Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0090
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2017
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Barrierefreier ÖPNV
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2017
Rainer Hamann
Sebastian Schulz
Mit der fortschreitenden Digitalisierung von Datenbeständen, die in zunehmendem Maße auch bei kommunalen Institutionen Einzug erhält, eröffnen sich neue Möglichkeiten zur integrierten und partizipativen Planung. Katasterdatenbanken sind nur eine dieser neuen Formen der Datenverarbeitung und Planungswerkzeuge. Im Zuge des barrierefreien Ausbaus von oftmals kommunaler Infrastruktur können neuartige, digital nutzbare oder sogar cloud-basierte Haltestellenkataster eingesetzt werden. In Teil I des Beitrags berichteten die Autoren über die Grundlagen und ihre Erfahrungen mit der Thematik. Der vorliegende Teil II behandelt konkrete Strategien zur systematischen Umsetzung.
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Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 26 INFRASTRUKTUR Barrierefreier ÖPNV Barrierefreier ÖPNV Teil II - Strategien zur systematischen Umsetzung ÖPNV, Barrierefreiheit, Haltestellenkataster, Nahverkehrsplanung Mit der fortschreitenden Digitalisierung von Datenbeständen, die in zunehmendem Maße auch bei kommunalen Institutionen Einzug erhält, eröffnen sich neue Möglichkeiten zur integrierten und partizipativen Planung. Katasterdatenbanken sind nur eine dieser neuen Formen der Datenverarbeitung und Planungswerkzeuge. Im Zuge des barrierefreien Ausbaus von oftmals kommunaler Infrastruktur können neuartige, digital nutzbare oder sogar cloud-basierte Haltestellenkataster eingesetzt werden. In Teil I des Beitrags berichteten die Autoren über die Grundlagen und ihre Erfahrungen mit der Thematik. Der vorliegende Teil-II behandelt konkrete Strategien zur systematischen Umsetzung. Rainer Hamann, Sebastian Schulz V on einem gut geführten, digital zugänglichen Haltestellenkataster profitieren neben ÖPNV- Sachbearbeitern und Straßenbauern gleichermaßen auch die Verkehrsunternehmen und ggf. Betroffenenverbände. Wichtig ist die Gewähr für eine langfristige, dauerhafte Pflege desselben. Denn was nützt ein Haltestellenkataster, wenn es nicht aktuell gehalten wird? Als „Eintagsfliege“, nicht selten im Zusammenhang mit Nahverkehrsplänen konzipierte Bestands-Datenbanken verlieren erfahrungsgemäß schnell ihren eigentlichen Wert und sind bei ausbleibender Pflege nicht mehr als Zeit- und Geldverschwendung. Systemaufbau Beim Aufbau komplexer Datenbanken und Informationssystemen müssen vorab die wichtigsten Eckpunkte geklärt werden, um typische „Geburtsfehler“ von digitalen Datensystemen zu vermeiden und eine langlebige und stabile, fortschreibungsfähige Plattform zu schaffen: • Welchen Zweck soll die Datenbank bzw. das Haltestellenkataster erfüllen? • Welche Informationen werden aufgenommen? • Wer soll die Datenbank nutzen, mit welchen Berechtigungen? • Wer kümmert sich um die Pflege und um Aktualisierungen? • Welche Auswertungsmöglichkeiten müssen gewährleistet werden? Nur wenn die oben genannten Fragen weitestgehend vorab geklärt sind, sollte mit dem Aufbau des Haltestellenkatasters begonnen werden. Erfahrungsgemäß verfügen Verkehrsunternehmen und/ oder die zuständigen Baulastträger bereits über ein Mindestmaß an Informationen oder gar Datenbanken, die zur erstmaligen Erstellung dienlich sein können. Sollten bereits funktionierende und aktuelle Systeme bestehen, ist bei einem ergänzenden Aufbau die Kompatibilität zu beachten. Aber auch bei erstmaligen Systemen ist zu beachten, dass nicht alle Informationen vor Ort erhoben werden können, so dass weiterer Input