Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0012
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2018
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Unbemannter Frachttransport im Luftverkehrssystem
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Michael Schultz
Annette Temme
Dirk Kügler
Die Bedeutung unbemannter Luftfahrzeuge für zivile Anwendungen nimmt stetig zu. Dabei ist zu erwarten, dass in Zukunft im Besonderen auch Frachtflugzeuge im Langstreckenflug unbemannt operieren werden. Im DLR-Projekt UFO (unmanned freight operations) wurden grundlegende Randbedingungen für eine effiziente Integration in das Luftverkehrssystem analysiert, operationelle Konzepte entwickelt und anhand von verschiedensten Einsatzszenarien erfolgreich demonstriert.
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Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 40 Unbemannter Frachttransport im Luftverkehrssystem Luftfrachtverkehr, unbemannte Flugzeuge, Integration, Luftverkehrssystem Die Bedeutung unbemannter Luftfahrzeuge für zivile Anwendungen nimmt stetig zu. Dabei ist zu erwarten, dass in Zukunft im Besonderen auch Frachtflugzeuge im Langstreckenflug unbemannt operieren werden. Im DLR-Projekt UFO (unmanned freight operations) wurden grundlegende Randbedingungen für eine effiziente Integration in das Luftverkehrssystem analysiert, operationelle Konzepte entwickelt und anhand von verschiedensten Einsatzszenarien erfolgreich demonstriert. Michael Schultz, Annette Temme, Dirk Kügler D ie zentrale Herausforderung für den Betrieb unbemannter Frachtflugzeuge ist die nachhaltige Integration dieser Flugzeuge in das aktuelle und das zukünftige Luftverkehrssystem, ohne dabei den unbemannten und bemannten Verkehr voneinander zu trennen. Im Projekt unmanned freight operations (UFO) haben die DLR-Institute für Flugführung, Flugsystemtechnik, Kommunikation und Navigation, Luft- und Raumfahrtmedizin sowie die DLR-Organisationseinheit Lufttransportsysteme gemeinsam Einsatzszenarien definiert, neue Unterstützungssysteme, Verfahren und Technologien sowohl für Lotsen als auch Piloten entwickelt und abschließend validiert. Weiterhin wurde die Integration unbemannter Frachtflugzeuge in die Abläufe an Verkehrsflughäfen, während des Streckenfluges sowie bei Start und Landung untersucht. Dabei ist das Projekt auch über den heutigen Stand der Technik hinausgegangen und hat konkrete Lösungsansätze für den von der Flugsicherung kontrollierten Luftraum bereitgestellt. Obwohl unbemannte Technologien im militärischen Bereich bereits regelmäßig eingesetzt werden, kann das hier akzeptierte Risiko kein Maßstab für die Sicherheitsanforderungen im zivilen Luftverkehr darstellen. Im zivilen Luftverkehr darf die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls je Flugstunde nicht größer als 1,55·10-8 sein (Eurocontrol, 2001). Die hohen Anforderungen an die Sicherheit erfordern eine konsequente Zertifizierung aller eingesetzten Geräte, Technologien und Verfahren. Die Umrüstung bereits vorhandener (Fracht-) Flugzeuge und Nutzung als unbemannte Flugzeuge im weltweiten Luftfrachttransport (siehe Bild 1) würde eine vollständige Integration in das Luftverkehrssystem bis 2028 ermöglichen, wie es in der Integrations-Roadmap der European RPAS Steering Group (2013) vorgesehen ist. Projektziele und Motivation Die Hauptziele des Projektes UFO liegen in der Entwicklung von nachhaltigen Betriebskonzepten und angepassten Verfahren/ Technologien für den unbemannten Luftfrachttransport sowie der validen Nachweisführung der Operationalisierbarkeit dieser innerhalb des weltweiten Luftverkehrssystems. Einsparungspotentiale unbemannter Frachtflüge liegen in der Reduktion des eingesetzten Personals, da pro Frachtflugzeug je nach Einsatzszenario acht bis zwölf Piloten