Internationales Verkehrswesen
iv
0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2017-0095
111
2017
694
Einflussfaktoren auf Check-in-Wartezeiten am Beispiel des Flughafens Hamburg
111
2017
Peter Bießlich
Björn Schwetge
Klaus Lütjens
Volker Gollnick
Passagiere empfinden Wartezeiten während ihrer Reise als verlorene Zeit. Auf Flugreisen treten Wartezeiten jedoch häufig an verschiedenen Prozessstellen innerhalb eines Flughafens auf und können Unzufriedenheit oder sogar Stress auslösen. Am Beispiel des Flughafens Hamburg werden Einflussfaktoren analysiert, die speziell beim Check-in zu zeitlichen Prozessverzögerungen führen. Auf Basis der Ergebnisse einer Beobachtungsstudie werden Empfehlungen aufgezeigt, wie einerseits Wartezeiten und anderseits Konfusion und Stress unter den Passagieren am Check-in vermieden werden können.
iv6940044
Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 44 MOBILITÄT Wissenschaft Einflussfaktoren auf Check-in-Wartezeiten am Beispiel des Flughafens Hamburg Flughafen, Check-in, Warte- und Servicezeiten, Stress Passagiere empfinden Wartezeiten während ihrer Reise als verlorene Zeit. Auf Flugreisen treten Wartezeiten jedoch häufig an verschiedenen Prozessstellen innerhalb eines Flughafens auf und können Unzufriedenheit oder sogar Stress auslösen. Am Beispiel des Flughafens Hamburg werden Einflussfaktoren analysiert, die speziell beim Check-in zu zeitlichen Prozessverzögerungen führen. Auf Basis der Ergebnisse einer Beobachtungsstudie werden Empfehlungen aufgezeigt, wie einerseits Wartezeiten und anderseits Konfusion und Stress unter den Passagieren am Check-in vermieden werden können. Peter Bießlich, Björn Schwetge, Klaus Lütjens, Volker Gollnick W arten ist ein alltägliches Phänomen und tritt auf, wenn die Nachfrage nach einem Service das Angebot überschreitet. Gründe hierfür können u.a. eine Knappheit an Serviceschaltern oder ein zu geringes Platzangebot für die Ausführung des Service sein [1]. In Zusammenarbeit mit dem Flughafen Hamburg wurde eine mehrtägige Beobachtungsstudie durchgeführt, die einerseits die Messung von Warte- und Servicezeiten am Check-in-Schalter beinhaltet und andererseits die Gründe hinterfragt, warum sich Passagiere schon frühzeitig am Check-in-Schalter anstellen, obwohl dieser noch nicht geöffnet hat. Ein Fokus liegt auf der Disponierung der Check-in-Schalter durch die Fluggesellschaften, d.h. dem Zeitpunkt der Öffnung und die Anzahl der Schalter. Die Ergebnisse diese Studie tragen zum Projekt PASSME - Personalized Airport System for Seamless Mobility and Experience 1 - bei, das durch die Europäische Union gefördert wird. Die Ziele von PASSME sind die Reduzierung unerwünschter Prozesszeiten innerhalb des Flughafens um 60 Minuten, die Bereitstellung von Echtzeitinformationen für Passagiere über die zukünftige Nachfrage an Flughafenprozessstellen und die Entwicklung von passagierorientierten Lösungen, die den Flughafenaufenthalt angenehmer machen. Um diese Ziele zu erreichen, müssen Flughafeninfrastrukturen und -prozesse prognostizierbar, anpassbar, verlässlich und effizient sein. PASSME konzentriert sich auf vier Ansätze, die voraussichtlich an den Flughäfen Amsterdam Schiphol oder Hamburg implementiert und bewertet werden. Der erste Ansatz ist ein System