Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0004
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2018
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Das Thema Verkehr in den „Jamaika“-Koalitionsgesprächen auf Bundesebene
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2018
Andreas Kossak
Zu den strittigsten Themen der Verhandlungen um die Bildung einer „Jamaika-Koalition“ auf Bundesebene für die Legislaturperiode 2017-2021 gehörte der „Verkehr“. Dabei ging es allerdings im Kern nicht um Verkehr im sachlich adäquaten komplexen Wortsinn, sondern in erster Linie um Automobiltechnik unter dem Aspekt der Umweltverträglichkeit. Die Problematik in diesem Zusammenhang wäre heute nicht auch nur annähernd so brisant, wenn Politik, Industrie und Kommunen den Weg verfolgt hätten, der bereits vor über 40 Jahren als dringend geboten postuliert worden war. Punktuelle „Sofortprogramme“ mögen als Anstöße in die richtige Richtung geeignet sein; nachhaltige Lösungen sind jedoch nur durch ganzheitliche Ansätze mit realistischen Zeithorizonten und wirkungsvollen Kontrollmechanismen zu erreichen.
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POLITIK Verkehrsstrategie Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 12 Das Thema Verkehr in den „Jamaika“-Koalitionsgesprächen auf Bundesebene Straßenverkehr, Alternative Antriebe, Energieverbrauch, Umweltverträglichkeit, Emissionen Zu den strittigsten Themen der Verhandlungen um die Bildung einer „Jamaika-Koalition“ auf Bundesebene für die Legislaturperiode 2017-2021 gehörte der „Verkehr“. Dabei ging es allerdings im Kern nicht um Verkehr im sachlich adäquaten komplexen Wortsinn, sondern in erster Linie um Automobiltechnik unter dem Aspekt der Umweltverträglichkeit. Die Problematik in diesem Zusammenhang wäre heute nicht auch nur annähernd so brisant, wenn Politik, Industrie und Kommunen den Weg verfolgt hätten, der bereits vor über 40 Jahren als dringend geboten postuliert worden war. Punktuelle „Sofortprogramme“ mögen als Anstöße in die richtige Richtung geeignet sein; nachhaltige Lösungen sind jedoch nur durch ganzheitliche Ansätze mit realistischen Zeithorizonten und wirkungsvollen Kontrollmechanismen zu erreichen. Andreas Kossak Z u den brisantesten und strittigsten Themen der Verhandlungen um die Bildung einer „Jamaika- Koalition“ auf Bundesebene für die Legislaturperiode 2017-2021 gehörte der Komplex, der unter dem Schlagwort „Verkehr“ firmierte [1, 2]. Dabei ging es allerdings im Kern nicht um Verkehr im sachlich adäquaten komplexen Wortsinn, sondern in erster Linie um Automobiltechnik unter dem Aspekt der Umweltverträglichkeit. Seit Jahren werden in zahlreichen Deutschen Städten und Regionen die von der EU definierten Grenzwerte noch zulässiger Stickoxyd-Belastungen vor allem in Brennpunkten des Straßenverkehrs immer häufiger und immer drastischer überschritten - ausschlaggebend durch Dieselmotoren [3, 4]. Aufgrund dessen ist mit drastischen Sanktionen von Seiten der EU zu rechnen. Nachdem bereits ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland läuft, ohne dass dem mit dem gebotenen Nachdruck und dem erforderlichen Erfolg entgegengewirkt worden ist, droht die Kommission nun mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof [5]. Dabei handelt es sich bei den Vorgaben der EU durchaus nicht um überzogene oder gar unnötig „komfortable“ Vorschriften, sondern eher um Obergrenzen von gerade noch als akzeptabel einzuordnenden Belastungen der Umwelt. Viel zu selten wird in diesem Zusammenhang herausgestellt, dass in Folge der von durch den Straßenverkehr verursachten Umweltbelastungen mehr als zehnmal so viele Personen sterben, wie durch Unfälle. Da die betreffenden Todesfälle jedoch