eJournals Internationales Verkehrswesen 69/4

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0087
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Großer Finanzbedarf - kleine Töpfe

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Werner Balsen
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Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 17 F rankreich und Deutschland sind die größten Volkswirtschaften der EU. Trotzdem gibt es zwischen beiden Staaten gerade mal fünf Eisenbahngleise. Zwischen Straßburg und Offenburg, zwischen Saarbrücken und Metz sowie - für schweren Güterverkehr nur bedingt tauglich - zwischen Karlsruhe und Straßburg. Viel besser lässt sich kaum illustrieren, dass es in Europa 26 nationale Schienennetze gibt (auf Malta und Zypern fahren keine Züge) - aber kein europäisches Netz. Investitionen in grenzüberschreitende Strecken sehen die nationalen Verkehrs- und Finanzpolitiker nicht als vordringliche Aufgabe an. Sie setzen die knappen Budgetmittel lieber anderswo in ihren Ländern ein. Eine Staatengemeinschaft, deren Ziel es immer noch ist, den Frachtverkehr von der Straße auf die Schiene zu verlagern, muss für ein (Schienen-) Verkehrsnetz sorgen, das dem gemeinsamen Markt entspricht: Anbindung auch der peripheren Regionen, ausreichende Verbindungen zwischen wichtigen Volkswirtschaften, Verknüpfungen von Häfen mit dem Hinterland, das oft genug über nationale Grenzen hinaus reicht. Für ein solches Netzwerk setzt sich die EU-Kommission seit langem ein. Mit einigem Erfolg. Denn deren Vorschlag von transeuropäischen Verkehrsnetzen, der Ausweis von neun Kernnetz-Korridoren und das Finanzierungsinstrument der Connecting Europe Facility (Cef ) zählen zu den großen infrastrukturpolitischen Leistungen der EU. Mit dem Cef-Topf und seine Zweckbindung an einen „europäischen Mehrwert“, konkret also an die Beseitigung von Lückenschlüssen im grenzüberschreitenden Verkehr, kann die EU-Kommission Infrastrukturprojekte für ein europäisches Netz ko-finanzieren. Der Cef-Rahmen von gut 24 Mrd. EUR in der laufenden Finanzperiode bis 2020 (im Sieben-Jahres-Zeitraum zuvor standen nur gut 8 Mrd. EUR zur Verfügung) ist bis auf einen Restbetrag vergeben. Der wird im nächsten Jahr ausgeschrieben. Deshalb rückt in Brüssel die Frage in den Vordergrund, wie viel Geld im nächsten mittelfristigen Finanzrahmen bis 2027 zur Verfügung stehen wird. Der Bedarf ist gigantisch: Um das transeuropäische Kernverkehrsnetz wie vorgesehen bis 2030 fertig zu stellen, werden im nächsten Jahrzehnt 500 Mrd. EUR gebraucht. Zählt man die notwendigen Ausgaben für das flächendeckende Netz, das auch wichtige Nebenstrecken umfasst und bis 2050 vollendet sein soll, sowie für Stadtlogistik und intelligente Verkehrssysteme hinzu, müssen bis 2030 sogar 1,5 Billionen EUR aufgebracht werden. Das hat die EU-Kommission berechnet. Diesen astronomischen Ausgaben allein für die Verkehrsinfrastruktur stehen im künftigen EU-Budget sinkende Einnahmen gegenüber: Nach dem Brexit wird mit Großbritannien einer der Staaten ausfallen, die mehr Geld in den EU- Haushalt gepumpt als daraus abgezogen haben. Da die Verhandlungen über die Trennung der Insel von der Union nicht von der Stelle kommen, ist noch völlig unklar, wie viel kleiner der künftige EU-Etat sein wird. Aus Sicht der Verkehrspolitiker kommt bedauerlicherweise hinzu, dass geringeren Einnahmen auch steigende Ausgaben an anderer Stelle gegenüberstehen. Vor allem die Migration aus Afrika und Vorderasien wird in der künftigen Finanzplanung hohe Summen erfordern. So wird der finanzielle Spielraum für EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger trotz der überall anziehenden Konjunktur eng werden. In dieser wirklich nicht hoffnungsfrohen Situation ist es richtig, dass der Verkehrssektor sich rechtzeitig vor den Verhandlungen über die mittelfristige Finanzplanung der Union in Position bringt. Die EU-Transportexperten können darauf verweisen, dass sie das Instrument Cef aktuell effizient einsetzen. Und dass sie bereits an dessen Weiterentwicklung zur Cef2 arbeiten. Sie wollen die Zuschüsse aus dem Topf effizienter mit Darlehen aus anderen Quellen und mit privaten Investitionen verbinden. Zuschüsse der Cef soll es nur noch dort geben, wo Infrastrukturprojekte nicht „marktfähig“ sind - wo es also schwer ist, Darlehen oder Privatinvestitionen aufzutreiben. So hart und schwierig der Kampf um die notwendigen Mittel für die Verkehrsinfrastruktur werden wird - es gibt Zeichen, die einen gewissen Optimismus erlauben: Ende September plädierten die elf EU-Korridor-Koordinatoren - vom Ungarn Péter Balázs über den Deutschen Kurt Bodewig bis zum Polen Pawel Wojciechowski - dafür, die Cef zum zentralen Instrument für die Infrastrukturfinanzierung zu machen. Und bei ihrem informellen Treffen in der estnischen Hauptstadt Tallinn stellten die EU-Verkehrsminister klar, dass sie an dem Finanztopf festhalten wollen. Das ist noch keine Garantie für ausreichende Mittel - aber ein Zeichen. Immerhin. ■ Werner Balsen EU-Korrespondent der DVZ Deutsche Verkehrs-Zeitung B E R I C H T A U S B R Ü S S E L VON WERNER BALSEN Großer Finanzbedarf - kleine Töpfe