zwingend auch aus anderen sekundären Quellen benötigt wird. Auch hier gilt es, sich den Gegebenheiten individuell anzupassen, um das Mögliche zu realisieren. Die Frage nach Sinn und Zweck eines Haltestellenkatasters ist allerdings von zentraler Bedeutung. Vielfach neigen Datenbanken dazu, unübersichtlich, unhandlich und unstrukturiert zu sein bzw. zu werden. Wird beispielsweise eine Datenbank zur reinen Haltestellenpflege vorgehalten, sind Detailinformationen zu baulichen Maßen oder zur Haltestellenumgebung eher zweitrangig. Geht es bei einem Kataster vor allem um Investitionskostenberechnungen für z.B. den barrierefreien Ausbau, sind bauliche Maße und Zustände hinreichend genau zu dokumentieren. Hier kann es schon einen Unterschied machen, ob die Breite von Aufstellflächen beispielsweise mit „größer als 1,50 m“ angegeben wird, oder exakt „2,78-m“ beträgt. Der Grad der Detaillierung spielt eine gewichtige Rolle, sowohl bei der Kalkulation des Erhebungsaufwands vor Ort, als auch bei der Handhabbarkeit der Datenbank zu einem späteren Zeitpunkt. Ebenso von Bedeutung ist die Fortschreibungsfähigkeit des Haltestellenkatasters. Erfahrungsgemäß ist ein erhobener Stand nach wenigen Monaten schon wieder veraltet und entspricht in Teilen nicht mehr den tatsächlichen Gegebenheiten. Deshalb ist es wichtig, die Investitionen in ein Haltestellenkataster nicht als Strohfeuer zu verheizen, sondern vorab den dauerhaften Nutzen sicherzustellen. Dieser Aspekt ist nicht zu unterschätzen und sollte frühzeitig von allen Beteiligten festgelegt werden. Dabei hilft es, Zuständigkeiten zu klären und sie und die jeweiligen Aufgaben in einer Vereinbarung festzuhalten. Gerade in Landkreisen und ländlichen Bereichen, wo oftmals mehrere Straßenbaulastträger zuständig sind, muss ein - nicht immer einfacher - Weg zur dauerhaften Nutzung gefunden werden, im besten Fall unter Mitarbeit mehrerer oder aller betroffenen Baulastträger und Verkehrsunternehmen. Sofern aktuellere Informationen zu einer Haltestelle vorliegen, können diese über ein für alle Akteure zugängliches Kataster vom entsprechend Zuständigen aktualisiert werden. Datenaufnahme So hat auch Büro StadtVerkehr für diese Bedarfe verschiedene Datenbanksysteme entworfen, getestet und angewendet. Wie bereits beschrieben, sollte der Aufwand des Systemaufbaus und der Informationsbeschaffung eng mit dem späteren Nutzen in Einklang stehen. Um die Erstaufnahme vor Ort möglichst zeitsparend und effizient durchzuführen, wurde basierend auf einem vorgefertigten Baukastensystem eine mobile App (Anwendungssoftware für Mobilgeräte) entwickelt (Bild 1). Damit kann die Aufnahme eines herkömmlichen Bussteigs mit mehr als 50 verschiedenen Kriterien einschließlich Foto(s) und GPS-Koordinaten über ein handelsübliches Smartphone oder Tablet in rund zehn Minuten erledigt werden. Per WLAN- oder mobiler Datenverbin- Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 27 Barrierefreier ÖPNV INFRASTRUKTUR dung werden die gesammelten Informationen in eine Cloud übermittelt, die maßgerecht auf die Struktur des späteren Katasters abgestimmt ist. Bereits zu diesem Zeitpunkt, aber auch später, können weitere vor Ort nicht sichtbare Informationen hinzugefügt werden. Dies können Informationen zur Umgebung sein, Fahrgastzahlen und Fahrplandaten oder auch Details der Zuständigkeit und Pflege. Berücksichtigen muss man bei jeder Haltestellenanalyse unabhängig von den örtlichen Gegebenheiten die Anzahl der Teilhaltestellen sowie die Fahrkilometer von Haltestelle zu Haltestelle. Diese summieren sich immens, je größer das Untersuchungsgebiet ist. Schon für kleine Gebiete kann der Erhebungsaufwand die reine Zeit zur Eingabe pro Bussteig deutlich