nicht zeitlich unmittelbar mit einem aktuellen Ereignis in Verbindung gebracht werden können, wird dieser Umstand offenkundig sowohl von der Automobilindustrie als auch von der Politik ignoriert oder wenigstens verdrängt [6]. In den betreffenden Koalitionsverhandlungen hatte die Partei der „Grünen“ erwartungsgemäß die am weitesten gehenden Forderungen vertreten. Sie fordert einen schnellen völligen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor - möglichst bis zum Jahr 2030 [7]. Insbesondere die CSU sieht dadurch jedoch die „individuelle Mobilität der Menschen“ eingeschränkt und „den Industriestandort Deutschland im Bereich der Automobilindustrie“ gefährdet [1]. Von den erklärten Gegnern der Verbrennungsmotoren wurden vor allem die Umstellung auf Elektromobilität und die Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs gefordert. Nachdem das Anfang dieses Jahrzehnts gesetzte politische Ziel von einer Million Elektro-PKW in Deutschland bis zum Jahr 2020 absehbar bei Weitem nicht erreicht wird, soll nun als kurzfristig umsetzbare Maßnahme wenigstens eine Umstellung von Bussen des ÖPNV auf elektrische Antriebe gefördert werden. Die davon zu erwartende Wirkung wäre selbst im besten Fall allerdings nicht einmal der berühmte „Tropfen auf den heißen Stein“. Die seit Jahren diskutierte Einführung von temporären Fahrverboten besonders umweltschädlicher Fahrzeuge in hoch belasteten Zonen war dagegen unter den Parteien nicht konsensfähig und wurde auch von den Kommunen abgelehnt. Als erstes Ergebnis der Verhandlungen hatte „Die Bundesregierung … mit den Kommunen ein Sofortprogramm von einer Milliarde Euro (in 2018) zur Verbesserung der Luftqualität vereinbart. Damit sollen Fahrverbote vermieden werden ...“ Laut Bundeskanzlerin gehe es dabei auch um „moderne Verkehrsführung und Logistik“. Die Wende hin zu umweltfreundlichem Verkehr solle über das Jahr 2018 hinaus mit weiteren Programmen gefördert und verstetigt werden. Das sei dann eine Aufgabe für die neue Regierung [7]. Das betreffende „Programm“ ist alles andere als überzeugend - zumal in Hinblick auf das Label „Verkehr“. Selbst bei der Handhabung des Themas Elektromobilität im Straßenverkehr wird offensichtlich der Tatbestand verdrängt, dass es sich dabei prinzipiell um die Anwendung des „St. Florians-Prinzips“ handelt: „Verschon’ mein Haus, zünd’ andere an“. Inzwischen ist vielfach nachgewiesen, dass die ökologische Gesamtbilanz der Elektroautomobile nicht nur nicht besser, sondern zumindest auf absehbare Zeit sogar noch deutlich schlechter ist, als selbst die der aktuell auf deutschen Straßen fahrenden Fahrzeuge [8] - und das, obschon deren Weiterentwicklung hinsichtlich Energieverbrauch und Umweltverträglichkeit in den vergangenen Jahrzehnten vor allem auch von der deutschen Automobilindustrie nicht nur sträflich vernachlässigt, sondern durch zunehmend ans Tageslicht kommende Manipulationen sogar noch beträchtlich konterkariert worden ist-[9]. Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 13 Verkehrsstrategie POLITIK Ein Blick 45 Jahre zurück Die Problematik in diesem Zusammenhang wäre heute nicht auch nur annähernd so brisant, wenn Politik, Industrie und Kommunen den Weg verfolgt hätten, der bereits vor über 40 Jahren - zunächst primär unter dem Eindruck der Mineralölkrisen - auch politisch als dringend geboten postuliert, dann aber vor dem Hintergrund der Entspannung der Treibstoffverfügbarkeit weitestgehend vernachlässigt worden war. Seit Anfang der 1970er Jahre wurden weltweit intensive Überlegungen angestellt und Untersuchungen durchgeführt hinsichtlich der Weiterentwicklung des Automobil-Verkehrssystems vor dem Hintergrund der zunehmend virulenten negativen Auswirkungen und zu