zum Leiten von Passagierflüssen, das auf Echtzeitdaten von Flughafensensoren und den persönlichen Endgeräten der Passagiere zurückgreift. Somit können Prognosen von Passagierflüssen, Wegezeiten und Wartezeiten bereitgestellt werden. Ein weiterer Ansatz befasst sich mit der Entkopplung der Reisewege von Passagieren und deren Gepäck. Dritter Ansatz von PASSME ist die Umgestaltung von Prozessen und Anlagen bei Flughäfen und Fluggesellschaften, insbesondere am Gate und beim Boarding. Eine Anwendung (App) für Smartphones oder andere persönliche Endgeräte ist der vierte Ansatz. Diese versorgt die Passagiere mit personalisierten Informationen, vor allem zur Wegfindung und -führung, so dass das Vertrauen der Passgiere steigt und Stress reduziert wird. Weiterhin können Informationen zwischen Passagier und Flughafen ausgetauscht werden, um „informierte“ Entscheidungen zu treffen. Theoretischer Hintergrund Die Erforschung der sogenannten Warteschlangentheorie geht auf den Beginn des 20. Jahrhunderts zurück, als Überlastungen im Telefonverkehr aufkamen. 1909 veröffentlichte erstmals der dänische Mathematiker A. K. Erlang „The Theory of Probabilities and Telephone Conversations“ [2]. Später setzten E. C. Molina [3] und T. C. Fry [4] Erlangs Arbeit auf diesem Gebiet fort. In den späten 1950er und frühen 1960er Jahren schritten die Arbeiten zur Warteschlangentheorie schnell voran. Einen PEER REVIEW - BEGUTACHTET Eingereicht: 17.08.2017 Endfassung: 29.09.2017 Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 45 Wissenschaft MOBILITÄT guten Überblick hierzu bietet T. L. Saaty [5]. Seitdem gibt es zahlreiche Anwendungen dieser Theorie in den Gebieten der Wahrscheinlichkeitstheorie (z. B. [6]), des Operations Research [7, 8], der Management Dienstleistungen [9] und des Verkehrswesens [10]. Wartzeiten an Flughäfen können zum Verpassen des Fluges führen, was Kosten für Passagiere und Fluggesellschaften verursacht. Dabei beeinflussen alle Prozessbeteiligten, auch die Passagiere, durch ihr individuelles Verhalten die Dauer von Wartezeiten. Prager et al. [11] bewerteten die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen von geringeren Wartezeiten an der Passkontrolle der vier verkehrsreichsten Flughäfen der USA. Den Ergebnissen der Studie folgend, sind ein Anstieg des BIP um 81,5 bis 260,7 Mio. USD und die Generierung von 651 bis 2152 neuen Jobs möglich. Neben diesen Effekten zeigen Rose et al. [12] in ihrer Studie, dass eine Veränderung der Wartzeiten zu einer signifikanten Veränderung der Nachfrage führen kann. Weiterhin sind Ansätze zur Modellierung und Simulation des Passagierverhaltens innerhalb von Flughafenterminals Gegenstand der Forschung [13, 14]. Dieser Artikel trägt zur Quantifizierung von Warte- und Servicezeitenzeiten am Flughafen bei und zeigt auf, durch welche äußeren Einflusse und individuellen Verhaltensweisen diese verstärkt werden. Beobachtungsstudie am Flughafen Hamburg Der Flughafen Hamburg ist der fünftgrößte Flughafen Deutschlands und fertigte im Jahr 2016 16,2 Mio. Passagiere und 145 000 Flugbewegungen ab, was durchschnittlich 111 Passagieren pro Flug entspricht [15]. Die beiden Terminals sind über die sogenannte Plaza verbunden, wo die zentrale Sicherheitskontrolle verortet ist. Von dort gelangen die Passagiere über die Pier zu den Abfluggates (siehe Bild 1). Die durchgeführte Beobachtungsstudie (02.02.