übersteigen. Nicht nur die Fahrtzeiten zwischen den Haltestellen, sondern auch immer wieder unvorhersehbare Ereignisse (Baustellen, stark frequentierte Haltestellen, Witterungsbedingungen, fragende Passanten und Anwohner usw., fehlende Parkmöglichkeiten) können die Erhebung vor Ort verzögern. Es ist daher immer genügend Zeit für eine gründliche Aufnahme einzuplanen. Dennoch ist es geboten, den Personalaufwand so gering wie möglich zu halten. Es liegt in der Natur der Sache, dass unterschiedliche Personen trotz intensiver Schulung unterschiedliche Ansichten und Einschätzungen haben. Werden bestimmte Kriterien vor Ort bewertet, kann es bei zu vielen verschiedenen Erhebern zu unerwünschten Ungleichgewichten und Diskrepanzen bei der Einschätzung kommen. Auch wenn Kriterien und Angaben in eindeutigster Weise gewählt und erläutert wurden, sind unterschiedliche Bewertungen nicht auszuschließen. Daher sollte ein Erheberteam aus nicht mehr als drei bis vier Personen bestehen und der Zeitaufwand in Abhängigkeit dieser Größenordnung kalkuliert werden. Am Ende sollte es bei einem Kataster nicht nach der Zeit, sondern nach der Qualität der erhobenen Daten gehen. Auswertungsmöglichkeiten Sind die Informationen der Erstaufnahme vollständig erfasst, lassen sie sich in verschiedenster Weise zu Auswertungen entsprechend der ursprünglichen Zweckbestimmung heranziehen (Bild 2). Die von Büro StadtVerkehr entwickelten Datenbanksysteme können je nach Zweck auf unterschiedlichen Plattformen genutzt werden. Denkbar sind Haltestellenkataster von einfachen Access-/ SQL-Datenbanken bis hin zu komplexeren webbasierten GIS-Anwendungen. Entsprechend dem jeweiligen System können verschiedene interaktive Selektions- und Auswertungstools angewandt werden, die von einfachen Fragestellungen bis hin zu Umbau-Priorisierungen und Kalkulationen reichen. Den Auswertungsmöglichkeiten sind prinzipiell keine Grenzen gesetzt, sofern die korrekten Informationen erhoben worden sind. Spätestens hier schließt sich der Kreis des Haltestellenkatasters und seiner Nutzbarkeit. Ein Haltestellenkataster ist immer nur so gut wie die Qualität und Aktualität seiner Inhalte. Fortschreibung und Pflege Zur dauerhaften Pflege und Nutzung des Haltestellenkatasters sollten entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Je nach Gebietskörperschaft bzw. Personalverfügbarkeit sollte es einen kleinen Personenkreis geben, der mit der Pflege und Aktualisierung der Datenbank betraut und mit den Handhabungen vertraut ist. Im günstigsten Fall ist das Haltestellenkataster ohne zusätzliche Softwareanforderungen nutzbar, entweder über die gängigen Programme (z. B. MS Office-basiert) oder über den Web-Browser. Hierbei ist selbstverständlich der Datenschutz zu beachten, vor allem wenn die Datenbank neben den sichtbaren Merkmalen auch Unternehmensdaten (z .B. Fahrgastzahlen, Pflegezuständigkeiten, etc.) oder weitere, teils sensible Informationen (z. B. Besitzstrukturen, Umbaukosten, Förderungen und Zweckbindungen, etc.) beinhaltet. Intranet-basierte Systeme sind hier oftmals das bevorzugte Mittel der Wahl (Bild 3). Vollständig automatisieren lässt sich die Aktualisierung allerdings nicht. Daher ist es wichtig, dass systemunabhängig bereits vorab die Kompetenzen und Aufgaben zur Fortschreibung der Datenbank praktikabel und einvernehmlich mit allen Beteiligten (z. B. Aufgabenträger, Straßenbaulastträger, Verkehrsunternehmen, Datenschutzbeauftragtem, IT-Abteilung) festgelegt werden. Je nach Zweck und Inhalten ist bei webbasierten Lösungen auch die Informationsbeschaffung von Dritten eine innovative Möglichkeit. Öffentliche Web-GIS Anwendungen oder z.B. auch einfache Online-Formulare können Bürgern die Möglichkeiten