erwartenden Veränderungen der Rahmenbedingungen. Das gilt nicht zuletzt auch für die Bundesrepublik. Die 1970er Jahre Im Jahr 1973 hatte das „Bundesministerium für Forschung und Technologie“ (BMFT) ein „Statusseminar“ zu den Förderungsgebieten „Neuartige Antriebe“ und „Katalysatoren“ veranstaltet. Dessen Ausrichtung lag in den Händen des TÜV Rheinland, aufgrund seiner Funktion als „Projektbegleiter“ der in diesem Zusammenhang geförderten Projekte. Die Beiträge und Diskussionen anlässlich des Seminars wurden noch im selben Jahr vom BMFT in Buchform veröffentlicht. Dessen Titel lautete: „Auf dem Weg zum Auto von morgen“ [10]. Im Vorwort stellte der zuständige Minister Prof. Dr. Horst Ehmke den „unbestreitbaren Vorzügen“ des Kraftfahrzeugs „für den einzelnen Bürger, für unser öffentliches Leben und für unsere Volkswirtschaft“ ausdrücklich auch die „gewichtigen Nachteile“ gegenüber: • „Der Verkehrsraum, besonders in den Städten, wird übermäßig in Anspruch genommen. • Die Belastung der Umwelt nähert sich kritischen Grenzen. • Der Energieverbrauch ist bedenklich hoch. • Die Gefährdung von Leben, Gesundheit und Sachwerten, die heute vom Kraftfahrzeug ausgeht, hat fast untragbare Ausmaße angenommen.“ In den anschließend dokumentierten „Grundsätzen des BMFT für die Förderung und Forschung und Entwicklungsvorhaben …“ heißt es zum Komplex „Kraftfahrzeugantriebe“ einleitend: „Die heute fast ausschließlich mit Verbrennungsmotoren ausgerüsteten Kraftfahrzeuge • belasten durch unwirtschaftliche Ausnutzung der Kraftstoffe in hohem Maße die Energiereserven auf Mineralölbasis, • führen zu Umweltbelastungen durch schädliche Abgasbestandteile wie Kohlenmonoxid, Stickoxide, Kohlenwasserstoffe, Ruß und Blei sowie Lärmentwicklung.“ In seiner Einführung gab der zuständige Abteilungsleiter im BMFT die generelle Richtung der erforderlichen F+E - Aktivitäten wie folgt vor: „Es geht also um das Optimum an Umweltschutz, Wirtschaftlichkeit, Zuverlässigkeit und Energieverbrauch …“; offenkundig nicht von ungefähr wird dabei der Umweltschutz an erster Stelle genannt. Die 1980er Jahre Um 1980 legte die Bundesregierung ein breit angelegtes Forschungsprojekt unter der Bezeichnung „Szenario Automobil 2000“ auf. Im Rahmen des Projektes wurden zeitlich parallel laufende Aktivitäten im Ausland ausgewertet; der Verfasser dieses Beitrages war der dafür zuständige Projektleiter. In dieser Funktion wurde er zu einem Hearing des US-amerikanischen Kongresses im Zusammenhang einer breit angelegten Studie mit dem Titel „Changes in the future Use and Characteristics of the Automobile Transportation System“ [11] eingeladen; deren Bearbeitung lag in den Händen des „Office of Technology Assessment“ (OTA) des US-Kongresses. Zu den Kern-Befunden der betreffenden Studie gehörten folgende Feststellungen: • „Die Nation wird einen schwerwiegenden Petroleummangel erfahren und ein fortwährendes Luftverschmutzungsproblem in den Städten, das zu einem nicht unerheblichen Anteil dem Automobilverkehrssystem zuzurechnen ist, wenn die gegenwärtige Politik unverändert weiter Bestand hat und sich der gegenwärtige Trend der zunehmenden Automobilnutzung fortsetzt. • Wegen der Energie-, Umwelt-, Sicherheits- und Ökonomie-relevanten Implikationen sind weitere deutliche Veränderungen sowohl in der Charakteristik als auch in der Nutzung des Automobilverkehrssystems erforderlich, um die negativen Einflüsse auf die Gesellschaft und die Ökonomie zu minimieren.