Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0091
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Indiens Maritime Agenda 2020
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Dirk Ruppik
Die indische Regierung will mithilfe der Maritimen Agenda bis 2020 die Hafenkapazität auf 3200 Mio. t erhöhen und die Hafenperformanz auf internationalen Standard bringen. Sechs neue Haupthäfen an der Ost- und Westküste sind geplant. Bis 2020 soll der Marktanteil des Landes am internationalen Schiffbau auf 5 % gesteigert werden.
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Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 30 LOGISTIK Indien Indiens Maritime Agenda 2020 Der Vielvölkerstaat auf dem Subkontinent will internationales Niveau erreichen Infrastruktur, Seehafen, Schiffsverkehr, Transshipment Hub, Containerumschlag Die indische Regierung will mithilfe der Maritimen Agenda bis 2020 die Hafenkapazität auf 3200 Mio. t erhöhen und die Hafenperformanz auf internationalen Standard bringen. Sechs neue Haupthäfen an der Ost- und Westküste sind geplant. Bis 2020 soll der Marktanteil des Landes am internationalen Schiffbau auf 5 % gesteigert werden. Dirk Ruppik I ndien besitzt eine Küstenline von rund 7500 km. Mit 13 Haupthäfen und rund 200 Nebenhäfen steht die Republik auf Platz 16 der Schifffahrtsnationen weltweit. Die Bedeutung des Bereichs für die Wirtschaft des Landes wird deutlich, wenn man bedenkt, dass laut Schifffahrtsministerium 95 % des Handelsvolumens Indiens (70 % des Handelswertes) auf dem Seeweg transportiert werden. Insgesamt werden und wurden während des 12. Fünfjahresplans (2012 bis 2017) rund 24 Mrd. EUR (ca. 180 Mrd. indische Rupien, INR) in den Hafenbereich fließen. Als Haupthäfen gelten • Chennai, Ennore und Tuticorn (Bundesstaat Tamil Nadu), • Cochin (Kerala), • Kandla (Gujarat), • Kalkutta (Westbengalen), • die Häfen Mumbai und Jawaharlal Nehru Port Trust (Maharashtra), • Mormugao (Goa), • New Mangalore (Karnataka), • Paradip (Orissa), • Vishakhapatnam (Andhra Pradesh) sowie • Port Blair (Andamanen und Nikobaren). Etwa 75 % des gesamten Frachtvolumens werden über diese Häfen gehandelt. Infrastruktur ist Indiens Achillesferse In Bezug auf die Infrastruktur ist China der Republik Indien Jahrzehnte voraus. Indien ist ebenso wie das Land der Mitte ein relativ inhomogen entwickeltes Land (Bild 1). Neben Regionen wie Bangalore und New Dehli, wo sich Hightech und Infrastruktur konzentrieren, existieren auch sehr unterentwickelte Regionen wie der bevölkerungsreichste Staat in Nordindien, Uttar Pradesh (200 Mio. Einwohner). Im Rahmen eines noch unter dem alten Ministerpräsidenten Manmohan Singh im Juni 2012 ausgerufenen Infrastrukturinvestmentprogramms (12. FJP) sollen eine Billion USD (rund 800 Mrd. EUR) in den Bau zweier Häfen in Dugarajapatnam (Andrah Pradesh) und Sagar (Westbengalen), drei Flughäfen in Kerala, Goa und am Stadtrand von Mumbai sowie in Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 18 000 MW bis Ende 2017 investiert werden. Zudem ist geplant, das Straßennetzwerk um 9500 km zu erweitern und einen „Eisenbahnkorridor“ zu bauen. Die Ausweitung bestehender Häfen, Flughäfen, des Eisenbahnnetzwerkes und der Kohleproduktion gehören ebenfalls zum Programm. Die Hälfte der Investitionssumme soll der Privatsektor beisteuern. Maritime