eJournals Internationales Verkehrswesen 70/1

Internationales Verkehrswesen
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expert verlag Tübingen
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Intelligente Bildverarbeitung

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Eric Steck
Die Automatisierung logistischer Prozesse entlang der Wertschöpfungsketten beinhaltet unter anderem die vollautomatische Überwachung und Registrierung der Ein- und Ausgänge von Waren in der Transport- und Logistikbranche.
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Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 74 TECHNOLOGIE Digitalisierung Intelligente Bildverarbeitung Eine Basistechnologie für Automatisierung und Digitalisierung Echtzeitkontrolle, Videoüberwachung, Bildanalyse, Wayside Train Monitoring Die Automatisierung logistischer Prozesse entlang der Wertschöpfungsketten beinhaltet unter anderem die vollautomatische Überwachung und Registrierung der Ein- und Ausgänge von Waren in der Transport- und Logistikbranche. Eric Steck M it anhaltendem Wirtschaftswachstum geht eine starke Transport- und Logistikwirtschaft einher. Kunden wollen ihre Ware immer schneller erhalten, Retouren bzw. Rücksendungen sollen schnell abgewickelt werden. Gleichzeitig werden logistische Abläufe im Hafen- und Terminalbereich immer komplexer - bei stetig steigenden Anforderungen an Sicherheit, Geschwindigkeit und Transparenz. Tausende Güterwaggons und LKWs werden täglich bewegt, rangiert, be- und entladen. Diese Ströme müssen effektiv koordiniert werden. Hier trifft physische Warenbewegung auf Logistik 4.0, das heißt: auf intelligente IT. So hat die ASE GmbH ein OCR-Gate 1 entwickelt, bei dem Züge und LKWs bei Durchfahrt durch ein Videotor mit hochauflösenden Videokameras gescannt werden. Dabei werden Waggon- und Containernummern, KFZ-Kennzeichen, Gefahrgutnum mern/ -kennzeichen und weitere wichtige Informationen vollautomatisch erfasst, mittels einem intelligenten OCR-Algorithmus in Echtzeit verarbeitet und über Schnittstellen in die Betriebssysteme und Datenbanken der Endkunden eingebunden. Hafenbetreiber oder Eisenbahnverkehrs- und Industrieunternehmen sparen dadurch Kosten gegenüber der derzeit manuellen Erfassung und optimieren innerbetriebliche logistische Prozesse. Die Funktionsweise Radsensoren im Gleis triggern die Anlage und zählen die Achsen. Ein integrierter Microcontroller errechnet daraus die Wagentrennungen und damit die Wagenzahl. Die Transportmittel-Beschriftungen wie UIC- Nummern, Containernummern etc. werden von speziellen Kameras erfasst und einem OCR-Algorithmus zugeführt, der die optischen Daten in alphanumerische Zeichen umwandelt. Parallel werden Plausibilitätsüberprüfungen vorgenommen. Dazu gehört u.a. der Abgleich der Prüfziffer sowie der Vergleich der erkannten Nummern und Zeichen mit einer vorgegebenen Norm, um so zu einer Aussage über die Genauigkeit der Erkennungswahrscheinlichkeit zu kommen. Das Kamerasystem NUMBERCheck von ASE zeichnet sich hier durch Erkennungsraten von über 95 % aus. Wayside Train Monitoring - Streckenseitige Überwachung von-Zügen Die Zunahme des Schienengüterverkehrs weltweit führt zu einem steigenden Bedarf von Zug-Überwachung seitens der Infrastrukturbetreiber. Ging es bei Wayside Train Monitoring anfangs um die reine Zustandsdokumentation für Wartungs- und Instandhaltung, so hat man im weiteren Verlauf verschiedene Möglichkeiten der Sicherheitssteigerung erkannt, etwa die Detektion von Flachstellen und Lademaßüberschreitungen oder die Erkennung von Beladungszuständen. Gefährliche Zustände sollen umgehend einen Alarm auslösen, weniger gefährliche Zustände, die nicht unmittelbar zu einer Gefahr führen, sollen detektiert und zwecks Wartungsplanung gemeldet werden. Die große Herausforderung ist nun, die Vielzahl der gewonnenen Daten zu zentralisieren und ein einheitliches, möglichst länderübergreifendes Datenmanagement zu finden. Für das Wayside Train Monitoring fließen Daten unterschiedlicher Detektionssysteme zusammen. Unter anderem werden mittels „intelligenter“ Videotechnik die Waggonzustände und mögliche Lademaßüberschreitungen optisch überwacht. Beispielsweise strebt die SBB Cargo im Rahmen ihres Asset Management eine Teilentlastung von physischen technischen Kontrollen durch automatische Kamerasysteme auf dem Gleisfeld an. Nach einem ersten Testlauf in Muttenz überwacht die SBB seit kurzem in der Nähe der Serviceanlage RBL- Dietikon ihre Güterwaggons mit NUMBER- Check (Bild 1). Die automatische Erfassung Bild 1: OCR-Säulen zur Schadensdokumentation für SBB Cargo Foto: ASE GmbH Internationales Verkehrswesen (70) 1 | 2018 75 Digitalisierung TECHNOLOGIE der UIC-Waggonnummern und eine intelligente Bildanalyse ermöglichen eine zuverlässige