“ Der Ansatz der Studie ging also sehr zu Recht weit über die Automobiltechnik hinaus und beschäftigte sich mit dem Gesamtsystem des motorisierten Individualverkehrs. Im Verlauf der genannten Anhörung internationaler Fachleute und hochrangiger Industrievertreter fragte ein Kongressvertreter die anwesenden Forschungschefs der weltweit größten Automobilkonzerne, ob es möglich sei, den mittleren Flottenverbrauch von Neu-PKW auf 3 l/ 100 km zu senken - und wenn ja, wie lange die Umstellung dauern würde. Und das bei einer damaligen Ausgangslage von deutlich über 10 l/ 100 km in den USA. Die einvernehmliche Antwort lautete: • „Ja, das ist möglich. • Ohne staatliche Förderung ist mit einer Zeitspanne von drei Fahrzeuggenerationen zu rechnen - also mit gut 20 Jahren; bei angemessener staatlicher finanzieller Unterstützung wäre die Umstellung in rd. zehn Jahren möglich.“ • Es folgte die entscheidende Einschränkung: „But, it has to be mandated“ („aber es muss bindend verfügt werden“). Der Projektleiter der Studie, Robert Maxwell, hat im Rahmen des „International Symposium on Traffic and Transportation Technologies“ anlässlich der „Internationalen Verkehrsausstellung IVA’79“ in Hamburg über das Projekt berichtet und dabei zum Abgas-Thema ausgeführt [12]: „Bei der Reduzierung der Abgase sind beträchtliche Fortschritte erzielt worden. Da sich die Kraftfahrzeuge jedoch während der Hauptverkehrszeiten in den Stadträumen zunehmend stauen und die Abgasreguliervorrichtungen der im Betrieb befindlichen Fahrzeuge verschleißen, ist möglicherweise ein landesweites Programm zu erstellen, das regelmäßige Inspektion und Instandhaltung von Kraftfahrzeugen und zeitweilige Fahrbeschränkungen vorsieht, damit der erforderliche Standard sauberer Luft erhalten bleibt.“ Kraftstoffverbrauch und -Effizienz, Anteile der Verkehrsträger Zwischen Kraftstoffverbrauch, Fahrleistung und Umweltwirkung besteht ein enger Zusammenhang. Der CO 2 -Ausstoß ist direkt abhängig vom Verbrauch, da Kohlenstoff in Benzin und Diesel gebunden ist. In der Bundesrepublik ist [13, 14] • der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch von PKW und Kombi im Zeitraum 1980 bis 2016 (Bild 1) von 10,1 l/ 100-km (Otto-Motor 10,2, Diesel-Motor 9,1) über 9,2 l/ 100 km (9,5 bzw. 7,7) in 1991 (nach der Wiedervereinigung) auf 7,2-l/ 100 km (7,7 bzw. 6,8) zurückgegangen; das sind 28,7 % (gesamt) bzw. 24,5 % (Otto) und 25,3 % (Diesel). • seit 1991 die Verkehrsleistung im motorisierten Individualverkehr (Personenkilometer - Pkm) im Bundesgebiet („Binnenländischer Verkehr“) von 713,5 Mrd. auf 947,1 Mrd. Pkm in 2015 angestiegen; POLITIK Verkehrsstrategie Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 14 das ist ein Zuwachs um rd. 33 %. Die Einsparungen beim spezifischen Verbrauch der PKW sind also durch die Zunahme der Verkehrsleistungen erheblich überkompensiert worden. • der Anteil des für das Verkehrsgeschehen in den Städten besonders wichtigen „Öffentlichen Straßenpersonenverkehrs“ (einschließlich städtischer Bahnen) an den gesamten Verkehrsleistungen im Personenverkehr von 10,2 % in 1985, über 9,3 % in 1991 auf 6,8 % in 2016 zurückgegangen - trotz absoluter Steigerungen. • der Anteil des Straßengüterverkehrs an den Güterverkehrsleistungen (Tonnenkilometer - tkm) im „Binnenländischen Verkehr“ (einschließlich Straßengüternahverkehr) von 49,0 % in 1980 (alte Bundesländer) über 61,5 % in 1991 auf 71,0 % in 2016 angestiegen; der Kraftstoffverbrauch in Straßengüterverkehr hat im Zeitraum von 1991 bis 2016 um rd. 27 % zugenommen. • der Anteil des Dieselkraftstoffs am Gesamt-Kraftstoffverbrauch im Straßenverkehr innerhalb der letzten 20 Jahre von 38,5 % auf 62,5 % angestiegen. In der Bundesrepublik hat es also seit den warnenden Stimmen vor über vier Jahrzehnten zwar immerhin eine durchaus nennenswerte Reduzierung des spezifischen Kraftstoffverbrauchs im PKW-Sektor gegeben; die ist allerdings weit entfernt von den seinerzeit als geboten angesehenen Größenordnungen. Aufgrund gestiegener Fahrleistungen