geben, auf aktuelle Situationen oder Veränderungen an den Haltestellen aufmerksam zu machen. Bild 1: Eingabeformular der App für die Datenerhebung Bild: Büro StadtVerkehr Bild 2: Tabellarische Übersicht der Datenbank nach der Eingabe Bild: Büro StadtVerkehr Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 28 INFRASTRUKTUR Barrierefreier ÖPNV Eine Vernetzung mit weiteren Datenbanken bei den Verkehrsverbünden oder -unternehmen ist ebenfalls denkbar, sollte jedoch von Beginn der Planungen und vor der Datenaufnahme abgestimmt werden. Auch eine Verknüpfung mit Routing-Apps bzw. mobilen Fahrplandiensten kann angestrebt werden, wenngleich der Aufwand für solche komplexen Systeme deutlich höher und kostspieliger anzusehen ist. Eine weitere aktuelle Entwicklung bei den Verkehrsverbünden und -unternehmen ist die Integration von Themen der Intermodalität, wie z. B. Informationen zu P&R- Stellplätzen, B&R- Anlagen sowie Fahrradabstellplätzen, Fahrradverleihsystemen, CarSharing-Stellplätzen oder das Vorhandensein von E-Ladestationen für Räder und Autos. Auch wenn viele dieser Merkmale noch an wenigen heutigen Haltestellen vorhanden sind, lohnt die perspektivische Aufnahme dieser Kategorien zur späteren Weiterentwicklung und Planung. Ein digitales Haltestellenkataster bietet also Fachplanern und Entscheidungsträgern bei guter Ausführung die Übersicht, die es zur seriösen Umsetzung der Barrierefreiheit im ÖPNV benötigt. Nutzen in Bezug auf Ausnahmetatbestände Ein weiterer strategischer Nutzen von Katasterdatenbanken dient der Formulierung von Ausnahmetatbeständen nach § 8, Abs. 3, PBefG. Bei vielen Aufgabenträgern drängen sich nicht selten verschiedene Detailfragen in der gesetzeskonformen Planung auf, die durch abgestimmte Katasterinformationen auf eine solide Argumentationsbasis gestellt werden können. Dies umfasst z. B. Fragen zu behindertengerechten Umgestaltungen früherer Jahre, die nach heutigen Richtlinien veraltetet sind, zu Mindest- und Höchstmaßen sowie zu topographischen und räumlichen Gegebenheiten, die evtl. nur eine weitgehende, aber keine vollständige Barrierefreiheit zulassen. Mithilfe fundiert erhobener Katasterdaten ist die Darlegung von Ausnahmen und Härtefällen unter allen Beteiligten von Fachplanern bis hin zu Politik und Betroffenen möglich. Dementsprechend ist ein Haltestellenkataster nicht nur als Informationsbasis zu verstehen, sondern vor allem als prozessbegleitendes Planungs- und Kommunikationswerkzeug. Abstimmung zwischen Haltestellen und Fahrzeugen Auch die Fahrzeuge der Verkehrsunternehmen sollen qua Gesetz „vollständig“ barrierefrei werden. Inwieweit die vorhandenen Fahrzeuge des ÖPNV bereits den Vorgaben zur Barrierefreiheit entsprechen, sollte von einem kleinen Team aus Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen sowie unter Beteiligung der/ des Behindertenbeauftragten und/ oder einzelner Behindertenverbände gemeinsam evaluiert werden. Dabei können Grundlagen wie z. B. die sogenannte EU- Busrichtlinie (RL 2001/ 85/ EG)10 1 und die umfangreichen Ausschreibungsunterlagen erläutert werden, womit sicherlich Vertrauen geschaffen wird und späterer Kritik viel „Wind aus den Segeln“ genommen werden kann. Beispielsweise erfolgt die Beschaffung und der Einsatz von Niederflurbussen im Stadtverkehr gemäß umfangreicher Vorschriften. Danach sind auch Busse zulässig, die nur über einen niederflurigen Ein- und Ausstieg verfügen und in denen ggf. nur einige Sitze ohne Stufe erreicht werden können. Der Aufgabenträger muss letztlich entscheiden, welche Fahrzeugstandards er über den Nahverkehrsplan und in Ausschreibungen definiert. Im übertragenen Sinn gilt das Gesagte auch für Straßenbahnen, Stadtbahnen, usw. Die