- 03.03.2017) bestand aus zwei Phasen, wobei eine Verknüpfung von Elementen der persönlichen Befragung sowie der qualitativen und quantitativen Beobachtung erfolgte. Der Prozess begann 30 bis 60 min vor Öffnung des ersten Check-in-Schalters im Beobachtungsfeld und der Fokus lag zunächst auf den Passagieren, die sich bereits anstellten, ehe die Schalter öffneten. Da durch reines Beobachten nicht festgestellt werden konnte, wo deren Beweggründe lagen, wurde eine Kurzbefragung konzipiert. Ab Öffnung des ersten Schalters begann der Beobachtungsprozess, welcher sich durch bestimmte Kriterien charakterisieren lässt. Unsere Studie lief nicht teilnehmend, verdeckt, teilstandardisiert, im Feld und als Fremdbeobachtung ab (vgl. [17, 18]). Insgesamt wurden 27 Check-in-Vorgänge an verschiedenen Wochentagen und verschiedener Fluggesellschaften beobachtet, die in 79 Kurzbefragungen mit wartenden Passagieren und 300 Beobachtungen von Warte- und Servicezeiten mündeten. Ergebnisse der Kurzbefragung Für die Kurzbefragung konnten bis zu sieben Passagiere je Check-in-Vorgang befragt werden. Jedoch trat ein vorheriges Anstellen nicht bei allen Vorgängen ein. Beim Common Check-in einiger Fluggesellschaften lag dieser Zustand oftmals nur in den sehr frühen Morgenstunden vor. Aber nicht alle Fluggesellschaften, die für ihre Flüge Common Check-in anboten, öffneten ihre Schalter durchgängig. Über den Tag gesehen, wurden alle Schalter immer wieder geschlossen, z. B. bei Ryanair und easyJet. Alle Befragten gaben an aus privaten Gründen zu reisen. Die Antwortmöglichkeiten wurden komplett offen gestaltet, so dass aus den gegebenen Antworten sechs Cluster abgeleitet wurden: 1) Visuelle Beeinflussung: Fluggäste lassen sich durch visuelle Einflussfaktoren zum frühzeitigen Anstellen in der Warteschlange verleiten. Zu diesen gehören die Schalteranzeigen, das Erscheinen von Personal am Schalter oder das vorzeitige Anstellen anderer Fluggäste. 2) Erfahrungswerte der Passagiere: Aufgrund bisheriger Erfahrungen bei Flugreisen entscheiden sich die Fluggäste, mit zeitlicher Vorlaufzeit beim Check-in einzutreffen. 3) Zeitige Gepäckaufgabe: Die frühzeitige Aufgabe des Gepäcks ist Anreiz für ein frühzeitiges Anstellen um im Flugreiseprozess entspannter weiter zu verfahren. 4) Vermeidung von Zeitdruck: Frühzeitiges Anstellen geht einher mit der Planung von Zeitpuffern um zeitlichen Druck während des Check-in und anschließender Prozessschritte zu vermeiden. 5) Anreiseweg zum Flughafen: Für viele Fluggäste beginnt der Reiseprozess mit anderen Verkehrsmitteln. Zur Sicherheit wird dieser Vorlauf mit zeitlichem Puffer geplant, was bei einem Verlauf ohne Verzögerungen für ein frühzeitiges Erscheinen am Check-in sorgt. 