km Wasserstraßen. Viele Verlader des Industriestandortes Deutschland sind auf die Leistungen dieses privatwirtschaftlich organisierten Verkehrsträgers angewiesen, bei dem besonderes unternehmerisches Geschick existenznotwendig ist. Dennoch steht er seit Jahren im Abseits, was sich verkehrspolitisch in seit Jahrzehnten sehr niedrigen Infrastrukturinvestitionen für Ersatz- und Ausbaumaßnahmen spiegelt. Ob dies auch damit zusammenhängt, dass der Hauptkonkurrent ein staatliches Schienengüterverkehrsunternehmen ist? ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Ökonomisch handelt es sich um Unsinn, die-Autobahnen mit kostenintensiven und störanfälligen Oberleitungen für LKW elektrisch aufwerten zu wollen.
