eJournals Internationales Verkehrswesen 70/1

Internationales Verkehrswesen
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0020-9511
expert verlag Tübingen
10.24053/IV-2018-0016
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2018
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Urbane Mobilität - auf dem Weg zu Mobility on Demand

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2018
Ralf Frisch
Themen wie Verkehrsstaus und gesundheitsschädliche Emissionen beschäftigen die Gesellschaft vor allem in urbanen Räumen seit vielen Jahren – weitgehend erfolglos. Wie kann „Mobility as a Service“ die Lösung bringen? Ein Beitrag von Ralf Frisch, Solution Director MaaS – Mobility as a Service bei der PTV Group, Karlsruhe.
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Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 53 Standpunkt MOBILITÄT Urbane Mobilität - auf dem Weg zu Mobility on Demand Themen wie Verkehrsstaus und gesundheitsschädliche Emissionen beschäftigen die Gesellschaft vor allem in urbanen Räumen seit vielen Jahren - weitgehend erfolglos. Wie kann „Mobility as a Service“ die Lösung bringen? Ein Beitrag von Ralf Frisch, Solution Director MaaS - Mobility as a Service bei der PTV Group, Karlsruhe. D er Mobilitätsmarkt befindet sich in einem tiefgreifenden Wandel. Wir sehen uns in der Welt des Verkehrs vor allem mit drei Megatrends konfrontiert: • Digitalisierung und Vernetzung. Wir sind rund um die Uhr überall auf der Welt vernetzt. Als Endverbraucher kann ich Informationen über verschiedene Endgeräte (Smartphone, Smartwatch, Tablet, etc.) jederzeit abrufen und teilen. • Viele Unternehmen haben das Potenzial im Geschäftsfeld Mobilität erkannt und investieren enormes Kapital für eine erfolgreiche Umsetzung neuer Geschäftsmodelle. Besonders On-Demand- Services spielen hier eine große Rolle. • Die Technologie autonomer Fahrzeuge erreicht einen straßentauglichen Zustand. Auch hier ist vor allem die Vernetzung eine treibende und entscheidende Kraft. Alles wird schneller, besser, smarter - auch die Stadt. Der Begriff „Smart City“ ist längst auch in Deutschland angekommen. Für mich ist eine Stadt dann „smart“, wenn sie für neue Technologien offen ist. Das gilt vor allem für den Verkehr. Er wird in der Stadt der Zukunft eine zentrale Rolle spielen und steht gerade vor umwälzenden Veränderungen. Die neuen Megatrends schaffen die Grundlage für MaaS - Mobility as a Service. Einhergehend mit einem Paradigmenwechsel im Wertesystem der Gesellschaft ist der Weg frei für individuelle Mobilität ohne Besitz, Stichwort: Ride Sharing. Ob Bikesharing oder autonome Elektrofahrzeuge - Städte müssen ihren Bürgern ein multimodales Verkehrssystem bieten, das auf die vielfältigen Mobilitätsbedürfnisse eingeht und diese bestenfalls über eine einzige Plattform zugänglich macht. Zukunftsmusik? Nicht in meinen Augen. Es gibt bereits positive Beispiele, die erfolgreich Schule machen. Die digitale Anlaufstelle für Mobilitätsdienstleistungen in Wien - „Upstream“ - ist eine öffentliche Plattform mit dem Ziel alle digitalen Mobilitätsservices zusammenzubringen und somit für Transparenz und Vernetzung zu sorgen. Der Reisender zahlt pro Reise, ganz gleich wie viele Services involviert sind, und nicht pro Betreiber. Interessanter Fakt: Das Konzept wurde von den Wiener Stadtwerken und den Wiener Linien ins Leben gerufen und wird gemeinsam von beiden betrieben. Die Stadt Wien hat demnach früh erkannt, dass sie sich proaktiv an der Thematik beteiligen muss, um den Anschluss und die Hoheit über den Verkehr nicht zu verlieren. Dieses Angebot entspricht für mich dem Zeitgeist und ist der Inbegriff von nachhaltiger Mobilität und Verbraucherfreundlichkeit. Welche Rolle spielt da noch der öffentliche Nahverkehr? Der öffentliche Verkehr hat sich als Rückgrat städtischer Verkehrsnetze bewährt, und neue Konzepte wie Carsharing und Mitfahrangebote sollen mit diesem verknüpft werden. Mobility-as-a- Service (MaaS)-Flotten schließen die Lücke, wenn es um bedarfsorientierte Angebote geht. Die ÖPNV-Betreiber werden nicht darum herumkommen, sich zu wandeln, um zu bestehen. Wenn dies nicht schnell genug passiert, übernehmen den Job andere. Dabei ist es eine grandiose Chance für die Betreiber. Wenn sie ihre schienengebundenen Angebote clever mit On-demand-Services verknüpfen, werden sie vom Betreiber zum umfassenden Mobilitätsdienstleister und verzeichnen damit sogar mehr (begeisterte) Fahrgäste. Bleibt die Frage, ob die Gefahr besteht, dass die Anbieter neuer Mobilitätsservices den klassischen Linienverkehr kannibalisieren. Die Frage ist berechtigt. „Junge“ Unternehmen wie Uber und Lift, aber auch deutsche Start-ups wie Door2Door haben das Thema Verkehr für sich entdeckt. Das Potenzial neuer Mobilitätsformen ist nicht nur enorm, sondern es kann auch sehr rentabel werden, spätestens wenn die Fahrzeuge autonom unterwegs sind und der Fahrer eingespart werden kann. Deshalb investieren sie große Summen in ihre Geschäftsmodelle. Um