6) Sonstige Gründe: Zu diesen gehören Flugumbuchungen, Probleme beim Online Check-in, Sitzplatzreservierungen, Zeit zur Verabschiedung nach dem Checkin und fehlende Flugerfahrung. Bild 1: Terminalinfrastrukturen am Flughafen Hamburg [16] 3 6 14 7 15 7 17 5 15 4 10 3 0 2 4 6 8 10 12 14 16 18 Visuelle Beeinflussung Erfahrungswerte der Passagiere Zeitige Gepäckaufgabe Vermeidung von Zeitdruck Anreiseweg zum Flughafen Sonstige Gründe Anzahl der Nennungen Gründe für frühzeitiges Anstellen Bild 2: Beweggründe für frühzeitiges Anstellen am Check-in von Passagieren mit Wissen (rote Balken, n = 52) / ohne Wissen (blaue Balken, n = 54) über die Öffnungszeiten Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 46 MOBILITÄT Wissenschaft Bild 2 zeigt die Häufigkeitsverteilung über alle Beweggründe. Da einige Passagiere mehrere Gründe angaben, ergeben sich insgesamt 106 Nennungen. Zusätzlich ist aufgezeigt, ob die Passagiere die Öffnungszeiten ihrer Schalter kannten (rote Balken) oder nicht (blaue Balken). Das Interesse an der frühzeitigen Aufgabe des Gepäcks (n = 29) wurde durch die Befragten am häufigsten genannt, um im Anschluss daran die Retail-Geschäfte des Flughafens (Restaurants, Cafés, Shops) ohne Gepäck bequemer besuchen zu können. Der Anreiseweg zum Flughafen (n = 25) wird ebenfalls häufig genannt. Freie Zeitfenster entstehen aufgrund der Einplanung möglicher Verzögerungen (z. B. Stau, Zugverspätungen), die aber nicht immer auftreten. Diese beiden Beweggründe sind aus Sicht der Passagiere nachvollziehbar, lassen sich jedoch kaum steuern und damit vermeiden. Am dritthäufigsten wurde von den Befragten eine visuelle Beeinflussung (n = 20) genannt. Hierbei ist von besonderem Interesse, dass vor allem uninformierte Passagiere auf visuelle Stimuli reagieren. Grundsätzlich ist es überraschend, dass knapp die Hälfte der Befragten nicht die Öffnungszeiten ihres Check-in kennen. Ob dies auf mangelndes Interesse der Passagiere oder schlechtes Informationsmanagement der Fluggesellschaften zurückzuführen ist, kann aber nicht nachvollzogen werden. Ergebnisse der Warte- und Servicezeitenmessung Im Anschluss an die Kurzbefragung wurden Warte- und Servicezeiten erfasst. Die Ergebnisse zeigen Tabelle 1 und Bild 3, wobei nur Economy Class-Schalter betrachtet werden. Bei First- und Business Class-Schaltern treten i. d. R. keine Wartezeiten auf. Die Ergebnisse unterstreichen eine starke Volatilität des Check-in-Prozesses. Einerseits warten knapp 50 % Passagiere gar nicht oder weniger als 5 min. Anderseits stehen 8 % der Passagiere 30 min oder mehr an. Die längste gemessene Wartezeit betrug mehr als eine Stunde. Über alle Beobachtungen ergibt sich eine durchschnittliche Wartezeit von 9: 54 min mit einer Standardabweichung von 13: 02 min. Weiterhin ist ein Unterschied zwischen den Check-in-Verfahren zu erkennen. Passagiere mit Flight Check-in warten im Durchschnitt fast doppelt so lange wie Passagiere mit Common Check-in (12: 15 min vs. 6: 12 min, siehe Tabelle 1). Bei den Servicezeiten ist der Unterschied geringer. Der Flight Check-in dauert im Mittel 2: 58 min und der Common Check-in 2: 00 min. Über alle Beobachtungen ergibt sich eine durchschnittliche Servicezeit von 2: 36 min. Ein Check-in-Vorgang kann aber mehrere Passagiere umfassen, so dass die Servicezeit pro Passagier im Mittel 1: 24 min beträgt. Servicezeiten von mehr als 5 min wurden bei ca. 10 % der Beobachtungen festgestellt und durch Diskussionen über Sperrgepäck oder Pass-/ Visaangelegenheiten verursacht. Einflussfaktoren auf Wartezeiten Ein großer Einflussfaktor auf Wartezeiten ist das systembedingte Einblenden des Schriftzuges „Schalter wird geöffnet“ auf den Schalteranzeigen 30 min vor Öffnung. Dies