Programme Die indische Regierung unternimmt große Anstrengungen, um den maritimen Sektor des Landes zu überholen und auf den neusten Stand zu bringen. Von 2005 bis 2012 wurden im Rahmen des National Maritime Development Programme (NMDP) 276 Projekte im Wert von rund 12 Mrd. USD (10,5 Mrd. EUR) identifiziert, mit denen Liegeplätze überholt oder neu geschaffen, Schifffahrtskanäle vertieft, die Anbindung von Häfen an das Straßen- und Schienennetz verbessert und die Ausrüstungen in ausgewählten Häfen erneuert wurden. Im Januar 2011 ersetzte die Regierung das NMDP mit der umfassenderen Maritime Agenda 2010-2020, mit der in erster Linie die Hafenkapazität bis 2020 auf 3200 Mio. t erhöht und die Hafenperformanz auf internationalen Standard gebracht werden. Weiterhin ist geplant, die Küstenseeschifffahrt auszuweiten und störungsfreien multimodalen Transport zu gewährleisten. Sechs neue Haupthäfen an der Ost- und Westküste sollen entstehen. An der Ostbzw. Westküste sollen Mumbai (JNPT), Kochi, Chennai und Visakhapatnam zu sogenannten Hub-Häfen entwickelt werden. Hafenbecken und Liegeplatztiefe sollen für Hub-Häfen nicht unter 17 m und für Haupthäfen nicht unter 14 m liegen. Der Schiffbauindustrie soll der „Infrastruktur-Status“ gewährt und damit die Förderungsoptionen verbessert werden. Der Anteil Indiens am internationalen Schiffbau soll auf 5 % gesteigert werden. In diesem Rahmen ist geplant, die Cochin Shipyard auszubauen. Durch die Agenda werden insgesamt 2780 Mrd. INR (rund 38 Mrd. EUR) in den Schifffahrtssektor fließen. Der Privatsektor wird einen großen Anteil an der Finanzierung erhalten. Rund 40 % des Investments sind den Haupthäfen angedacht. Gewaltiger Ausbau der Umschlagskapazität und Steigerung der Effizienz Um mit dem Wachstum des Landes mithalten zu können, muss die indische Regierung bzw. Wirtschaft gemäß der Maritimen Agenda bis 2020 eine zusätzliche Hafenkapazität von 3200 Mio. t schaffen, um 2500 Mio. t Fracht umzuschlagen zu können. Grundsätzlich muss die Leistung des Hafensystems gesteigert werden. Im Rahmen des ehrgeizigen Sagarmala-Projekts ist laut der indischen News- und Media-Webseite „Firstpost“ geplant, sechs weitere Haupthäfen zu bauen. Im National Perspective Plan (NPP) werden der Hafen Sagar in Westbengalen, Paradip Outer Habour in Odisha, Enayam in Tamil Nadu, Vadhavan in Maharashtra, Machilipatinam oder Vodarevu in Andrah Pradesh sowie Cuddalore oder Shikazhi in Tamil Nadu genannt. Die detail- Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 31 Indien LOGISTIK lierten Hafenpläne werden noch erstellt. Vadhavan handelt im Augenblick 40 % des gesamten Containeraufkommens des Landes. Momentan werden 4,16 Mio. t Fracht jährlich umgeschlagen, im neuen Hafen sollen es 40 bis 60 Mio. t sein. Das Paradip Outer Habour Project wird den Küstentransport von Kohle für Kraftwerke in Süd- und Westindien ermöglichen. Der neue Hafen wird eine Kapazität von 175,5 Mio. t pro Jahr besitzen. Der geplante Hafen Sagar soll als Unterstützung der Häfen Kalkutta und Haldia dienen. Die erste Phase wird acht Liegeplätze mit einer Tiefe von 15 m umfassen. Laut dem Vorsitzenden des Kolkata Port Trust, R. P. S. Kahlon, wird er nach Vollendung der zweiten Phase mit ebenfalls acht Liegeplätzen 50 Mio. t Schüttgut und Containerfracht handeln können. Enayam in Tamil Nadu soll zum