digitale Zustands- und Schadensdokumentation. Aufgrund der gewonnenen Informationen können reparaturbedürftige Waggons sofort in die Wartungs- und Reparaturplanung einbezogen werden. Überwachung von Zugbewegungen beim belgischen Eisenbahnunternehmen Infrabel Die Bahnhöfe Brüssel-Nord und Brüssel- Süd sind über einen Tunnel mit sechs Gleisen miteinander verbunden. In diesem Tunnel befindet sich auch der stark frequentierte Bahnhof Brüssel-Zentral mit drei Inselbahnsteigen. Der Tunnel wird täglich von bis zu 1100 Zügen befahren, und nahezu alle in Belgien umlaufenden Personenzüge - einschließlich ICE, Thalys, TGV und Eurostar - passieren diesen Tunnel. Das vorhandene belgische Zugleitsystem liefert nur wenige Informationen über den Zug selbst und seine Zusammenstellung. Infrabel wünschte sich mehr Informationen über die tatsächlichen Wagenfolgen und -bewegungen. So wurde auch hier das Nummern-Erkennungssystem NUMBERCheck installiert. Die damit gewonnenen Daten werden mit den Daten des Zugleitsystems verknüpft und ermöglichen so eine umfangreiche Waggonverfolgung. Moderne Systemkomponenten, intelligente Verarbeitung Die Erkennungsanlage besteht aus drei etwa 1,8 m hohen Kamerasäulen (Bild 2), die am nördlichen Ende der Inselbahnsteige des Zentralbahnhofs jeweils im Gleisbett zwischen den Richtungsgleisen positioniert sind. Jede Säule ist zweiseitig aufgebaut und erfasst beide zusammengehörenden Richtungsgleise. In diesen Säulen sind die Kameras, Achserfassung, Beleuchtungstechnik und Netzwerktechnik untergebracht. Am Ende des Bahnsteigs 1 steht ein Schaltschrank, in dem der Auswertungsrechner und der Datenbankrechner die gelesenen Daten analysieren, aufbereiten, auf Plausibilität prüfen, speichern und die Schnittstellen zum Infrabel-Netzwerk und dem Zugleitsystem herstellen. Besondere Anforderungen erfordern höchste Präzision Die Anforderungen an diese Anlage waren sehr hoch: Die Maximalgeschwindigkeit von 60 km/ h erfordert lichtstarke Kameras mit kurzer Belichtungszeit und hohen Bildraten bei niedriger Kompression. Die kurzen Belichtungszeiten zwingen zu hohen Lichtintensitäten, doch gleichzeitig dürfen Lokführer und Passagiere nicht geblendet werden. Erschwerend kam hinzu, dass die Kamerasäulen in nur 80 cm Abstand zu den vorbeifahrenden Zügen stehen und somit große Öffnungswinkel für Kamera und Beleuchtung notwendig machen. Diese Aufgaben wurden durch spezielle Beleuchtungs- und Kameratechnik vollständig gelöst: Das Erkennungssystem ist so ausgelegt, dass Bilder einer vorbeikommenden UIC- oder Materialnummer mehrfach aus verschiedenen Blickwinkeln aufgenommen und analysiert werden. Durch dieses Verfahren werden hohe Erkennungsraten erzielt: In diesem Projekt werden bei nur einseitiger Erkennung mehr als 98 % der Waggons richtig erfasst, auch ICE-Züge mit ihren schwach grauen Nummern. Großer Wert wurde auf die Verarbeitungszeiten gelegt, damit sich auch während der Hauptverkehrszeiten keine Datenstaus bilden. Ein übergeordnetes System prüft kontinuierlich die Funktionen der Anlage - Temperaturen, Lüfterdrehzahlen, Radachsen- Sensoren - und führt diverse Statistiken, etwa über die erreichte Erkennungsrate. Zahlreiche Fernwartungsmöglichkeiten und Debugger-Funktionen runden eine effektive Wartung bis in die untersten Signalebenen ab. Im Einsatz für die Automobilindustrie Auch im BMW-Werk Regensburg wird dieses Nummernerkennungssystem für Schiene und Straße eingesetzt. In diesem Werk werden acht unterschiedliche Fahrzeugvarianten produziert. Fehlerfreie Prozesse sind die Voraussetzung dafür, dass Automobile in höchster Qualität gebaut und Kunden begeistert werden. Für die Produktion spielt dabei auch die zuverlässige und transparente Logistik eine große Rolle, nicht nur für die Anlieferung von Komponenten, sondern auch für den Abtransport von Produktionsabfällen: Die im Presswerk entstehenden Blechabfälle werden auf den betriebseigenen Bahngleisen durch DB Cargo zur Wiederverwertung (Einschmelzen) abtransportiert. Für die genaue Ermittlung des Gewichts der Ladungen hat man hier eine Gleiswaage inklusive UIC-Waggonnummernerkennung installiert. Durch die genaue Zuordnung von Waggonnummer und Gewicht ist eine korrekte Vergütung für den Rohstoff möglich. Die Digitalisierung in der Transport- und Logistikbranche ist in vollem Gange und hat - wie man anhand der beschriebenen Beispiele sieht - viele Gesichter. Intelligente Videotechnik ist eines davon. Bis zu einem flächendeckenden, einheitlichen Datenaustausch unter allen Akteuren ist es zwar noch ein weiter Weg, aufzuhalten ist „Big Data“ allerdings nicht mehr. ■ 1 Optical Character Recognition = Optische Zeichenerkennung Eric Steck CEO, ASE GmbH, Bruchsal info@ase-gmbh.eu Bild 2: Kamerasäule im Bahnhof Brüssel-Midi Foto: ASE GmbH