Verkehrsunternehmen sollten in einem weiteren Arbeitsschritt feststellen, ob die eingesetzten Fahrzeuge den Anforderungen entsprechen, bzw. einen Maßnahmen-, Zeit- und Kostenplan (ggf. für Nachrüstungen von Fahrzeugen) vorlegen, aus dem hervorgeht, wann ein gemeinsam definierter barrierefreier Fuhrpark zur Verfügung stehen wird. Konzessionslaufzeiten sind bei der Wirtschaftlichkeit und Zumutbarkeit von Investitionen zu beachten. Gemeinsam wird die wirtschaftlichste Methode zum Erreichen der vollständigen Barrierefreiheit gefunden. Das Ziel sollte sein, möglichst zeitnah mit geringstmöglichem finanziellem Aufwand einen hohen behindertengerechten Standard zu erreichen. Beispielsweise kosten Kneeling und/ oder Hublifte zusätzliches Geld bei der Fahrzeugbeschaffung, die hydraulischen Systeme sind zudem fehleranfällig und erfordern hohen Reparatur- und Wartungsaufwand. Insofern kann es volkswirtschaftlich sinnvoller sein, die Haltestellen im Rahmen von barrierefreien Umbauten auf den jeweiligen Fuhrpark abzustimmen. Es wird vorgeschlagen, Ergebnisse zwischen Aufgabenträger, Verkehrsunternehmen und Verbänden in Zielvereinbarungen festzuschreiben und/ oder in die Fortschreibungen von Nahverkehrsplänen und in der Umbauplanung der Haltestelleninfrastruktur aufzunehmen. Bei der Gelegenheit könnten ebenfalls Festlegungen zur Ausstattung von ÖPNV-Bussen mit Partikel- und NOx-Minderungssystemen, die im Realbetrieb funktionieren, getroffen werden. Denn selbst moderne Busse haben oft weder einen Partikelfilter an Bord, noch verfügen sie über eine wirksame Stickoxid-Abgasreinigung im normalen Fahrbetrieb. Aufgaben- Bild 3: Kataster- Übersicht der Datenbank nach der Aufbereitung Bild: Büro StadtVerkehr Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 29 Barrierefreier ÖPNV INFRASTRUKTUR träger sind mittlerweile berechtigt, Umweltstandards in ihren Ausschreibungen festzulegen. Zukünftig werden Aspekte der Feinstaubminderung und Abgasreinigung eine zunehmend wichtige Rolle im ÖPNV spielen, der bereits heute Rechnung getragen werden kann. Internationale Beispiele zeigen außerdem, dass das Thema Elektrifizierung von Straßenfahrzeugen im ÖPNV zu einem gesicherten Trend wird. Auch in Deutschland werden über kurz oder lang die Aufgabenträger, zuerst sicher in den Großstädten, mit diesem Thema im Zuge der Feinstaubdiskussion und Stickoxydkonzentration konfrontiert. Zielgerichtete Koordinationen zwischen Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern können auch hier innovativen, emissonsfreien Antriebssystemen zwischen Fahrzeugen und Haltestellen einen gewissen Diskussionsspielraum geben. Berücksichtigung von Fahrgastinformationen, Betrieb und Service Im Bereich „Information“ ist die tatsächliche Ausführung von z. B. Aushängen oder der dynamischen Fahrgastinformation eher eine grundsätzliche Angelegenheit und muss nicht zwingend in Katasterdatenbanken für jede Haltestelle aufgenommen werden. Entscheidet man sich jedoch für eine Aufnahme, dann sollte sich der Datengehalt auf die unterschiedlichen Ausstattungsmerkmale, z.B. das Vorhandensein einer dynamischen Fahrgastinformation, eines Liniennetzplans, oder von Umgebungsplänen beschränken. Weitere Detailinformationen - vom Fahrplanaushang in der richtigen barrierefreien Höhe bis hin zu Evaluierungen von Lesbarkeit und Schriftgrößen - sollten nur in sinnvoll begründeten Fällen erhoben werden. Erfahrungsgemäß sind Fahrpläne in Gestaltung und Größe standardisiert, so dass eine Vor-Ort-Erfassung keinen zusätzlichen Nutzen erbringt, der im Verhältnis zum Erfassungsaufwand steht. Fälle von verrutschten, beschädigten oder fehlenden Fahrgastinformationen sollten im Rahmen der obligatorischen Haltestellenpflege behandelt