verleitet speziell uninformierte Passagiere und Wenigflieger (vgl. Bild 2), sich unverzüglich anzustellen, obwohl noch genügend Zeit bis zum Beginn des Prozesses verbleibt. Verstärkt wird diese Reaktion durch den natürlichen „Herdentrieb“ des Menschen: Wenn ein Passagier sich anstellt, reihen sich weitere automatisch ein. Die Pünktlichkeit der Schalteröffnung ist ein weiterer Einflussfaktor. Neun von 27 beobachteten Prozessen starteten verspätet, u. a. ausgelöst durch Verzögerungen beim vorausgehenden Prozess desselben Mitarbeiters. Auch wenn die Verspätungen mit fünf bis 15 min marginal ausfielen, haben sie dennoch großen Einfluss auf die Wartezeiten. Bild 4 zeigt die mittlere Wartezeit in Abhängigkeit von der Zeit des Eintreffens nach Schalteröffnung. Passagiere, die innerhalb von 30 min nach der Öffnung eintreffen, warten fast doppelt so lang wie später eintreffende Passagiere. Folglich verstärkt eine verspätete Schalteröffnung die Schlangenbildung. Die längsten Wartezeiten treten v.a. beim Check-in von Low Cost (LCC) und Charter-Fluggesellschaften auf, wie z. B. bei easyJet, Norwegian und Pegasus Airlines (siehe Tabellen 2 und 3). Durchschnittlich belaufen sich die Wartezeiten beim Flight Check-in auf 21: 01 min und beim Common Check-in auf 11: 37 min. Bei den verblei- Charakteristik Wartezeit [min] Servicezeit [min] Mittelwert (alle Beobachtungen) 9: 54 (±13: 02) 2: 36 (±2: 20) Mittelwert der Flight Check-in (Check-in für eine Flugnummer) 12: 15 (±14: 55) 2: 58 (±2: 37) Mittelwert der Common Check-in (Check-in für mehrere Flugnummern) 6: 12 (±8: 02) 2: 00 (±1: 37) Mittelwert pro Passagier - 1: 24 Tabelle 1: Mittelwerte (in Klammern: Standardabweichung) der Warte- und Servicezeiten (Economy Class) am Check-in 71 76 57 27 22 23 13 11 23,7% 25,3% 19,0% 9,0% 7,3% 7,7% 4,3% 3,7% 0% 5% 10% 15% 20% 25% 30% 0 10 20 30 40 50 60 70 80 0 0 < t 5 5 < t 10 10 < t 15 15 < t 20 20 < t 30 30 < t 45 t 45 Relativer Anteil (Linie) Anzahl der Nennungen (Balken) Wartezeit [min] Bild 3: Beobachtungen der Wartezeiten (Economy Class) am Check-in 14: 44 07: 57 00: 00 05: 00 10: 00 15: 00 20: 00 0 30 > 30 Wartezeit[min] Zeit des Eintreffens nach Öffnung des Check-In [min] Bild 4: Abhängigkeit zwischen Wartezeit und Zeit nach Check-in-Öffnung (Flight Check-in) Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 47 Wissenschaft MOBILITÄT benden Fluggesellschaften (vornehmlich Full Service Network Carrier) sind die Wartezeiten im Mittel deutlich kürzer und betragen nur 7: 06 min (Flight Check-in) bzw. 2: 53 min (Common Check-in). Diese Fluggesellschaften öffnen, meist aus Kostengründen, nur zwei bis drei Schalter, welche teilweise auch nur von Priority-Passagieren (easyJet) genutzt werden können. Im Vergleich dazu öffnet Emirates acht Schalter für einen Flug, wobei zu beachten ist, dass das eingesetzte Flug zeug (Boeing 777) im direkten Vergleich mit den oben genannten Flügen deutlich größer ist. Jedoch verzeichnet auch die Netzwerkfluggesellschaft Turkish Airlines überdurchschnittliche Wartezeiten, obwohl insgesamt fünf- Schalter geöffnet werden. Ein Grund hierfür ist die Öffnungsstrategie. Der erste Schalter öffnet 3 h vor der geplanten Abflugzeit. Obwohl diese Strategie sehr proaktiv erscheint, bewirkt sie eher einen nachteiligen