internationalen Transshipment Hub ausgebaut werden und Fracht für Indien, die momentan über Singapur, Malaysia und Sri Lanka verschifft wird (15 % des indischen Gesamtumschlags), anziehen. Weiterhin können durch den Hafen fünf bis sechs Tage Überfahrtzeit nach Afrika, in die EU und in den Nahen Osten gespart werden. Ein weiteres Ziel ist, Frachtströme von Bangladesh und Myanmar in die EU, Afrika und die USA anzuzapfen. Die beiden anderen vorgeschlagenen Häfen in Andrah Pradesh und Tamil Nadu werden dem Kohle- und Zementumschlag dienen. Ob der geplante Hafen in Durgarajapatnam jemals gebaut wird, ist noch nicht geklärt, da Bedenken in Bezug auf seine Wirtschaftlichkeit bestehen. Die Häfen Krishnapatnam und Chennai befinden sich in unmittelbarer Nähe. Die neuen Häfen sollen die gesammte Frachthandlingskapazität um 466 t jährlich erhöhen. Weitere 980 Mio. t Kapazität sollen durch die Erweiterung der anderen Haupt- und Nebenhäfen bis 2025 dazukommen. Weiterhin arbeitet Indien an der Umsetzung des Sethusamudram-Kanals, einer Wasserstraße durch den als Adamsbrücke bezeichneten Riffbogen zwischen Indien und Sri Lanka, die den Seeweg zu indischen Häfen verkürzen und Kosten senken soll (Bild 2). Indischer Schiffbau soll größeren Marktanteil erhalten Laut der Maritimen Agenda existieren in Indien 27 Schiffswerften, davon acht staatliche und 19 in privater Hand. Bisher können in der Republik nur Schiffe bis 110 000 t Leergewicht gebaut werden, was im internationalen Vergleich eher gering ist. Die indischen Werften können bisher mit wichtigen Schiffsbauländern wie China (Marktanteil 37 %) und Südkorea (Marktanteil 35 %) nicht mithalten und werden meist durch chinesische Werften überboten. Als wesentliche Mangelbereiche wurden der Fertigungsbereich, die Technologie, die Ressourcen und die Ausbildung erkannt. Ein weiteres Problem ist die fehlende staatliche Subventionierung. Dennoch formuliert die Regierung ihre Vision für 2020: „Indien wird in 2020 eine gut entwickelte Schiffsbau- und Schiffsreparatur-Industrie auf internationalem Niveau besitzen, die autark Handelsschiffe bauen und reparieren kann. Der Bereich wird große Investitionen anziehen und vielversprechende Arbeitsmöglichkeiten bieten.“ Bis dahin soll der eigene Marktanteil bei 5 % liegen. Besonders bei Reparaturen will Indien aufsteigen und wichtige Reparatur- Hubs wie Colombo, Dubai, Singapur und Bahrain überholen. Der eigene Marktanteil soll hier bei 10 % bis 2020 liegen. Weiterhin ist geplant, die Kompetenz bei Forschung und Entwicklung sowie Konstruktion zu auszubauen. In 2016 wurde gemäß Marine Link ein Förderprogramm der Regierung für die nächsten zehn Jahre ins Leben gerufen. Der Gesamtwert beträgt 40 Mrd. INR (ca. 544 Mio. EUR). Dabei sollen indische Schiffswerften zunächst 20 % des Vertragspreises bzw. des reellen Marktpreises für jedes zu bauende Schiff als Förderung erhalten. Danach wird die Förderung alle drei Jahre um 3 % gesenkt, bis dann 2026 11 % erreicht werden. Die Regierung will Schiffe ab 2025 nur noch von indischen Schiffswerften kaufen. ■ Dirk Ruppik Asien-Korrespondent und freier Fachjournalist, Thailand dirk.ruppik@gmx.de Bild 1: Bevölkerungsdichte in den Bundesstaaten Indiens Grafik: Wikimedia Bild 2: Der Sethusamudram Shipping Canal (blaue Linie) soll Schifffahrtswege deutlich verkürzen. Quelle: Wikitravel