nicht verdrängt zu werden, müssen etablierte Unternehmen ihre Herangehensweise aufbrechen, eine Zusammenarbeit anstreben und sich vernetzen. Nur so können ÖV-Unternehmen sicherstellen, dass sie die Mobilität von morgen mitgestalten werden. Es ist deshalb wichtig, eine klare Strategie zu entwickeln - und sie auch zu fahren. Beispielsweise kann Wildwuchs eingedämmt werden, wenn die Stadt, wie in Wien ge- Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 54 MOBILITÄT Standpunkt NACHGEFRAGT Was bringt MaaS für Kommunen? Fragen an Ralf Frisch, Solution Director MaaS - Mobility as a Service bei PTV Herr Frisch, welchen Weg sehen Sie, um künftig gerade in der Stadt wieder ein lebenswertes Umfeld zu schaffen? In den nächsten Jahren wird die Anzahl der Fahrzeuge auf unseren Straßen vermutlich weiter steigen. Das heißt: Wer den Autoverkehr in der Stadt minimieren und die Luftverschmutzung senken will, wird um das Thema MaaS nicht herum kommen. Nur durch die künftig gemeinsame Nutzung autonomer Fahrzeuge kann das Verkehrsaufkommen reduziert werden. Die private Motorisierung wird jedoch nicht über Nacht drastisch sinken. Zudem sind moderne Technologien und Anreize an den Autobesitzer erforderlich, die sicherstellen, dass sämtliche Angebote der unterschiedlichen Verkehrsträger nahtlos ineinandergreifen, ständig verfügbar sind und somit das Angebot so attraktiv machen auf ein privates Fahrzeug zu verzichten. Diese Zukunft setzt einen Wandel im Denken des Einzelnen, der Industrie und des Dienstleistungsangebots voraus. Wie wichtig sind Echtzeitdaten in dem von Ihnen gezeichneten Zukunftsszenario? Hohe Verkehrsaufkommen können nur durch vorausschauendes Handeln des Verkehrsmanagers reduziert werden. Dafür muss er nicht nur wissen, was gerade auf den Straßen passiert, sondern auch, was passieren könnte - möglichst bevor der Stau entsteht. Agieren statt reagieren. Diesen Ansatz verfolgen wir mit Echtzeitlösungen wie PTV Optima. Die modellbasierte Lösung bietet präzise Verkehrsinformationen für das gesamte Verkehrsnetz in Echtzeit und gibt zuverlässige Prognosen für die kommenden 60 Minuten. Schnell lässt sich voraussagen, wie sich beispielsweise ein gesperrter Streckenabschnitt auf andere Bezirke auswirken kann. Echtzeitdaten sind die Grundlage für zuverlässige und präzise Prognosen - selbst unerwartete Ereignisse wie beispielsweise Unfälle sind auf diese Weise analysierbar. Welchen Vorteil sehen Sie für Städte, die eng mit Technologieanbietern und Automobilherstellern zusammenarbeiten? Partnerschaften und Kooperationen mit Technologieanbietern und Automobilherstellern bilden für Städte einen Pluspunkt, wenn es um den intelligenten Verkehr der Zukunft geht. Dank ihrer engen Beziehungen zu Entscheidungsträgern auf politischer und rechtlicher Ebene verfügen Städte über umfassende Kenntnisse in Bezug auf den Betrieb öffentlicher Verkehrssysteme. Technologieunternehmen wiederum zeigen auf, wie man Daten intelligent einsetzt, um eine reibungslose Planung und Implementierung sicherzustellen. Darüber hinaus bieten sie modernste Tools, um das Mobilitäts-Ökosystem der Städte nachhaltig und effizient zu steuern und zu optimieren. So versorgen Automobilhersteller Städte nicht nur mit Elektrofahrzeugen oder Bike- und Ride-Sharing-Angeboten, sondern beraten sie auch zu sauberen Fahrzeugtechnologien. Gemeinsam mit dem öffentlichen Sektor treiben sie Innovationen voran. schehen, eine tragende Rolle übernimmt und die Rahmenbedingungen schafft, an die sich alle zu halten haben. Aufbauend auf der Erfahrung und der Marktkenntnis der letzten 40 Jahre hat PTV ein Produktportfolio entwickelt, das Stadtverwaltungen, Mobilitätsanbieter und Automobilhersteller dabei unterstützt, die Mobilität der Zukunft zu verstehen und MaaS-Konzepte erfolgreich zu implementieren. Mit dem PTV MaaS Modeller als erstem Modul einer gesamten MaaS-Strategie (MaaS Accelerator Programm) lassen sich zunächst Schritt für Schritt Betrieb und Steuerung von MaaS simulieren und optimieren um dann mit dem MaaS Dispatcher als zentralem Modul des MaaS Operators sogar in den tatsächlichen Betrieb zu gehen. Und das in jeder beliebigen Stadt der Welt. Städte können mit dieser Software untersuchen, wie sich Mobility as a Service auf die Verkehrsdichte und das Stadtbild auswirken könnten. Fakt ist, dass der Mobilitätsmarkt von neuen Technologien und Entwicklungen, aber auch bisher unbekannten Mitspielern lebt. Um ein lebenswertes Umfeld zu schaffen, sollten wir diese begrüßen und Synergien nutzen - als Verbraucher, aber auch als Unternehmen. Vor 20 Jahren wurde das Konzept des Anruf-Sammel- Taxis (AST) eingeführt - im Grunde nichts anderes als Mobility as a Service, doch mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Zugang über Smartphones heute sehr viel einfacher ist. Für mich ist in Zukunft alles ÖPNV, sprich: öffentlich, zugänglich, günstig, aber vor allem überall verfügbar! ■ Dashboard PTV MaaS Modeller für eine Beispielberechnung einer Fahrzeugflotte