Effekt. Wenn viele Passagiere diese Strategie kennen, treffen sie eher ein. Da der nachfolgende Schalter erst 40 bis 50 min später öffnet, entstehen vermehrt Wartezeiten zu Beginn des Prozesses. Die Strategie zunächst nur einen Schalter zu öffnen, konnte auch bei den Flügen PC384 und D86501 beobachtet werden. Zusammenfassung und Empfehlungen Die Studie zeigt, dass sich die Wartezeiten am Check-in in Hamburg im Mittel bei 9: 54 min bewegen und knapp 50 % der Passagiere gar nicht oder weniger als 5 min anstehen. Jedoch ist gleichzeitig eine große Volatilität zu beobachten und es treten teilweise längere Wartezeiten von mehr als 30 min auf. Die Gründe, die während der Studie beobachtet werden konnten, sind vor allem visuelle Einflüsse des Flughafensystems (Schalteranzeigen), das verspätete Öffnen der Schalter und die Öffnungsstrategie der Schalter. Des Weiteren ist ein Unterschied zwischen den verschiedenen Verfahren ersichtlich. Common Check-in sind sowohl bei Warteals auch Servicezeiten schneller als Flight Check-in, auch dadurch bedingt, dass Flight Check-in mehrheitlich von Low Cost- und Charter-Fluggesellschaften angeboten werden. Wartezeiten an den einzelnen Prozessstellen sind nicht im Sinne des Flughafens, da ein schlechter Service mit dem Flughafen assoziiert werden kann, auch wenn über die Ressourcenbereitstellung und damit die Prozessqualität die Fluggesellschaften entscheiden. Der Flughafenbetreiber hat nur marginal Einfluss auf die Check-in- Prozesse der Fluggesellschaften, da dieser nur die Infrastruktur zur Verfügung stellt und die Fluggesellschaften entscheiden, wie viele Schalter wann geöffnet werden. Dennoch können folgende Maßnahmen die Qualität des Service, den die Passagiere wahrnehmen, verbessern und ebenso Wartezeiten reduzieren. Die Beobachtungen haben verdeutlicht, dass Abgrenzungen des Wartebereichs Einfluss auf den Check-in- Prozess haben. Wenn keine Abgrenzungen vorhanden sind, gibt es zwischen den Passagieren oft Diskussionen und Stress. Insbesondere bei der Öffnung eines neuen Schalters entsteht eine Eigendynamik unter den wartenden Passagieren. Auch wenn Abgrenzungen nicht direkt die Wartezeiten reduzieren, dienen sie als Orientierungspunkte für eine bessere Ablaufstrukturierung und reduzieren das Konfusions- und Stresslevel. Weiterhin wurde ein positiver Effekt beobachtet, wenn ein zusätzlicher Mitarbeiter die eintreffenden Passagiere einweist oder bei Fragen zur Bordkarte bzw. zu Pass-/ Visaangelegenheiten Hilfestellung gibt. Außerdem könnte der Flughafen die Öffnung einer minimalen Anzahl an Schaltern für alle Flüge vorschreiben, um einen gewissen Servicelevel an allen Prozessstellen sicherzustellen. Dies sollte natürlich in Abhängigkeit von der Größe des eingesetzten Flugzeugs, der Anzahl der verkauften Sitzplätze (Reiseklasse mit/ ohne Freigepäck) sowie dem Anteil der schon online eingecheckten Passagiere geschehen. Eine solche Vereinbarung würde die Redundanz zwischen den Schaltern erhöhen und ein technischer Defekt eines Schalters oder Probleme beim Service einzelner Passagiere würden nicht zu außergewöhnlich langen Wartezeiten führen. Die Öffnungsstrategie steht in engem Verhältnis mit diesem Punkt. Anstatt erst einen Schalter zu öffnen und später weitere, wäre die umgekehrte