werden. Eine Arbeitsgruppe aus Behindertenbeauftragtem, Aufgabenträger und den Verkehrsunternehmen sollte die grundsätzlichen Vorschläge zur Umsetzung barrierefreier Information im Zwei-Sinne-Prinzip unabhängig von Katasterdatenbanken erarbeiten. Auf diese Weise kann es zu einer gemeinsamen Bestandsaufnahme kommen, mit der weiterhin Vertrauen zwischen Anbietern und ÖPNV-Kunden geschaffen wird. Optimierungen der Informationsübermittlung können in der Regel effizienter und besser durch Verkehrsunternehmen und -verbünde direkt, als durch Aufgaben- und Baulastträger umgesetzt werden. Für den Bereich „Betrieb und Service“ bzw. „Nutzbarkeit im Betrieb“ nimmt das Haltestellenkataster ggf. bereits Zuständigkeiten für z. B. Reparaturen und Winterdienst auf. Für die Fahrpersonalschulung gelten gesetzliche Vorgaben, ebenso für Beschriftungen und Symbole sowie Servicestellen. Darüber hinaus gehende weitere Aufgaben lassen sich nur in freiwilligen Vereinbarungen zwischen den Beteiligten festhalten. Verkehrsunternehmen und andere Beteiligte sollten die für ihre Zuständigkeitsbereiche geplanten und durchgeführten Maßnahmen darstellen, fortschreiben und jährlich dem Aufgabenträger berichten. Dies dient der Qualitätssicherung, die auch entsprechend ausgeschrieben bzw. in Dienstleistungsverträgen aufgenommen werden kann. Anpassungen der Haltestelleninfrastruktur können daraus erfolgen, ebenso mögliche abgeleitete Kriterien für das Haltestellenkataster, wie z.B. die nachrichtliche Erfassung von Pflegeintervallen, Zuständigkeiten und ggf. Kontaktinformationen. Ebenso können Haltestellendatenbanken auch zur vollständigen Pflege- und Managementkoordinierung weiterentwickelt werden, falls dies nicht bei den Dienstleistern bereits vorhanden ist. Fazit Barrierefreier ÖPNV ist vielerorts noch eine Mammutaufgabe. Haltestellenkataster bedürfen intensiver analytischer Vorarbeiten, um deren spätere Nutzbarkeit zu gewährleisten. Die im Rahmen der hier beschriebenen Vorgehensweise erzielten Ergebnisse sollten immer auch politisch mitgetragen werden. So können die erhobenen Informationen im Haltestellenkataster bzw. in Zielvereinbarungen im Rahmen von Nahverkehrsplanfortschreibungen oder ÖPNV- Konzepten herangezogen werden, und es lassen sich detaillierte Umsetzungskonzepte und Prioritätenlisten bei gut geführten Datengrundlagen mit geringem Aufwand auch kurzfristig erstellen. Eine Argumentation wird auf der Basis quantitativer Daten aus erster Hand sowohl zur zeitlichen Festlegung umzubauender Haltestellen als auch zur Darlegung von Ausnahmetatbeständen möglich. Ebenso erlauben Analysen und vereinbarte Verbesserungen in den Bereichen „Fahrzeuge“, „Information“ sowie „Betrieb und Service“ stringente Planungen mit Augenmaß, nicht nur im Sinne des Gesetzes, sondern vor allem auch aus Sicht der Fahrgäste. ■ 1 Richtlinie 2001/ 85/ EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20. November 2001 über besondere Vorschriften für Fahrzeuge zur Personenbeförderung mit mehr als acht Sitzplätzen außer dem Fahrersitz und zur Änderung der Richtlinien 70/ 156/ EWG und 97/ 27/ EG (ABl. L 42 vom 13.02.2002, S. 1), (EU-Busrichtlinie), geändert durch Richtlinie 2006/ 96/ EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 81), berichtigt durch Berichtigung (ABl. L. 125 vom 21.05.2003, S. 14) Rainer Hamann, Dr.-Ing. Büro StadtVerkehr Planungsgesellschaft mbH & Co. KG, Außenstelle Schleswig-Holstein, Karby (DE) hamann@buero-stadtverkehr.de Sebastian Schulz, M.Sc. Projektmanager, energydesign Co. Ltd, Shanghai (CN) sebastian.schulz@energydesign-asia. com Ihr (neuer) Kontakt zur Redaktion Eberhard Buhl, Redaktionsleitung Telefon: +49 7449 91386.44 E-Mail: eberhard.buhl@trialog.de