hat das selbst im motorisierten Individualverkehr sogar noch zu einem beträchtlichen Verbrauchs-Zuwachs geführt (Bild 2). Der starke Zuwachs im Straßengüterverkehr, sowohl beim Verbrauch als auch beim Anteil an den Leistungen insgesamt, steht dabei für ein völliges Versagen der seit Jahrzehnten von den Bundes-Regierungen aller politischen Couleur propagierten Verlagerung beträchtlicher Anteile von Gütern von der Straße auf die Schiene und die Binnenschifffahrt; das hat nicht zuletzt auch zu einer erheblichen Steigerung der Umweltbelastung durch den Straßenverkehr geführt. Höchst bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass von der deutschen Automobilindustrie versucht wurde, unter Anwendung spezieller Software und technischer Einrichtungen den Eindruck zu erwecken, als seien ihre Produkte deutlich energieökonomischer und umweltverträglicher geworden, als das tatsächlich der Fall ist. Kürzlich sind Abweichungen beim Kraftstoffverbrauch in der Fahrpraxis gegenüber den Hersteller-Angaben von 42 % festgestellt geworden [15]. In 2013 sollte der durchschnittliche Kraftstoffverbrauch von Neuwagen laut Herstellerangaben bei 6,1- l/ 100 Kilometer bei Benzinern und 5,4 l bei Diesel-Autos gelegen haben [16]. Nach Angaben aus dem Bundesverkehrsministerium lauteten die Vergleichszahlen allerdings 7,8 l bzw. 6,9 l; die Differenzen betragen damit in beiden Fahrzeugkategorien durchschnittlich 28 % - mit entsprechenden Konsequenzen für die Umwelt [14]. Die beträchtlichen Abweichungen resultieren teilweise aus Verbrauchs-Unterschieden unter Laborbedingungen gegenüber der Verkehrswirklichkeit; bei den Abgaswerten kommen allerdings auch gezielte Manipulationen zum Tragen. Im ersten Fall sind die für die Vorgaben bzw. für die Zulässigkeit der zur Anwendung kommenden Labortests zuständigen technischen Institutionen in der Verantwortung. Die Einordnung der Manipulationen der Abgaswerte ergibt sich aus den gesicherten Erkenntnissen nicht nur hinsichtlich der Gesundheitsschädigung, sondern explizit auch der inzwischen unstrittigen erheblichen Mortalitätsrate als deren Folge [6], die durch kein industriepolitisches Argument aufgewogen werden kann. In Deutschland wäre zu erwarten gewesen, dass der „Technische Überwachungs- Verein“ (TÜV) regelmäßig wirkungsvolle Kontrollen durchführt und Abweichungen ggf. politikwirksam dokumentiert. Das offensichtliche Versagen vergleichbarer Prüfinstitutionen auch in anderen europäischen Ländern hat die EU kürzlich zum Anlass genommen, die Einrichtung eines „TÜV für den TÜV“ in Angriff zu nehmen, um „künftig die Autozulassungen in der gesamten Union strenger kontrollieren“ zu können-[17]. Nicht zuletzt verwundert es allerdings auch, dass die betreffenden Missstände nicht von den zahlreichen relevanten Lehrstühlen und -Instituten an deutschen Universitäten wirkungsvoll(er) öffentlich gemacht worden sind. Das ist möglicherweise zu einem nicht unwesentlichen Anteil durch ein „Follow the money“-Prinzip der Bewertung von Forschungsaktivitäten erklärbar, bei dem bezahlte Forschungsaufträge den Lehrbetrieb mitfinanzieren. Andererseits hat allerdings auch die Politik nicht angemessen auf relativ frühe durchaus konkrete Hinweise reagiert [9]. In den USA haben die Ergebnisse der Studie von 1979 [11] lange Zeit ebenfalls keine nachhaltigen Konsequenzen gehabt. Erst im Jahr 2012 hat der damalige US-Präsident Obama per Verordnung („it has to be mandated“! ) ein höchst ehrgeiziges Ziel formuliert. Danach soll der mittlere Verbrauch Bild 1: PKW-Kraftstoffverbrauch. Die Angaben in den Statistiken sind, vor allem aufgrund wiederholt veränderter Definitionen hinsichtlich von Zeitreihen teilweise inkonsistent; das ändert aber nichts Grundsätzliches an