für eine effiziente Umlaufplanung notwendig sind. Die hieraus abzuleitenden absoluten Einsparpotentiale sind aufgrund der Flottengröße im Personentransport mit 26,2 Mrd. USD noch wesentlich größer als im Frachttransport mit 1- Mrd. USD (UBS, 2017). Unbemannte Frachtflugzeuge bieten dann den Vorteil, dass die Piloten jetzt am Boden flexibler eingesetzt werden können, da sie das Flugzeug immer vom selben Ort aus überwachen und steuern. So werden längere Arbeitszeiten vermieden sowie eine ausgewogenere und an die Arbeitslast/ -aufgabe angepasster Arbeitsablauf ermöglicht. Auch wäre es vorstellbar, die Flugführungsaufgabe nach Flugphasen aufzuteilen Bild 1: Umrüstung aktuell verfügbarer Flugzeuge zu unbemannten Frachtflugzeugen Quelle DLR, Konzeptentwurf LOGISTIK Luftfracht Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 41 Luftfracht LOGISTIK (Start, Landung, Streckenflug, Rollführung) oder sogar in einem Formationsflugszenario zusammenzuführen, bei dem ein einzelner Pilot einen Verband von Frachtflugzeugen steuert und überwacht. Wenn Arbeitszeit und Dienstplanung der Operateure keine limitierenden Faktoren in der Optimierung des Frachttransports mehr sind, könnten zum Beispiel langsamere Frachtflugzeuge Treibstoff sparen und damit sowohl ökonomisch als auch ökologisch effizienter betrieben werden. Für den Nachweis einer effizienten Integration unbemannter Frachtflugzeuge in das Luftverkehrssystem wurden drei Forschungsschwerpunkte definiert. • Als erstes wurden mögliche Betriebskonzepte für die Nutzung von unbemannten Frachtflugzeugen ausgearbeitet und anhand von ökonomischen, verfahrenstechnischen und ökologischen Kriterien bewertet. • In einem zweiten Schritt wurden systematisch Grundlagen für die Flugsteuerung definiert. Dafür wurden Zulassungsprozesse gesichtet und beurteilt sowie eine beispielhafte Architektur für die funktionale Zustandsüberwachung erarbeitet. • Im dritten Schritt wurde ein Konzept zur Gesamtintegration von Frachtflugzeugen in das Luftverkehrssystem erstellt und validiert. Hierfür wurden Lösungen zur Führung unbemannter Frachtflugzeuge im kontrollierten Luftraum ausgearbeitet, die Randbedingungen für den luftseitigen Betrieb an Verkehrsflughäfen untersucht und geeignete Betriebsverfahren konzipiert sowie Kommunikations-, Navigations- und Überwachungskonzepte entwickelt. Projektgliederung Um die Projektziele zu erreichen, wurde das Projekt in fünf Arbeitspakte aufgeteilt: (1) Betriebskonzepte, (2) Systemauslegung und Lufttüchtigkeit, (3) Integration in das Luftverkehrssystem, (4) Kommunikation, Navigation, Überwachung sowie (5) Konzeptvalidierung und -bewertung. Für die Definition der Betriebskonzepte und den hiermit verbundenen funktionalen Anforderungen wurden mögliche Einsatzszenarien mit einer großen Anwendungsbandbreite untersucht. Fokussiert wurde hier auf die Analyse und Definition der Anforderungen an die Flugzeugkonfiguration, -technik und die notwendige Infrastruktur. In einem iterativen Prozess wurde, aufbauend auf den Einsatzszenarien, die funktionellen Anforderungen in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Fachexperten abgeleitet und in einem Anforderungskatalog zusammengestellt. Durch die Definition der Frachtlogistikkette konnten relevante Bestandteile für das Betriebskonzept identifiziert und die Systemgrenzen des unbemannten Frachttransportes definiert werden. Zusätzlich wurden die Auswirkungen unbemannter Frachtflüge auf die Infrastruktur abhängig von den spezifischen Anforderungen betrachtet (z.B. luftseitige Bodeninfrastruktur für Be-/ Entladung und Wartung) und verschiedene Anpassungsmaßnahmen entwickelt. Durch konsequente Berücksichtigung der Frachtlogistikkette konnte dem Aufwand für die Operationalisierung der entwickelten Betriebskonzepte dem zu erwartenden