Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0003
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Zusätzliche Finanzmittel allein sind keine Problemlösung
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Gerd Aberle
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Gerd Aberle KURZ + KRITISCH Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 11 Zusätzliche Finanzmittel allein sind keine Problemlösung O b in der neuen Legislaturperiode die Verkehrs- und Logistikwirtschaft ihre aus den Sondierungsgesprächen der Parteien begründete Hoffnung auf nachhaltige Verbesserungen der Finanzmittelausstattung für Infrastrukturprojekte und den kapazitätsmäßig ebenfalls weitgehend an seinen Grenzen arbeitenden ÖPNV erfüllt sieht, ist noch nicht in trockenen politischen Tüchern. Unvergessen bleibt die Situation von 2013, als im Koalitionsvertrag entgegen vorherigen Beschlüssen der Fachgruppen erhebliche Kürzungen der finanziellen Zusagen vorgenommen wurden. Dies führte zu beträchtlicher Verärgerung der Verkehrspolitiker: Umverteilung der Mittel zugunsten anderer Sektoren. Das Paket der Erwartungen ist beachtlich. So soll der erfreuliche Investitionshochlauf beibehalten werden und beim ÖPNV eine Aufstockung der GVFG-Mittel des Bundes von 360 Mio. EUR sukzessive bis auf 1 Mrd. EUR jährlich erfolgen. Umgesetzt werden muss der Beschluss aus 2017, die Trassenpreise im Schienengüterverkehr deutlich zu senken; dies wird in den vier Jahren summiert bis zu 1,4 Mrd. EUR erfordern. Und deutlich soll der Bund die Digitalisierung der Bahn im Hinblick auf die weitere Implementierung des ETCS durch Milliarden-Zuschüsse unterstützen, um deren Wettbewerbsfähigkeit zu sichern. Wie teuer dies ist und wie lange es dauert, bis der unternehmerische Nutzen diese Aufwendungen ausgleicht, zeigt das Beispiel der Schweiz mit ihrer netzumfassenden Einführung des ECTS. Dort wird mit 20 Jahren gerechnet, aber die Regierung hat mit hoher Finanzmittelbereitstellung das Großprojekt ermöglicht. Wenn dann berücksichtigt wird, dass - so die Aussagen der Finanzpolitiker - für die neue Legislatur nur rd. 45 Mrd. als freie Zusatzmittel zur Verfügung stehen, um die Sozial-, Bildungs-, Sicherheits- und Umweltpolitiker kämpfen, dann sind die finanzpolitischen Risiken für die Verkehrs- und Logistikwirtschaft durchaus beachtlich. Allerdings lassen sich viele grundlegende Probleme dieses Sektors nicht nur durch die erwünschten Finanzmittelzuflüsse lösen. Völlig unklar ist, wie die Finanzmittel in überschaubaren Zeitabständen in Projekte mit Baurecht umgesetzt werden können. Unabdingbar ist dazu eine wesentliche Verkürzung der Planungs- und Genehmigungsprozesse; dies erfordert neue, aber politisch schwierig durchzusetzende gesetzliche Regelungen. Darüber hinaus sind die öffentlichen Planungs- und Genehmigungskapazitäten wegen des gravierenden Mangels an personeller Ausstattung nicht in der Lage, ausgeweitete Aufgaben zu übernehmen. Die Ursachen dieser Entwicklung, seit Jahren voraussehbar, liegen im Personalabbau der Planungs- und Genehmigungsbehörden und vor allem in der völlig unangemessenen und nicht wettbewerbsfähigen Vergütung des Fachpersonals. So lange sich hier nicht Wesentliches ändert, bleibt die Forderung nach höheren Finanzmittelzuweisungen nur ein Aspekt der Problemlösung. Ähnliches gilt für den aktuellen Personalmangel bei Lokführern, LKW-Fahrern und Paketdiensten. Wenn der Verkehrs- und vor allem der Logistikbereich immer wieder die rote Laterne bei den Vergütungen zugewiesen bekommen und darüber hinaus das Berufsimage der Logistik sich ziemlich im Keller bewegt, so ist das keine neue, sondern leider eine recht alte Situation. Da helfen auch jährliche Logistiktage nichts. Vielleicht führt aber dieser immer bedrohlich wirkende Personalmangel endlich dazu, die bisherigen Geschäftsmodelle zu verändern. Digitalisierung ohne analoge Kapazitäten funktioniert eben nicht, und die kosten Geld - was die Kunden im Online-Handel zu zahlen haben und nicht das Service- Personal. Untersuchungen sprechen davon, dass sich bis 2025 in Deutschland die Zahl der Pakete gegenüber heute fast auf 5 Mrd. verdoppeln wird. Dies aber mit wesentlich höheren Anforderungen an die logistische Qualität wie Sofortlieferung und Tageszustellung und stark ausgeweiteter Lebensmittelpalette, aber auch mit weiterer Überlastung vieler Innenstädte und noch komplexerer Zustellsysteme. Ein Systemkollaps ist auch eines der Zukunftsszenarien. ■ Prof. Gerd Aberle zu Themen der Verkehrsbranche Die finanzpolitischen Risiken für die Verkehrs- und Logistikwirtschaft sind durchaus beachtlich