der Substanz der daraus abzuleitenden Kernaussagen. Quelle: [13, 14]; eigene Darstellung Bild 2: Kraftstoffverbrauch im Straßenverkehr Quelle: [13, 14]; eigene Darstellung Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 15 Verkehrsstrategie POLITIK von Neufahrzeugen bis zum Jahr 2025 auf 4,3 l/ 100 km gesenkt werden; im Jahr 2007 waren es noch 11,7 l/ 100 km [18]. Das wäre- immerhin eine Reduzierung des Verbrauchs auf nahezu ein Drittel innerhalb von 18 Jahren. Nach Berechnungen am renommierten Verkehrsforschungsinstitut der Universität von Michigan lag der Durchschnittswert in 2014 bei 9,3 l/ 100km; das ist gleichbedeutend mit einer Effizienzsteigerung von 26 % in sieben Jahren. Zum Vergleich: In der Bundesrepublik wurde innerhalb von 26 Jahren eine durchschnittliche Effizienzsteigerung von knapp 29 % erreicht. Ob das von Präsident Obama formulierte Ziel tatsächlich zeitgerecht erreicht wird, ist zwar eher fraglich - zumal unter der neuen Administration und der damit verbundenen drastischen Änderung in der Umweltpolitik. Immerhin hatte die „Environmental Protection Agency“ (EPA) der USA (vergleichbar mit dem Umweltbundesamt in Deutschland) aber noch Ende 2016 einen ausführlichen Bericht zu den positiven Trends bei den Abgasemissionen und der Treibstoffeffizienz von PKW und leichten Nutzfahrzeugen herausgegeben sowie weitere Anstrengungen der Industrie eingefordert [18]. Bemerkenswerterweise haben sich gerade führende deutsche Autobauer vehement gegen die Umweltauflagen in den USA gestemmt und offenkundig nachfolgend auch durch im wahrsten Sinne sträfliche Manipulationen versucht, diese zu umgehen [19]. Das hat schließlich zur Verurteilung zu Strafzahlungen in zweistelliger Milliarden- Euro-Höhe geführt und sogar zu langjährigen Gefängnisstrafen für führende Manager, deren man vor Ort habhaft werden konnte [20] - obschon dieselben wohl kaum die originären Verantwortlichen der Manipulationen gewesen sind. Appell zum Handeln So sinnvoll in diesem Zusammenhang „Sofortprogramme“ und Radikalforderungen zu Einzelkomplexen als Anstoß für notwendige Veränderungen auch sein mögen - sachgerechte und nachhaltige Lösungen sind nur durch der Komplexität der Thematik angemessene ganzheitliche Ansätze mit realistischen Zeithorizonten und wirkungsvollen Kontrollmechanismen zu erreichen. In diesem Fall gehören dazu: • Anspruchsvolle quantitative und zeitliche Zielsetzungen der Minderung des spezifischen Kraftstoffverbrauchs, des Ausstoßes umweltschädlicher Abgase sowie der ökologischen Gesamtbilanz von Kraftfahrzeugen sowohl traditioneller als auch alternativer Antriebstechnologien [21, 22]. Die Ziele müssen wissenschaftlich fundiert untermauert und politisch bindend verfügt werden; ihre Annäherung muss durch unabhängige Prüfstellen kontrolliert, wesentliche Abweichungen müssen wirkungsvoll geahndet werden. • Prüfung und ggf. Inangriffnahme der Umsetzung aller Möglichkeiten der Reduzierung des motorisierten Straßenverkehrs. Dies umfasst - eine wirkungsvollere Verkehrslenkung, - ein besseres Baustellenmanagement, - die Einführung von entfernungsabhängigen Straßenbenutzungsgebühren und von City-Maut, - die tatsächliche Verlagerung erheblicher Anteile des Güterverkehrs von der Straße auf die Schiene und die Binnenschifffahrt, - die Intensivierung nahverkehrsorientierter Stadt - und Regionalentwicklung, - die Förderung neuer Formen geteilter Mobilität und von nicht motorisierten Mobilitätsformen - letzteres vor allem durch eine attraktive Infrastruktur. • Beim Verkehrsmanagement geht es auch um die bessere Nutzung des Potentials der zunehmenden Digitalisierung; tatsächlich wird allerdings selbst das bereits seit Jahrzehnten in dieser Hinsicht verfügbare Instrumentarium