ökonomischen Mehrwert gegenübergestellt und bewertet werden (Wertschöpfung). Im zweiten Arbeitspaket zur Systemauslegung und Lufttüchtigkeit unbemannter Frachtflugzeuge wurden Sicherheitsanforderungen aus bestehenden Regularien/ Zulassungsprozessen abgeleitet. Zudem wurden Überwachungsfunktionen für Flugsteuerungssysteme entwickelt, implementiert, erprobt (Software-in-the-Loopsowie Hardware-in-the-Loop-Simulationen) und validiert. Hierfür wurden funktionale Anforderungen an die Software abgeleitet (z. B. sense and avoid-Funktionalitäten, Automationsgrade am Boden oder im Streckenflug) und formale Methoden für die Verifikation eingesetzt (insbesondere model checking und runtime monitoring). Für die Integration unbemannter Frachtflugzeuge in das Luftverkehrssystem wurden im dritten Arbeitspaket spezifische Operationen und Prozeduren ausgearbeitet und in einem Flugführungskonzept zusammengeführt. Dafür wurden die (neuen) Rollen, Aufgaben und Interaktionen von und zwischen Piloten und Lotsen definiert. Neben dem operationellen Konzept (z.B. notwendige Bodeninfrastrukturen, Flughafenprozesse, Rollführungskonzepte, Anflugrouten/ -verfahren) wurden spezifische Anforderungsprofile für Piloten und Lotsen abgeleitet. In Bild 2 ist beispielhaft eine spezifische Nutzerschnittstelle zur Führung des unbemannten Luftverkehrs dargestellt. Im vierten Arbeitspaket wurden die technischen Anforderungen an Kommunikation, Navigation und Überwachung aus europäischen/ internationalen Vorgaben für den Betrieb unbemannter Flüge abgeleitet. Die Identifikation geeigneter Technologieansätze war der Ausgangspunkt für einen Gesamtkonzeptentwurf. So wurden beispielsweise relevante Frequenzbereiche für die Luft-/ Bodenkommunikation untersucht oder auch die Anforderungen an Datenlinks für Steuerung und Kontrolle (C2, command and control) und Navigations-/ Überwachungsverfahren definiert. Für die abschließende Konzeptvalidierung und -bewertung wurde ein Validierungsplan erstellt, die Validierung von Teilsystemen und Konzeptentwürfen (z.B. Integration von Systemkomponenten) durchgeführt sowie die erzielten Ergebnisse dokumentiert und bewertet. Die menschliche Leistungsfähigkeit wurde in diesem Zusammenhang in Anlehnung an einen im Rahmen von SESAR entwickelten und angepassten HPAP (human performance assessment process) Ansatz gemessen (vgl. Biede und Pelchen-Medwed, 2017). Projektablauf Für die Integration des unbemannten Frachtverkehrs in das Luftverkehrssystem wurden drei verschiedene Einsatzszenarien ausgewählt. Zusammen decken diese Szenarien ein breites Spektrum verschiedener Integrationsfragestellungen ab. Beispielhaft ausgewählt wurden: (1) Transport von Bild 2: Nutzerschnittstelle zur Führung und Überwachung von unbemannten Frachtflugzeugen Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 42 LOGISTIK Luftfracht Werksgütern zwischen zwei Fabrikstandorten (1,5 t Nutzlast, vergleichbar Cessna 208 Caravan), (2) Langstreckenfrachttransport (umgerüstete Boeing B777F) sowie (3) ein Hilfsgütertransport gekennzeichnet durch eine große Menge an Gütern, die den gleichen Transportweg haben (Formationsflug). Bild 3 gibt einen Überblick über die adressierten Integrationsaspekte. Das Szenario des Langstreckenfrachttransportes hat die größten Anforderungen an die Luftverkehrsintegration, da bemannte und unbemannte Flugzeuge sowohl im kontrollierten Luftraum gemeinsam operieren als auch die bereits heute ausgelasteten Verkehrsflughäfen nutzen. Bei der Integration an hoch frequentierten Verkehrsflughäfen sollen insbesondere durch unbemannte Frachtflugzeuge keine negativen Effekte für den konventionellen Verkehr entstehen. Hierzu wurden Lotsenunterstützungssysteme so erweitert, dass der Lotse Besonderheiten des unbemannten Luftfahrzeugs erkennen und entsprechend mit dem