Strategie die bessere. D. h. es könnte eine Regel eingeführt werden, dass zunächst mindestens zwei Schalter öffnen und zu einem späteren Zeitpunkt einer wieder geschlossen werden kann. Jedoch muss bei diesem Vorgehen sichergestellt werden, dass keine Passagiere vor dem schließenden Schalter anstehen. Vor allem mit direktem Bezug zum Flughafen Hamburg sollte über eine Reduzierung der Vorlaufzeit des Anschaltens der Schalteranzeigen nachgedacht werden, um unnötiger Schlangenbildung vorzubeugen. Angesichts der Erkenntnis, dass knapp 50 % der Passagiere die Öffnungszeiten ihres Check-in nicht kennen, Flugnummer Airline Durchschnittliche Wartezeit [min] Durchschnittliche Servicezeit [min] LX1057 Swiss 00: 02 01: 14 SK1648 SAS 00: 05 03: 24 […] […] […] […] XQ171 SunExpress 09: 42 01: 55 BT254 Air Baltic 11: 13 01: 17 VY1821 Vueling Airlines 12: 58 01: 53 EZY3465 easyJet 15: 34 01: 41 EZY3463 easyJet 17: 41 01: 16 D86501 Norwegian 23: 53 02: 00 TK1662 Turkish Airlines 24: 06 03: 34 PC384(2) Pegasus Airlines 24: 52 03: 34 PC384 Pegasus Airlines 56: 04 04: 15 Tabelle 2: Durchschnittliche Warte- und Servicezeiten am Check-in für ausgewählte Flüge. Charakteristik Wartezeit [min] Servicezeit [min] LCC/ Charter Andere LCC/ Charter Andere Mittelwert der Flight Check-in (Check-in für eine Flugnummer) 21: 01 (±19: 26) 7: 06 (±7: 52) 2: 37 (±1: 50) 3: 13 (±3: 01) Mittelwert der Common Check-in (Check-in für mehrere Flugnummern) 11: 37 (±9: 23) 2: 53 (±4: 40) 1: 53 (±1: 20) 2: 02 (±1: 47) Tabelle 3: Mittelwerte (in Klammern: Standardabweichung) der Warte- und Servicezeiten (Economy Class) am Check-in nach Typen von Fluggesellschaften. Internationales Verkehrswesen (69) 4 | 2017 48 MOBILITÄT Wissenschaft sollte ebenfalls über ein gezielteres Informationsmanagement seitens der Fluggesellschaften nachgedacht werden. ■ Die Autoren bedanken sich beim Flughafen Hamburg, speziell bei Frau Kathrin Beyer, für ihre professionelle Unterstützung und der Bereitstellung von Daten für diese Arbeit. Das PASSME Projekt hat eine Förderung durch das Forschungs- und Innovationsprogramm Horizon 2020 der Europäischen Union unter dem Förderkennzeichen 636308 erhalten. Die Ansichten in diesem Artikel reflektieren die Sicht der Autoren und in keiner Weise die Ansichten der Europäischen Komission. Die Europäische Komission ist nicht verantwortlich für die Verwendung der enthaltenen Informationen. 1 Weitere Informationen unter: www.passme.eu. 2 Anmerkung: Bei diesem Prozess kam es zum Zusammmenspiel vieler Faktoren. U. a. gab es technische Probleme mit einem der Schalter. LITERATUR [1] Gross, D., Shortle, J.F., Thompson, J.M. und Harris, C.M.: Fundamentals of Queueing Theory. 4th Edition. Hoboken: Wiley, 2013. ISBN 978-0-471-79127-0. [2] Erlang, A.K.: The Theory of Probabilities and Telephone Conversations. Nyt Tidsskrift for Matematik B., 1909, 20(B), 33-39. [3] Molina, E.C.: Application of the Theory of Probability to Telephone Trunking Problems [online]. Bell System Technical Journal, 1927, 6(3), 461-494. ISSN 00058580. Verfügbar unter: doi: 10.1002/ j.1538-7305.1927.tb00204.x [4] Fry, T.C.: Probability and Its Engineering Uses: Macmillan, 1928. The Bell Telephone Laboratories series. [5] Saaty, T.L.: Seven more years of queues. A lament and a bibliography [online]. Naval Research Logistics Quarterly, 1966, 13(4), 447-476. ISSN 00281441. Verfügbar unter: doi: 10.1002/ nav.3800130407 [6] Bramson, M.: A stable queueing network with unstable fluid model [online]. The Annals of Applied Probability, 1999, 9(3), 818-853. The Annals of Applied Probability. Verfügbar unter: doi: 10.1214/ aoap/ 1029962815 [7] Gordon, W.J. und Newell, G.F.: Closed Queuing Systems with Exponential Servers [online]. Operations Research, 1967, 15(2), 254-265. Operations Research. Verfügbar unter: doi: 10.1287/ opre.15.2.254 [8] Whittle, P.: Applied Probability in Great Britain [online]. Operations Research, 2002, 50(1), 227-239. Operations Research. Verfügbar unter: doi: 10.1287/ opre.50.1.227.17792 [9] Jackson, J.R.: Jobshop-Like Queueing Systems [online]. Management Science, 2004, 50(12_supplement), 1796-1802. ISSN 0025-1909. Verfügbar unter: doi: 10.1287/ mnsc.1040.0268 [10] Kingman, J.F.C. und Atiyah, M.F.: The single server queue in heavy traffic [online]. Mathematical Proceedings of the Cambridge Philosophical Society, 1961, 57(04), 902. ISSN 0305- 0041. Verfügbar unter: doi: 10.1017/ S0305004100036094 [11] Prager, F., Rose, A., Wei, D., Roberts, B. und Baschnagel, C.: Economy-wide impacts of reduced wait times at U.S. international airports [online]. Research in Transportation Business & Management, 2015, 16, 112-120. ISSN 22105395. Verfügbar unter: doi: 10.1016/ j. rtbm.2015.07.004 [12] Rose, A., Avetisyan, M. und Chatterjee, S.: A framework for analyzing the economic tradeoffs between urban commerce and security against terrorism [online]. Risk analysis : an official publication of the Society for Risk Analysis, 2014, 34(8), 1554-1579. ISSN 0272- 4332. Verfügbar unter: doi: 10.1111/ risa.12187 [13] Schultz, M.: Managing Passenger Handling at Airport Terminals. Individual-based Approach for Modeling the Stochastic Passenger Behavior. In: FAA/ EUROCONTROL, Hg. Proceedings of the USA/ FAA Air Traffic Management R&D Seminar, 2011. [14] DLR Luftverkehr und Flughafenwesen: Traffic Oriented Microscopic Simulator (TOMICS) [online], 2009. Verfügbar unter: http: / / www.dlr.de/ fw/ desktopdefault.aspx/ tabid-5980/ 9752_read-19750/ [15] Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen: ADV Monthly Traffic Report 12/ 2016, 12.2016. [16] Flughafen Hamburg GmbH: Lageplan [online], 2017. Verfügbar unter: https: / / www.hamburg-airport.de/ de/ lageplan.php [17] Diekmann, A.: Empirische Sozialforschung. Grundlagen, Methoden, Anwendungen. 10. Auflage, vollständig überarbeitete und erweiterte Neuausgabe August 2007. Reinbek bei Hamburg: rowohlts enzyklopädie im Rowohlt Taschenbuch Verlag, April 2016. rororo rowohlts enzyklopädie. 55678. ISBN 3499556782. [18] Kuß, A., Wildner, R. und Kreis, H.: Marktforschung. Grundlagen der Datenerhebung und Datenanalyse. 5., vollst. überarb. u. erw. Aufl. 2014. Wiesbaden: Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, 2014. ISBN 3658018631. Klaus Lütjens DLR Lufttransportsysteme, Hamburg klaus.luetjens@dlr.de Volker Gollnick, Dr.-Ing. Prof., DLR Lufttransportsysteme, Hamburg volker.gollnick@dlr.de Björn Schwetge Institut für Lufttransportsysteme, TUHH, Hamburg bjoernschwetge@gmail.com Peter Bießlich DLR Lufttransportsysteme, Hamburg peter.biesslich@dlr.de