bisher nur unzureichend genutzt. • Die klassische Form geteilter Mobilität ist der öffentliche Personenverkehr. Die Verbesserung der Angebote gerade im öffentlichen Personennahverkehr ist eine wichtige Option in diesem Zusammenhang. Sie scheitert bisher häufig an den Kosten. Die Nahverkehrsindustrie fordert regelmäßig zusätzliche staatliche Fördergelder - derzeit beispielsweise rd. 20 Mrd. EUR [23, 24]. Eine eher gebotene Lösung ist die Aktivierung der weltweit vielerorts längst üblichen Nutznießer-Mitfinanzierung [25]. Gefragt sind also längerfristig angelegte wirkungsvolle, nachhaltige und konzertierte Aktivitäten von Bund, Ländern und Kommunen. ■ LITERATUR [1] Meyer-Fünffinger, A. u. Bader. N.: Verkehr birgt Zündstoff; www. br.de/ nachrichten/ jamaika-sondierungen, 14. 11. 2017 [2] dpa: Jamaika-Unterhändler verhaken sich beim Thema Verkehr; www. nwzonline.de/ politik, 14. 11. 2017 [3] Bauchmüller, M u. Schneider, S.: 28 deutschen Städten drohen Fahrverbote; www.sueddeutsche.de/ wirtschaft, 27.11.2017 [4] Hengstenberg, W.: Abgasskandal - Düsseldorf drohen Fahrverbote; Spiegel Online 27. 11. 2017 [5] Grabitz, M.: EU-Kommission will Deutschland verklagen; Tagesspiegel, 15. 11. 2017 [6] Thomas, A.: Real-world conditions will limit AV safety gains; ITS International, März / April 2017 [7] O.V.: Diesel-Gipfel - Eine Milliarde für Saubere Luft; www.tagesschau.de, 28.11. 2017 [8] Kaden, W.: Die Elektrolüge; Bilanz, Dezember 2017, Beilage „Welt am Sonntag“ [9] O.V.: Schon 2010 Brief an Ministerium - ADAC warnte Bund vor Abgasskandal; n-tv, 26. 08. 2016 [10] Bundesministerium für Forschung und Technologie BMFT (Hrsg.): Auf dem Weg zum Auto von morgen; Köln 1973 [11] OTA Office of Technology Assessment, Congress of the United States: Changes in the Future Use and Characteristics of the Automobile Transportation System; Washington D.C. Februar 1979 [12] Maxwell, R.: The Automobile in the socio-economic System of the Future; Proceedings - International Symposium on Traffic and Transportation Technologies, IVA `79, Hamburg 1979 [13] Bundesministerium für Verkehr, Bau und Wohnungswesen (Hrsg.): Verkehr in Zahlen 2005/ 2006; Berlin 2005 [14] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (Hrsg.); Verkehr in Zahlen 2017/ 2018; Berlin 2017 [15] O.V.: Mehrkosten und Umweltbelastung - Verbrauch bei Neuwagen 42 % höher als angegeben; RP online, 6. 11. 2017 [16] O.V.: Klimaschutz - Benzinverbrauch von US-Autos stark gesunken; Spiegel Online, 14. 10. 2014 [17] Crolly, H. u. Doll, N.: Der TÜV für den TÜV kommt - Brüssel will künftig die Autozulassung in der gesamten Union strenger kontrollieren; Die Welt, 8. 12. 2017 [18] United States Environmental Protection Agency (EPA): Light-Duty Automotive Technology, Carbon Dioxide Emmissions and Fuel Economy Trends 1975 through 2016; Washington D.C. November 2016 [19] O.V.: Kraftstoffverbrauch - Deutsche Autobauer stemmen sich gegen US - Umweltauflagen; Handelsblatt, 17.11. 2011 [20] O.V.: Sieben Jahre Haft und obendrauf noch die Kündigung - VW- Manager wird hart bestraft; Focus online, 8. 12. 2017 [21] Becker, J.: Benziner und E-Autos - Wie umweltverträglich sind die Dieselalternativen? Süddeutsche Zeitung 3. 08. 2017 [22] O.V.: Sauber Auto fahren? Mit Erdgas geht das; Süddeutsche Zeitung, 07.12. 2017 [23] VDV - Die Verkehrsunternehmen: Richtung Zukunft? Schneller Bitte! Anzeige vom 12. 11. 2017 [24] O.V.: 20 Milliarden Euro vom Bund für ÖPNV gefordert; heise.de, 14,11,2017 [25] Kossak, A: Transit Oriented Development und Value Capture - Investitionsimpulse und Wertsteigerungen als Folge des Baus von Stadtbahnen; Eisenbahntechnische Rundschau ETR 3 / 2016 Andreas Kossak, Dr.-Ing. Kossak Forschung & Beratung, Hamburg drkossak@aol.com