Piloten am Boden interagieren kann. Diese neuen Entwicklungen zur Lotsenunterstützung wurden in einer Versuchskampagne für das Szenario des Langstreckenfrachttransportes, an der auch Fluglotsen der DFS Deutsche Flugsicherung GmbH beteiligt waren, mit großem Erfolg im Validierungszentrum Luftverkehr des Instituts für Flugführung validiert. Auch die Weiterentwicklungen der Bodenkontrollstation konnten im Rahmen dieser Versuche getestet werden. Die durch die Versuche gewonnenen Erfahrungen haben dazu beigetragen, die Unterstützung für den Piloten am Boden weiter voranzutreiben. Die möglichen Betriebsverfahren unbemannter Frachtflugzeuge hängen von den Gegebenheiten am Flughafen ab. So könnten bemannte oder unbemannte Schleppfahrzeuge zum Einsatz kommen, aber ebenso sind eine Fernsteuerung durch spezielle Piloten oder auch autonomes Rollen denkbar. Im Projekt UFO wurden die verschiedenen Möglichkeiten und Randbedingungen analysiert und verschiedene Konzepte ausgearbeitet. In der Demonstration im Leitstand des Validierungszentrums Luftverkehr wurde ein Verfahren realisiert, bei dem die Übergabe des Luftfahrzeugs von der Bodenkontrollstation an den Schlepperfahrer an einem definierten Übergabepunkt nach Verlassen der Landebahn stattfindet. Nach der Ent- und Beladung sowie einem erneuten Schleppen zurück zur Startbahn übernimmt der Pilot das unbemannte Flugzeug unmittelbar vor dem Startvorgang (siehe Bild 4). Zusammenfassung und Ausblick Das DLR-Projekt UFO (unmanned freight operations) hat gezeigt, dass die Integration des unbemannten Frachttransports in das Luftverkehrssystem bereits heute technisch und organisatorisch möglich ist. Die fünf beteiligten DLR-Institute haben fachlich spezifische Lösungsbeiträge konzipiert und demonstriert, um eine in absehbarer Zukunft umsetzbare Integration zu realisieren. Die im Projekt erzielten Ergebnisse sowie die Bandbreite und vielfältigen Aspekte der Integration des unbemannten Luftfrachtverkehrs wurden im ‚Symposium Unbemannter Frachter‘ im Oktober 2017 vor einem Fachpublikum präsentiert. Die Vielzahl entwickelter Lösungsansätze wird dazu beitragen, die noch offenen technischen, organisatorischen und betrieblichen Fragestellungen zu klären. Das Anfang 2018 gestartete DLR-Projekt CityATM setzt die Forschungsarbeiten im Bereich des unbemannten Luftverkehrs fort und fokussiert auf die Entwicklung eines zukünftigen Luftraum-Managementsystems für unbemannte und bemannte Luftraumteilnehmer, insbesondere für Flüge in urbanen Gebieten (Geister und Korn, 2017). ■ LITERATUR Biede, Sonja; Pelchen-Medwed, Renee (2017): Effectiveness of the application of the Human Performance Assessment Process in SESAR 1, 12th USA/ Europe ATM Seminar, Seattle Geister, Dagi; Korn, Bernd (2017): Concept for Urban Airspace Integration, DLR Blueprint Eurocontrol (2001): ESARR 4 - Risk assessment and mitigation in ATM European RPAS Steering Group (2013): Roadmap for the integration of civil Remotely-Piloted Aircraft Systems into the European Aviation System UBS (2017) Flying solo - how far are we down the path towards pilotless planes? , Q-Series August 2017 Annette Temme, Dr.-Ing. Projektleiterin UFO, Abteilung Luftverkehrssysteme, Institut für Flugführung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig annette.temme@dlr.de Dirk Kügler, Prof. Dr.-Ing. Direktor Institut für Flugführung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig dirk.kuegler@dlr.de Michael Schultz, Dr.-Ing. Leiter der Abteilung Luftverkehrssysteme, Institut für Flugführung, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V., Braunschweig michael.schultz@dlr.de Bild 3: Wesentliche Aspekte der Integration unbemannter Frachtflugzeuge in das Luftverkehrssystem Bild 4: Integration und Validierung unbemannter Frachtflugzeuge am Verkehrsflughafen
